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Das plötzliche Zerspringen von Glasgefäßen

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Textdaten
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Titel: Das plötzliche Zerspringen von Glasgefäßen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 712
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[712] Das plötzliche Zerspringen von Glasgefäßen. Ein alter Abonnent theilt uns folgende kleine Geschichte mit:

„In unserem Familienzimmer hatte sich eines Abends gegen zehn Uhr folgende Scene entwickelt: Meine Frau nahm mit unserem jüngsten Töchterchen das Sopha ein, vor welchem ein sogenannter Sophatisch stand. Auf demselben befand sich außer der Lampe, auf einer glatten Porcellantablette stehend, ein Glas von der Form der gewöhnlichen cylindrischen Wassergläser, welches einen kleinen, den Boden reichlich bedeckenden Rest Bier enthielt. Da dieser Bierrest schon lange dastand, so läßt sich annehmen, daß die Temperatur desselben annähernd die der Zimmerluft gewesen ist. Ich selbst saß an einem in der Nähe stehenden Flügel und begleitete unsere beiden neben mir stehenden älteren Mädchen zu einem Duettgesange aus ihrem Schulliederbuche. Der Zufall wollte es, daß das Blatt, von welchem ich die Begleitung spielte, lose im Buche und nicht an seiner gehörigen Stelle steckte, sodaß beim Uebergange von einer Seite zur andern plötzlich die Begleitung mit dem mehr auswendig vorgetragenen Gesange zur allgemeinen Heiterkeit arg disharmonirte. In demselben Augenblicke aber hatten wir ein Geräusch vernommen, ähnlich dem, welches das Springen eines Lampencylinders hervorbringt, vielleicht etwas intensiver. Der Lampencylinder war unversehrt; dagegen ergab sich, daß das erwähnte Glas genau über der Oberfläche des darin enthaltenen Bieres ringsum zersprungen war, sodaß man den darüber befindlichen ganz unbeschädigten, leeren Glascylinder einfach abheben konnte.“

Soweit die Mittheilung unseres Abonnenten, dessen Familienangehörige nicht abgeneigt waren, darin ein „Zeichen“ zu sehen, und trotz seiner Beruhigung, daß der disharmonische Ton allein schuld sein möge, wahrscheinlich mehrere Tage auf eine von außen eintreffende Unglücksnachricht gewartet haben. Es ist sehr möglich, daß unser Correspondent Recht hat, besonders, wenn das Glas schon vorher einen kleinen Schaden gehabt haben sollte. Die Kunst des Gläserzerschreiens ist bekannt, und auch im gewöhnlichen Leben muß das öfter beobachtet worden sein, denn schon der Talmud bestimmt, daß, wenn ein Hahn durch sein Krähen, Pferde und Esel durch ihr Wiehern Gläser zerbrechen, ihr Besitzer die Hälfte des Schadens zu tragen habe. Man findet in physikalischen Werken gewöhnlich angegeben, daß die erwähnten Stimmkünstler durch Hineinsingen des Eigentones der Gläser ihr Wunder verrichten, wahrscheinlich ist aber ein nur wenig dissonirender Ton, wie er „beim besten Willen“ dabei herauskommt, noch wirksamer, und darum soll das Experiment leicht gerathen.

Es giebt aber auch Gläser, die gar nicht so starker Anregung von außen bedürfen, die schon ein leiser Lufthauch oder eine geringfügige Temperaturveränderung unter Umständen zum Springen bringen kann, nämlich die schlechtgekühlten Gläser. Bei ihnen besteht zwischen den einzelnen Schichten eine Art Spannung, die sich, wie der Physiker Seebeck schon vor vielen Jahren beobachtete, durch Farbenerscheinungen verräth, wenn man sie durch ein Polariskop betrachtet. Gut gekühlte Gläser zeigen hierbei keine Farben. Der Physiker Hagenbach untersuchte vor einigen Jahren die Stücke eines Weinglases, welches ohne rechtschaffene Veranlassung gesprungen war, und fand es stark farbenspielend, weshalb er auch vorschlug, beim Einkaufe von Glaswaaren dieselben durch ein Taschenpolariskop zu untersuchen, um ihre geheimen Fehler zu erkennen.

Am stärksten stellen sich diese Mißstände bei dem allerschlechtest gekühlten, dem sogenannten Hartglase heraus. Zwar hindert bei ihm eine äußerst zähe Oberflächenschicht die innere Spannung an einem Ausbruche, aber wenn der letztere dennoch eintritt, zerspringt das Hartglas in lauter kleine Partikel. Eine Londoner Dame hörte in einer Nacht stundenlang nach dem Auslöschen der Gasflamme eine gehärtete Glasglocke wie zum eignen Plaisir zerspringen, und die auf den Teppich gefallenen Stücke fuhren die ganze Nacht hindurch fort in kleinere Stücke zu zerspringen, bis wieder alles zu Sand geworden, von dem es genommen war. „Merke, lieber Leser: wenn vor Deinen Augen und Ohren ein Glasgesäß zerspringt, ohne daß Du ihm Ursache dazu gegeben, so sollt Du nit glauben, daß ein Geist Dir damit ein Zeichen habe geben wollen, sondern daß das Gefäßlein von seinem Meister schlecht gekühlt worden sei; ihm allein sollst Du die Schuld zuschreiben.“