Das Schloß des todten Kaisers
Spätherbst 1855 war es und ein stürmischer Herbsttag.
Im Hafen von Triest tanzten die hohen Wogen der blauen
Adria um die geankerten Kauffahrer; ein rauher West spielte
um die Masten und in den aufgehißten Flaggen der mancherlei
Nationen, deren Hab und Gut da vor Anker lag. Weit und
breit war vom Molo aus kein Fahrzeug zu entdecken, das hinausgefahren
war, den Kampf mit dem Elemente aufzunehmen.
Erst weit draußen, ungefähr eine Meile von Triest, außerhalb
der schönen Rhede, suchte ein kühner Segler die Bahn des
Meeres. Ein kleines, schmuckes Schiff war’s, nach Art der
Fischerboote von Chiosa gebaut, mit gelbem Segel, das der
Wind mit vollen Backen anblies, und fünf Männer standen
muthig darauf. Der eine von ihnen, eine junge, schlanke Gestalt
in der Blüthe der Jugend, in einen blautuchenen Oberrock
gehüllt, der an den Aermeln breite Goldborten hatte, die runde
Marinekappe tief in die Stirne gedrückt, stand abseits von den
Anderen und schaute in die vor ihm ausgebreitete Unendlichkeit
des Meeres hinaus.
„Hoheit, es ist Zeit Unterkunft zu suchen; wir haben schlechten Wind!“ mahnte nun ein Mann, der an den jungen Träumer ehrerbietigst herantrat.
„So?“ meinte dieser etwas erstaunt, „flüchten wir uns, wenn Sie meinen! Und wohin, lieber Graf?“
„Probiren wir es, drüben zu landen, in der Punta Grignagno, Hoheit!“
„Gut, darauf los, darauf los!“ sagte der junge Träumer, der nun wieder ganz der Gegenwart gewonnen war.
Eine halbe Stunde darauf landete die Gesellschaft nach nicht geringen Mühen in der kleinen, von Felsen umgebenen Bucht, die da, tief unter dem Dorfe Conlovello gelegen, Punta Grignagno heißt. Es war nur ein einsames Fleckchen Erde, das die vorspringende Landspitze darbot, kahl und von geringer
[865][866] flächlicher Ausdehnung, etwa 30' über dem Meeresspiegel sich erhebend, aber ein entzückend schöner Blick ward den Besuchern von dem kleinen Plateau aus, das direct dem Meere zugekehrt war und auf dem ein schwarzgelbes Häuschen die Macht der sorgsamen Finanz-Landes-Behörde, die Feindin aller Schmuggler, zu bedeuten hatte. Welch’ schöner Friede war über dieses Stückchen Land ausgebreitet! Die ganze Nachbarschaft des hierher eingesiedelten „Finanzwächters“ bestand aus einer Unzahl von Nachtigallen, die hier, ob es auch vom Meer her unablässig tobte und stöhnte, ihre lieblichen, idyllischen Concerte abhielten.
Als der junge Träumer im blauen Marinerock den Fuß zum ersten Mal auf dieses friedliche Stückchen Erde setzte, war sein Auge voll der Bewunderung des lieblichen Bildes dieser Einsamkeit hart am Meere. Gen Osten hatte er die interessante Stadt, die unter seinem Scepter lebte, das malerische Triest; im Süden der Punta dehnte sich die blaue See hin, immer sein Liebling, ob sie nun, wie jetzt gerade, wüthet, oder das glänzende, große Auge gegen den Himmel aufschlägt; im Westen Weinberge und Olivenwäldchen und weit hinten die romantische kleine Veste am Meere: Duino. Mit vollen Zügen genoß er das einzig schöne Bild und, wie immer in solchen Momenten, kam kein Wort über seine Lippen, und erst nach Verlauf einer halben Stunde hörte man ihn rufen, rufen im Tone tiefster Erregung, im Tone tiefster Herzenssehnsucht:
„Ah, hier möcht’ ich Hütten bauen.“
Ob wohl damals auch nur Einer aus der Umgebung des jungen Seefahrers – er hieß Prinz Ferdinand Max von Habsburg und war österreichischer Flottencommandant – diesen Sehnsuchtsruf für Ernst gehalten haben mag? Ich glaube nicht. Und doch war es mehr als eine poetische Redensart, was aus dem Munde des Prinzen an jenem Herbsttage kam.
