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Der „Alte in Neuhaus“

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Titel: Der „Alte in Neuhaus“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 103–105
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[103]
Der „Alte in Neuhaus“.

Hart an der vor Kurzem erbauten Berlin-Görlitzer Eisenbahn, und seitdem von dem öffentlichen Verkehr etwas mehr berührt, liegt die alte Kreisstadt Lübben in der Niederlausitz, ein kleiner, ruhiger Ort; so ruhig, daß Verfasser dieser Zeilen noch vor wenigen Jahren den üppigen Graswuchs auf seinem Marktplatze zu bewundern Gelegenheit hatte, über welchen hinweg das dritte brandenburgische Jägerbataillon, welches daselbst garnisonirt und dadurch die Stille des Tages und der Nacht wenigstens einigermaßen lebendig unterbricht, sonntäglich nach abgehaltener Parade mit klingendem Spiel nach der Hauptwache zu marschiren pflegte. Sonst läßt sich wenig mehr von dem Städtchen sagen, als daß es, seitdem 1815 die neue Organisation der an Preußen abgetretenen Niederlausitz erfolgte, der Sitz der Landstände für dieselbe ist.

Und doch ist das kleine Städtchen nicht ohne Verdienste, welche es berechtigen, auch in weitern Kreisen genannt zu werden.

Es hat nicht jede Stadt sich einer Luthergruft zu rühmen, wie Wittenberg, aber auch nicht der Gruft eines Paul Gerhard, wie Lübben. Wer, wie wir, die Archive der Stadt durchsuchte, den mußte es wie eine heilige Scheu überkommen, fiel sein Auge auf die vergilbten, sicher und fest geschriebenen Briefe voll rührenden Gottvertrauens, in denen der große Mann sich auf seiner Flucht an den Magistrat der Stadt wendete, um in ihren Mauern Schutz zu suchen und – zu finden. Hier war es, wo er sein herrliches Lied: „Befiehl’ du deine Wege etc.“ dichtete; hier war es, wo der Herzog Christian von Merseburg, der damalige Besitzer der Niederlausitz, ihn aussuchen ließ und zum Archidiaconus der Stadt ernannte; hier war es, wo er starb und in der Kirche beigesetzt wurde, in welcher wir seine Gruft noch heut’ finden und uns erbauen können an seinen Zügen; denn das auf des damaligen Syndicus der Landstände, des Freiherrn Ernst von Houwald, Veranlassung 1831 gestochene Bildniß des frommen Mannes, welches in derselben Kirche hängt, ist noch wohl erhalten.

Ernst von Houwald! – wie wir seinen Namen niederschreiben, so schreiben wir mit ihm das zweite Ruhmesdocument des Städtchens nieder. Denn wir müssen auch hier wiederholen: es hat nicht jede Stadt sich eines „Alten in Neuseß“ zu rühmen, wie Coburg eines Rückert, aber auch nicht eines „Alten in Neuhaus“, eines Ernst von Houwald, wie Lübben. Und indem wir dies sagen, schwebt uns die Aufgabe vor, die wir uns gestellt, der Mitwelt einige Skizzen zu der Biographie des am 28. Januar 1870 seit einem Vierteljahrhundert verewigten, seiner Zeit weitgefeierten Dichters des „Bildes“ zu liefern, in deren Besitz wir bei langjährigem Aufenthalt in Lübben und dessen Umgegend, theils durch Ueberlieferungen seiner Zeitgenossen, theils durch gütige Mittheilung eines der nächsten Verwandten des Dichters gelangt sind und welche wir bis zu dieser Stunde für den Druck sorgsam aufbewahrt haben.

