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Das Louvre in Paris

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
CCCCXVIII. Der Montblanc Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Neunter Band (1842) von Joseph Meyer
CCCCXIX. Das Louvre in Paris
CCCCXX. Manchester
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DER PALLAST DES LOUVRE
in Paris

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CCCCXIX. Das Louvre in Paris.




Ich habe manchmal wunderliche Gedanken. Als mir vor 25 Jahren im Tower zu London der Haufen Kronen und Zepter gezeigt wurde, so kamen sie mir vor wie Dornenkronen und Prügelstöcke für die Völker daran, und ein andermal sah ich gar einen Herrscherstuhl für ein Passionsinstrument, und den goldnen Thronsaal für eine Folterkammer an, wo Einer, wenn er nur wolle, seine Quallust nach Herzenslust an dem gebundenen und geschundenen Dinge üben könne, das gratia dei seinen Händen überantwortet ist. So geht es mir auch jetzt wieder. Mir kömmt dieses Louvre wie ein Leichenhaus vor, wie ein ungeheures Beinhaus gemordeten Volksglücks und erdrosselter Menschenfreuden, und alle die Säulen daran wie Folterleitern, auf welchen die Generationen seit Dagobert’s Zeiten hinangestiegen! – Den Teufel bete in Lichtgestalt unter deinem Dache an, wer da will: ich kann es nicht! Herrliches, – mir schreckliches, scheußliches Louvre! Welche Weltgeschichte ist gemacht worden! Wie viel Todtenstaubwolken wehten aus den dürren Schlachtfeldern zu dir herüber, wie viel Thränen und Blut flossen dem Walten in deinen Räumen, welche Flucheslast ruht auf den Meisten, die da gewohnt und geherrscht haben! Ludovico magno steht über deiner Pforte; ein Engel schreibt sie: der Würgengel des Elsaß und Niederlands. Ja, groß waret Ihr, du, Ludwig, und deines Gleichen, im Jammermachen auf Erden, groß als Heuchler, groß in Sittenlosigkeit, groß als Volksverderber, groß als Rabenväter eurer Länder: als glückverzehrende Drachen groß, nicht als glücklich machende Regenten! – Doch die Zeit hat auch dem Louvre den Stachel genommen und in die Todtenglocke tönt schon Freudengeläute hörbar ein. Das einstige Walten in diesem Hause ist ohne Auferstehung, das neue darinnen ist friedlich und wohlthätig, und ihm gehört die Zukunft.


Die Baugeschichte des Louvre umfaßt einen Zeitraum von zwölf Jahrhunderten. König Dagobert bewohnte den ältesten Bau, die eigentliche Burg, oder den Thurm. Er war dem white Tower in London ähnlich, stand in der Mitte des Hofes, wurde aber im Jahre 1529 abgetragen. Ludwig der Dicke ließ das Schloß erweitern und mit Bollwerken umgeben, und alle nachfolgende Könige besserten daran und verschönerten es. Eine gänzliche Umgestaltung erlitt das Gebäude unter Franz I. Dieser kunstliebende [130] Fürst ließ es zum größten Theile abreißen, und auf seiner Stelle erstand, nach einem großartigen, von den Baumeistern Serlio und Lescot ausgearbeiteten Plane allmählich der neuere Palast. 1541 traten dessen Fundament aus dem Boden. Lescot bauete dreißig Jahre daran: – als er starb, war erst derjenige Theil vollendet, den man jetzt das alte Louvre heißt. Lemercier war sein Nachfolger. Dieser setzte den Bau des gegen die Seine gerichteten Flügels fort, eben so dessen Nachfolger Leveau, welcher einen Theil der Hoffaçaden construirte. Der prunksüchtige Ludwig XIV. suchte in der Vollendung des Palastes Ruhm, den er dennnoch nur theilweise erringen konnte. Er berief Bernini, den berühmtesten Architekten damaliger Zeit, aus Italien zu sich, um den Bau zu leiten; aber dieser, durch Hofcabalen ermüdet, zog sich schon nach 8 Monaten zurück. Darauf legten die französischen Architekten, zur Concurrenz aufgefordert, ihre Pläne vor: König Ludwig wählte den kostspieligsten von allen zur Ausführung. Perrault hatte ihn entworfen und dieser erhielt auch die Leitung des Baus. Sie begann 1670 und ist bis auf unsere Zeit fortgesetzt worden. Selbst unter Napoleon dauerte er noch und auf sein Geheiß erhielt die Königsburg jene bewunderten bronzenen Flügelthüren, welche zu den schönsten Gußwerken der neuern Zeit gehören. Die Grundform des Louvre bildet ein Viereck von etwa 540 Fuß Seitenlänge, dessen mit gekoppelten corinthischen Säulen prunkvoll dekorirte Façaden eine imposante Wirkung hervorbringen. Nicht minder prächtig sind die nach dem Hofe gerichteten Seiten. Der Hof selbst hat über 120,000 Quadratfuß Flächenraum. Eine Colonnade verbindet das Louvre mit den Tuillerien, und beide Paläste als Eins betrachtet, bilden die prächtigste Schloßanlage in Europa.

