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Das Vogelsberger Rind und seine Zucht/Maßnahmen

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Das Züchtungsziel Das Vogelsberger Rind und seine Zucht (1896)
von Erst Ludwig Leithiger
Karte vom Zuchtgebiet des Vogelsberger Rindes


[32]
VII. Die Züchtungsmaßnahmen.

Im Zuchtgebiet des Vogelsberger Rindes herrscht der Kleingrundbesitz vor. Bauerngüter, die 100 Morgen und mehr landwirtschaftlich benutzen, werden verhältnismäßig selten angetroffen; solche, die 30–50 Morgen bewirtschaften, werden schon als größere betrachtet und die Mehrzahl bewirtschaftet noch weniger. Es ist daher begreiflich, daß hier das Rind als Zugtier eine große Rolle spielt, daß aber auch die Maßnahmen zur Hebung der Zucht nicht in erster Linie in den Händen des einzelnen Privatmannes liegen. Dieser hat, je nach der Größe seines Gutes 2–6, vielleicht sogar einmal 8 Kühe, die Bullenhaltung aber ist Sache der Gemeinde. Daß aber hierin die eine Hälfte aller Bestrebungen und Maßnahmen zur Hebung der Rindviehzucht liegt, ist begreiflich.

Der Privatmann vermag allerdings auch seinerseits sehr viel zur Verbesserung der Zucht eines Schlages beizutragen. Eine angemessene Fütterung ist in dieser Beziehung derjenige Punkt, auf den größeres Gewicht gelegt werden muß. Das Bogelsberger Rind ist so verkümmert, wie wir es vielerorts treffen, der Hauptsache nach infolge der unzureichenden Ernährung. Die kärglichen Hutweiden lieferten dem, in manchen Gemeinden oft übergroß gehaltenen Rindviehstand kaum den Sommer über die nötige Nahrung. Jahrhunderte wurden diese Flächen zur Weide benutzt, Jahrhunderte lang sind dieselben fortgesetzt der Mineralischen Pflanzennährstoffe beraubt worden, so daß die erzeugte Futtermasse immer geringer wurde. Und doch war und ist die Sommerweidezeit noch die förmliche Erhohlungszeit für unser Vogelsberger Vieh. War auch die [33] vorhandene Futtermasse nicht besonders reichlich, so lebten die Tiere doch in freier, gesunder Luft, hatten freie Bewegung und legten so die Grundlage für jene feste Konstitution, die das Vogelsberger Vieh auszeichnet. Eine wahre Leidenszeit für das Vieh des kleinen Landwirtes im Zuchtgebiet war aber sehr häufig der Winter. Selbst wenn derselbe nicht außergewöhnlich lange andauerte, reichte das Futter kaum aus; schon bald nach Weihnachten wurden die Portionen an Heu und Stroh – fast die ausschließlichen Futtermittel – knapper gemacht. Hielt aber der Winter länger an, konnte das Vieh nicht schon Mitte April auf die Weiden geschickt werden, dann war die Durchwinterung des Viehes ein förmliches Durchhungern. Dumpfe, ungesunde Ställe thaten dann das Übrige, daß die Tiere im Frühjahr als wahre Skelette auf die Weide getrieben wurden. Daß unter solchen Verhältnissen das Vogelsberger Rind klein bleibt, ist nicht zu verwundern. Größer wird ein Viehschlag nur durch reichliche Ernährung. Es wird dies in recht augenscheinlicher Weise durch eine Beobachtung Werner's gezeigt [1]. Derselbe kaufte auf einer Ausstellung eine 4 1/2 Jahr alte, hochtragende Kuh des Westerwälder Schlages, welche 770 Pfd. wog. Diese Kuh brachte ein Kalb, welches von vornherein gut ernährt wurde und in demselben Alter wie die Mutter 1040 Pfd. wog, also 270 Pfd. mehr. Also reichlichere Ernährung, unterstützt durch Vermehrung des Futterbaues, Verbesserung der Wiesen und Weiden, Förderung des Kleegrasbaues sind für den Privatmann die nächstliegenden Maßnahmen, die die Verbesserung des Vogelsberger Rindes bezwecken. Alle anderen Maßnahmen, ob sie nun von Gemeinden, den Kreisen, Vereinen oder vom Staate erfolgen, werden das Ziel nicht erreichen lassen, wenn wir unsere kleinen Landwirte nicht dazu bewegen können, nicht mehr Vieh zu halten, als wie wirtschaftlich angezeigt erscheint, das vorhandene Vieh [34] aber besser zu ernähren und auf die Haltung und Pflege, besonders im Stalle, mehr Sorgfalt zu verwenden.

