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Das Vogelsberger Rind und seine Zucht/äußere Eigenschaften

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Die Heimat und Verbreitung des Vogelsberger Viehes Das Vogelsberger Rind und seine Zucht (1896)
von Erst Ludwig Leithiger
Die Leistungsfähigkeit des Vogelsberger Rindes


[18]
IV. Die äußeren Eigenschaften des Vogelsberger Rindes.

Das Vogelsberger Vieh gehört zu den kleineren Rinderrassen. Das Kuhgewicht beträgt im Durchschnitt etwa 7 Ctr., steigt bis 9 Ctr. Und höher, fällt aber bei dem kärglich ernährten Vieh, z. B. des höheren Vogelsbergers, bis auf 5 Ctr. und darunter. Die Bullen sind durchweg schwerer, um etwa 1/31/2 des Gewichts der Kühe. Ältere Vogelsberger Bullen werden [19] bei reichlicher Ernährung 13–15 Ctr. schwer. Zugochsen wiegen im 4. Jahre 13–15 Ctr.

Das Vogelsberger Vieh zeigt in seinen besseren Exemplaren das Bild eines harmonisch gewachsenen, gedrungenen Rindes. Die einzelnen Partien stehen im richtigen Verhältnis zu einander, die Formen sind hübsch rund, bei den verkümmerten kleinen Oderwaldtieren allerdings sind sie meist eckig.

Über die Größe der einzelnen Körperpartien geben folgende Maße Aufschluß.

Maße einzelner Körperteile des Vogelsberger Rindes.
Körperteile

Bulle No 1
13/4 Jahr alt

cm


Bulle No 2
2 Jahre alt

cm

Kuh No 1
(Mutter von
Kuh No 2)
7 Jahre alt
cm


Kuh No 2
2 ½ Jahre alt

cm

Mittel aus
5 Kühen
(nach Werner)

cm

Kopflänge
Widerristhöhe
Rückenhöhe
Kreuzhöhe
Schwanzansatzhöhe
Rumpflänge
Brustbreite
Brusttiefe
Beckenbreite

50,5
124,0
122,0
125,0
123,0
146,0
41,0
66,0
44

50,0
122,0

127,0

147,5

64,0


130,0
130,0
132,0
131,0
158,0
40,0
66,5
42


134,0
134,0
135,0
138,0
161,0
52,0
74,0
54

48,3
122,4
120,6
126,7
132,3
153,6

68,4

Aus diesen Maßen, die besseren Repräsentanten des Schlages entnommen sind, ergiebt sich bezüglich der äußeren Körperform folgendes Bild:

Die Rückenlinie ist fast horizontal. Eine kleine Einsenkung des Rückens, die wohl vorkommt, ist, wo sie auftritt, mehr ein Schönheitsfehler, zumal dieselbe bei besserer Haltung verschwindet. Der Rumpf ist im Verhältnis zur Stockhöhe lang, übertrifft er diese doch bei den oben gemessenen Tieren: bei den Bullen No. 1 um 18 %, bei den Bullen No. 2 um 21 % , während z. B. bei Simmenthaler Vieh der Rumpf bei jüngeren Tieren (unter 3 Jahren) nur um etwa 10 % länger [20] wie die Widerristhöhe ist. Auch bei den Kühen finden wir ähnliche Verhältnisse; so ist bei Kuh No. 1 der Rumpf um 21 %, bei der jüngeren Kuh um 20 % und bei dem Durchschnitt der 5 Kühe sogar um 25 % länger als wie die Stockhöhe, während sie bei älteren Simmenthaler Kühen nicht wesentlich 20 % übersteigt. Durch diese gedrungene, mehr niedrige Stellung erscheint das Vogelsberger Rind kleiner als wie es thatsächlich ist. Die Brust ist schmal, aber verhältnismäßig tief. Die Tiefe beträgt bei allen Tieren, die ich bis jetzt gemessen habe – auch bei den oben in der Tabelle aufgeführten – mehr wie die Hälfte der Stockhöhe, gewöhnliche 10 % mehr, während die Brustbreite fast stets 1/3 der Stockhöhe nicht erreichte. Auch die Beckenbreite läßt oft zu wünschen übrig und bleibt unter 1/3 der Stockhöhe zurück. Diese Maße werden bekanntlich von den Simmenthalern nicht nur erreicht, sondern meist wesentlich übertroffen. Becken und Brust sind aber diejenigen Partien, die von der Ernährung, wenn die Züchtung unterstützend wirkt, am weitgehendsten, aber auch am schnellsten in der Weise beeinflußt werden, daß reichliche Ernährung Brust und Becken breiter macht. Die bei der Mehrzahl der Vogelsberger Rinder an diesen Partien auftretenden Fehler sind also nur die Folge einer Jahrhunderte hindurch fortgesetzten kärglichen Ernährung.

