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Das Hufeisen an der Nikolaikirche in Leipzig

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Autor: Widar Ziehnert
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Titel: Das Hufeisen an der Nikolaikirche in Leipzig
Untertitel:
aus: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. Band 2, S. 1–14
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1838
Verlag: Rudolph & Dieterici
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Erscheinungsort: Annaberg
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Originalherkunft:
Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
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[1]
1.
Das Hufeisen an der
Nikolaikirche

in
Leipzig.

[2] An der Morgenseite der Nikolaikirche in Leipzig ist ohngefähr eine Elle über der Erde ein Hufeisen zu sehen, in einer Nische mit Eisenstäben vergittert. Davon geht folgende Sage, welche in die Entstehungszeit Leipzigs fällt, und keine Spur von historischer Grundlage an sich trägt.




[3]

     Wo Leipzig, das schöne, jetzt pranget, da stand
     vor Zeiten von Linden ein schattiger Hain,
     und längst an dem Haine hinunter, da wand
     sich zickzack ein Dörfchen, gar ärmlich und klein,

5
von diesem seitweges, nach Morgen ein wenig,

erhob sich ein Schloß, drin wohnte der König.

     Der König zwar hatte nur kleines Gebiet,
     doch war er gewißlich ein glücklicher Mann,
     denn was er verlangte in seinem Gemüth,

10
     das hatte das Glück ihm zu Willen gethan.

Doch traue nur Jemand dem launischen Glücke,
es schmeichelt und heuchelt mit heimlicher Tücke!

     Wohl hatte der König ein stattliches Schloß,
     wohl auch einen Garten voll Rosen daran,

15
     wohl hatt’ er ein schönes arabisches Roß,

     wohl konnte er jagen auf waldigem Plan,
wohl konnte er fischen in Teichen und Flüssen,
wohl konnt’ er ermüden in lauter Genüssen.

[4]

     Wohl hatt’ er zur Tochter die lieblichste Maid,

20
     die Augen wie Azur, die Locken wie Gold,

     die Wangen wie Rosen, und weit wohl und breit
     war keine mehr wie die Prinzessin so hold,
und sittig und folgsam war Ankomarinde,
wohl hatte der König viel Freud’ an dem Kinde.

25
     Und doch war sein Antlitz vom Kummer gebleicht,

     sein Haupthaar von Sorgen zu zeitig gegraut,
     und doch war sein Nacken vom Grame gebeugt,
     die Wangen von Thränen des Jammers bethaut,
einschlief er des Nachts und erwachte am Morgen

30
und trug sich am Tage mit Thränen und Sorgen.


     „Was seufzt er zum öftern, was hilft mir das Schloß?
     Mir blüht nicht der Garten voll Rosen daran!
     Was nützt mir mein schönes arabisches Roß?
     Was Jagen und Fischen? Es ekelt mich an!

35
Mein Theil ist der Jammer, bis mir und den Meinen

wird in der Bedrängniß ein Retter erscheinen.“

     Ein scheußlicher Drache verheerte das Land,
     und würgte mit scharfem zermalmenden Zahn
     und verschlang, was er irgend Lebendiges fand,

40
     und keiner der Mannen sich wagte hinan,

denn es schien fast, als wollte mit Todtengebeinen
der Drache sein mooriges Lager umzäunen.

[5]

     Viel Kämpen, mit Kolben und Aexten bewehrt,
     schon zogen wohl gegen das Ungethüm aus,

45
     doch lebend war keiner noch wiedergekehrt,

     und keiner mehr wagt sich zum Kampfe hinaus,
denn furchtbar im Rachen des Lindwurms dräuen
der fletschenden Zähne scharfzackigte Reihen.

     Den Klumpen des Leibes, mit Schuppen bedeckt,

50
     schob walzend auf niedrigen Füßen sich fort,

     weiß glitzten die Weichen und blutig gefleckt,
     lang dehnte den Schlund das Gelüste nach Mord,
am Rücken noch saßen zwei rudernde Flügel,
krummschlang sich der Schweif wie ein stählerner Bügel.

55
     Und sicher, als wüßt’ er, daß Lanze und Speer

     nicht könnten durchdringen sein stählernes Kleid,
     kam täglich der Drache in’s Dörfchen daher,
     und brüllte – das schallte wie weit und wie breit! –
und schnaufte und schnappte begierig nach Beute,

60
und ängstlich entflohen zum Schlosse die Leute.


