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Das Schicksal einer deutschen Fahne

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Titel: Das Schicksal einer deutschen Fahne
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aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 110–113
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Das Schicksal einer deutschen Fahne.

Erinnerung aus unserem „letzten Krieg um den Rhein“.


Der „letzte Krieg um den Rhein“, der deutsche Feldzug von 1870 und 1871 in Frankreich, steht unter den großen Völkerkämpfen einzig da in der Weltgeschichte. Selbst vieljährige Kriege alter wie neuer Zeit vermögen für Eroberungen, Schlachten und Gefechte, Gefangene und Trophäen an Waffen und Fahnen einer Macht nicht stärkere Zahlen aufzustellen, als dieser Krieg von nur halbjähriger Dauer in Deutschlands Ehrentafel einzugraben hatte. Man muß sich die Zahlen immer und immer wieder vor Augen halten, um es zu glauben, welch Ungeheures wir alle vor dreizehn und vierzehn Jahren erlebt haben; in den 180 Tagen des eigentlichen Krieges wurden 20 große Schlachten geschlagen, über 150 Gefechte geliefert, 26 feste Plätze erobert, 11,860 feindliche Officiere und 371,981 Unterofficiere und Gemeine in Gefangenschaft geführt, 7441 Kanonen, 855,000 Gewehre und Hunderttausende von anderen Waffen erbeutet und 107 Fahnen und Adler als Siegeszeichen dem Feinde abgenommen. Dabei ist nicht zu vergessen, daß durch die Uebergabe von Paris und durch die Flucht der Franzosen in die Schweiz noch 9648 Officiere und 330,000 Soldaten Frankreichs unschädlich gemacht worden waren. Die Deutschen hatten nur in wenigen Gefechten sich zurückzuziehen, von ihren 8 verlorenen Kanonen nahmen sie die beiden bei Coulmiers stehen gebliebenen in Orleans wieder, und die einzige deutsche Fahne, die im ganzen Kriege in Feindes Hände fiel, ging unter Umständen verloren, welche diesen Verlust zu einer der denkwürdigsten militärischen Ehren erheben.

Als das Jahr Siebenzig zu Ende ging und von den Armeen, welche Gambetta’s Feuergeist „aus der Erde gestampft“, keine seine oberste Hoffnung: die Entsetzung voll Paris, zu erfüllen vermocht, entsprang dem Kopfe dieses kühnen Advocaten ein neuer Feldzugsplan, dessen Gelingen Deutschland in unabsehbare Gefahren gestürzt haben würde. Eine aus vier neuen Armeecorps zusammengesetzte, 150,000 Mann starke „Ostarmee“, von dem einzigen kaiserlichen Generale, der aus Metz entkommen war, von Bourbaki, befehligt, sollte das von schwachen Kräften belagerte Belfort entsetzen, durch Elsaß in Süddeutschland einbrechen, in dem wehrlosen Lande rasch vordringen, die Hunderttausende französischer Gefangenen befreien und so von Deutschland aus die Deutschen in Frankreich zwingen, Paris freizugeben, um Deutschland zu retten.

Daß dieser Plan nicht gelang, ist das unsterbliche Verdienst der Heldenführer und Heldenschaaren, die, in furchtbarster Winterkälte, vor sich einen dreifach überlegenen Feind und hinter sich eine feindliche Festung mit starker, gut geführter Besatzung, die dreitägige Schlacht (15. bis 17. Januar 1871) an der Lisaine schlugen, eine dünne, aber eherne Kette bildend, an welcher die letzte französische Armee zerschellte.

„Ihre heldenmüthige siegreiche dreitägige Vertheidigung Ihrer Stellung, eine belagerte Festung im Rücken, ist eine der größten Waffenthaten aller Zeiten,“ – so schrieb am 20. Januar an den General von Werder König Wilhelm, der am 18. – der würdigste Abschluß des letzten großen Sieges! – deutscher Kaiser geworden war.

Während dieser Ereignisse um Belfort und während General von Manteuffel mit einer neu zusammengesetzten „Südarmee“ in Eilmärschen heranzog, um Werder und Treskow (dem Belagerer von Belfort) zu Hülfe zu kommen, war namentlich für die rückwärtigen Verbindungen derselben das Corps Garibaldi’s, das nach Werder’s Abzug gegen Belfort hin sich in Dijon festgesetzt hatte, eine um so drohendere Gefahr für Werder’s wie für Manteuffel’s Unternehmungen, als man über die Stärke desselben nicht genaue Auskunft hatte erlangen können. Diese abenteuerliche Truppe in ihrer so bedenklichen Stellung möglichst unschädlich zu machen, war als schwere Aufgabe dem General von Kettler übertragen und von ihm glänzend gelöst worden.