Während der Revolution zog in die verlassene Prunkwohnung der Könige das Bürgerthum ein, und Rentiers, Künstler und Handwerker hielten zwanzig Jahre lang Haus in den Zimmern und Salons, die vordem nur der hohe Adel betreten durfte. Napoleon gab dem Louvre eine angemessnere Bestimmung. Durch ein Decret machte er es zum Palast der Künste, und er plünderte Europa, um seine Räume mit dem Herrlichsten anzufüllen, was die alte und neue Kunst irgendwo aufgespeichert hatte. Des Louvres neue Bestimmung machte zahlreiche Veränderungen im Innern nothwendig, welche nach des Kaisers eig’nen Ideen vortrefflich ausgeführt sind. Die nach den Tuilerien leitende Gallerie (sie hat über 1300 Fuß Länge und ist die größte der Welt) wurde unter ihm vollendet; von ihm rührt auch der größte Theil der statuarischen Ausschmückung her, welche die Vestibülen und Corridors ziert.

Das weltberühmte Museum (musée royal) okkupirt den größten Theil des Parterres und der Belle-Etage; jenes enthält die Sammlungen der Skulptur und Alterthümer; diese die Gemälde, Kupferstiche und Handzeichnungen; auch eine Sammlung von 4000 gestochenen Kupferplatten der besten Meister.

[131] Zur Kaiserzeit war dieses Museum der Stolz Frankreichs und die Bewunderung der Welt. Das Herrlichste, was Europa von Kunstwerken besaß, hatte des Eroberers Hand weggenommen und hier vereinigt. Wer Sinn für Kunst hatte, der pilgerte hieher, wie nach einem neuen Jerusalem. Eine solche Sammlung entsteht nie wieder.

Aber ihr Fundament war Gewalt und Raub und darum ohne Bestand. Die Tage der Vergeltung kamen; dem gedemüthigten Frankreich wurde Wiedererstattung des Raubs befohlen. Die gestohlenen Schätze verließen die Säle des Louvre und kehrten zu ihren frühern Eigenthümern zurück.

Was geblieben ist, ist Frankreichs rechtmäßiger Besitz. Der Reichthum ist immer noch groß, wenn auch mit dem frühern nicht zu vergleichen. Die Säle der antiken Skulptur sind in der That öde gegen ehedem, und in der großen Gemäldegallerie, die blos für die Werke der größten Meister bestimmt war, blieben von 1300 Bildern nur 250 übrig. Man hat seitdem die Lücken ergänzt; aber Gutes mußte an die Stelle des Besten treten, und manches Mittelmäßige die Räume ausfüllen, obschon alle Provinzen, die Kirchen und die andern königlichen Schlösser das Vorzüglichste hergaben und kein Kapitalaufwand gescheut wurde, die vorhandenen Sammlungen zu bereichern.

