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Das Kloster der Armenier in Venedig

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Textdaten
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Autor: K. H. H.
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Titel: Das Kloster der Armenier in Venedig
Untertitel:
aus: Das Ausland, Nr. 21; 23–24, S. 83–84, 92, 95–96
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[83]

Das Kloster der Armenier in Venedig.[1])

Mitten in den Lagunen von Venedig, unfern des Lido von Malamocco, drei italienische Meilen vom Ponte di Rialto, liegt die kleine Insel San Lazzaro, die vielleicht von unberechenbarer Wichtigkeit für die Cultur des Orients und schon gegenwärtig in mehr als einer Hinsicht merkwürdig ist; zuvörderst als eine orientalische Niederlassung im innersten Busen eines europäischen Meeres, dann als der Stapelplatz europäischer Wissenschaft für das weit über den Orient verbreitete Volk der Armenier, und endlich vielleicht auch als einer der Hauptpunkte, an welchem die Erinnerung an des unsterblichen Byron’s Aufenthalt in Venedig haftet.

Die Geschichte der Stiftung dieser Niederlassung hängt mit der Lebensgeschichte ihres Gründers so genau zusammen, daß eine kurze Nachricht über diesen merkwürdigen Mann für unsere Leser vielleicht nicht ohne Interesse seyn wird.

Mkhitar, gewöhnlich Mechitar genannt, wurde im J. 1676 zu Sebaste (Sepasdia) in Kleinarmenien geboren. In seiner frühesten Jugend zum geistlichen Stande bestimmt, trat er nach zurückgelegtem fünfzehnten Jahre in den Convent des heiligen Zeichens bei Sebaste, wo er sich durch die Composition geistlicher Gedichte und Homilien vor der Mehrzahl seiner Ordensbrüder rühmlich auszeichnete. Von brennendem Wissensdurste getrieben, folgte er einem armenischen Gelehrten nach Etschmiazin, dem durch die neueste Kriegsgeschichte bekannten Sitz des armenischen Patriarchen, wo er, der Versicherung seines Führers nach, das Centrum aller Wissenschaften finden sollte.

Bei seiner Ankunft daselbst in seinen Erwartungen getäuscht, schweifte er eine Zeitlang in den Klöstern seines Vaterlandes umher, lernte und lehrte, machte in Erzerum, der Hauptstadt von Großarmenien, die Bekanntschaft von Europäern und Armeniern, die Europa gesehen hatten, und kehrte endlich im J. 1693, mit dem heimlichen Wunsche, sobald sich irgend eine Gelegenheit darböte, gleichfalls nach Europa zu reisen, in sein Kloster bei Sebaste zurück. Einige Lieder, die er während seines Aufenthaltes in demselben dichtete, werden noch jetzt in mehreren Kirchen Armeniens gesungen.

Von einer gefährlichen Augenkrankheit geheilt, beschloß er im Jahr 1695 seinen alten Reiseplan auszuführen, und begleitete deshalb einen armenischen Priester nach Aleppo, wo er von einem Jesuiten, seiner Belesenheit in der armenischen theologischen Literatur wegen, sehr vortheilhafte Zeugnisse erhielt. Schon hatte er sich eingeschifft um nach Rom zu gehen, als ein Fieberanfall ihn in einem armenischen Kloster in Cypern zurückhielt, und er um seine Gesundheit wieder herzustellen, sich genöthigt sah, bettelnd in sein Vaterland zurückzukehren, wo er seine alten Beschäftigungen fortsetzte, und im Jahr 1696 die letzten Weihen erhielt.