Nach Angabe des Generalstabswerkes (5. Band, S. 1204) bestand von Kettler’s Brigade aus 51/4 Bataillonen der beiden pommerschen Regimenter Nr. 21 und 61, aus 2 Schwadronen des pommerschen Dragonerregiments Nr. 11 und aus der 5. leichten und 6. schweren Batterie des II. Armeecorps; im Ganzen 4000 Mann Infanterie, 260 Pferde und 12 Geschütze.

Garibaldi, als dessen Generalstabschef ein Nichtsoldat, Dr. Bordone, fungirte, hatte seine Vogesen-Armee in 5 Brigaden eingetheilt, die 1. unter Despeche, die 2. unter dem Italiener Lobbia, die 3. unter Menotti Garibaldi, die 4. unter Ricciotti Garibaldi, die 5. unter dem polnischen Grafen Bossak-Hauke, jede ungefähr 3000 Mann stark. Dazu kamen 5 schwache Escadrons Chasseurs à cheval, 3 Batterien à 6 Geschütze und eine Anzahl Franctireur-Corps, welche keinem Brigadeverbande angehörten: die Franctireurs de la mort, die Compagnie de la revanche, [111] des vengeurs etc. Außer diesen, Garibaldi unterstellten, aus Abenteurern aller Nationen, besonders Italienern, bestehenden Truppen, etwa 15,000 Mann, stand in Dijon die etwa 25,000 Mann starke Division Pelissier, französische Mobilgarden und mobilisirte Nationalgarden aus dem Süden, 20 Bataillone und Artillerie, außerdem Depot-Compagnien und Trains.

Dijon ist eine offene Stadt von circa 40,000 Einwohnern, deren mittelalterliche Wälle zu Promenaden eingeebnet sind. Auf der Westseite der Stadt treten kahle oder mit Weinbergen bedeckte Vorberge der Côtes d’or bis auf 5 Kilometer an die Stadt heran; noch näher, 11/2 Kilometer von den Vorstädten entfernt, liegen zu beiden Seiten der Straße St. Seine-Dijon 2 Bergkegel, welche sehr frappant an den Königstein und Lilienstein bei Dresden erinnern, jeder mit einem Kirchdorf gekrönt: Talant und Fontaine. Ein hügeliges Plateau ist die Gegend nach Norden und Osten zu, vollkommen flach das südliche Vorterrain der Stadt.

Die stärkste Front war die nordwestliche, wo die mit je 2 Belagerungsgeschützen aus Lyon armirten Bergkegel sturmfreie Forts bildeten; an diese schloß sich in großem Zuge, Bogen um Bogen, um die Stadt herum eine von durchbrochenen Weinbergsmauern, Schützengräben und Geschützeplacements gebildete Vertheidigungslinie an, welche, bis 3 Kilometer von den Vorstädten entfernt, die Dörfer Pouilly, St. Apollinaire und Quetigny zu Stutzpunkten hatte.

Nachdem General Kettler beim Heranmarsch von Montargis aus nach Dijon hin schon in Avallon auf Garibaldianer und Franctireurs gestoßen und auch in dem Städtchen St. Seine, etwa drei Meilen nordwestlich von Dijon, gezwungen war, gegen mörderische Angriffe von Privatpersonen aus dem Hinterhalt und ihren Wohnhäusern nach der vollen Schwere des Kriegsrechts vorzugehen, mußte er, trotz seiner geringen Streitmacht, seinen Gegner in Dijon selbst aufsuchen. Er brach am 21. Januar in aller Frühe von St. Seine auf, traf in Val Suzon auf den Feind, trieb ihn vor sich her und besetzte gegen 2 Uhr Nachmittags mit seiner linken Flügelcolonne die Höhen von Daix, etwa 4 Kilometer vor Dijon. Vergeblich versuchte die feindliche Infanterie, unterstützt durch ihre zahlreiche Artillerie auf dem Bergkegel von Talant, die Pommern aus dieser Stellung zu werfen.