Die Liebe zum Meere – sie war längst eine aufrichtige, ja eine heiße bei dem Erzherzoge zu nennen. Das Meer – in den verschiedensten Formen und Weisen hat es Maximilian gefeiert; seine Gedichte, seine Reisebilder, seine Sprüche und Tagebuchblätter, Alles, was uns von seiner Feder überkommen und was seiner Zeit unter dem Titel „Aus meinem Leben“ (Leipzig, Duncker u. Humblot, 1867) erschienen, zeugt für diese seemännische Leidenschaft. Und eine Stelle, welche dieser Leidenschaft mehr entgegen kommt als diese Punta Grignagno, er mochte sie kaum finden. Als Prinz Ferdinand Max an jenem Spätherbsttage Abends nach Triest zurückkehrte, beschloß er, das schöne Fleckchen Erde käuflich an sich zu bringen. Für’s Erste wollte er Nichts, als daß das kleine Plateau ihm gehöre. Und andern Tags schon ließ er durch einen seiner Hausofficianten die Punta und zwei Joch Boden hinter derselben ankaufen. Ein kleines eisernes Haus, wie solche die Amerikaner damals in Mode brachten, sollte dort aufgerichtet werden, ihn zu beherbergen wenn es ihn hinauslockte zur Meeresbraut, und die westlich gelegene Bucht sollte zu einem kleinen Hafen gestaltet werden, um dem erzherzoglichen Segler bequemen Eingang zu verschaffen. Gewiß kein großes Project, fern von allem Luxus, von allem königlichen Pompe! Ein Gärtner von der Villa „Maxing“ (nahe der bekannten Villeggiatura der Wiener Finanzwelt, Hietzing) wurde zur Herstellung eines Gärtchens nach Triest gerufen; Wege wurden gebahnt und ein eisernes Haus in Birmingham bestellt.
Aber diese einfache Einquartierungsweise am Strande der Adria sollte nicht zu Stande kommen. Ein Baumeister der Hafenstadt, der eine schreiend häßliche Umfriedungsmauer für schweres Geld hergestellt hatte, verdarb zuerst den Appetit des Prinzen. Einige Wochen darauf ging das Schiff, welches das eiserne Prinzenhäuschen als Fracht über den Canal zu tragen hatte, mit Sack und Pack zu Grunde – und mit ihm war der ganze einfache Plan des Erzherzogs in’s Meer gesunken, und an seine Stelle trat nun das Project, als dessen glänzende Ausführung sich heute das schöne „Schloß am Meere“ darstellt, dessen Schönheit nur leider von dem blutigen Schatten des kaiserlichen Opfers von Queretaro düster umschwebt wird und das sein Herr in den Tagen des Glücks und der Jugend, da er es schaffen half, „Mira mar“ nannte, als wollte er schon mit dem bloßen Namen, den einfachen zwei spanischen Worten, Jedwedem, der es in Sicht bekommt, Hochachtung, Bewunderung vor dem Elemente abzwingen, das sein Liebling war und blieb von der Stunde an, da er es 1855 zum ersten Male erblickte, bis zu dem unheilvollen Tage, wo er 1867 zum letzten Male von Santa Cruz den Sonnenball in seine ewigen Tiefen verschwinden sah. –
Einmal von dem neuen Gedanken erfaßt, in jenem Winkel der Adria ein Fürstenschloß aufzuführen, war der Prinz rüstig und rasch bei der Ausführung, und die alten Einfachheitsideen waren verflogen, um Luxus und Pracht Platz zu machen.