Dieselben dürfen auch heute noch das allgemeinste Interesse beanspruchen; sind es doch, wie gesagt, erst wenige Decennien, daß Houwald ein vielgelesener Dichter war, dessen Erzählungen ihrer reichen Phantasie und ihrer schönen Gestaltung halber die bewundernde Theilnahme verdienten, welche sie allerwegen fanden. Es ist zu bedauern, daß Houwald sich nicht nachdrücklicher dieser Form zuwandte und daß er sie über dem Drama vernachlässigte, dem er seine besten Kräfte schenkte und in dessen Geschichte er seinen Namen dadurch eng verflochten hat, daß er sich, wie bekannt, der von Werner und Müllner begründeten fatalistischen Richtung auf’s Wärmste anschloß.

Die ländliche Abgeschiedenheit, in welcher er lebte und in welcher ihm der jüngere Contessa ein treuer Freund und Begleiter war, förderte seine dichterische Production auf das Beste und als er, im Jahre 1822 von den niederlausitzer Landständen zum Landsyndicus erwählt, sein Landgut „Neuhaus“ bei Lübben bezog, verließ er seine Heimath nicht wieder und lebte fortan seinem Amte und in der freien Zeit seiner Muse. Wer ihn aus jener Zeit gekannt, der schildert unsern Dichter als einen Mann von ungemeiner Menschenfreundlichkeit, Offenheit und Hingebung, der allzeit für Jeden das hatte, was er suchte: in Sachen seines Amtes Rath und That, für den Bedürftigen offene Hand und offene Tafel, für Menschen von Geist, Herz und Gemüth ein behagliches Asyl. Sein Haus war der Sammelplatz für Alle, welche mit dem Dichter Eines Strebens waren, und alte, ehrsame Bürger der Stadt erzählten uns, wie sie, des Nachts zu der oder jener Stunde nach Hause zurückkehrend, vor den noch immer hell erleuchteten Fenstern der Dichterwohnung stehen geblieben seien und, wenn aus denselben endlose Heiterkeit und Fröhlichkeit erklungen, den Kopf geschüttelt und bei sich gedacht hätten, was die da drinnen doch gar so Wichtiges vorhaben möchten, daß die Mahnungen der Uhr und des einsamen Wächters der Nacht spurlos an ihren Ohren vorüber gingen!

Es war dem Dichter nicht gegeben, eine Bitte abzuschlagen, wenn sie von einem Bedürftigen an ihn gestellt und ihre Erfüllung ihm möglich war. Mehr als einmal begegnete es ihm hierbei, daß er das Letzte aus seiner Tasche zog, um sie nicht ungewährt zu lassen; – daß er das, was er hingab, vielleicht selbst gerade nöthig brauchte, machte ihm keine Sorge. Er wurde öfter hierin auf die Probe gestellt. Einmal besonders, an einem schönen Sommertage, saß er vor seinem Hause in Sellendorf unter dem schützenden Dach einer alten Linde und gab sich dem Genusse der würzigen Düfte hin. Da kam ein Wanderbursche des Weges, ein armer, dürftiger Geselle, aber mit einem so klaren, freundlichen Gesicht, wie der Himmel über ihm. Er blieb vor dem Dichter stehen und sprach ihn, den Hut in der Hand, um eine Gabe an. Houwald fuhr, wie immer bei solchen Gelegenheiten, mechanisch in die Tasche – aber siehe! es befand sich darin nur noch ein einziger harter, blanker Thaler. Er dachte vielleicht daran, das Stück zu wechseln, aber wie er sich umsah und sein Blick immer wieder nur auf den lustigen Burschen vor ihm fiel, da lächelte er und – warf ihm den Thaler in den Hut. Der Bursche wurde vor Verlegenheit, Ueberraschung und Freude roth, noch mehr, als er es schon war von der Hitze und seinem Marsche; er drehte das Geldstück hin und her und sagte endlich stammelnd: „Hoher Herr, ich habe noch nicht ganz so viel zusammengebracht, um dieses Stück einzulösen!“ – aber der Dichter lächelte auf’s Neue und winkte, daß es schon gut sei. Wie sich der Wandersmann nun hierbei gebehrdete, mußte dem Dichter noch mehr gefallen, denn er ließ sich mit ihm in ein längeres Gespräch ein und nahm ihn mit an seine Tafel, um ihn erst dann seines Weges weiter zu schicken, nachdem er überzeugt war, daß er auch die nöthigen Kräfte dazu gesammelt.