     „Herr König, ach helfet, ach schützet das Land,
     der Drach’ ist im Dorfe und brüllet und schnaubt!
     Herr König, ach schützt uns mit kräftiger Hand,
     bevor er die Heerden uns vollends noch raubt!

65
Herr König, Herr König, was sollen wir machen?

Wie mögen wir wehren dem greulichen Drachen?“

[6]

     Der König erwiedert mit jammerndem Sinn:
     „Ich kann euch nicht schützen mit kräftiger Hand!
     Gebt täglich zum Fraße zwei Schafe ihm hin,

70
     so wird er wohl nimmer so wüthen im Land!“

Dem Rathe des Königs gehorchen die Leute,
und jagen alltäglich zwei Schafe zur Weide.

     Der Drache erschnappet die Schafe geschwind,
     und bleibt dann ruhig und wüthet nicht mehr.

75
     Die Leute darüber voll Freuden wohl sind,

     doch bald ach! betrüget ihr Hoffen sie sehr;
Sie eilen zum Schlosse: „Ach guter Herr König,
bald leer sind die Ställe, und Schafe noch wenig!“

     „O König, Herr König, was fangen wir an?

80
     Die Schafe sind alle, die Ställe sind leer,

     und wüthend schon schnaufet der Drache heran,
     und haben wir Lämmer und Schafe nicht mehr!
Herr König, Herr König, was sollen wir machen?
Wie mögen wir wehren dem greulichen Drachen?“

85
     Der König erwiedert mit jammerndem Sinn:

     „Und sind denn die Ställe der Schafe schon leer,
     so gebet die Rosse und Rinder ihm hin,
     da wird er wohl schnauben und wüthen nicht mehr!“
Dem Rathe des Königs gehorchen die Leute,

90
und jagen die Rinder und Rosse zur Weide.


[7]

     Der Drache frißt täglich ein Roß oder Rind,
     und bleibet dann ruhig und wüthet nicht mehr.
     Die Leute darüber voll Freuden wohl sind,
     doch bald ach, betrüget ihr Hoffen sie sehr.

95
Sie eilen zum Schlosse: „Ach guter Herr König,

wir haben der Rinder und Rosse noch wenig!“

     Da weiß nicht der König wo ein mehr und aus:
     „Und haben wir Rosse und Rinder nicht mehr,
     so führt einen Menschen alltäglich hinaus,

100
     dann wird er nicht schnauben und wüthen so sehr!

Doch gilt hier der Rang nicht, ihr ehrlichen Leute,
Gott selber im Himmel durch’s Loosen entscheide!“

     Sie machen die Loose. Die guten sind weiß,
     das böse ist schwarz. Sie greifen hinein,

105
     wie zitternd der Jüngling, wie ruhig der Greiß!

     Das schwarze, wem wird es behalten wohl seyn? –
Da rufet der König dem einzigen Kinde:
„Jetzt loose, jetzt loose du, Ankomarinde!“

     „„Ach Vater, mein Vater, mir banget so sehr!

110
     Das schwarze, mir wird es behalten wohl seyn!““

     So klagt die Prinzessin, sie klagte wie schwer,
     und streckte ihr zitterndes Händchen hinein.
Das schwarze! – Sie schaudert, ihr schnürt es den Oden,
den König hinschmettert der Jammer zu Boden.

[8]
115
     „„Ach Vater! O Himmel! Mein Vater ist todt!

     Helft, Leute! Den König vernichtet der Schmerz! –
     O nicht doch! – Die Wange färbt wieder sich roth,
     und leise noch zucket im Busen das Herz.
Bezwinge, mein Vater, bezwinge den Kummer!