Nun ward Alles, was die neue Besitzung anging, groß gedacht. Immer weitere Ankäufe von Hinterlandstrichen der Punta Grignagno wurden gemacht, der Park sollte großartig, ein großer Molo in dem Hafen angelegt und als Krönung mitten im Garten eine herrliche Villa aufgeführt werden. Der erste Plan hierzu, von dem Wiener Ringstraßen–Architekten Romano ausgeführt, hatte nicht die Billigung des schwer zu befriedigenden Bauherrn. Damals nun lernte der Prinz den Erbauer der Triester Aurisina-Wasserleitung, Karl Junker, in der Hafenstadt kennen. Der junge frische Ingenieur mit dem resoluten Freimuth des echten Wiener Kindes mochte dem Prinzen, der die Scharwenzler nicht leiden mochte, sehr gefallen haben. Er übergab ihm vorerst die Ausführung des Molo, und fleißige Unterredungen, die er mit Junker dieser Arbeit wegen hatte, führten auch auf das Thema des Villenbaues. Und da fand es sich bald, daß Ingenieur und Prinz gleiche architektonische Geschmacksneigungen hatten. Der Prinz beschloß, die Leitung des Schloßbaues Karl Junker zu übergeben. Tag für Tag tauschten Bauherr und Baumeister ihre Constructionsgedanken aus.
Wie groß ist des Prinzen Freude, als er nach den vielerlei Sorgen, die ihm die Erstlingsarbeiten, die Gewinnung des dem Meere abzuringenden Bodens, die Urbarmachung des felsigen Parkterrains, die Anlagen der Straße, die Fundirung der Schloßmauern etc. bereiteten, endlich die Mauern stolz sich erheben sieht, und die zum Plateau führende Monumentaltreppe das erste Mal emporsteigen kann! Wie sucht er die Arbeiter alle, die er seine „lieben Mitarbeiter“ nennt, von dem Architekten bis zum Maurerpolier hinab, für den Fortschritt zu begeistern wie liebenswürdig fördert er das Werk seiner Liebe, wie oft ißt er sein einfaches Mittagsbrod, das der mitgenommene Koch im Freien improvisirt, mitten unter der rastenden Arbeitercolonie! Im Herbste 1858 läßt er den eben fertig gewordenen Gartenpavillon, westlich vom Schlosse, in aller Eile zu seinem Heim einrichten und wartet nicht erst die Zeit ab, wo er auf ganz Miramar Herr werden soll. Am 28. September schon bezieht er diesen Pavillon mitten im übrigen Chaos mit seiner jungen, liebreizenden, ihm eben angetrauten Gemahlin Charlotte und hält dort von jetzt an wochenlange Siesta. Einige kleine Salons in der ersten Etage, ein Schlaf- und Arbeitszimmer im Parterre und eine offene Terrasse sind Alles, was der Gartenpavillon bietet, aber das junge Pärchen ist höchlichst zufrieden und bringt da die vielen Monate, die vom Ausbruch des Krieges mit Italien bis zur Fertigstellung des großen Schlosses verlaufen, im einfachsten Stillleben zu.
Und Prinzessin Charlotte ist nicht weniger von Miramar entzückt, als ihr Gemahl. Im August 1857 schon, als sie nach ihrer Vermählung zum ersten Male den Fuß auf die Punta Grignagno gesetzt, schwärmt sie für die Schönheiten dieses Besitzthums am Meere. Ein kleines Fest in dem theilweise fertigen Garten, von den Arbeitern improvisirt, macht ihr unsägliche Freude, die sie in liebenswürdige Worte zu kleiden weiß. Nach einem in schönster Mondlandschaft eingenommenen Souper verschwinden um neun Uhr die Glücklichen, das Gefolge zurücklassend. Es wird zehn Uhr; es wird elf Uhr, und noch ist keine Spur von dem hohen Paare. Auf elf Uhr ist die Rückfahrt angesetzt – die Yacht wartet draußen im Hafen, aber den Glücklichen schlägt eben keine Stunde. Es wird Mitternacht, wird ein Uhr – Maximilian und Charlotte wandeln noch immer unter den jungen Pinien und Oliven des Gartens und schauen auf die mondbeglänzte Zaubersee hinaus. Keiner der Männer des Hofes wagt es, auf Rückkehr zu deuten. Alle langweilen sie sich und begreifen diese Passion des Erzherzogs nicht, wie sie auch andere seiner Passionen nicht begreifen. Erst um halb zwei Uhr denkt das beglückte Paar an die Heimkehr und an die Herren der Suite, und es wird die Rückfahrt nach Triest angetreten.