In seinem jetzigen Zustande ist das Louvre-Museum nach dem im Vatikan, was Gemälde anbetrifft, das erste in Europa. Alle Schulen und alle Zeiten sind würdig vertreten; am vollständigsten die französische Schule, von ihrem Beginn bis zu ihrer heutigen Entwickelung. Recht reich ist auch der Schatz spanischer Bilder und von Werken der großen Meister Italiens. Rubens Genie und das seiner flamändischen Zeitgenossen ist hier gut zu studiren. Schwächer ist die Sammlung an Holländern, am schwächsten an Tafeln deutscher Meister. – Die Saale für antike Skulpturen besitzen wenig von großer Bedeutung; desto größer aber ist der Schatz von Meisterwerken der französischen Bildhauerschule, besonders aus der neuern und neuesten Zeit. Abgüsse und Kopien der zurückgegebenen Kunstwerke, vorzüglich jener, welche in die florentiner und römischen Museen heimkehrten, füllen die Lücken aus. Da und dort sieht man auch Manches, was nicht mehr da seyn sollte. So die dem deutschen Kaiserdome in Aachen entnommenen 8 antiken Granitsäulen und jene aus der Gruft Karls des Großen. Die schlauen Franzosen machten, als man die Zurückgabe verlangte, den Einwand, die Säulen würden bei der Hinwegnahme Schaden leiden, und – man ließ sie ihnen. Daß der deutsche Michel 1815 in Paris ein Dummrian war, wissen wir längst; bei dieser Geschichte ist die Unehre aber größer, als die deutsche Albernheit. –

Die königliche Wohnung im Louvre wurde während der Restauration hergestellt; der Geist der Demokratie, der hier umgeht und geheimnisvoll fortwaltet, hat jedoch mit dieser Königswohnung ein wunderliches Spiel getrieben. Statt des Monarchen sind die Gewerbe eingezogen: – man hat sie nämlich den französischen [132] Industrie-Ausstellungen zum Lokale überwiesen, welche gewöhnlich das ganze Geschoß von zwei und fünfzig Sälen ausfüllen. So wohnt denn recht eigentlich das französische Bürgerthum im Louvre, in dem Louvre, das die mächtigsten Könige der Welt inne hatten, das ehedem nie ein bürgerlicher Fuß betreten hatte, er mußte denn gekommen seyn, zu danken oder zu betteln. Man gehe hin zur Zeit der Ausstellung, damit man sehe, was es an der Zeit sey! Ja, es liegt was Großes in dieser Wallfahrt von Tausenden von Bürgern und Handwerkern, die mit bestaubten Füßen in den königlichen Sälen auf- und abwandern; es erhebt, sich unter diesen Säulenreihen mit dem Volke zu ergötzen, von diesen Balkonen mit dem Volke hinabzuschauen auf die Königsstatuen in dem großen Hofe und der Jahrhunderte zu gedenken, wo das Volk immer nur ehrfurchtsvoll hinaufsehen durfte, dahin, wo zu lustwandeln es jetzt selbst Fug und Recht hat. Man blicke zurück und vergleiche. Von diesem Balkone herab vertheilten noch vor drei Jahrhunderten die Könige Frankreichs die Preise an die Sieger im ritterlichen Spiele; hier saß der Monarch auf seinem Thronstuhl; da koseten die adelichen, schönen Frauen; dort tummelten die lebensfrohen, wappenstolzen Ritter ihre Rosse; Alles rundum schimmerte und glänzte von Waffen, reichen Pferdegeschirren, von Sammt, Gold und Seide. – Welche Pracht, welches Leben! Hinter den Schranken aber gaffte das Volk – ein Ding ohne Geltung, ein Lumpenvolk, – la canaille! Und jetzt? – welch ein Wechsel, welch ein Fortschritt! Juble, Herz! Das ist der Maßstab für den Gang der Zukunft.