Der Altgesell und der Schneiderlehrling
Ein junger Bursche hatte die Schneiderprofession erlernt und Lust in die Fremde zu gehen. Da gaben ihn seine Eltern einem Altgesellen mit auf die Wanderschaft. Als sie eine Strecke weit gegangen waren, kamen sie an einen steilen Berg. Das Bergsteigen wurde dem Burschen gar sauer und er fragte: „Altgesell, ist denn die Welt auch wohl zu Ende, wenn wir oben auf dem Berge sind?“ Der Altgesell, der schon viel umhergezogen war, schwieg still bis sie oben waren, und da [188] wies er ihm, wie die Welt so weit sei, wie Berg an Berg und Thal an Thal sich reihte und Ein Strom sich in den andern ergoß. Und wenn der Bursche meinte, an einer Stelle der Welt Ende zu sehen, so wies ihm der Altgesell wieder einen Schlupfwinkel, wo es noch weiter ging und die Ströme hindurchrannen in neue Gegenden und neue Thäler sich bildeten. Dabei ward der Altgesell so freudig, weil die Welt so groß und weit ist, der Bursche aber sprach: „Altgesell, wenn’s so ist wie Du sagst, so ist mir die Welt viel zu weit und ich kehre wieder um.“ Da wollte ihn der Altgesell zwar überreden, daß er weiter mitzöge und erzählte ihm, wie jede Stadt ihr eigen Wahrzeichen hätte und wie die Wahrzeichen der Städte so schön seien. Allein der Bursche kehrte doch wieder um und zog nach Haus. Dort aber schämte er sich vor den andern jungen Leuten im Dorf und versteckte sich lange Zeit in einer Kammer. Eines Tages gingen seine Eltern aus und ließen ihn allein. Da sah er, wie seine Jugendgespielen kamen, auf seines Vaters Zwetschenbäume stiegen und sie abaßen. Es standen aber wohl zwanzig Zwetschenbäume da und kamen immer mehr junge Leute und der Bursche auf seiner Kammer hätte bersten mögen, daß er sie nicht verjagen konnte. Endlich rief er aus: „Wenn ich nur nicht in der Fremde wäre, so sollte Euch das übel bekommen!“ Da lachten seine Kameraden, sprangen von den Bäumen herab und liefen davon, aber die Zwetschenbäume waren leer.
Anmerkungen der Vorlage
[234] Dieser Schwank ist abweichend auch in einem hübschen, aber ziemlich neu scheinenden Liede erzählt, das sich in der im Vorwort meiner etwa gleichzeitig mit dieser Märchensammlung erscheinenden Sammlung weltlicher [235] und geistlicher Volkslieder bibliographisch näher bezeichneten, in meinem Besitz befindlichen Bande fliegender Blätter, unter Nr. 128 findet und aus 7 Strophen besteht. Die drei ersten lauten:
„Ein Schneiderlein das reisen soll,
Weint laut und jammert sehr:
Ach Mutter, lebet ewig wohl!
Ich seh Euch nimmermehr!
Die Mutter weint entsetzlich:
Das laß ich nicht geschehn!
Du sollst mir nicht so plötzlich
Aus Deiner Heimath gehn.
Meckmeckmeck dideldumdei,
Der Schneider ist noch funkelneu.
Ach Mutter, ich muß fort von hier!
Ist das nicht jämmerlich?
Mein Söhnchen, ich weiß Rath dafür!
Verbergen will ich Dich.
In meinem Taubenschlage
Verberg ich Dich, mein Kind,
Bis Deine Wandertage
Gesund vorüber sind.
Meckmeckmeck dideldumdei,
Der Schneider ist noch funkelneu.
Mein guter Schneider merkt sich dies
Und that als ging er fort,
Nahm täglich Abschied und verließ
Sich auf der Mutter Wort.
Des Abends nach dem Glockenschlag
Stellt er sich wieder ein,
Und ritt auf einem Geisenbock
Zum Taubenschlag hinein.
Meckmeckmeck dideldumdei,
Der Schneider ist noch funkelneu.“
u. s. w.