Das umfangreichste Litteraturwerk der Erde
[324] Das umfangreichste Litteraturwerk der Erde dürfte eine Encyklopädie des buddhistischen Gesamtwissens, „Tangym“ genannt, sein, welche seit alten Zeiten in einigen großen Klöstern der Hauptländer des Buddhismus aufbewahrt wird. Dieses riesenhafteste aller Konversationslexika, gegen welches äußerlich unsere großen Encyklopädien höchstens als „Taschenlexika“ zu bezeichnen sind, enthält 225 Bände, von denen ein jeder zwei Fuß hoch und einen halben Fuß dick ist. Nebeneinandergereiht, würden diese Bände einen Raum von etwa 35 Metern zur Aufstellung bedürfen, und da ein jeder mindestens, seinem Format nach, 10 bis 15 Pfund wiegen muß, so kann das ganze Werk wohl ein Gewicht von 30 Centnern erreichen. In den unwegsamen Gebirgsgegenden Tibets sind also, wenn ein Exemplar dieser unschätzbaren Encyklopädie von Ausländern erworben wird, 70 bis 100 Träger zu seinem Transport erforderlich. Bisher ist dieser Fall erst dreimal vorgekommen: eins der veräußerten Exemplare befindet sich im Indischen Amt zu London, das zweite soll die russische Regierung besitzen, und das dritte hat dem Vernehmen nach die Asiatische Gesellschaft von Bengalen vor einigen Jahren in einem tibetanischen Kloster gekauft. Der Erwerbspreis soll sich auf 3000 Rupien (6000 Mark) belaufen haben, ein erstaunlich billiger Preis für ein Werk, welches die Weisheit einer der ältesten Kulturen in sich vereinigt und nur in wenigen Exemplaren auf dem Erdenrund existiert. Die außer den drei erwähnten noch vorhandenen Exemplare des „Tangym“ sind im Besitz einiger alter Klöster von Tibet. Es läßt sich freilich denken, daß ein Werk dieses Umfangs in einer des Buchdrucks unkundigen Kultur nicht in vielen Exemplaren vorhanden sein kann. Bw.