Am 27. Juli 1859 wurde das Schloß von dem obersten Leiter des Baues, Herrn Junker, dem Prinzen fertig übergeben. [867] Die Kanonen donnerten zum ersten Male vom Molo von Miramar; die erzherzogliche Flagge ward aufgehißt, und der Prinz sammelte alle Arbeiter um sich und dankte ihnen in freundlichen Worten, die von seiner freudigen Erregtheit zeugten.
Ein volles Jahr nahm dann noch die innere Instandsetzung der Schloßräume in Anspruch. Der Triester Decorateur Hoffmann und sein mit Stylgefühl in außerordentlicher Weise ausgerüsteter Sohn besorgten dieselbe. Wenn es einmal galt, sich prachtliebend zu zeigen, so stellte Maximilian nicht weniger seinen Mann, als wenn es ihm gefiel, einfach bis zum Aeußersten zu sein. War er einmal dabei, Pomp zu entwickeln, so that er dies aus dem Vollen. In Mailand beispielsweise, wo es 1857 bis 1859 galt, Volksunzufriedenheit zu vergolden, trat er im Geschmacke Louis’ des Vierzehnten auf, gab Feste mit Aufgebot kostbarster Licht- und Farbeneffecte, fuhr in goldstrotzenden Carossen, hielt gepuderte Dienerschaft und machte das nahe Monza zu einem Königsschlosse echtesten alten Bourbonenstils. Unnöthiger Flitter aber ward nicht viel in Miramar verschwendet; die Säle entwickeln einen gediegenen Luxus; Reichthum, mit gutem Geschmacke gepaart, findet sich überall, oben und unten, an den Wänden, Decken und Böden der Gemächer. Die vielen Besucher von heute finden sie noch alle im Zustande von 1864, und gewiß giebt es Niemanden unter ihnen, der nicht von der in Miramar entwickelten Schönheit angemuthet würde. Prinz Maximilian hielt es bezüglich des Glanzes ganz mit der Natur; er hielt mit Gaben des Reichthums nicht zurück. Sagt er doch selbst einmal in seinen „Aphorismen“: „Geiz ist bei Prinzen ein Verbrechen. Prinzen sollen Goldcirculationsmaschinen sein – man weiß ihnen Dank dafür,“ und er handelte auch nach dieser Maxime.
Für seine Sammlungen von Antiquitäten, die einen großen Saal der oberen Etage des Schlosses füllten (und die sammt der Bildergalerie nach den Tagen von Queretaro verkauft worden, um mannigfache Deficite zu decken), trug er noch in Mexico Sorge und schickte von dort aus fortwährend neue Kostbarkeiten nach Miramar. Pflanzengattungen seltenster Art wurden von entferntesten Orten für den erzherzoglichen Park von Miramar herbeigeschafft, und man wandelte in ihm in der That wie in einem der Gärten Andalusiens oder Siciliens; er entfaltet tropische Schönheiten in prachtvollen Gewächshäusern, ist voll von Pinien, Lorbeer- und Myrthenbäumen, von Aloe und Magnolien; hier spenden Citronenwäldchen ihren Duft; dort erheben Cactus und Palme ihre riesigen Häupter, und überall umplätschern Fontainen diese liebliche Gartenidylle in lauschigen, stillen Winkeln.
Eine vorzügliche Bewässerung – Herr Junker zweigte seine Aurisina-Wasserleitung nach Miramar ab – macht es den vielerlei exotischen Pflanzen da sehr wohl. Die Sonne und das wonnige Klima – Miramar ist vollständig gegen die Bora geschützt – thun das Uebrige.
