Der Abend (Gemälde der Dresdener Gallerie)
Auf der Piazza del Popolo in Rom hielten an einem schönen Septembertage des Jahres 1649 „hoch zu Rosse“ drei Reiter in einem Kreise von etwa einem Dutzend feingekleideter Herren, die sich durch Tracht und Manieren schon dem Entfernteren als Fremde, und zwar als Maler ankündigten. Auch die Reiter waren ersichtlich Maler und sie schienen im Begriffe zu stehen, eine der sogenannten Scenenjägereien anzutreten. Man händigte ihnen von mehrern Seiten Zettel mit Adressen von Bekannten, von Gastwirthen und Klöstern ein, man machte sie auf malerische Gegenden mit großer Lebhaftigkeit aufmerksam, so daß der eine Maler kaum seine Finger rasch genug bewegen konnte, um alle diese Notizen aufzufassen und in seine dicke Schreibtafel [155] einzutragen. Die andern Beiden beschäftigten sich, während dieser Aemsige fast vor Geschäften schwitzte, auf bequemere Weise. Der zweite Maler, welcher mit dem Notizenschreiber eine wahrhaft frappante Aehnlichkeit hatte, trank unaufhörlich den um ihn stehenden Freunden aus einer mächtigen Feldflasche den Abschiedsgruß zu. Bereits dreimal war einer der Künstler mit dem ausgeleerten Gefäß in größter Eile nach einem Weinhause des Corso gelaufen, um neuen „Stoff“ zur Verlängerung der Abschiedsfeierlichkeiten herbeizuschaffen, und allem Anscheine nach hatten diese bedeutungsvollen Wanderungen nur erst begonnen. Der dritte Künstler war ein fetter kleiner Mann, der vor sich auf dem Pferde einen bunten, langohrigen Hund hielt, den er unermüdet liebkoste, während er ihm von Zeit zu Zeit eine gute Portion von dampfenden, von Sauce tropfenden, würmergleichen Fadennudeln in die Schnauze steckte, ein Gericht, das der Maler mit wahrhaft italienischer Gefräßigkeit, auf ächt italienische Art, mit den Händen der Schüssel eines neben ihm stehenden Maccaroniverkäufers entnahm.
Das Notizenschreiben des Einen, das obstinat fortgesetzte Trinken des Zweiten und das unerschütterlich consequent durchgeführte Nudelnessen des Dritten, wurde durch einige neue Personen unterbrochen. Diese waren ein ungeheuer fetter Mönch und ein ziemlich zerlumpt sehender römischer Bürgersmann von bescheidenstem Körperumfange. Der Römer hatte, seit diese zukünftigen Reisenden sich noch auf der Piazza del Popolo verweilten, hinsichtlich der Pferde, welche er und Niemand anders hergeliehen hatte, einige wichtige neue Beschlüsse gefaßt. Zur Execution des ersten derselben hatte er den Mönch mitgebracht. Die abgetriebenen Klepper sollten eingesegnet werden. Trotz aller Protestationen der darauf sitzenden Herren begann der Mönch seine Hände auf die schmutzigen Köpfe, auf die langen Ohren und magern Hälse der Pferde zu legen und mit einer Stentorstimme den heiligen Antonius in dem sogenannten „Pferdegebete“ anzurufen, über die altersmüden Glieder dieser Rozinanten voller Gnade zu wachen.
Hiernach that der Pferdeverleiher seinen unwiderruflichen Entschluß kund, seine Pferde im Auge behalten zu wollen, da er, wie er sagte, fürchte, ihnen möchte bei den zu erwartenden schweren Strapazen die gewohnte liebevolle Pflege abgehen. Alle Maler disputirten mit dem Italiener, um ihn zum Zuhausebleiben zu bewegen; sie gingen sogar so weit, den Pferdeverleiher mit Schlägen zu bedrohen, weil er es wage, Künstler in dem Verdachte zu haben, sie könnten sich in Pferdediebe verwandeln – vergebens. Wer vermöchte es, einen Römer und zwar einen für seinen Geldbeutel raisonnirenden Römer niederzuraisonniren? Pompeo fluchte und schwor und weinte und declamirte so lange, bis ihm die Maler nicht allein erlaubten, zu Fuß neben den Thieren herzutraben, sondern ihm noch obendrein ein genügendes Trinkgeld für seine Bemühungen zusicherten.