Ein noch schönerer, in weiteren Kreisen nie bekannt gewordener Zug der Herzensgüte des Dichters soll den Lesern dieses Blattes gleichfalls nicht vorenthalten werden. Wir haben oben seines Dramas „Das Bild“ Erwähnung gethan, eines Kunstwerkes von hochpoetischem Werth, welches unstreitig mit zu dem Besten zählt, was der Genius des Dichters geschaffen. Es erschien 1821 und fand den allgemeinsten wohlverdienten Beifall, als es über die Bühne ging. Die Räume des Theaters konnten in der ersten Zeit die Menge der Zuschauer nicht fassen. Die Fama hiervon war auch zu den Ohren eines lustigen Bruders Studio gekommen; und es scheint, als ob er in seinem Drange, das Stück zu sehen, vergessen, daß er seinen augenblicklichen Vorrath an „Spießen“ erheblich erschöpfe, wenn er es sich gönne, für den nächsten Abend, an welchem „Das Bild“ wiederum gegeben werden sollte, sich ein Billet zu lösen. Doch der Zweck war ja ein guter, und erst, als er seinen Sitz im Theater wieder mit dem Schemel seiner Mansarde vertauscht hatte, überfielen ihn Gewissensscrupel. Solche Scrupel sind unleidliche Gefährten, besonders in der heitern Jugend, und man muß sie kühn in die Flucht schlagen. Das mochte sich auch unser Musensohn sagen, denn seine Stirn leuchtete von einem Entschlusse auf und, mit seinen Gedanken halb noch im Theater, halb bei [[Aloys Blumauer]]’s Travestie der „Aeneide“, welche aufgeschlagen vor ihm lag, griff er zur Feder und schrieb unter der Nachwirkung des poetischen Hauchs, welcher ihn bei dem eben gesehenen Stücke entzündet haben mochte, folgendes Gedicht an Houwald nieder und sandte es nach Sellendorf, wo der Dichter eben lebte:

Mein Herr Baron! Verzeihet mir,
Falls ich etwa gestöret;
Laßt von des Dichters Luftrevier
Euch jetzt herab und höret! –

[104]

Doch, wenn Ihr mich nicht ärgern wollt,
So seht hübsch freundlich aus und hold,
     So, wie ’s dem Dichter ziemet.

Ich bin Student: – mein leichter Sinn
Plagt sich zwar nicht mit Sorgen,
Doch, ohne Spieße, wie ich bin,
Hab’ ich nun müssen borgen;
Da singt der Manichäer Chor
Mir täglich denn ein Liedchen vor
     Im schlimmsten Lamentoso.

Herr Fips, mein Wirth, ein Schneiderlein,
Fällt mir gar sehr beschwerlich,
Wer selbst betrügt – kann’s anders sein? –
Hält Andre nicht für ehrlich;
Er läßt mir Tag und Nacht nicht Ruh’,
Sein Eh’weib schießt mir Blicke zu
     Gleich einem Basilisken.

Der Schuster ist von feinerm Schrot,
Er sucht mich stets zu rühren
Und mir fast täglich seine Noth
Vor das Gemüth zu führen.
Wie gerne zahlte ich ihm aus,
Hätt’ nicht des armen Schuldners Haus
     Die Bücher längst geschlossen!

Und kommt einmal ein Geldbrief an,
Da krümmen sich zehn Hände:
Der Bratwirth macht den Anfang dann,
Der Famulus das Ende.
Bleibt ja ein Rest – „Thaliens“ Hand
Macht an den Ecken uns bekannt:
     „Das Bild.      Von Ernst von Houwald.“

Ihr seht, verehrter Herr Baron! –
Auch Ihr vermehrt mein Leiden!
Wer hieß Euch denn die Lorbeerkron’
Des Dichterruhms erbeuten!?
Genug – Ihr seid in meiner Schuld,
Drum mäßigt Eure Ungeduld,
     Wenn ich Euch um ’was bitte.

