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Das Frühlingsfest in Ermatingen

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Textdaten
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Autor: Franz Wichmann
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Titel: Das Frühlingsfest in Ermatingen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 305, 308
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[305]

Aufzug des Groppenkönigs beim Frühlingsfest in Ermatingen.
Nach einer Originalzeichnung von M. Annen.

[308] Das Frühlingsfest in Ermatingen. (Zu den Bildern S. 305 und S. 308.) Wie im Sechse-Läuten zu Zürich, so hat sich auch am Bodensee in Ermatingens „Groppenfasnacht“, die alljährlich am Lätaresonntag gefeiert wird, der deutlich erkennbare Rest eines altgermanischen Frühlingsfestes erhalten. Wohl brennen auch in der übrigen Seegegend am sogenannten Funkensonntag die den Lenz begrüßenden Freudenfeuer, aber eine größere Festlichkeit, wie die heute von uns geschilderte, hat sich am Bodensee nur hier behauptet. Der lieblich am idyllischen Gestade des Untersees, dem lachenden Eiland der Reichenau gegenüber gelegene Marktflecken Ermatingen ist durch die Napoleonischen Erinnerungen seines Schlosses Arenenberg weit bekannt. Doch nicht nur das historische Interesse und die Schönheit seiner landschaftlichen Lage, die es jährlich Hunderte von Städtern zum Sommeraufenthalt wählen läßt, bedingen Ermatingens Bedeutung: es bildet zugleich in der ganzen Unterseegegend den Hauptplatz des Fischfangs und Fischhandels. Und eben diese Fischer – wie überall ein zähes und an alten Sitten hängendes Volk, das ausschließlich den unteren, „Staad“ genannten und am Wasser gelegenen Teil des Ortes bewohnt – sind es, welche die Feier der „Groppenfasnacht“, die erst allmählich Gemeingut des ganzen Marktes wurde, bis auf die Gegenwart aufrecht erhalten haben.

Noch heute spricht der Anwohner des Bodensees nicht von einer Fastnacht, sondern von einer Fasenacht und bekundet damit das hohe Alter der ursprünglich heidnischen Feier, die ihren Namen vom altdeutschen faseln, d. h. närrische Reden führen, ableitete. Was die Bezeichnung Groppenfasnacht betrifft, so hängt diese aufs engste mit dem Fischfang zusammen. Die Groppen sind eine Art kleiner, gefräßiger Raubfische, die, in dem moosigen Grund des seichten Untersees wohnend, nur hier bei Ermatingen zur Frühlingszeit gefangen werden. Das große Schleppnetz der Ermatinger liefert oft auf einen Zug eine Beute von 20000 Stück dieser schmackhaften Seebewohner, die lebend bis zu ihrem Ehrentage aufgespart werden, um dann, mit Salz bestreut und in Pfannen gebraten, als seltene Delikatesse verspeist zu werden. Daß dies Fischervolk an den Groppenfang seine Frühlingsfeier knüpfte, ist durchaus natürlich. Da der wenig tiefe Untersee fast jeden Winter zufriert und dadurch den Fischfang auf das geringste Maß beschränkt, so begrüßen die Fischer mit dem Fang der Groppen noch heute den Wiedereinzug des Lenzes, der ihre eigentliche Erwerbsquelle aufs neue erschließt. In dem maskierten Umzug, der gewöhnlich den Mittelpunkt des Festes bildet, spielt daher der Groppenkönig immer die Hauptrolle. Dieser, in Gestalt einer mächtigen Groppe, wurde auch bei dem diesjährigen Festzug wieder auf einem von Zwergen und Kobolden gezogenen Wagen durch die Hauptstraßen des Ortes geführt, eine Gruppe, die der Maler unseres anschaulichen und lebendigen Bildes auf Seite 305, in den Mittelpunkt seiner Darstellung gerückt hat. Im Gegensatz zu dieser Figur, die den Frühling sinnbildlich darstellt, ward früher auch der überwundene Winter durch eine Strohpuppe symbolisiert, welche bei Ankunft des Zuges am Ufer unter allgemeinem Jubel in den See geworfen wurde.

Die Hinrichtungsscene beim Frühlingsfest in Ermatingen.

Diesmal war an die Stelle des kalten Unholds ein prosaischer Räuberhauptmann getreten, der mit seiner Bande in die Häuser drang und wie der wirkliche Winter den Leuten allerlei Schabernack spielte. Seinem Charakter entsprechend endete er, nicht wie der Winter bei der Züricher Frühlingsfeier in lodernden Flammen, sondern am Galgen. Bei der dem Charakter eines Mummenschanzes entsprechenden humoristischen Färbung der Scene, die unser obenstehendes Bild wiedergiebt, fehlte auf dem am See errichteten Schafott natürlich auch der rote Seewein nicht, ohne den es die Thurgauer einmal nicht thun und der den Richtern bei ihrer schweren Arbeit sichtlich mundete. Der Ertrag des Herbstes ist überhaupt jeweilig maßgebend für den Umfang der Feier, und in diesem Jahre, dem die Reben am Untersee einen reichlichen und süßen Tropfen lieferten, hatte man keine Kosten gespart, den Umzug glänzend zu gestalten. Während im Jahre 1894 der Festzug in zahlreichen historischen Gruppen die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte von Ermatingen darstellte, spielte heuer wieder die politische Satire eine Rolle und waren die Italiener wie König Menelik von Abessinien mit seinen schwarzen Scharen in prächtigen Reitergestalten vertreten. Wie gewöhnlich hatte das in der ganzen Thurgauischen Seegegend beliebteste Volksfest Tausende von Zuschauern aus nah’ und fern herbeigezogen, die erst am späten Abend mit Extrazügen und Dampfern, oder zu Fuß über den waldigen Seerücken wieder in ihre Heimat pilgerten. Franz Wichmann.