Schon jetzt scheint er den Plan einer gelehrten Gesellschaft zur Ausbreitung der Wissenschaften in Armenien gefaßt zu haben. Eine Reise nach Constantinopel, die er deshalb machte, war erfolglos: doch sah er sich bereits von zweien seiner Schüler begleitet, als er im J. 1699 nach Erzerum und in das Kloster Passeno kam. Hier übertrug ihm der Superior, Bischof Macarius, die Erziehung der Schüler des Klosters. Auch die Mönche unterrichtete er in der Theologie des Albertus Magnus, von der er eine armenische Uebersetzung besaß. Ein Vorfall, über den europäische Professoren vielleicht nicht wenig lachen würden, trug besonders dazu bei, sein Ansehen zu befestigen. Eines Tages nämlich, als er in einer theologischen Disputation einen seiner Gegner durch Zeugnisse der armenischen Kirchenväter völlig aus dem Felde geschlagen hatte, wurde dieser so erboßt, daß er ihm eine tüchtige Ohrfeige gab. Mechitar aber ertrug diese Beleidigung mit so siegreicher Geduld, daß sein Gegner erstaunte und die Wahrheit seiner Behauptungen anerkannte. Er erhielt noch in demselben Jahre die theologische Doktorwürde und den Auftrag in der Diöcese des Bisthums zu predigen.

Zur Ausführung seines Planes, eine gelehrte Gesellschaft [84] zu stiften, die sich zugleich dem Studium der Wissenschaften, der Erziehung und der Verbreitung nützlicher Kenntnisse durch den Druck widmete, durfte er indessen hier keine Unterstützung hoffen. Er unternahm daher eine zweite Reise in die Hauptstadt des türkischen Reiches, wo er sich bald von zahlreichen Schülern umgeben sah, denen er, um alles Aufsehen zu vermeiden, insgeheim den Plan seiner Gesellschaft eröffnete. Darauf sandte er die Priester und Doktoren, die sich unter denselben fanden, in verschiedene Städte Armeniens, um zu predigen und zu lehren, und behielt nur die Jünglinge bei sich, die er in einem an die Kirche stoßenden Gebäude mit großem Eifer unterrichtete. – Noch in demselben Jahre machte er mit der Herausgabe von Büchern zur Beförderung der Aufklärung seiner Nation den Anfang, indem er die Nachfolge Christi von Thomas a Kempis und einige andere Werke für seine Schüler drucken ließ. Aber schon hatte er Feinde, die seinen Absichten entgegenarbeiteten und ihn selbst als Unruhestifter der Pforte verdächtig zu machen suchten. Davon unterrichtet, begab er sich unter den Schutz des französischen Gesandten, der ihm einen sicheren Aufenthalt in einem Kapuzinerkloster verschaffte. Hier hörte er von Kaufleuten die vortreffliche Lage von Morea rühmen, das damals noch der venetianischen Republik unterworfen war, und faßte nach kurzem Besinnen den Entschluß, dahin seine neue Gesellschaft zu verpflanzen.

Alle Glieder derselben willigten ein; in einer Versammlung, die im September 1701 gehalten wurde, nahmen sie, um ihre Kongregation dauernd zu konstituiren, den Namen: „Adoptiv-Söhne der heiligen Jungfrau“ an, und erwählten Mechitar zu ihrem ersten Superior. Er sandte einen seiner Schüler voraus, ließ, nachdem dieser vortheilhafte Berichte über den Zustand des Landes gegeben hatte, andere unter verschiedenen Vorwänden folgen, und reiste mit den drei letzten, um sich den Nachforschungen seiner Feinde zu entziehen, in der Verkleidung eines Kaufmanns, zuletzt selbst nach Morea ab, wo er, nach einem Aufenthalte von mehreren Monaten auf der Insel Zante, im J. 1703 ankam, und in Napoli di Romania alle seine Schüler, sechzehn an der Zahl, wohlbehalten vereinigt fand.