Zuckt in Euch nur ein einz’ger Strahl
Von Euerm edlen Maler,[1]
So borget mir ein Capital
Von wenigstens zehn Thaler! –
Aus mir wird noch ein reicher Mann,
Der ’s einst Euch wiedergeben kann:
     Das hab’ ich nie bezweifelt.

Doch schickt mit nächster Post das Geld,
Zu enden meine Plagen;
Glaubt mir – so schwer es mir auch fällt –
Das Porto will ich tragen;
Dann zahl’ ich den Philistern aus,
Zieh’ mit den Schwalben froh nach Haus
     Und sing’ und trink’ und küsse.

Das erste Glas Euch Ehrenmann!
Mein Mädchen soll Euch loben!
Auch werd’ ich – – – doch was liegt daran,
Wenn ich Euch ein paar Proben
Aus meiner schlechten Versfabrik
Aus Dankbarkeit nach Sell’ndorf schick’ –
     Sie treibt stets hohes Wasser!

Und nehmt Ihr meine Bitte schief,
So werd’ ich mich nicht grämen:
Ich schrieb Euch keinen Bettelbrief
Und brauch’ mich nicht zu schämen.
Doch find’t sie eine gute Statt,
So denkt: Bis dat, qui cito dat![2]
     Und bleibt mir wohl gewogen!

Noch Eins! Gebt doch der Lesewelt
Dies „Bild“ gedruckt zum Besten,
Ich möchte gern den alten Held
Sehn ohne Ziethen’s[3] Gesten;
Hätt’ ich das Büchlein im Verlag,
Bei meiner Ehr’! – in Jahr und Tag
     Wär’ ich aus meinen Schulden! –


Und was that Houwald? Warf er das launige Gedicht, das lustige Kind einer übermüthigen, glücklichen Jugendminute, welches schon deshalb Anspruch hatte auf Nachsicht und Entschuldigung einer allerdings etwas kühnen Ausbeutung der licentia poëtica, griesgrämig in den Papierkorb? – Nein! Er antwortete dem jungen Dichter in seiner bekannten gutmüthigen Art und in ebenso launiger Weise und noch dazu in ebendemselben Versmaße folgendermaßen:


Mein unbekannter[4] Herr! Du meinst,
Ich sei ein reicher Sänger,
Und, weil Du zu vertrauen scheinst,
So zauderst Du nicht länger;
Du klopfest dreist beim Handwerk an
Und sprichst: „Ihr seid ein reicher Mann,
     D’rum müßt Ihr mit mir theilen!“

Reich bin ich wohl, doch nicht an Gut,
Ich kann nicht Schätze graben;
Reich nur an Gottvertrau’n und Muth,
An Mädchen und an Knaben;
Denn achte steh’n vor meiner Thür
Und rufen: Vater, wir sind hier
     Und wollen Nahrung haben!

Da geht die Kunst denn wohl nach Brod
Und darf nicht stehen bleiben;
Du schlägst zehn Thaler eher todt,
Eh’ ich sie kann erschreiben;
Ich sitz’ in meinem Stübchen fest,
Du aber kannst nach Ost und West
     Dein lustig Wesen treiben.

Doch – – weil ich auch ein Bursche war,
So laß ich mich nicht lumpen;
Ich weiß, wie oft die Spieße rar,
Und will Dir etwas pumpen! –
Du giebst mir ’s wieder einstiglich –
Dann wollen wir uns sicherlich
     Versteh’n bei vollen Humpen.

