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Das Räthsel (1819)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Brüder Grimm
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Titel: Das Räthsel
Untertitel:
aus: Kinder- und Haus-Märchen Band 1, Große Ausgabe.
S. 123–126
Herausgeber:
Auflage: 2. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1819
Verlag: G. Reimer
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Erscheinungsort: Berlin
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
seit 1819: KHM 22
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Bearbeitungsstand
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Begriffsklärung Andere Ausgaben unter diesem Titel siehe unter: Das Rätsel.


[123]
22.

Das Räthsel.

Es war eine Königstochter, die war stolz und wußte gar nicht, was sie vor Hochmuth anfangen sollte und triebs endlich so weit, daß sie ein Gebot ausgehen ließ, darin stand, wer ihr ein Räthsel brächte, das sie rathen könnte, der hätte dafür sein Leben verloren; wenn sie es aber nicht errieth, so wollte sie auch seine Gemahlin werden. Nun war sie schön, wie Milch und Blut, daß keiner die Gefahr scheute und einer nach dem andern mit seinem Räthsel kam, aber sie errieth es jedesmal. Als sie schon [124] neune nach einander hatte hinrichten lassen, da begab sichs, daß ein Kaufmannssohn von dem Gebot hörte und bei sich beschloß, hinzureisen und sein Diener, der klug war, sollte mit ihm gehen und ihm Beistand leisten. Vier Augen, dachte er, sehen mehr als zwei, wir wollen uns schon durchschlagen, frisch gewagt, ist halb gewonnen. Vater und Mutter aber, wie sie davon hörten, waren in großer Trauer und weil sie gewiß glaubten, ihr liebes Kind müße dort sterben, wollten sie ihn nicht hingehen lassen und sprachen: „es ist besser, daß er bei uns stirbt und begraben wird, als in der Fremde.“ Darum tröpfelten sie Gift in den Abschieds-Wein und sprachen: „lieber Sohn, trink zum letztenmal mit uns,“ aber es war, als merkte er ihr Vorhaben, denn er wollte nicht trinken, sondern bestieg das Pferd und sprach: „lebt wohl, liebe Eltern, ich muß fort, eh ein anderer die schöne Jungfrau gewinnt;“ da reichten sie ihm das Glas hinauf, daß er mit Gewalt trinken sollte, aber er gab dem Pferde die Sporn, daß der Wein verschüttete und dem Pferde davon ins Ohr sprützte. Als sie eine Weil geritten waren, fiel das Pferd um, da wollte sich der Herr auf des Dieners Pferd setzen und der Diener sollte zu Fuß hinter drein gehen und den Bündel auf den Rücken tragen. Nun ließen sich Raben auf das todte Pferd nieder und fraßen davon, weil aber das Fleisch vergiftet war, werden sie auch vergiftet und fielen bald um. Da hob der Diener drei von den todten Raben auf, nahm sie mit ins Wirthshaus und dachte: das soll Futter geben für die Spitzbuben. Und ließ sie klein hacken und drei Brote daraus backen. Am andern Morgen kamen sie im [125] dicken Nebel durch einen Wald, da sprangen zwölf Spitzbuben herzu und hielten Herrn und Diener an. Der Diener sprach: „schenkt uns das Leben, wir haben kein Geld, aber drei Brote, die wollen wir euch geben.“ Das waren die Spitzbuben zufrieden, nahmen die Brote, theilten sie unter sich und aßen sie; nicht lange, so traf sie das Gift und alle zwölfe fielen todt zur Erde.

Nun ritten die zwei in die Stadt und der junge Kaufmann trat vor die Königstochter und sagte, er wolle ihr ein Räthsel aufgeben. Das ward ihm bewilligt und er sprach: „auf einen Schlag eins, auf zwei Schlag drei, auf drei Schlag zwölf: wie ist das zu lösen?“ Die Königstochter besann sich, aber sie konnte das Räthsel nicht herausbringen; sie suchte in ihren Räthselbüchern, aber es stand nicht darin. Nun hatte sie drei Tage Zeit, da schickte sie in der ersten Nacht ihre Magd in das Schlafgemach des Herrn, die sollte horchen, ob er nicht im Schlafe davon spräche. Aber der Diener war klug gewesen und hatte sich in das Bett an die Stelle seines Herrn gelegt und als die Magd kam, nahm er ihr das Kleid, das sie anhatte und jagte sie mit Ruthen fort; das Kleid aber steckte er in seinen Ranzen. In der zweiten Nacht schickte die Königstochter ihre Kammerjungfer, aber der nahm der Diener auch das Kleid und jagte sie mit Ruthen fort. In der dritten Nacht aber kam die Königstochter selber und hatte ein nebelgraues Kleid umgethan und setzte sich an das Bett des Herrn. Und als sie dachte, daß er träumte, redete sie ihn an und hoffte, er würde im Traum antworten, aber er war wach und verstand und hörte alles wohl. Da sprach sie: „auf [126] einen Schlag eins, was ist das?“ Er antwortete: „mein Pferd, das fiel von Gift, das in sein Ohr getropft war.“ – „Auf zwei Schlag drei: was ist das?“ „Drei Raben, die von dem vergifteten Pferde fraßen und davon starben.“ – „Auf drei Schlag zwölf: was ist das?“ „Zwölf Spitzbuben, die aßen die vergifteten Raben, die in drei Broten zerhackt waren und starben davon.“ Als sie nun das Räthsel wußte, wollte sie wieder fortschleichen, aber er hielt das graue Kleid fest, daß sie es mußte zurücklassen. Am andern Morgen sprach sie: „ich habe das Räthsel errathen“ und ließ die zwölf Richter kommen und löste es vor ihnen. Aber der Jüngling bat sich noch ein Gehör von ihnen aus und sprach: „wenn sie nicht in der Nacht gekommen wäre und hätte mich ausgefragt, so wüßte sie es nicht.“ Sie antworteten ihm: „bringt uns Wahrzeichen;“ da zeigte der Diener die drei Kleider und als die Richter das nebelgraue sahen und erkannten, sprachen sie: „laßt das Kleid sticken!“ Da wards zu einem Hochzeitskleid gestickt und ihm die Königstochter zur Gemahlin gegeben.