Ein schattiger Laubengang – er war das Lieblingsplätzchen Maximilian’s, wenn er seinen Gedanken nachhängen wollte, oder wenn sich ihm die Muse nahte – führt uns direct vom herrlichen Parke in’s Schloß hinauf. Im Hochparterre liegen die Gemächer, in denen das glückliche Paar (glücklich, so lange ihnen nicht der bonapartistische Versucher die Krone der Azteken brachte) am liebsten weilte. Da ist vor Allem das Arbeitszimmer des Prinzen, das in seinem ganzen Arrangement die seemännische Passion Maximilian’s am meisten zum Ausdruck bringt. In diesem Arbeitsraume wollte er, da er am Bord der „Elisabeth“, 15. November 1859, die Verse schrieb:
„Hinaus, hinaus in’s blaue Meer,
Hinaus, wo Himmel nur und Welle,
Wo nie das Herz mir bang und schwer –
Zu Schiff, zu Schiff ist meine Stelle!“ –
am kleinen Mahagonitischchen arbeitend, sich auf dem Schiffe dünken können. Und einer wirklichen Cajüte, elegant und doch einfach, gleicht dieses Arbeitszimmer Maximilian’s, einer Schiffscajüte mit Hängematte und kleinen zerlegbaren Stühlen, kleinen Fenstern, die hinaus auf’s Meer führen. Der Tisch ist mit Karten, Bussolen, Compassen bedeckt; in den Wandschränken befinden sich allerhand Reisewerke, geographische Handbücher, Atlasse und Marineinstrumente.
Seitwärts von diesem Cajütenzimmer liegt das prächtige Bibliothekzimmer, in welchem jetzt die reiche Sammlung von Werken ethnographischen, geschichtlichen und schön-wissenschaftlichen Inhaltes umsonst ihres gewohnten fleißigen Lesers harrt. Maximilian liebte nach dem Meere und seinem Weibe nichts so sehr als – Bücher. Geschichte war sein Hauptstudium, und die Schränke aus Luxushölzern zeigten auch fast Alles, was deutscher, französischer, englischer Forschergeist bis in die neueste Zeit hinein gezeitigt hat. Daß auch die Poeten, die ersten und die zweiten Ranges, in dieser Bibliothek nicht fehlen, versteht sich von selbst. Grillparzer, Lenau und der Wüstenmaler Freiligrath, seine Lieblinge aus der Epigonenzeit, haben da ihre Ehrenplätze. Als Bücher, die Maximilian in den letzten Tagen seines Aufenthaltes in Miramar, Sommer 1864, gelesen, werden die „Geschichte der Stadt Rom“ von Gregorovius und eine Lebensgeschichte des Hohenstaufen „Manfred“ bezeichnet.
Die Bücherleidenschaft unterstützte Maximilian, nebenbei bemerkt, auch bei Anderen gern. So erkundigte er sich nicht selten in den Buchhandlungen Triests nach den Contos der Marineofficiere und – zahlte sie. Es waren dies die einzigen Officiersschulden, mit denen er Nachsicht hatte. –
Aus der Bibliothek heraus führt eine Thür direct auf die breite Terrasse, die das Belvedere von Miramar genannt werden darf. Herrlicher als auf dieser Terrasse, die, wie das ganze Schloß, aus marmorartigen Steinen gemauert worden, ist es wohl nirgends auf dem mit so vielen schönen Punkten gesegneten Miramar. Sie ist der Stolz ihres Errichters und war der Stolz ihres fürstlichen Besitzers, Hier glauben wir den gebieterischen Ruf des Meeres: „Mira!“ (Bewundere!) laut und vernehmlich zu hören; gern und willig sind wir auf dieser Terrasse bereit, dem Meere den Tribut zu zahlen, den schon der Name des Schlosses uns abverlangt.