Mit Ruhe und Kaltblütigkeit wurden alle Angriffe 3 Stunden hindurch abgewiesen. Ein weiteres Vorgehen deutscherseits hing jedoch von der Sicherung der rechten Flanke ab. Da, es war gegen 5 Uhr Nachmittags, erhielt General von Kettler die sehnsüchtig erwartete Meldung, daß seine rechte Flügelcolonne das in der Höhe von Daix gelegene Plombières mit stürmender Hand genommen, und nun hieß es noch einmal auf der ganzen Linie „vorwärts“! Und vorwärts ging es. Vor dem linken Flügel zerstob die italienische Brigade Menotti Garibaldi, das I. Bataillon 61 stieß bis in die Nähe von Fontaine vor, das II. Bataillon jagte den Feind zwischen den Höhen von Talant und Fontaine hindurch und stürmte die am Fuß des Bergkegels von Talant gelegenen Häuser.

Hier aber gebot die sinkende Nacht den Kämpfern ein gebieterisches Halt! Ein Halt nach schweren Verlusten! Elf Officiere und 184 Mann deckten todt und verwundet das Schlachtfeld. Unter ihnen, zum Tode verwundet, der Commandeur des I. Bataillons 61, Major Priebsch. Todt der Oberstabsarzt Dr. Born! In treuer Erfüllung seiner Pflicht bis in die vorderste Reihe der Kämpfenden den Verwundeten zu Hülfe eilend, hatte er sich, gänzlich erschöpft von der schweren Arbeit, auf einen Stein niedergesetzt, um neue Kräfte zu sammeln, als ein feindliches Geschoß ihm die Stirn durchbohrte und ihn lautlos niederstreckte zum ewigen Schlaf.

Auf dem eroberten Boden, gegenüber den starken, sturmfreien Positionen von Talant und Fontaine, bezogen die Bataillone nun im Schnee und aufgeweichten Lehmboden, jeder Erquickung nach forcirtem Marsch und blutigem Gefecht entbehrend, das Bivouac. Kein Holz, kein Stroh war vorhanden, nicht einmal Wasser zum Abkochen. Aber der Muth der Bataillone war nicht gebrochen. Während der ganzen Nacht beunruhigten Vorposten-Compagnien den Feind durch Patrouillen, und als Dijon noch im Schlafe lag, gegen Morgen, machte die 7. Compagnie noch einen Vorstoß, wobei sie bis zu dem Zollhause von Dijon vordrang und die Brigade Ricciotti Garibaldi in den Rücken faßte, sich schließlich aber zurückziehen mußte, als die Brigade Menotti in das Gefecht eingriff.

Trotz aller dieser Erfolge beschloß jetzt General von Kettler mit Rücksicht auf den ihm gewordenen Auftrag und die übergroße Erschöpfung der Truppen, von einem weiteren Angriff gegen die festen Positionen des Feindes zunächst abzustehen und den Rückzug auf die weiter hinten liegenden Ortschaften anzutreten. Zwar versuchte noch der Feind, als gegen 10 Uhr Morgens das Wetter sich aufhellte und die Bewegungen zu übersehen waren, namentlich die Räumung von Daix und Plombières, mit starken Colonnen den Rückzug der Deutschen zu stören; doch wurde er so entschlossen zurückgewiesen, daß er es vorzog, auf jegliche Offensivbewegungen zu verzichten.

Nur das zwischen Dijon und Darois in Changey Ferme vorläufig errichtete Feldlazareth fiel mit sämmtlichen Verwundeten, Aerzten und Dienern dem Feinde in die Hände, der, allerdings unter Verletzung der Genfer Convention, Alles nach Dijon transportiren ließ. Als Major Priebsch am nächsten Tage seinen Wunden erlag, wurde er mit militärischen Ehren bestattet, und Garibaldi, sein Sohn Menotti und seine Tochter folgten dem Sarge des deutschen Helden. Trotz alledem konnte es der alte Garibaldi, obwohl er allein an Gefangenen 7 Officiere und 431 Mann verloren hatte, nicht unterlassen, zur selben Zeit durch seine Tiradenposaune zu verkünden: „Ihr habt sie gesehen, die Fersen der furchtbaren Soldaten Wilhelm’s, Ihr, die jungen Soldaten der Freiheit! Ihr habt die kriegsgeübtesten Truppen der Welt besiegt.“

Am verhängnißvollen 23. Januar stand von Kettler mit seiner vereinten Schaar, die Front gen Süden gerichtet, zum Angriff auf Dijon abermals bereit. Als aber, erst um elf Uhr, der dichte Nebel sich verzog, zeigte die Sonne ihm die ganze Größe seiner Aufgabe. Garibaldi hatte, offenbar in dem Glauben, ein ganzes preußisches Armeecorps vor sich zu haben und aufzuhalten, Dijon in einer Weise befestigt, daß es gegen eine bedeutende Macht vertheidigt werden konnte.