Geh’! Zeige diesen Zettel vor
Bei Voß[5], er wird ihn ehren! –
Nimm gern den einen Friedrichsd’or,
Mehr kann ich nicht gewähren:
Zum Reisegelde reicht er schon,
Will froh zurück der gute Sohn
     In seine Heimath kehren.

Nach Deinem Namen frag’ ich nicht –
Ich mag ihn jetzt nicht wissen;
Dumm bist Du nicht – ’s sagt Dein Gedicht –
Doch flüchtig auf den Füßen! [6]
So geh’ und werd’ ein braver Mann,
Dann klopf an meine Thüre an,
     Ich will Dich freundlich grüßen. –


Siebzehn Jahre waren verflossen. Der „Alte in Neuhaus“ hatte den Bruder Studio und mit ihm den ihm geliehenen Friedrichsd’or längst vergessen, wie so manche andere gute That; denn das kennzeichnete ihn besonders, daß er sich nie erinnern wollte, Jemandem wohlgethan zu haben, und daß er jeden Dank bescheiden zurückwies. Es war – erzählt der Volksmund – am 29. November 1838 – dem sechszigsten Geburtstage des Dichters – und ein recht kalter Tag, als spät am Abend eine Equipage Lübben passirte. Sie hielt in der Stadt, und ein Herr, in einen großen Pelz gehüllt, steckte sein gleichfalls pelzverbrämtes Gesicht aus dem Wagenfenster heraus, mit dem Kutscher einige leise Worte tauschend und dann wieder verschwindend. Der Kutscher verließ einen Augenblick seinen Bock und sprach, die Zügel der dampfenden Pferde in der Hand, einen Vorübergehenden an. Dieser deutete nach Südost und der Andere bestieg seinen Sitz wieder, indem er nickte. Und fort ging’s

„mit verhängtem Zügel“

nach der angegebenen Richtung und zum Thor hinaus. Der Boden war verschneit, aber fest gefroren, und die Sterne flimmerten hell. Es schien, als ob dem Manne auf dem Wagen, wie den Pferden, darum zu thun sei, bald unter Dach und Fach zu kommen; denn Ersterer redete letzteren gut zu und diese griffen noch einmal rüstig aus, daß ihre Hufschläge tactmäßig fernhin durch die Stille [105] schollen und ebenso verhallten. Der Mond beschien das Antlitz des Herrn im Innern des Wagens: es war, als wenn eine geheime Lust seine Wangen erglühen mache. Als sein Gesicht den Scheiben näher kam, um in die Nacht hinaus zu spähen, lag es wie ein geheimnißvolles Lächeln, wie eine schöne Gemüthsbewegung auf seinen Lippen. Die Stadt war im Rücken, das Dorf Steinkirchen passirt. Gleich am Ende desselben, rechts einige hundert Schritte abseits von der Straße, liegt auf einem Hügel das mehrerwähnte „Neuhaus“, des Dichters Tusculum, die Stätte seines Stilllebens. Eine schöne Allee führte damals von dem Wege unten zu demselben hinauf. Der Wagen hielt. Der Herr im Pelz stieg aus und ging langsam auf das Haus zu. Die Fenster waren hell erleuchtet; lauter Jubel erklang von innen heraus: es war ja des Dichters Ehrentag, der da gefeiert wurde. Der Fremde ging langsamer, je näher er seinem Ziele kam. Sein auf dem knirschenden Schnee hörbarer Fußtritt machte die Jagdhunde munter, kläffend sprangen sie ihm entgegen, an ihm empor. Er sprach zu ihnen und sie beruhigten sich. Sonst war Niemand sichtbar. Der Herr trat in die Hausflur. Ein Bedienter fragte nach seinem Begehr und führte ihn, als er erklärte, daß er den Besitzer des Hauses zu sprechen wünsche, in das Empfangszimmer, welches von einer kleinen Ampel erleuchtet war. Dem Fremden schien die Helligkeit aber noch zu groß, denn er zog den Docht der Lampe noch mehr ein, als der Bediente ihn verlassen hatte, und, seinen Pelz ablegend, stellte er sich in die Fensternische, so daß sein Gesicht beschattet war. Es währte nicht lange und die Thür öffnete sich wieder – Ernst von Houwald war eingetreten. Der Dichtergreis befand sich in gehobener Stimmung, seine Wangen waren freudegeröthet – so stand er da hellen Auges, mit wehendem Haar, in seinen langen braunen Goetherock gekleidet. Er durchspähte die Stube, blieb am Tische stehen und sah, wie fragend, zu dem Fremden hinüber; das dauerte aber nur einen Augenblick, denn der Letztere näherte sich schon dem Dichter und, indem er mit bewegter Stimme anhob:

Doch, weil ich auch ein Bursche war,
So lass’ ich mich nicht lumpen;
Ich weiß, wie oft die Spieße rar,
Und will Dir etwas pumpen!
Du giebst mir’s wieder einstiglich –
Dann wollen wir uns sicherlich
     Versteh’n bei vollen Humpen – – –

reichte er ihm – – – einen neuen blanken Friedrichsd’or hin. Der Dichter sah den fremden Herrn erst einige Augenblicke verwundert an, dann aber kam ihm sein Gedächtniß zu Hülfe, die Augen wurden ihm feucht und mit den Worten: „Lieber, guter Herr,“ schloß er den Fremden im Gefühle innigster Rührung über einen so schönen Beweis männlicher Treue in die Arme. Es dauerte lange, bis sich Beide in kurzen, schnellen Hin- und Herfragen völlig verständigen konnten. Als aber dieser schöne Rausch vorüber war, da leuchtete es von Houwald’s Stirn wie von einem neuen Gedanken und trotz seines Sträubens zog er den Fremden mit sich fort, unaufhaltsam, hinüber in das Festzimmer, um die dort Versammelten Theil nehmen zu lassen an der Freude, die ihm soeben widerfahren war. Es bedarf wohl der Erwähnung nicht, daß der Dichter die beiden oben mitgetheilten Gedichte, als wenig werthvolle Documente, nicht aufbewahrt hatte und daß der Jubel, namentlich Seitens der beiden Hauptpersonen, ein noch größerer war, als der ehemalige Bruder Studio, aus dem wirklich „ein braver Mann“ geworden war, dieselben hervorzog und den Anwesenden zum Besten gab. Mit ihm war wieder einmal ein guter Mensch zu guten Menschen gekommen, und der Dichter hielt auch sein Wort und „verstand sich mit ihm bei vollen Humpen“.

Seinem Gruße galt noch manch schäumender Becher edlen Weins, ehe sich der Gast losmachen konnte von dem herrlichen Manne neben ihm. Wehmütig schieden Beide endlich, und der Fremde, H., damals Rath in O., kehrte mit den schönsten Erinnerungen in seine Heimath zurück – er hat den Dichter nicht wiedergesehen, denn auch dieser kehrte nur wenige Jahre später in seine bessere Heimath zurück, in die seiner irdischen Träume, wo er den irdischen Frieden und die absolute Harmonie gefunden haben wird, die er hienieden so sehr geliebt und gesucht.

Treue für sein Vaterland, für sein Amt, für die Seinen und die seiner bedurften, Liebe und Freundschaft, Seelenadel, warmes Gedenken für Freud’ und Leid, die ihm auf seiner irdischen Pilgerschaft je begegnet, endlich ein unerschütterliches Gottvertrauen – das waren die Züge, die sein Leben athmete. Wir finden hier überall die Spuren in Dem, was er gesagt und gethan, und wir finden sie auch noch in einem uns überkommenen Toaste aus seiner letzten Lebenszeit, welchen der Dichter bei Gelegenheit der Feier eines Goethe’schen Gedächtnißtages ausbrachte, und es scheint, als wenn noch einmal sein um seine Entwicklung hochverdienter alter Jugendfreund Contessa es hauptsächlich ist, an den er sich darin wendet:


Der erste Becher sei gebracht
Dem König, unserm König,
Dazu ein Denkspruch ausgebracht
Voll Kraft, an Worten wenig!