Nachdem diese Scenen sämmtlich vollständig erledigt waren, nahm Pompeo nach erhaltener Erlaubniß seinen langen Stecken, schrie seine edlen Thiere mit gellender Stimme an, applicirte jedem derselben einen sehr wenig liebevollen Hieb über die Kruppe und lief, während die zurückbleibenden Künstler Lebewohl riefen und die Hüte schwenkten, wie ein Windspiel den in hartem Trabe Abreitenden voran, in Einem fort: Platz! Platz! schreiend.
Die Reise war angetreten und ein Kleeblatt war unterwegs, wie es unzertrennlicher selten in Rom in der Künstlerwelt bewundert wurde. Der Notizenschreiber mit dem Schnurr- und Zwickelbarte, eine sehr offene, heitere Miene zeigend und mit ersichtlichem Vergnügen von [156] Zeit zu Zeit an den Steigbügeln hinabsehend, war Johann Both, ein Utrechter von Geburt, neununddreißig Jahre alt, ein Landschafter. Johann Both, mit genialer Leichtigkeit malend, der frischesten Tinten, der entzückendsten Beleuchtung mächtig, hatte seinen Gemälden neben den gefeiertsten Stücken Claude Lorrains Geltung und Bewunderung verschaffen können. Die Landschaftsmaler unter Johann Boths Freunden waren mehr als einmal bei dem Versuche verzweifelt, in ihren Bildern den warmen, gesättigten, duftigen Ton zu treffen, welcher gleich einem milden Zauber über den sich sanft abwärts neigenden Thälern und den scharfen Bergumrissen, über den reizenden lichten Waldesplätzen und den seeähnlichen, weiten Teichen lag, die Johann malte.
Der einzige Trost für seine eifersüchtigen Freunde war bei dieser überlegenen Meisterschaft des Holländers der Umstand, daß Johann eben nichts weiter mit Auszeichnung malte, als Landschaften. Sie konnten daher seiner in einer einzigen Richtung vollendeten Kunst ihre mittelmäßige Vielseitigkeit entgegenhalten, um sich neben ihm zu behaupten. Die Feinde dieses Malers behaupteten steif und fest, Both sei eigentlich gar kein Maler, geschweige denn ein Meister, und sei ja etwas Gutes an seinen Bildern, so könne es nur die Staffage sein, die Johann Both nicht gemalt habe.
Die Staffage malte nämlich in der Regel der Bruder und unzertrennliche Gefährte Johanns, Andreas, der um ein Jahr jünger als der Landschafter war. Es war eben derselbe, welcher den Mantelsack, den einzigen der Gesellschaft, auf sein Pferd geschnallt und sich zum Kellermeister während der Reise aufgeworfen hatte. Bamboccio faßte schwerlich leichter das Charakteristische alltäglicher Menschengestalten und Scenen auf, als Andreas Both; dieser jedoch malte nicht mit solcher Derbheit; es lag etwas wie Wouverman’sche Feinheit und Eleganz in Andreas Boths Compositionen, das herrlich zu den Landschaften Johanns paßte. Es war ein merkwürdiger Wechselverkehr in dem Genie der Brüder Both. Ohne Andreas’ Figuren würden Johanns Landschaften bei allen ihren Schönheiten todt, oder schärfer, matt und ausdrucklos gewesen sein; wie im Gegentheil die geistvollste Staffage des Andreas ohne Johanns Landschaft kaum mehr als den Charakter einer Studie gezeigt hätte, – eine Wahrheit, welche die von jedem Bruder allein in seinem Genre gelieferten Blätter bezeugen. Die Boths ergänzten sich so harmonisch, wie es wohl selten bei einem Künstlerpaar vorgekommen, und diese Harmonie, von zwei hochbegabten Künstlerseelen getragen, war der Art, daß selbst ein Claude Lorrain nicht diese herrliche Zusammenstimmung, diesen Einklang der Landschaft und der Staffage erreicht hat, wie ihn die Boths in Gemeinschaft hervorbrachten. Johann Both opferte die Schönheiten der Landschaft zu Gunsten einer überwiegend reizenden Staffage und Andreas modulirte seine gelungensten Erfindungen, um nicht über den Gehalt der landschaftlichen Schöpfungen seines Bruders hinauszuschreiten.