Die Haarfarbe des Vogelsberger Rindes ist rot, rotbraun bis dunkelbraun. Am gewöhnlichsten tritt rotbraun auf. Hellrote Tiere betrachtet man mit Mißtrauen, besonders dann, wenn die Tiere größer sind. Die Schwanzquaste zeigt in der Mitte weiße, im Kranz meist dunkelbraune Haare, die aber in der Jugend rot sind und erst im Alter von 6–8 Monaten durch weiße ersetzt werden. Weiße Abzeichen dürfen sonst nicht vorkommen. Nur Euter und hintere Bauchpartie zeigen meist eine hellere Färbung, doch darf dieselbe nicht scharf vom Rot abschneiden, sondern muß allmählich in dieses übergehen. Die Schleimhäute: Flotzmaul, die inneren Wandungen des Maules, Zunge, Augenlider, Scheide sind fleischfarbig. Die früher häufiger auftretende fahlgraue Färbung derselben ist in der neueren [21] Zuchtrichtung verpönt. Auch das Pigment der Haut, das ist die Farbe der Unterhaut, die durch die Oberhaut hindurch scheint und dieser daher ihre Farbe verleiht, ist fleischfarbig. Dunkle Abzeichen in der Färbung der Haut oder auf den Schleimhäuten weisen meist auf Beimischung von schwyzer Blut hin, die im Zuchtgebiet thatsächlich in den 1850er und 1860er Jahren stattgefunden hat.

Die Haut ist bei den besser gehaltenen und gezüchteten Tieren dünn, weich und leicht verschiebbar, bei den verkommenen und schlecht ernährten ist sie leicht hart und liegt fest auf. Am Hals liegt die Haut in feinen Falten und werden diejenigen Kühe mit den feinsten Falten am Hals als die besten Milcherinnen angesehen. Der Kopf ist mittelgroß, in der Stirn breit, die Nase setzt schmal an diese an. Tiere, bei denen die Stirn breit in die Nasenpartie übergeht, haben meist Simmenthaler Blut in sich und wird dies für mich zur Gewißheit, wenn solche Tiere in Bezug auf Größe, Schwere und Breite des Beckens dem Simmenthaler Rind auch sonst ähnlich sind. Das Maul ist breit, die Augen sind mittelgroß und lebhaft, der ganze Kopf ist mehr trocken. Der Hals ist mittellang, mehr schmal, der Nacken, besonders bei etwas gröberen Bullen, häufig mit einem Höcker versehen. Die Wamme ist kräftig entwickelt.

Besonderes Interesse bei der Beurteilung des Vogelberger Rindes verdienen Vor-, Mittel- und Nachhand und deren Größenverhältnisse zu einander. Bekanntlich versteht man unter Vorhand die Partie von der Buggelenkspitze bis zur hintersten Kante des Schulterblattes, unter Mittelhand von hier bis zu den Hüftbeinhöckern und unter Nachhand die Partie von hier bis zu den Sitzbeinhöckern. Diese Partien haben nun bei Tieren, die auf den Ausstellungen in Bonn und in Wetzlar gemessen wurden, folgende Zahlen ergeben:

Es maß: beim 2jährigen Bullen bei Mittel aus 5 Kühen
die Rumpflänge 147,5 cm 153,6 cm
die Vorhand 35,5 cm 32,8 cm
die Mittelhand 62 cm 73,2 cm
die Nachhand 50 cm 47,6 cm