Der andere ausschlaggebende Faktor bei der Hebung des Vogelsberger Rindes liegt in den Gemeinden. In erster Linie ist es hier die Bullenhaltung, von welcher der Privatviehhalter abhängig ist. Der kleinere Landwirt kann für sich allein keinen Bullen halten, die Bullenhaltung ist daher Sache der Gemeinde. Hält diese nun keine guten Vatertiere, unterschätzt sie den Wert reinrassiger Tiere von guter Gesundheit, guten Formen und guter Futterverwertung, so leidet hierunter nicht nur jeder Viehhalter direkt, sondern auch die Zucht macht keine Fortschritte, sie geht vielleicht sogar zurück, wodurch indirekt das ganze Zuchtgebiet geschädigt wird. Die Gemeindefaselhaltung ist daher im Zuchtgebiet des Vogelsberger Rindes von um so größerer Bedeutung, da hier größere Züchter, die anderwärts sehr häufig die Zucht fördern, fast ganz fehlen und der Fortschritt ausschließlich auf diese angewiesen ist. Das haben auch die Regierungen, die hier hauptsächlich in Betracht kommen: Das Großherzoglich Hessische Ministerium und die Regierung des Regierungsbezirkes Wiesbaden wohl erkannt. So hat das Großherzoglich Hessische Ministerium im Jahre 1887 ein Gesetz, betr. die Anschaffung und Unterhaltung des Faselviehes (siehe Anhang 1) und der Regierungspräsident für den Reg.-Bez. Von Wiesbaden eine Polizeiverordnung (siehe Anhang 2) erlassen, durch welche die Gemeindebullenhaltung in den betreffenden Gebieten geregelt und beaufsichtigt wird. Es ist hier nicht der Platz, auf die einzelnen Bestimmungen tiefer einzugehen. Hauptsache ist, daß die Gemeinden verpflichtet werden, nur wirklich zuchttaugliche Bullen benutzen zu dürfen. Im Interesse der Zucht des Vogelsberger Viehes könnte man wünschen, daß die Bestimmungen über die Auswahl der Rasse in den Gemeinden und die Rasseeigenschaften der Bullen präziser, unter Umständen auch schärfer seien. In dem Umstande, daß viele Gemeinden im Zuchtgebiet des Vogelsberger Rindes über die Bedeutung der [35] Rassezucht noch vollständig im Unklaren sind, dieselbe durchweg unterschätzen, liegt einer derjenigen Gründe, weswegen die Zucht noch nicht größere Fortschritte gemacht hat. Wenn manche Gemeinden heute reinrassige Vogelsberger, kurze Zeit darauf Kreuzungsbullen halten, so wird durch die zweite Zuchtmaßnahme der Fortschritt, der vielleicht seither durch die erstere erzielt wurde, vollständig wieder aufgehoben. Auf keinem Gebiete gewerblicher Thätigkeit ist ein Schwanken in den Maßnahmen unheilvoller wie bei der Tierzüchtung; zielbewußtes Vorgehen ist hier die Grundlage des Erfolges.