Halten wir uns jetzt rechts von der Bibliothek, so gelangen wir zu den Salons der Erzherzogin Charlotte, den luxuriösesten des Schlosses. Charlotte von Belgien war, was den mannigfaltigen Tand des Lebens anbelangt, nicht stärker als manches andere hochgestellte Erdenkind weiblichen Geschlechts. Die Prinzessin liebte es vorzüglich, Reichthum der Toiletten entfalten zu können; sie schmückte ihre imponirende, königliche Gestalt gar zu gern, wenn sie auch sonst in Gespräch und Umgang sich einfach und liebenswürdig, rein menschlich möchte man sagen, zu geben wußte. Wer das Zusammenleben Maximilian’s und Charlotte’s Jahre hindurch mit anschaute, weiß nichts davon zu erzählen, daß Charlotte „stolz“ und „herrschsüchtig“, wie man sie vielfach seit den Tagen von Queretaro darzustellen beliebte, gewesen, nichts namentlich davon, daß sie ihre „Herrschsucht“ auch über ihren Mann ausgedehnt. Es soll im Gegentheile etwas Kindlich-Liebliches über dem Wesen der Schloßfrau von Miramar ausgebreitet gewesen, der „gemüthliche“ Ton des „Wiener Kindes Maximilian“ bald auf Charlotte übergegangen sein. Eine Freude ist es gewesen, ihren innigen, schmucklosen Verkehr mit dem fürstlichen Manne und mit Allen, mit denen sie im Laufe der sechs Jahre des Stilllebens auf Miramar zu thun hatte, mit anzusehen. Haben Mexico und die Aztekenkrone die Seeleneinfalt und den bescheidenen, natürlichen Sinn der Königstochter verwirrt? Vielleicht.
Auf Miramar und in Triest ist das Andenken der hohen unglücklichen Frau ein ungetrübt schönes, herzliches. Aus den Brüsseler Kindestagen freilich sagt man der Prinzessin manchen eigenthümlichen Zug von Herrschsucht nach. Konnte sie ja vor der Schloßwache in Laeken nicht oft genug des Tages vorübergehen, um vor sich „in’s Gewehr“ rufen zu hören, und erst recht oft immer zu der Zeit, wenn gerade ihr Bruder, der damalige Herzog von Brabant und heute König von Belgien, die Wache commandirte. Und als es dem jungen Bruder eines Tages zu viel ward, vor dem Fräulein Schwester die Mannschaft immer wieder „in’s Gewehr“ rufen zu lassen, da lief Charlotte zum König, machte eine Scene und ruhte nicht, bis Bruder Brabant zwei Tage Arrest bekam. Diese kleinen Eitelkeiten aber zeigten sich während der Miramär-Periode der Prinzessin durchaus nicht fortgebildet, und es ist vielleicht nur als ein Rückfall in die Launen der Kindheit zu betrachten, wenn es wahr ist, daß die Charlotte, die heute sinnverwirrt im Schlosse von Tervueren umherwandelt, dergleichen Charakterzüge entwickelt.
Im Erdgeschosse des Schlosses von Miramar befinden [868] sich, außer den bereits genannten Salons auf der östlichen Seite, auch noch das Schlafzimmer Maximilian’s und seiner Gemahlin, der gewöhnliche Speisesaal und die kleine Hauscapelle. In der ersten Etage fällt dem Blicke des Besuchers vor Allem der imposante, zwei Stockwerke hinaufreichende, pompöse Ceremoniensaal mit seinen kostbaren Stuccaturen und Marmortäfelungen, seinen großen venetianischen Lustres und kunst- und geschmackvollen Bronzearbeiten auf. Hier fand an jenem Sommertage des Jahres 1864, der die jämmerliche Kaisertragödie von Mexico einleitete, die Abdankung Maximilian’s als kaiserlich österreichischer Thronfolge-Berechtigter statt, nachdem vorher in einem der anstoßenden Empfangssalons sich eine heftige Scene zwischen den erwachsen Brüdern Franz Joseph und Maximilian, abgespielt hatte. Viele große Feste hat der herrliche Saal in den ersten vier Jahren seiner Existenz nicht gesehen. Zählte sich doch Maximilian selbst halb und halb zu jener kleinen Zahl von Menschen, „die sich einsam fühlt in der Unterhaltung und die sich unterhält in der Einsamkeit.“