Nichts destoweniger ging Kettler voll Muth und Entschlossenheit wiederum zum Angriffe über und gewann, an Chaussee und Eisenbahn Langres-Dijon vorgehend, langsam und stetig gegen Dijon an Terrain. Da, gegen 4 Uhr Nachmittags, erhielt das 2. Bataillon des 61. Regiments den Befehl zur Unterstützung des rechten Flügels des ersten Treffens vorzugehen. In Compagniecolonnen aufgelöst, nahm es, das erste Treffen rechts überflügelnd, seinen Weg anfänglich an der Westseite der Chaussee entlang, dann längs des Dammes der Eisenbahn Dijon-Langres und gelangte, den Feind überall zurückwerfend, weit über die allgemeine Feuerlinie hinaus, bis in die Nord-Vorstadt von Dijon. Hier angekommen, kam von der Eisenbahn her sowie aus den Vorstadthäusern ein so überlegenes, umfassendes Feuer, daß sich die 3 Compagnien des Bataillons (5., 6., 7.) zum augenblicklichen Schutze gegen dasselbe in einen dem Feinde eben abgenommenen Steinbruch warfen. Hauptsächlich kam das Feuer, wie jetzt bemerkt werden konnte, aus einem großen dreistöckigen, zur Vertheidigung eingerichteten Fabrikgebäude, etwa 150 Schritte entfernt, in der rechten Flanke, welches von circa 600 Garibaldianern und Mobilgarden mit Repetirgewehren vertheidigt wurde.

So lange dies Fabrikgebäude in der Hand des Feindes blieb, war an ein erneutes Vorgehen gar nicht zu denken. Es mußte also der Versuch gemacht werden, dasselbe im Sturme zu nehmen. Den Auftrag hierzu erhielt die 5. Compagnie.

Entschlossen, ohne Zögern, und mit kräftigem Hurrah brach dieselbe aus dem deckenden Steinbruche vor, der Fahnenträger Pionke mit dem hochgetragenen Feldzeichen Allen vorauf! In diesem Augenblicke eröffnen aber auch die Franzosen aus allen Fenstern und Schießscharten der Fabrik ein verheerendes Feuer auf die Stürmenden. Nur wenige Schritte und der Fahnenträger stürzt, von vielen Kugeln getroffen, zu Boden, noch im Tode die Fahne fest umklammernd. Rasch faßt jetzt Sergeant Breitenfeldt dieselbe. Doch war’s ihm nicht vergönnt, sie hoch zu heben. Ein schneller Tod rafft ihn und die ganze Fahnensection in wenig Augenblicken fort. Nun eilt Lieutenant Schulze herbei, reißt die Fahne unter den Leibern ihrer treuen Hüter hervor, und, hoch sie schwingend, trägt er sie der Compagnie vorauf, hinein in den Kugelregen. Auch er fällt, aus zwei Wunden entströmt sein junges Leben. Da erblickt die sinkende Fahne der Bataillonsadjutant, Lieutenant von Puttkamer, springt eilends, schon aus einer Kopfwunde blutend, vom Pferde, ergreift das Feldzeichen, und mit dem Rufe „Vorwärts!“ es hoch erhebend, führt er [112] die tapfere Compagnie unaufhaltsam vor. Der alte preußische Schlachtenruf „Vorwärts!“ war aber sein letztes Wort auf Erden. Dicht unter den Mauern der Fabrik, von vielen Kugeln getroffen, haucht der letzte Träger der Fahne des 2. Bataillons sein Leben aus. Wohl eilten noch der Tapferen Viele zur Rettung der Fahne herbei, doch gelang sie Keinem. Alle fielen. Eine Heldenschaar, im Tode erblaßt, hielt über dem gesunkenen Zeichen die Fahnenwacht.[1]

Die Vertheidiger
der einzigen 1871 verloren gegangenen deutschen Fahne.
Bronzegruppe von Aloys Löher.