Als seiner Zeit die Bestrebungen, das Vogelsberger Vieh zu erhalten und in sich zu verbessern, durch praktische Maßnahmen gefördert werden sollten, machte es die größten Schwierigkeiten für die Gemeinden, im Zuchtgebiete gute Bullen zu beschaffen. Ja, manche Gemeinden sind infolge dieses Mangels förmlich gezwungen worden, Bullen anderer Rassen anzuschaffen. Der landwirtschaftliche Verein für die Provinz Oberhessen und der Zuchtverein für das Vogelsberger Vieh im Kreise Gießen haben das Verdienst, diesen Mißstand zuerst voll erkannt und durch Errichtung von Zuchtviehhöfen auf Beseitigung desselben hingewirkt zu haben. Man kann heute, ohne Überschätzung der Einrichtung, sagen, daß die Zuchtviehhöfe die Grundlage für die Erhaltung und Verbesserung des Vogelsberger Viehes sind und daß diese Institution in Verbindung mit Zuchtstationen, Ortsstatuten, Prämiierung etc. diesen Schlag bald so gefördert haben werden, daß er allen gerechten Anforderungen entsprechen wird. Die Zuchtviehhöfe sollen aus dem besten z. Z. Aufbringbaren Zuchtmaterial (Vater- und Muttertiere) bei zweckentsprechender Fütterung, Haltung und Pflege unter Anwendung richtiger Züchtungsgrundsätze Zuchtvieh, in erster Linie Bullen für die Gemeinden beschaffen. Andere Rassen haben und hatten in kapitalkräftigen größeren Besitzern die gegebenen Förderer der Zucht. Für das Vogelsberger Vieh war dadurch, daß sich [36] die größeren Ökonomen im Zuchtgebiet meist mit der Züchtung anderer Rassen beschäftigten, dieses Glied verschwunden. Eine Folge war das Zurückgehen des Schlages in seinem Wert. Hier sollten die Zuchtviehhöfe eintreten und sie haben tatsächlich ihre Aufgabe, soweit das Großh. Hessische Gebiet in Frage kommt, richtig ergriffen und schon wesentlich zur Förderung des Schlages beigetragen. Der „landwirtschaftliche Verein für die Provinz Oberhessen“ unterhält, bezw. Unterstützt z. Z. 4 Zuchtviehhöfe und zwar auf der Bingmühle bei Lauter (Grünberg), auf Hof Zwiefalten bei Gedern, in Engelrod im Kreise Lauterbach und in Eschenrod, Kreis Schotten. Die Inhaber dieser Zuchtviehhöfe unterwerfen sich den Bestimmungen, die der Verein aufgestellt hat und erhalten hierfür je eine jährliche Unterstützung von 400–500 Mark. Der Vertrag ist in Anhang 3 mitgeteilt. Wünschenswert wäre es allerdings, wenn die Zuchtviehhöfe noch um einige vermehrt werden würden, damit auch unter den Zuchtviehhofinhabern unter sich eine gewisse Konkurrenz veranlaßt würde.

Auch der „Verein nassauischer Land- und Forstwirte im Regierungsbezirk Wiesbaden“ hat in ähnlicher Weise auf die Förderung der Vogelsberger Rindviehzucht und zwar durch Erichtung von Bullenstationen einzuwirken gesucht. Wenn sich auch hier die Maßnahmen auf die Rindviehzucht im Allgemeinen erstrecken, so sind sie doch in hohem Maße geeignet, die des Vogelsberger Viehes im Besonderen zu fördern. Der Schwerpunkt liegt hier, bei der Errichtung von Bullenstationen, in der Haltung von tadellosen Bullen, zu dessen Anschaffungskosten der nassauische Verein 75 % beiträgt, wenn die betreffende Gemeinde gewisse Verpflichtungen übernimmt. Bei der Errichtung von Zuchtstationen ist der Grundgedanke ein ähnlicher wie bei den Großh. Hessischen Zuchtviehhöfen, wenn auch hier der Träger nicht nur ein Privatmann zu sein braucht, sondern auch Gemeinden dieselben übernehmen können. Allerdings steht die Errichtung solcher Zuchtstationen bisher nur auf dem Papiere; [37] es ist aber zu hoffen, daß der Verein bald mit der Errichtung derselben vorgehen wird. Die Art und Weise, wie der Verein Bullenstationen errichtet hat und wie er die Errichtung von Zuchtstationen erstrebt, geht aus einer Bekanntmachung des genannten Vereines vom 7. Dezember 1891, veröffentlicht in Nr. 50 der Zeitschrift des Vereins nassauischer Land- und Forstwirte, hervor (Anhang 4). Nach dem Bericht des genannten Vereins für das Jahr 1894 sind für das Vogelsberger Vieh Bullenstationen errichtet in: 1. Dexbach,[WS 1] 2. Gladenbach, 3. Rennertehausen,[WS 2] 4. Simmersbach, 5. Weidenhausen, sämtlich im Kreise Biedenkopf, 6. in Dillenburg und 7. in Frohnhausen (Dillkreis). Gleiche Stationen nach der betreffenden Zusammenstellung für Vogelsberger Vieh sind zwar auch noch errichtet in Oberursel (Obertaunuskreis), in Adolfseck, in Langen-Schwalbach, in Nieder- und Oberroth (Untertaunuskreis), in Usingen und Wehrheim (Kreis Usingen), in Langenhain (Kreis Höchst) und in Lorch (Rheingaukreis), es erscheint mir aber zweifelhaft, ob die fragliche Zucht dieser Stationen nicht besser dem Taunusschlag zugerechnet wird.

