Das Kloster Mafra bei Lissabon
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„Wir trafen die Mauthiere, welche unser lissaboner Wirth für uns gemiethet hatte, vor dem Thore seines Gasthauses, bestiegen sie unter den Scherzen ihres Führers und den Grimassen umstehender Gassenjungen und Pflastertreter, und ritten davon, gefolgt von dem Treiber zu Fuß, dem Arriero, der seine Thiere mit einem Stachelstocke unbarmherzig anregte. Lissabon ist sehr groß und möchte, mit Einrechnung aller der Felder, Gärten und wüsten Plätze innerhalb seiner Ringmauer, den Flächenraum von Paris reichlich einnehmen. Die meisten Straßen sind sehr lang, dabei öde; ihr Pflaster ist abscheulich. Oefters stellen sie, auf langer Strecke, nur ein paar Gartenmauern vor, über welche sich die Fülle der südlichen Vegetation hervordrängt. Dichte Rosengebüsche mit tausenden der schönsten Centifolien, eine über die andere hervorschwellend, weiß- und rothblühende Akazien, Orangenbäume voller Früchte, Cactus und Palmen ließen durch ihre Düfte die unangenehme Atmosphäre vergessen, welche Lissabons belebtere Gassen erfüllt. Als wir das Thor vor uns sahen, freueten wir uns darauf, dem Straßenpflaster zu entrinnen; aber wir wurden getäuscht. Auch die Chaussee war gepflastert und das Reiten darauf eine Marter. Die Landstraße, breit und prächtig angelegt, war menschenleer, was um so mehr auffiel, da sie nach zwei königlichen Landsitzen führt, und in die beste Gegend Portugals.
Die Landschaft selbst aber entschädigte uns vollkommen. Ueberall schweift der Blick über wohlgebaute Felder; üppige Saaten bedecken den Boden, und, obschon erst im April, so standen doch die Winterfrüchte schon in Aehren und die breiten Flächen glichen wogenden Meeren. Dorf reihete sich an Dorf; wohin wir schauten, da zeigten sich Wohnungen im dunkeln Laube der Oliven und von Citronengärten umgeben. Einzelne Grundstücke waren mit Hecken von Aloestauden eingefaßt, sowohl zum Schutze als zur Nutzung: denn ihre dicken, stachelbewaffneten Blätter werden vielfach verwendet, die Fasern zumal, welche, versponnen, äußerst dauerhafte Gewebe, Teppiche etc. etc. geben, oder zu Seilwerk verbraucht werden, das fast unverwüstlich ist. Wäre ganz Portugal so angebaut, wie diese Landschaft, wie glücklich wäre das Reich und wie es zu preisen! Aber dem ist nicht so; nur noch wenige Leguas, und diese Kultur hört auf, halb Portugal liegt brach, kein Pflug berührt mehr die mütterliche Erde, welche die kleinste Pflege so dankbar vergilt; niedergehauen sieht man die Pinienwälder, ohne [123] daß ein Mensch daran dachte, für künftigen Bedarf andere zu pflanzen. Der Landmann, ein Bild der Armuth inmitten einer Wildniß, die ein Paradies seyn könnte, wohnt, wie der Samojede, in höhlenartigen Hütten ohne Fenster und ohne andere Ausstattung, als die des Schmutzes. Schwer besteuert, steuert er doch keinen Pfennig; er gibt nichts, weil da das Gesetz aufhört, wo nichts zu nehmen ist. Dieser elende Zustand ist die Folge eines langen Despotismus, des Drucks der Feudalverhältnisse, des Adels und der systematischen Verdummung durch Pfaffen- und Mönchswesen. Er ist tief mit dem Leben der Nation verwachsen und die Hoffnung zur Besserung liegt fern.
Im Schatten der Pinien vor dem königlichen Sommerschlosse von Cintra machten wir halt und ruheten aus. Nach Mafra, dem Ziele unserer Fahrt, hatten wir noch vier Leguas. Die Landschaft wird allmählich öder, dünner bevölkert, unfreundlicher, wasserarm. Wir ritten vier volle Stunden. Auf einer Anhöhe rief uns der Arriero zu und zeigte auf einen Ort in der Ferne, der ein Haufen niedriger Hütten war, aus deren Mitte, wie ein Zauberschloß, ein Gebäude von colossalen Verhältnissen emporstieg. Die kupfernen Dächer glänzten golden im Strahle der Frühlingssonne, die sich schon dem Horizonte zuneigte. Es war Mafra, das Kloster.