120
Man sagt ja, der Tod sey ein labender Schlummer!““ –


     Da raffte der König sich mählig empor,
     und schaute mit starrenden Blicken sich um,
     und zerrte das Schwert aus der Scheide hervor,
     und preßte den Arm um die Tochter herum:

125
„Hinaus jetzt, hinaus! und kämpfen und ringen,

ha, oder zwei Opfer statt eines ihm bringen!“

     Er schwankte verzweifelnd hinunter vor’s Schloß,
     kaum trugen die alternden Sehnen das Schwert,
     da sprengte ein Ritter auf schnaubendem Roß,

130
     mit Schwert und mit Lanze gar stattlich bewehrt,

dem König entgegen: „Ha, greiser Herr König,
das Schwert ist zu schwer und die Kraft ist zu wenig!“

     Der Ritter war stattlich und herrlich zu schaun,
     sein Harnisch von Silber mit Sternen geschmückt,

135
     die Feldbinde hellgrün, der Wappenrock braun,

     die Decke des Sattels mit Golde gestickt;
sein Auge schoß Blitze, sein Federbusch wehte
und kühlte der Wangen hochfeurige Röthe.

[9]

     „Herr König! so rief er mit freundlichem Wort,

140
     dem Greise das Scepter, dem Jüngling das Schwert!

     Was treibet, was jaget zum Kampfe euch fort?
     Was hat euch die zitternde Rechte bewehrt?
Sprecht, König, und führt ihr die Fehde mit Rechten,
so will ich gern euere Sache verfechten.“

145
     Da sinket dem König das Schwert aus der Hand,

     und er schaut auf den Ritter getrösteten Sinns:
     „Ja – ruft er – euch hat mir der Himmel gesandt!
     Ihr werdet mich retten vom blutigen Zins!“
Drauf gibt er getreulich mit jammerndem Munde

150
dem Ritter vom Drachen die traurige Kunde.


     Der Ritter Georg vergewissert ihn fest,
     er wolle versuchen den fährlichen Strauß,
     und schwinget kampflustig die Lanze und läßt
     sich führen zum Ende des Dörfchens hinaus.

155
Dort sieht er vom Haine herüber den Drachen

entgegen sich schnauben mit gähnendem Rachen.

     Wie fletscht er die Zähne, wie rollt er den Schweif,
     als wollt’ er sich schlingen um Ritter und Roß,
     wie wälzt er im furchtbar geschlängelten Reif

160
     mit zischender Zung’ auf den Ritter sich los.

Doch dieser weicht klüglich, und bohret behende
dem Drachen die Lanz’ in die schuppige Lende1).

[10]

     Wohl blutet der Drache, wohl brüllet er laut,
     doch drang nicht die Lanze in’s Leben ihm ein,

165
     wild schnaufet er, daß es dem Ritter drob graut,

     und bäumet und wälzt sich in’s Dörfchen hinein.
Der Ritter nicht ferne ihm immer zur Seite,
gibt weichend und beugend ihm drohend Geleite.

     Er lenket und zerret mit kräftiger Hand

170
     herüber, hinüber sein schäumendes Roß,

     da will es nicht weichen, und steht wie gebannt –
     es blutet am Hufe, das Eisen ist los!
Der Ritter gewahrt es mit bangem Erbleichen,
doch mag er nicht flüchten, doch mag er nicht weichen2).

175
     Er streichelt den Schimmel: „Du treuer Genoß,

     halt aus nur, halt aus in der gräßlichen Noth!“
     Da, bäumend vor Schmerzen, ermannt sich das Roß,
     als ob es erkenne den drohenden Tod,
und der Ritter, stets lauernd in weniger Weite,

180
sprengt weichend und beugend dem Drachen zur Seite.


     Und endlich gibt sich der Drache ihm blos.
     Jach spornet der Ritter sein bäumendes Pferd,
     und bohret mit raschem gewaltigen Stoß
     in des Drachen Gekröse sein spitziges Schwert,

185
und schlitzt ihm die Weichen. Da schloß sich der Rachen,

da zuckte zu Tode der Körper des Drachen3).

[11]

     Das schaute der König vom Schlosse herab,
     und eilte mit Ankomarinden herbei,
     die wogende Menge des Volkes umgab

190
     den Sieger mit Jauchzen und Freudengeschrei.

Wie zittert, wie weinet der König vor Freude,
wie jubeln, wie preisen den Ritter die Leute!

     Der König spricht freudig: „Herr Ritter, sagt an,
     was wollt ihr, o redet! was wollt ihr zum Lohn?