Eine weitere sehr beachtenswerte Maßnahme zur Förderung der Zucht des Vogelsberger Viehes, in Gemeinden mit vorherrschendem Blut dieses Schlages, ist der Erlaß eines Ortsstatuts. Der Vorschlag ist zuerst von Herrn Ökonomierat Müller-Darmstadt gemacht und in der Zeitschrift der landwirtschaftlichen Vereine für das Großherzogtum Hessen, Jahrgang 1892, eingehender begründet worden. Hauptzweck hierbei ist, die Viehzüchter einer Gemeinde zur Einhaltung eines gemeinsamen Zuchtzieles zusammen zu fassen: also vor allem die Haltung reinrassiger Vater- und Muttertiere, hier des Vogelsberger Schlages, von bestimmten Eigenschaften, die Eintragung in Zuchtregister nach vorheriger Körung durch eine Ortskommission, die Aufnahme der jungen Tiere in die Zuchtregister nach bestimmten Grundsätzen, schließlich als Endzweck die Schaffung eines Herdbuches und Verbesserung der Zucht. Ein Statut, nach welchem [38] solche Bestimmungen für eine Gemeinde getroffen werden können und welche, um giltig zu sein, der Genehmigung der Kreisverwaltung bedürfen, ist in Anhang 5 beigefügt. Wenn die Zuchtviehhöfe als die eigentlichen Hochzüchter zu betrachten sind, so muß es die Aufgabe der Gemeinden sein, durch Errichtung von Ortsstatuten, die Verbreitung guten Zuchtmaterials bis in den Stall des kleinsten Besitzers hinein anzuregen und zu verwirklichen. Diese Zuchtvereinigungen, ausgedehnt auf die einzelne Ortschaft, müssen ihren Mitgliedern den Wert eines guten Zuchttieres möglichst durch klingende Erfolge vor die Augen zu führen suchen. Die Führung der Zuchtregister muß unentgeltlich erfolgen, die Haltung wertvoller Vatertiere muß die wichtigste Aufgabe sein und schließlich wird auch die Verwertung guten Zuchtmaterials im Auge zu behalten sein. Wenn eine Gemeinde erst so weit ist, daß sie für die in der Gemeinde gezogenen Tiere Stammbäume ausstellen und beim Verkauf mitgeben kann, dann ist eine feste Grundlage für den Fortschritt der Zucht geschaffen. Die Führung der Zuchtregister erfolgt nach dem Schema des in Anhang 6 angegebenen Formulars. Zur Kontrole der Zucht muß allerdings vom Bullenhalter ein Sprungregister geführt werden, das aber sehr einfach, durch Zusammenheften eine Anzahl Sprungscheine in Form eines Blocks, bewirkt werden kann (Formular s. Anhang 7).

Welch hohe Bedeutung eine fortgesetzte Kontrole der Leistungsfähigkeit der Tiere eines Schlages für die Verbesserung desselben, besonders bei Milchvieh, hat, ist schon früher besprochen worden. Die Führung von Probemelkregistern wird daher in Zukunft nicht zu umgehen sein. Wenn diese Führung auch für den einzelnen Züchter nicht ohne Bedeutung ist, so erhält sie ihren großen Wert jedoch erst, wenn sie auf gleicher Grundlage geführt, von verschiedenen Züchtern zu Vergleichen benutzt werden kann. Erst solche, auf Zahlen beruhende Angaben über die Leistungsfähigkeit der einzelnen Tiere geben ein sicheres Urteil über die Fortschritte der Zucht und spornen zu höheren [39] Leistungen an. Auch diese Arbeit wird zweckmäßiger Weise von den Ortszüchtervereinigungen in die Hand genommen; sie ist nicht schwer, wenn den Einzelzüchtern entsprechende Tabellen (Anhang 8) zur Verfügung gestellt werden und wenn ihnen das Messen mit sogenannten Meßeimern gezeigt wird. Die Zusammentstellung der Meßresultate erfolgt nach der Tabelle in Anhang 9. Am vollkommensten wird allerdings die Leistungsfähigkeit durch gleichzeitige Untersuchung der Milch auf den Fettgehalt ermittelt. So lange aber die Fettbestimmungsapparate so kompliziert und verhältnismäßig teuer sind, wie wir sie heute besitzen, ist die gleichzeitige Qualitätsbestimmung der Milch allgemein nur schwer durchzuführen. Zu erstreben ist dieselbe und besonders Molkerei-Genossenschaften, die die Milch an und für sich nach dem Fettgehalt bezahlen, sollten auf eine allgemeinere Untersuchung der Milch der einzelnen Kühe hinwirken.