König Johann V. hat es erbaut. Es enthält über 500 Mönchszellen und eine königliche Wohnung von 170 Zimmern und Sälen; auch eine Basilika. Alles ist prachtvoll, königlich: Marmor, Jaspis, Silber und Gold sind an Säulen, Treppen, Fußböden, Wänden und Ornamenten in Masse verschwendet. Mit den Millionen, welche dieser Palast der Faulheit aufzurichten gekostet hat, mit den Millionen, welche die Dotation desselben verschlang, hätte der Monarch das kleine Portugal glücklich für alle Zeiten machen können und den Segen des Volks noch in den fernsten Geschlechtern verdienen mögen. Auch hier kehrt die Bemerkung wieder, wie so oft die Fürsten lieber Eisfelder als Blumenfelder schaffen, lieber mit Lavinen zerschmettern, als mit erquickendem Regen befeuchten, und lieber Kerker und Zellen für Verbrechen und für Volksbetrug bauen, als Anstalten aufrichten für tugendhafte Aufklärung und Volksbeglückung.
König Johann ließ die berühmtesten Baumeister seiner Zeit an seinen Hof kommen, aus deren vereinten Vorschlägen der Plan zu dem unnützen Riesenbau entstand. Italienische, spanische, niederländische und französische Künstler schmückten Mafra mit Gemälden, Statuen, Arbeiten in Holz, Bronze und Silber, und die Kirche mit kunstvollen Werken von Gold und Edelsteinen. Blos allein in der Vorhalle der Basilika und in den Seitenkapellen stehen achtundfünfzig kolossale Statuen der Apostel und Heiligen aus kararischem Marmor: ein Cyklus von Meisterwerken, wie man in ganz Portugal seines Gleichen nicht wieder sieht. Alle Thürbekleidungen sind aus schwarzem Marmor, der Eingang zum Chore ist von Bronze, mit Bilderschmuck überdeckt. Die [124] Altäre sind meist von Jaspis; von demselben kostbaren Gestein sind auch die meisten Säulen. Die Hauptgebäude haben platte Dächer von Kupfer, und ehemals prangten auf denselben Orangerien und duftende Blumensträuche, unter deren Schatten die Mönche bei dem nie rastenden Glockenspiele der Thürme und bei vollen Humpen der frischen Luft der Sierra genossen, oder der Ruhe pflegten; einer Ruhe, von allen Erdensorgen unbelästigt. Die Mönche speisten in Mafra auf massivem Silber. Sie hatten jährlich nahe an anderthalb Millionen Gulden Einkünfte zu verzehren, eine schwere Aufgabe, zumal in einem so wohlfeilen Lande, wo Dinge, die sonst als kostbare Leckereien gelten, für geringes Geld käuflich sind. Diese Schlaraffenherrlichkeit ist nun vorüber. Die Klostergüter sind eingezogen, das Inventar ist verkauft; der Staat, oder vielmehr die Harpyen, welche Portugal aussaugen, die Geldkönige in Israel und ihre christlichen Genossen, waren der geplünderten Kirche lachende Erben. Die Ordensgeistlichen leben jetzt von einer schmalen Pension in dem kleinen Städtchen, daß die guten Tage des Krummstabs nicht vergessen kann. Das Kloster aber selbst steht leer. Die Stadt Mafra ist durch dasselbe entstanden, hat mit ihm geblüht, leidet und welkt mit ihm, wie der Epheu, der sich um dem Baumstamm rankt. Was Wunder, daß man in der Gegend nur Bemerkungen des Zorns und des Schmerzes über die Veränderung der Dinge hört, über die leeren Stätten, über die leeren Seckel der heiligen Väter, deren Opulenz und Genußgier früher eine Quelle des Verdienstes und Erwerbs für Viele waren, und von deren Tafel täglich die Brosamen fielen, welche die Armuth sättigten. Ein dummes, verdummtes Volk hat nur Sinn für den Vortheil oder Genuß des Augenblicks. Staatseinrichtungen, die ihm solche nehmen, thun ihm wehe und es haßt sie, wären sie auch die weisesten. Den Segen, der in ihrem Gefolge zieht, sieht es nicht: denn Alles, was jenseits der Gegenwart liegt, ist seinem blöden Blicke verborgen. Daher hat die Fürstenregel Machiavell’s immer Stich gehalten:
Ziehe es aus! – doch, klug, schenk’ ihm das Hemdchen zurück.