Nur wenigen Resten der gänzlich aufgeriebenen Compagnie gelang es, nachdem alle Officiere gefallen, den deckenden Steinbruch wieder zu gewinnen. Als sie hier gewahr wurden, was [113] ihnen in Folge des dichten Pulverdampfes und der eingetretenen Dunkelheit wegen entgangen war, daß Keiner die Fahne wieder gebracht, gingen nach einander zwei Abtheilungen Freiwilliger vor, um die Fahne zu suchen. Vergeblich, sie Alle fanden den Tod bis auf Einen, der blutend und vom Feinde verfolgt unverrichteter Sache wiederkehrte.

Am nächsten Tage fanden französische Arbeiter, welche das Gefechtsfeld aufräumten, unter einem Leichenhügel, zerschossen, zerbrochen und mit Blut getränkt, die Fahne des 2. Bataillons.

Heute erhebt sich hier das Denkmal, welches das Regiment 61 seinen tapferen Cameraden errichtet hat.

Einzelne Theile der Fahne, wie die silbernen Quasten, sind später von französischen Arbeitern zurückgekauft und schmücken jetzt die neue von unserm Kaiser Wilhelm dem Bataillone verliehene Fahne. Wo die übrigen Stücke der alten Fahne hingekommen sind, hat trotz aller Nachforschungen nicht mit Sicherheit ermittelt werden können.[2]

Der oberste Kriegsherr würdigte die Heldenthat des von so schwerem Verlust betroffenen Bataillons in der gerechtesten Weise. An den General Manteuffel gelangte folgende in Homburg unterm 9. August 1871 erlassene Cabinets-Ordre, welche den besten Schluß unserer Erinnerung an dieses Ereigniß bildet:

„Aus den Mir vorgelegten Berichten habe Ich mit Genugthuung ersehen, daß das 2. Bataillon des 8. Pommerschen Infanterie-Regiments Nr. 61 am 23. Januar dieses Jahres, an welchem Tage dasselbe vor Dijon seine Fahne verlor, mit heldenmüthiger Tapferkeit gefochten hat und daß der Verlust der Fahne eines jener beklagenswerthen Ereignisse gewesen ist, die als das Resultat widriger Umstände Niemand zum besonderen Vorwurf gereichen. Die Fahne ist weder durch einen siegreichen Feind erobert, noch durch eine entmuthigte Truppe aufgegeben worden; ihre Stätte unter den Leichen ihrer tapferen Vertheidiger ist auf dem Schlachtfelde noch ein ehrendes Zeugniß gewesen für die Truppe, welcher sie vorangeweht hatte, bis die einbrechende Nacht sie den hütenden Blicken entzog. In Anerkennung der von dem 2. Bataillon des 8. Pommerschen Infanterie-Regiments Nr. 61 bewiesenen Tapferkeit, verleihe Ich demselben die beifolgende neue Fahne mit dem Bande der von Mir für den Feldzug 1870/71 gestifteten Denkmünze, an dessen einem Ende sich die wieder aufgefundene Quaste der Banderolle der alten Fahne befindet, und beauftrage Sie (General Manteuffel), dieselbe dem Bataillon in Meinem Namen feierlich übergeben zu lassen.
Wilhelm. 
  1. Der künstlerischen Verherrlichung dieses tragischen Augenblickes ist die von Aloys Löher modellirte Bronzegruppe geweiht, welche gegenwärtig im Saale des Casinos des 61. Infanterie-Regimentes in Thorn sich befindet. Auf der Gruppe, die unser obenstehender Holzschnitt wiedergiebt, sinkt Lieutenant von Puttkamer, die Fahne in der Hand, zusammen, Sergeant Breitenfeld, im Vorstürmen begriffen, stützt ihn mit dem linken Arme, während sein rechter Arm mit dem Säbel vorwärts weist. Zu ihren Füßen liegen links der Lieutenant Schulze todt, das Gesicht nach aufwärts gekehrt, daneben rechts, das Gesicht gegen den Boden gedrückt, Sergeant Pionke, den ein Schuß in die Stirn getödtet.
  2. Einer der damaligen Kampfgenossen, Herr Emil Totzeck, welcher durch eine zum Theil in poetischer Form ausgeführte Schilderung des Kampfes vor Dijon uns zu dem vorliegenden Artikel veranlaßte, theilt darin einen Brief von Menotti Garibaldi an den Commandeur des 61. Regiments mit, in welchem bedauert wird, daß man die aufgefundenen Fahnenreste nicht zurückgeben könne, weil man sie auf höheren Befehl nach Lyon habe absenden müssen.