Alle Maßnahmen, welche die Hebung der Zucht einer Rasse oder eines Schlages bezwecken, werden einen vollen Erfolg nicht erzielen lassen, so lange nicht das ganze Zuchtgebiet oder wenigstens größere Bezirke desselben nach möglichst einheitlichen Zuchtzielen arbeiten. Durchschlagend wirken Zuchtbestrebungen erst, wenn im ganzen Zuchtgebiet ein Tier von einheitlichem Charakter, mit bestimmten Eigenschaften und sicherer Vererbung gezüchtet wird. Erst hierdurch werden Käufer angezogen und dann erst können Preise erzielt werden, die eine sorgfältige Zucht lohnen. An Beispielen fehlt es in dieser Beziehung nicht, denn wir brauchen nur nach der Schweiz, nach Baden, Holland, Oldenburg, Schleswig-Holstein etc. zu blicken. Die Bestrebungen der Privatpersonen, der Ortszüchtervereinigungen, der Lokalvereine etc. erhalten daher erst ihren vollen Wert, wenn die für größere Gebiete zusammengefasst werden und nach einheitlichem Plane arbeiten.

Im Zuchtgebiet des Vogelsberger Rindes dürfte diese Aufgabe zunächst am besten durch sogenannte Zuchtvereine oder Zuchtgenossenschaften, welche sich je über einen Kreis [40] ausdehnen, erreicht werden. In einzelnen Kreisen bestehen ja schon derartige Vereine, z. B. Im Kreise Gießen. Aber die Thätigkeit und die Aufgabe derselben muß noch nach verschiedenen Richtungen hin sehr wesentlich erweitert werden. Die Hebung des Futterbaues, wo sich dieser Aufgabe nicht die landwirtschaftlichen Vereine angenommen haben, kommt hierbei zuerst in Betracht. Sodann sind es die Vermehrung der Zuchtviehhöfe, die Errichtung von Zuchtstationen, wie sie im Regierungsbezirk Wiesbaden geplant sind, deren sich diese Kreiszüchtervereinigungen annehmen müssen. Die Anregung zur Errichtung von Bullenstationen, welche die landwirtschaftlichen Vereine unterstützen, sollte unter der Mitwirkung und Empfehlung dieser Vereinigungen erfolgen, ebenso die Erlassung von Ortsstatuten für die einzelnen Gemeinden. Die vornehmste Aufgabe dürfte aber in der Zusammenstellung der Zuchtregister und der Herausgabe des Herdbuches bestehen. Ohne daß für diesen Zweck ein Organ geschaffen wird, welches eine gewisse Kontrole für die Richtigkeit des Herdbuches und für die regelmäßige Veröffentlichung desselben übernimmt, schweben alle anderen Maßnahmen in der Luft, bzw. verfehlen ihren Zweck. Die Führung der Herdbücher, allerdings unter der Garantie, daß ihre Angaben richtig sind, wird von Tag zu Tag wichtiger. Die Mitgabe eines Stammbaumes beim Verkauf eines Tieres liefert dem Käufer bis zu einem gewissen Grade die Gewähr der Vererbung der Rasseeigenschaften, sie macht erst das Tier zum eigentlichen Zuchttier, und diese Thatsache begründet auch die andere, daß für solche Tiere mit Angabe der Abstammung leicht 25–50 % mehr bezahlt wird, als wie für Tiere, wo diese fehlt. Die Führung von Herdbüchern bietet aber auch die sicherste Grundlage zur Bekämpfung erblicher Krankheiten, besonders also auch der Tuberkulose, in der Weise, daß alle Nachkommen eines Tieres, das sich bei der Schlachtung als tuberkulös gezeigt hat, leicht festgestellt und dann von der Nachzucht ausgeschlossen werden können. Für den Einzelzüchter [41] und die Ortszüchtervereinigungen schafft das Herdbuch die Sicherheit, für wirklich wertvolle Zuchttiere hohe Preise ausgeben zu können, um die eigene Zucht zu heben. Also die Herausgabe des Herdbuches wird auch für die Zucht des Vogelsberger Rindes zu einer Notwendigkeit und diese Aufgabe dürfte in erster Linie den Kreiszüchtervereinigungen zufallen.