195
     Ihr habt uns das Größte, das Beste gethan!“

     Der Ritter erwiedert: „O schweiget davon!
Nicht hab’ ich’s gewaget, um Lohn zu empfangen,
ich that, was die Pflichten des Ritters verlangen.“

     Und ob auch der König die Krone ihm beut,

200
     der Ritter verweigert sich jeglichen Preis,

     und spricht: „Herr König, hoch bin ich erfreut,
     daß Ankomarinden gerettet ich weiß!
Doch wollt ihr zum Danke mir etwas verehren,
so mögt ihr den einzigen Wunsch mir gewähren.“

205
     „Betrachtet, Herr König, betrachtet mein Roß!

     Mich jammert das Thier, das getreue, so sehr,
     es blutet am Fuße, das Eisen ist los,
     o rufet mir doch euern Hufschmidt daher.
Der mag es verbinden und wieder beschlagen,

210
dann wird es getreulich noch fürder mich tragen.“


[12]

     Da rief die Prinzessin den Hufschmidt wohl schnell,
     der Hufschmidt gehorchte gar eilig dem Ruf,
     und brachte ein anderes Eisen zur Stell’,
     und verband und beschlug dann aufs Beste den Huf,

215
und als nun dem Rosse geholfen, da scheidet

der Ritter, vom Danke der Menge begleitet.

     Nachschaut’ ihm der König, und sagte alsdann
     zum Schmidt: „Such’ Hammer und Nägel hervor,
     und heft’ an die Linde das Eisen dort an,

220
     das im Kampfe das Roß von dem Hufe verlor,

und mach’ eine Blende, dem Roste zu wehren,
und männiglich soll es hoch halten in Ehren!“ –

* * *


     Prinzessin und König im Grabe tief hat
     verschlafen manch frohe, manch traurige Zeit,

225
     das Dörfchen ist worden zur prächtigen Stadt;

     das Hufeisen hat sich erhalten bis heut.
An der Nicolaskirche, da ist es zu sehen,
als Zeichen, daß Alles wahrhaftig geschehen.4)






[13]
Anmerkungen.

1) Diese erste Wunde soll der Drache erhalten haben auf dem jetzigen Thomaskirchhofe, wo noch jetzt der Ritter im Kampfe mit dem Drachen über der Thür eines Hauses gemalt zu sehen ist.

2) Das Hufeisen soll das Pferd verloren haben auf der jetzigen Ritterstraße, bei der Nikolaikirche, und soll auch diese Straße vom Ritter Georg den Namen erhalten haben.

3) Dies soll da geschehen seyn, wo jetzt das Georgenhaus steht, über dessen Thüre, der Ritter im Kampfe mit dem Drachen, in Stein gehauen, zu sehen ist. Auch das Georgenhaus soll den Namen von diesem Ritter Georg erhalten haben.

4) Ritter Georg, Sanct Georg, hat Inseln, Städten und Flüssen seinen Namen leihen müssen. Er soll ein Prinz aus Kappadocien gewesen, und nach der allgemeinen Legende einen Lindwurm bei der Stadt Silea in Lydien besiegt, und so eine Prinzessin vom Tode errettet und geheirathet haben. Viele wollen unter dem Lindwurm die Sarazenen, und unter der Prinzessin die Christengemeinde verstanden wissen. Die Kampfscene aber eignen sich viele Städte zu, vorzüglich Leipzig, wie wir gesehen haben. Von Leipzig soll der Ritter Georg sich nach Staupitz, sonst ein Dorf zwischen Leisnig und Döbeln begeben, und in Steinau bei Hartha sich ansäßig gemacht haben. Dort soll er einst, von Feinden auf den Spitzstein getrieben, Gott, wenn er davon käme, eine Kirche gelobt haben, und sodann herab von dem hohen Felsen zu Pferde in die Mulde gesprungen seyn, im Herabspringen aber einen Bogen Papier fliegen lassen, und als er gerettet war und denselben in der Gegend des jetzigen [14] Dorfes Nauenhayn bei Leisnig wiederfand, soll er die Kirche daselbst erbaut haben; daher auch sein Bildniß immer noch in dieser Kirche zu sehen ist. Unchronologisch genug läßt die Legende den vermeintlichen Bekämpfer der Sarazenen als Märtyrer in der Diocletianischen Christenverfolgung 303 enthauptet werden.