Der zweite ehre dann den Freund,
Der’s unverändert bliebe!
Und mit dem dritten sei gemeint
Das Herz und seine Liebe!

Und endlich wendet sich der Greis
Zu seinem Freund, dem Greise: –
Du kennst die Tage, kalt und heiß,
Der langen Lebensreise!

Dies Glas der alten guten Zeit,
Der sel’gen wie der trüben,
Der heiligen Vergangenheit,
Den Gräbern unsrer Lieben!


Ernst von Houwald wurde am 28. Januar 1845 von einem schnellen, sanften Tode ereilt. Sein Verlust war selbstverständlich für Alle, die je mit ihm in Berührung gekommen, ein beinahe gleich schmerzlicher. Man senkte mit dem Edelmanne einen wahrhaft edlen Mann in das Grab.

Gegenüber seinem lieben „Neuhaus“, auf dem kleinen Kirchhofe des Dörfchens Steinkirchen steht ein altes Kirchlein. Grau und verwittert sieht es mit bemoostem Antlitz zum Himmel auf und mahnt uns schon von Weitem zur Ehrfurcht. Es hat auch sein gutes Recht, stolz zu sein auf sich selbst, denn es weiß von einer Zeit zu erzählen, wo Dr. Martinus Luther’s ehernes Wort von seiner Kanzel herab sein kleines Gewölbe erdröhnen machte. Am Fuße dieses Kirchleins schlummert der Dichter unter so üppigem Grün,

„daß man vor Riedgras kaum das Grab zu sehn vermag.“

Es ist schon eingesunken, dieses Grab, und mit ihm der ausgewaschene Sandstein darauf. Aber seine noch lesbare Inschrift giebt dem Wanderer deutliche Kunde, was für ein Grab es ist, das er beschirmt! Ja, sie giebt ihm auch wohl noch Anlaß darüber nachzudenken, wie er selbst leben müsse, um sie dereinst für sein eigenes zu wählen:

Christoph Ernst,

Freiherr von Houwald,
Landsyndicus des Markgrafthums
Niederlausitz,
geb. 29. November 1778,

gest. 28. Januar 1845.

Seines Namens Gedächtniß
Hat er sich selbst gestiftet.
     Darum, o Stein,
Sei nur ein Denkmal der Liebe,
Denn die Herzen, die ihn geliebt,
Zerfallen früher in Staub, als du.


Auch des Dichters Herz ist längst in Staub zerfallen, aber noch steht sein Bild Vielen vor der Seele sammt den bedeutungsvollen Worten, die er unter sein ähnlichstes Portrait geschrieben hat und die gerade in Bezug auf ihn selbst zur herrlichen Wahrheit geworden sind:


Des Menschen Antlitz ist das Titelblatt
Des Buches, das in stiller Herzenskammer
Die Seele niederschreibt und aufbewahrt.
Nicht kannst du die verschwieg’nen Blätter lesen,
Doch schaust du prüfend auf das Titelblatt,
Wird dir der Inhalt auch wohl offenbar.


Cottbus in der Niederlausitz.
Paul Wesenfeld.





  1. Der Held des gedachten Dramas.
  2. Doppelt giebt, wer schnell giebt.
  3. Der Schauspieler Ziethen gab damals den Maler, den Helden
    im „Bild“.
  4. Die Antwort des Dichters scheint darauf hinzudeuten, daß der Student seinen Namen bei Zusendung seines Gedichts verschwiegen und die Antwort unter einer Chiffre poste restante erwartet hat, wie er sie denn auch in der That erhielt.
  5. Voß war der Verleger der Schriften des Dichters.
  6. Der Dichter scheint hier weniger auf die körperlichen, als vielmehr auf die Versfüße des Bruders Studio hinzudeuten.