Er liebte das Beisammensein mit einigen guten Freunden des Hauses; das ceremonienvolle Courabhalten war seine Liebhaberei nicht, und wo es also nicht mit auf dem Programme des politischen Erfolges stand, wie z. B. in Mailand und Venedig anno 1857 und 1858, da wollte er auch nichts davon wissen. Im kleinen Kreise saß er gerne mit seinen Marinelieblingen, mit seinen Adjutanten (Graf Hadik und Freiherr von Bruck nahmen die Stellen der am liebsten Gesehenen beim Prinzen ein), mit einigen Celebritäten der Admiralität und der Landarmee, die durch Triest kamen, zusammen, und da gab es oft der Scherze gar viele, die sich für die Tafel der „kaiserlichen Hoheit“, wie sie sich etwa ein eingefleischter Ceremonienmeister zu denken gewohnt ist, freilich nicht recht schicken mochten. Derlei heitere kleinere Kreise sah der Speisesalon im Erdgeschosse nicht selten. Da wurden auch oft gelehrte, schöngeistige Männer (z. B. Frh. v. Littrow) mit herangezogen und wurde auch mancher Schabernack gegen diese und jene militärische Landratte ausgedacht und ausgeführt. Hatte die gute Laune länger angehalten, was bei dem raschen Stimmungswechsel, dem Maximilian oft anheimgegeben war, nicht jedesmal der Fall gewesen, so wurde die reizende Yacht „Phantasie“ geheizt und die Gesellschaft schwamm dann mit ihr die Adria hinaus. Was war diese „Phantasie“ auch für ein liebliches Schiffsgebilde! Leicht, schmuck, elegant, ein echtes Kind jener englischen Rheder, die solche Luxusschiffe erzeugen. Und wie lieb war sie dem Prinzen! Hatte ihn doch ihre erste um zwei Tage verspätete Ankunft im Hafen von Triest im Jahre 1856 beinahe krankhaft erregt, eine Erregtheit die dem Befehlshaber der Yacht, dem armen Grafen Michielli, seine Stellung in der Marine und bald darauf den Verstand gekostet hat. Auf der „Phantasie“ ward auch so manche Wonnenacht an der Seite Charlottens verträumt, so manche der Nachtfahrten, die der Erzherzog im stimmungsvollen Liede besungen. Däuchte ihm doch in solchen Stunden ihr „leicht Gebäude“ eine ganze Welt:
„Voll Frohsinn, Frieden, Lebensfreude,
Die all sein Um und Auf enthält.“ –
Wohin wir auch immer sehen mögen, in den Laubgang oder in die verschlungenen Parkgänge, in das niedliche Gartenhäuschen, auf die Terrasse oder in das Cajütenzimmer, in den Ceremonien- oder kleinen Speisesaal, in das Thurmwartzimmer oder in die schöne Bibliothek, überall in Miramar hat in den vielen Tagen, die von 1857 bis zum Juli 1864 in’s Küstenland gegangen, das Glück gewohnt, bis es des Corsen gleißnerische Locksprache von dannen gescheucht, bis Charlotte und Maximilian den mexicanischen Argonautenzug an jenem unheilvollen Sommertage angetreten, da ein kleiner Kreis Theilnehmender das glückliche Paar zum letzten Male die Stufen der zum Hafen führenden Treppe von Miramar hinabsteigen gesehen, Alle voller Theilnahme für den Erzherzog und die Erzherzogin, Niemand für den Kaiser und die Kaiserin von Mexico.
Was ist heute von all’ dem Glück noch übrig? Der eine Theil desselben liegt mit durchlöcherter Brust in der Kapuzinergruft zu Wien, der andere aber gehört nur noch scheinbar dem Leben an und irrt sinnverwirrt in den Sälen des belgischen Schlosses Tervueren umher, alltäglich einen Speisezettel schreibend, auf dem als seltener Braten consequent „Maréchal Bazaine à la sauce blanche (!!)“ figurirt.
Wie lautet doch eines der „Aphorismen“ Maximilians?
„Jeder Mensch hat seinen Privatwahnsinn, und der ihn nicht hätte, trüge nicht als Motor zur Weltbewegung bei.“ Scheint es nicht, als habe Maximilian wie in der Vorahnung des Privatwahnsinns „Mexicanisches Kaiserreich“ dies niedergeschrieben?