Der dritte im Bunde war Charles Du Jardin, ein Franzose. Er war die verkörperte Komik; eben so launig in seinen herrlichen Figuren als in seinem eigenen Wesen. War der meistens in Gesellschaft trinklustiger Freunde verharrende Andreas nicht aufgelegt und nicht witzig genug, um für Johann eine Landschaft zu studiren und die Staffage dazu zu erfinden: so stellte sich Charles Jardin ein, er, der ewig Nüchterne, dessen Leidenschaft sich nur auf Bonbonkauen und Maccaroniessen beschränkte. Auch er verstand den Johann so genau, daß er die köstlichste Harmonie zwischen seinen Figuren und den Landschaften des ersteren erreichte und zugleich [157] den Andreas in so weit, daß er Figuren ganz im Sinne des Zechlustigen vollendete, welche dieser halb ausgemalt hatte.
Diese Drei waren am zweiten Tage ihrer Reise gegen Nachmittags unterwegs und kehrten, auf Betrieb des durstigen Anderies, in einer elenden Gastwirthschaft an der Straße ein. Johann protestirte vergebens, du Jardin fluchte seine besten pariser Patentflüche; aber Andreas war in einigen Punkten, namentlich wenn es Trinken betraf, durchaus unlenksam. Er stieg rasch vom Pferde ab und zeigte den beiden Widerstrebenden durch das zerbrochene Fenster des Wirthshausstübchens fünf total betrunkene Bauern und einen Mönch mit einem großen Bettelsacke, die er sogleich zu zeichnen begann. Dies waren dieselben Personen, welche auf zwei von Andreas’ radirten Blättern verewigt sind – Blätter, die einen um so größeren Werth besitzen, als sie fast verschollen sind. Als der dicke, die Bauern haranguirende Mönch mit dem Sacke, halb fertig war, stieg Charles du Jardin eiligst vom Pferde, machte sein kleines Zeichnenbrett fertig und wollte in das Innere des Wirthshauses dringen, um die Betrunkenen zu zeichnen.
Pompeo sprang herzu.
– Ich bitte Euch, Herr Franzose, rief er, bleibt nur das Mal aus dieser Banditenstube; namentlich unterfangt Euch nicht, den Leuten Eure Zeichnenapparate sehen zu lassen; denn sie sind der Meinung, daß jeder abgemalte Mensch binnen einem Jahre sterben müsse.
– Die abgemalten Menschen sterben nie; wenigstens unsere nicht, Andreas! rief der dicke Franzmann und drang, trotz Zwiebel- und Knoblauchduft, kühn in dieses zweite Gasthaus zu Terracina. Um sich der Freundschaft der Landleute zu versichern, ließ er Jedem einen Krug Romagnawein einschenken und fing herzhaft zu zeichnen an. Anderies erschien auch, triumphirend fünf leere Weinkrüge, während seiner Arbeit von ihm geleert, und die Arbeit selbst, den Sack-Mönch, mitbringend. Er setzte den Mönch von der künstlerischen Apotheose desselben ziemlich somnambul in Kenntniß und legte dadurch den Grund zu der nachfolgenden Katastrophe. Der Frate, hochentrüstet, hielt eine wahre Kreuzpredigt gegen die drei fremden Ketzer, die er einer Art von crimen laesae majestatis beschuldigte.
Die Bauern erhoben sich. Sie forderten Wein und immer mehr Wein, sperrten hinter dem eben eintretenden Johann Both die Thüre und fingen, als Anderies seine schmale Börse nicht weiter zu Gunsten dieser Durstigen anstrengen zu wollen erklärte, an, die Künstler in eine der regelmäßigsten und hartnäckigsten Prügeleien zu verwickeln, die je von Scenenjägern bestanden wurden. Du Jardin wollte seinen Degen gebrauchen; er ward ihm zerbrochen und mit den Enden ward sein fetter, zarter Rücken wie ein Rinderbraten vor dem Schmoren durchgeklopft. Anderies wehrte sich, auf der Erde liegend, mit Händen und Füßen so nachdrücklich, daß ihm die geringste Portion zugemessen wurde; Johann, der weichmüthige, ließ sich dagegen widerstandlos durchprügeln.