[92] Sie beschlossen jetzt, nachdem sie sich in Sicherheit sahen, ein Kloster zu stiften, wozu sie, ohne Schwierigkeit, die Erlaubniß der Regierung erhielten. Diese wies ihnen einen Platz in Modon zur Errichtung eines Konvents und einer Kirche an, und die Einkünfte zweier benachbarten Dörfer zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes. Nach vielen Entbehrungen war im J. 1708 Kirche und Kloster vollendet. Der Pabst Clemens XI ertheilte der Kongregation, welche die Regel des heiligen Benediktus angenommen hatte, seine Bestätigung und ernannte Mechitar zum Abte. Zwölf Jahre lang, seit seiner ersten Ankunft in Morea, war sein Werk über alle Erwartung gediehen, als der Krieg zwischen den Türken und Venetianern ausbrach, und die ersteren mit großer Uebermacht in Morea eindrangen. Um sich nicht den Gefahren der Gefangenschaft auszusetzen, verließ er seine blühende Niederlassung, und kam im April 1715 mit eilf der Seinigen in Venedig an, wo er den Ausgang des Krieges erwarten wollte. Aber nach vier Monaten erhielt er die traurige Nachricht der Einnahme von ganz Morea, von dem Verlust von Modon und der Gefangenschaft mehrerer seiner Schüler, die nach Constantinopel geführt, dort jedoch von Christen losgekauft wurden, und daher bald in seine Arme zurückkehrten.

Da jetzt alle Hoffnung nach Modon zurückzukehren aufgegeben werden mußte, so kam Mechitar mit den Seinen überein in Venedig zu bleiben.

Ein Gesetz verbot die Errichtung neuer Klöster in der Stadt, doch wurde ihnen in der Nähe derselben, im September 1717, die kleine Insel San Lazzaro zu beständigem Eigenthum eingeräumt.

Auf dieser Insel hatte im Jahr 1180 Lione Paolini ein Hospital für Aussätzige errichtet; und nachdem diese Krankheit aufgehört hatte sich zu zeigen, war dasselbe zur Aufnahme von hülfsbedürftigen Armen bestimmt worden. Mechitar fand auf derselben nichts als eine alte Kirche, wenige verlassene Zimmer und einen Garten.

[95] Unterstützt von reichen Armeniern erbaute Mechitar einen neuen geräumigen Convent, legte den Grund zu einer Bibliothek, die allmählich mit den seltensten orientalischen, vorzüglich armenischen Handschriften bereichert wurde, und errichtete eine armenische Druckerei, mit Lettern von Amsterdam, welche eine große Anzahl von Werken größtentheils geistlichen Inhalts in armenischer und türkischer Sprache verbreitete. Er starb am 27sten April 1749, ein vierundsiebenzigjähriger Greis, von allen verehrt, die ihn kannten. Auf seinem Grabmal, im Sanctuarium der Kirche, liest man folgende Inschrift in armenischen Versen:

Ruhmvoller Mechitar! du süße Lyra,
Gestimmt durch den Fleisch gewordnen Geist,
Die erheiterte das Land von Sebaste,
Das vom Himmel geliebte Land.
Majestätisch war seine Gestalt, sein Geist erhaben:
Forscher der verborgenen Wahrheit,
Leuchte der Gnaden, zu erhellen die blinden
Gemüther der Sterblichen. Durch sich selbst erwarb er
Die seltene Wissenschaft, die köstlich ist dem Weisen.
–– –– –– Er eröffnete den Weg,
Wo Blumen erndten und lieblichen Duft
Die edlen Geister, in guten Werken nicht säumig, –
Und wo die Sonne aufgeht, bis wo die Sonne sinkt,
Pflanzte er in fruchtbaren Boden den erlesenen
Himmlischen Weinstock. –– ––
Darum von armenischem Land erhoben dankbare Herzen
So glänzendem Edelstein diesen Hymnus.