Eine weitere wirksame Maßnahme, um die Zucht des Vogelsberger Viehes zu heben, ist die Abhaltung von Viehschauen, verbunden mit Preisverteilungen. Hier soll den Landwirten in der Preiszuerteilung an die besten Tiere gezeigt werden, was gezüchtet und erstrebt werden soll. Auf diesen Schauen soll der Einzelne, oder auch die engere Vereinigung, seine Zuchtresultate mit denjenigen Anderer zu vergleichen Gelegenheit haben und sie sollen zur gegenseitigen Anregung dienen. Sie sollen aber auch dem wirklich hervorragenden Züchter den berechtigten pekuniären Erfolg bringen. Solche Viehschauen sollten daher in jedem Kreise innerhalb eines bestimmten Zeitraumes, etwa alle 2 bis 3 Jahre, in der Regel wiederkehren.

Die Aufgaben der Kreiszüchtervereinigungen sind daher weitgehende und große. Von ihrer Wirksamkeit wird die Zukunft der Zucht des Vogelsberger Viehes hauptsächlich abhängen. Aber diese Aufgaben sind nicht ohne recht beträchtliche Geldmittel durchzuführen. Allerdings wird je ein Teil der Arbeit vom Vorstand und den Mitgliedern der Vereinigung selbst, ohne besondere Bezahlung, verrichtet werden können. Den Mittelpunkt und das treibende Element in dem Kreiszuchtverein bildet aber der Sekretär, der die sämtlichen Zuchtregister zu führen und das Herdbuch herauszugeben hat, der in regelmäßigen Abschnitten die Einzelzüchter und Ortsgruppen zu besuchen und über die regelmäßige Führung der nötigen Tabellen zu wachen hat. Sollen diese Arbeiten vom Sekretär rücksichtslos verlangt werden können, zumal damit, z. B. Mit den Reisen, direkte Auslagen verbunden sind, so muß diese Arbeit entsprechend, wenn auch nicht hoch, bezahlt werden.

[42] Zu den Preisverteilungen sind dann weitere Mittel nötig. Wenn nur alle 3 Jahre eine Viehschau abgehalten wird, wenn dieselben aber gleichzeitig den Zweck verfolgen sollen, das beste Vieh dem Zuchtgebiete zu erhalten und in demselben das Hochzuchtmaterial zu schaffen, dann müssen hohe Preise – erste Preise nicht unter 100 Mark – mit der Bedingung ausgegeben werden, daß das prämiierte Vieh innerhalb eines bestimmten Zeitabschnittes nicht aus dem Zuchtgebiet exportiert werden darf. Unter 1200–1500 Mark dürfte, selbst bei dem heutigen Stand der Zucht, eine solche Viehschau für den einzelnen Kreis kaum durchzuführen sein.

Weiterhin müßten die Zuchtregister, die Sprungscheine, Probemelkregister etc. möglichst unentgeltlich an Private und Ortsgruppen abgegeben werden.

Also ohne Geld ist hier nichts zu erreichen; wenigstens erscheinen mir die vereinzelt durchgeführten Viehschauen, ohne die oben angedeuteten weiteren Ziele, als Flickwerk, so viel Gutes sie auch bisher zur Hebung unserer Viehzucht geleistet haben. Aber auch auf diesem Gebiete wird mehr und mehr ein planmäßiges Vorgehen Platz greifen müssen, wobei die lokalen Verhältnisse der betreffenden Kreise doch nach jeder Richtung hin berücksichtigt werden können.

Die Zuchtbestrebungen für das Vogelsberger Vieh in die richtigen Wege zu leiten, die Mittel hierfür weiterhin flüssig zu machen, eventuell auch die Regierungen hierfür weiterhin zu interessieren, ist die zunächst zu verfolgende Aufgabe. Unsere Landwirte haben Sinn und Verständnis für viehzüchterische Bestrebungen. Diese Eigenschaften kommen aber bei dem vorherrschenden Kleingrundbesitz nicht zu ihrer vollen Wirksamkeit. Sie müssen daher in planmäßiger Weise zusammengefaßt werden, dann kann der Erfolg nicht ausbleiben.


  1. Die Rinderzucht von Dr. H. Werner, S. 397.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. vgl. Berichtigungen: Dexbach (nicht Dezbach)
  2. vgl. Berichtigungen: Rennertehausen (nicht Rennertshausen)


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