Als die Bauern und der Mönch, denn auch dieser hatte tapfer mitgefochten, endlich ermüdet waren, gaben sie die Reisenden frei. Halb sinnlos taumelten diese zur Hütte hinaus, wo sie der feige Pompeo heulend empfing.
– Warum, Du Canaille, hast Du uns im Stich gelassen? schrie der mit purpurglühenden Wangen prangende Du Jardin.
[158] – Ich habe für Sie gebetet! schrie Pompeo retirirend. Denn bei diesen Hieben konnte ich nicht erwarten, daß Sie lebendig blieben.
Die Maler setzten sich zu Pferd in der düstersten Stimmung, die sie seit Jahren erprobten. Anderies wüthete gegen den feigen Johann, gegen Du Jardin, Du Jardin gegen Anderies, und fing zuletzt darüber zu weinen an, daß sein geliebter Hund auch furchtbare Hiebe, unschuldige Hiebe, empfangen hatte. Kurz, dicht vor dem Dorfe an einem kleinen Bache, der einen malerischen, von Bäumen überhangenen Teich bildete, hielten die erzürnten Freunde an. Johann, sehr zerhauen und schwermüthig, tränkte sein mattes Roß; Anderies ließ sich von Pompeo seinen rechten, zerschlagenen Fuß verbinden; Du Jardin ritt wieder nach Rom zurück und war außer sich, daß er durch alles Locken seinen Hund nicht bewegen konnte, die Brüder zu verlassen.
Johann ermannte sich wieder.
– Brüder! schrie er mit klarer Stimme, was sind wir ausgeritten, zu sehen, wie die Mönche predigen? Was wollten wir finden? Landschaften und Scenerien, Staffagen. Die Landschaft? Da liegt sie. Die Staffage? Male jeder von Euch sich selbst und theilt Euch in mein und Pompeo’s Ebenbild, und wir, mit unsern geprügelten Körpern, passen in diese Abendlandschaft, als wenn Charles oder Anderies in ihren schönsten Augenblicken unsere Cavalcade erfunden hätten.
– Was? schrie Du Jardin, die Hand ans Ohr haltend; denn es hatte ihn längst gereut, fortgeritten zu sein.
– Komm nur, Bacchus! rief Anderies, seine Trinkflasche, welche er glücklich gerettet hatte, emporhaltend.
– Oui, Sancho Pança! und der Franzose trabte mühsam und ächzend heran.
Alle Drei lagerten sich an dem herrlichen, kühlen Platze und unter Seufzen und Stöhnen über die schmerzenden Gliedmaßen kam hier ein Bild im Entwurfe zu Stande, das hinfort nur das „Dreimännerbild“ genannt wurde, weil das Kleeblatt dasselbe gemeinschaftlich ausführte.
Als die Skizze vollendet war, sah der sanfte Johann die Busenfreunde an.
– Soll die Reise wirklich bis Ancona gehen? fragte er ernsthaft.
Ein lautes Gelächter war die Antwort.
– Rom! Rom! riefen die Andern.
– Ah, Carissima; ah, Roma! jubelte Pompeo tanzend. Welches Glück, daß die Signori Tedeschi Prügel empfingen. Vorwärts, Peppo, Selmo und Sandro; auf der Piazza del Popolo ist Euer Ruheziel! Vorwärts, Vorwärts!
Und abermals lief er wie ein Windspiel nicht vor, sondern hinter seinen Gäulen her, ihre Hintertheile noch unbarmherziger dreschend, als die betrunkenen Bauern die Künstler bearbeitet hatten.
Diese, in Rom angekommen, vollendeten ihr Dreimännerbild und gaben von dem Honorare dafür ein Banket, wie es sich noch lange als unübertroffen in den Sagen der zechlustigen Jünger der Kunst in Rom erhalten hat.