Während seines langen Lebens hatte Mechitar unter seinen Schülern fünfzig Priester und zehn Laienbrüder gezählt, nebst vierzig andern Individuen, die das Kloster wieder verließen. Nach seinem Tode gewann die Congregation, die nach ihm den Namen Mechitaristen annahm, nicht weniger an äußeren Mitteln, als an Einfluß auf die Bildung der Nation. Und als im Jahr 1810 alle Klöster im Königreich Italien aufgehoben wurden, blieb von diesem allgemeinen Loos – durch ein besonderes Decret Napoleons, – als ein selbstständiges gelehrtes Institut, das der Mechitaristen von San Lazzaro verschont. Nach den Gesetzen Mechitar’s finden nur junge Armenier in dem Convent Aufnahme, aber ohne Unterschied des Standes oder Vermögens. Nur nach langen Prüfungen können sie zu der Congregation selbst zugelassen werden, wenn die Stimmenmehrheit einer Versammlung der Mitglieder sie dessen würdig hält. Diese beschäftigen sich theils im Kloster mit Unterricht der demselben zugesandten Jünglinge, oder mit Verfolgung ihrer wissenschaftlichen Studien, deren Resultate sie ihren Landsleuten durch den Druck bekannt machen; theils sind sie auf Missionen im Orient und in den armenischen Kolonien von Ungarn und Siebenbürgen zerstreut. Des ausgebreiteten Einflusses wegen, den sie dadurch besitzen, wurde im Jahr 1804 ihr Abt Kiuver in Rom zum Erzbischof geweiht; und in den letzten Jahren hat die Congregation ein eigenes Hospitium in Rom erhalten.

Von den wissenschaftlichen Arbeiten der Mechitaristen hat die Ausgabe einer alten armenischen Uebersetzung der verlorenen Theile von dem Chronicon des Eusebius in ganz Europa Aufsehen gemacht; ob die zahlreiche Bibliothek, die reich an den ältesten armenischen Handschriften ist, nicht noch manche andere ähnliche Schätze enthält, ist, so viel wir wissen, bisher noch keineswegs erschöpfend untersucht worden. Die wichtigsten unter den auf San Lazzaro gedruckten Werken, die größtentheils in Constantinopel ihren Absatz gefunden haben, sind – außer der armenischen Bibel – eine armenische Geschichte bis ins 18te Jahrhundert, die armenische Geschichte des Lazarus Farpensis [96] vom J. 388 bis 485, eine Uebersetzung der alten Geschichte von Rollin, eine Geschichte des 18ten Jahrhunderts, an deren Fortsetzung noch fortwährend gearbeitet wird, eine allgemeine Geographie in 11 Bänden, eine Beschreibung des alten Armeniens u. a. m.

Von den Grammatiken neuerer Sprachen, welche die Mechitaristen zum Besten ihrer Landsleute herausgegeben haben, ist die armenisch-englische auch besonders dadurch merkwürdig, daß sie eine Uebersetzung des apokryphischen Briefes der Corinther an Paulus von Lord Byron enthält. Dieser besuchte während seines Aufenthaltes in Venedig das Kloster täglich, um die armenische Sprache zu lernen, und die angeführte armenische Grammatik ist eine Frucht seiner Unterrichtsstunden.

Außer Lord Byron ist uns kein Europäer bekannt, der die vortheilhafte Gelegenheit, welche die Insel San Lazzaro zum Studium der armenischen Sprache darbietet, benutzt hätte; doch könnte jeder Gelehrte, der diesen Zweck verfolgen wollte, der zuvorkommendsten Aufnahme gewiß seyn. Und wenn vielleicht die abenteuerliche Schilderung, die Krails Mnemosyne von einem armenischen Mönch entwirft, einiges Bedenken einflößen sollte: so versichern wir unsere Leser, daß das Urbild derselben, außer in der Phantasie des Verfassers, gewiß nirgend existirt hat; wie schon der einfache Umstand beweist, daß jener angebliche Armenier lateinische Psalmen lesen soll, was wahrscheinlich wenigen seiner Brüder jemals begegnet ist.

Venedig, September 1827.   K. H. H.


  1. Nach: Hamarrod Nguarakir Mkhithariaean Miapanovtean; (Kurze Nachrichten über die Mechitaristen-Congregation; San Lazzaro, 1819. 8.)