[22] Um eine bessere Übersicht zu bekommen, wollen wir der Settegast'schen Methode folgen und die Rumpflänge in 24 Teile einteilen und dann sehen, wieviel hiervon auf Vor-, Mittel- und Nachhand entfallen. Es berechnet sich hiernach:

bei dem 2jährigen Bullen bei den Kühen
auf die Vorhand 5,8 Teile 5,2 Teile
auf die Mittelhand 10,1 Teile 11,4 Teile
auf die Nachhand 8,1 Teile 7,4 Teile
24,0 Teile 24,0 Teile

Settegast drückt solche Verhältnisse in einem Bruch aus, indem er die Anzahl der Teile der Vorhand als Zähler, die der Nachhand als Nenner setzt. Der Bulle hätte demnach eine , die Kühe eine , oder rund eine bezw. Figur. Es verlangt nun Setegast für Fleischvieh eine , für Milchfleischvieh eine und für Milchvieh eine Figur. Sieht man nun unser Vogelsberger Vieh als Milchvieh an, so hätte zwar der Bulle eine annähernd richtige Figur, die Kühe aber sind in der Mittelhand zu lang, in der Vor- und Nachhand zu kurz. Verstärkt wird dieses ungünstige Verhältnis durch die etwas steile Schulter, die bei vielen Tieren des Schlages vorkommt.

Der Widerrist liegt meist in der Rückenlinie, er ist, wie bei allem Milchvieh, nicht sehr breit. Auch der Rücken läßt bezüglich der Breite vielfach zu wünschen übrig. Dazu kommt, daß infolge der häufig anzutreffenden langen Mittelhand, oft auch die Lende etwas lang und nicht breit genug ist. In besseren Zuchten sind aber diese Fehler schon verschwunden. Das Becken ist mittellang, mittelbreit und ziemlich eben, die Hüften liegen nur wenig tiefer wie die Rückenlinie.

Der Schwanz setzt sich im rechten Winkel an die Rückenlinie an, nur in den verkümmerten Tieren des Schlages setzt er hoch an. Er ist mitteldünn und nicht sehr lang, da die [23] letzten Wirbel nicht bis an das Sprunggelenk heranreichen. Die Hörner sind hübsch nach aufwärts geschwungen, wachsgelb mit braun- oder blauschwarzen Spitzen; oft sind sie etwas dick.

Die Gliedmaßen sind kurz, die Tiere sind, wie man sagt, tief gestellt. Als Fehler ist diese Eigenschaft nicht zu bezeichnen. Die Vorderbeine sind meist recht gut gestellt, sie stehen senkrecht unter dem Leibe, bei Tieren mit etwas enger Brust stehen sie zu nahe. Das Gleiche gilt für die Hintergliedmaßen, die dann, wenn die Sitzbeinhöcker zu nahe stehen, oft kuhhessig werden, oder zugleich auch säbelbeinig, wenn der Winkel zwischen Unterschenkel und Schienbein nicht groß genug ist. In besseren Zuchten sind diese Fehler verschwunden. Hier liegt auch der Spalt meist tief genug. Die Bemuskelung der Vorderbeine ist gut, die der Hinterbeine läßt oft zu wünschen übrig. Die Gelenke sind kräftig und breit. Die Klauen sind breit, rund, von Farbe braunrot, sehr fest.

Das Euter ist mittelgroß und liegt mehr unter dem Hinterbauche, der Milchspiegel ist nicht bedeutend. Fleischeuter kommen selten vor. Haut und Haare des Euters sind gelb gefärbt, die erstere ist ziemlich dünn. Der kernige Griff des Euters beweist dem Kenner, daß es aus Drüsensubstanz besteht, also zur Milchproduktion vorzüglich geeignet ist.

Das Vogelsberger Rind präsentiert sich am besten bei der Bewegung. Der geräumige, sichere Schritt, bei den besseren Zuchten abgerundete Formen, lebhaftes Temperament, Lebensenergie, genügend kräftige Konstitution bei Mittelgröße sind Eigenschaften, die es, wenn auch in den Verhältnissen der einzelnen Körperpartien zu einander noch Einzelnes zu wünschen übrig bleibt, als ein vorzügliches Nutztier charakterisieren. Und thatsächlich ist es ein solches, wie das nachfolgende Kapitel zeigen wird. Einzelne kleinere Fehler im Bau wird die Zucht bald beseitigen, oder hat sie schon beseitigt.


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