Das Ehrengeschenk an Sir Moses Montefiore
Als das plötzliche Verschwinden eines Franciskanermönchs, des Pater Thomas, in der fanatischen Stadt Damaskus einige Juden des Mordes verdächtig gemacht hatte und die türkische Justiz mit der dort gewöhnlichen Barbarei gegen die Angeschuldigten einschritt, nahm unter vielen Andern auch der reiche Engländer Sir Moses Montefiore sich seiner Glaubengenossen an und reiste im Jahr 1840 mit dem Advocaten Cremieux aus Paris, ebenfalls einem Israeliten, nach Constantinopel, Damaskus und Alexandrien, um an Ort und Stelle, bei Mehemed Ali, als dem bisherigen Beherrscher von Syrien und beim Sultan, dem diese Provinz kurz darauf wieder unterworfen wurde, ihre Vertheidigung zu führen. Sein großer Reichthum, sein geachteter Name und die menschenfreundliche Absicht, welche seine Schritte leitete, sicherten ihm ein vollständiges Gelingen. Der jugendliche Sultan Abdul Medschid gewährte ihm eine Audienz und bewilligte ihm einen Ferman[WS 1], der alle von Mehemed Ali’s Beamten angeordneten Maßregeln aufhob, die Angeklagten für schuldlos erklärte und den Juden dieselben Rechte zusicherte, deren andere Religionsparteien unter türkischer Herrschaft genießen. Mehemed Ali ließ die angeschuldigten Juden in ihre ihm fernerhin nicht mehr unterworfene Vaterstadt zurückkehren und in dem soeben erst durch englische Waffen eroberten Syrien beugte sich selbst der Fanatismus vor dem Vertreter der europäischen Civilisation. Als Sir Moses Montefiore von seiner in der uneigennützigsten Absicht unternommenen Reise zurückkehrte, beschlossen seine Freunde und Verehrer, ihm ihre Anerkennung seiner edeln Gesinnungen auszudrücken und ihm zu diesem Zweck ein Ehrengeschenk zu widmen, welches, durch freiwillige Beiträge zu Stande gebracht, der Veranlassung entspräche und seiner Verdienste würdig wäre.
So entstand das prachtvolle Kunstwerk, von dem wir unsern Lesern in der hier folgenden Illustration eine
Abbildung geben. Es ist eine Art Denkmal, blos zur Zierde und ohne Gebrauchszweck, von 31/2 Fuß Höhe und 1319 Unzen Silber an Gewicht. Sir G. Hayter entwarf die Zeichnung dazu; E. Bailie führte die Sculpturarbeiten aus und die Hrn. Mortimer und Hunt besorgten den Guß. Das Ganze ruht auf einem breiten, viereckigen Fußgestell; der Haupttheil ist ebenfalls vierseitig und oben auf demselben befindet sich eine Darstellung der biblischen Erzählung im 17. Capitel des ersten Buchs Samuels, wie David dem Rachen eines Löwen ein Lamm entreißt, als Sinnbild der Ueberwältigung von Gewaltbedrückung und der Befreiung der Unschuld durch Sir Moses Montefiore. Der Haupttheil, von dem die Illustration zwei Seiten und drei Ecken zeigt, hat auf jeder Seite ein Basrelief und an jeder Ecke eine Figur. Das erste Basrelief auf der in der Illustration sichtbaren rechten Seite stellt Sir Moses Montefiore’s Landung in Egypten dar. Im Boote befinden sich seine Gemahlin, Dr. Loewe, Dr. Madden und Hr. Wire. Das nächstfolgende zweite Basrelief auf der Rückseite enthält
eine Darstellung der Audienz beim Sultan in Constantinopel und der Bewilligung des Fermans. Das dem folgende dritte Basrelief, ebenfalls auf der Rückseite, zeigt die Befreiung der Gefangenen in Damaskus, die sich dankend Sir Moses Montefiore zu Füßen werfen, während er in seiner Uniform als Vicelieutenant einer englischen Grafschaft dasteht und gen Himmel weist, dem ihr Dank gebühre. Das vierte Basrelief auf der in der Illustration sichtbaren linken Seite bedeutet die öffentliche Danksagung nach seiner Rückkehr an der Bundeslade der Synagoge in Bevis Marks zu London. Die vier Figuren an den Ecken sind in rauhem Silber vortrefflich gearbeitet. Die vorderste Figur in der Mitte der Illustration ist Moses mit den Gesetztafeln. Rechts von ihm befindet sich Esra, in einer Pergamentrolle lesend, auf welcher der 21. Vers des 8. Capitels aus seinem Buch in der Bibel geschrieben steht. Wie diese Figuren die beiden Hauptbefreier des jüdischen Volks, so stellen die beiden andern Figuren zweimal die Juden in Damaskus dar. Der eine, auf der nicht sichtbaren Seite
des Aufsatzes, erscheint an Ketten gefesselt, mit bloßem Kopf und bloßen Füßen, tiefes Elend in den Mienen; ein zweiter, links von Moses, auf den Knieen Gott für die Befreiung dankend, die Fesseln gebrochen zur Seite. Unter den Figuren stehen Verse in hebräischer Sprache, die Bezug darauf haben. Das Laubwerk des Feigenbaums und des Weinstocks, welches jede dieser Figuren überschattet, giebt dem Ganzen einen sehr reichen und ungemein zarten Ausdruck. An den vier Seiten der Grundlage befinden sich ebenfalls vier Darstellungen. Die erste besteht aus einer passenden Inschrift unter Sir Moses Montefiore’s [46] Wappen, das in erhabener Arbeit und mit den beiden Schildhaltern des Königlichen Wappens dargestellt ist, die zu führen die Königin Sir Moses zur Belohnung der Dienste, welche er in diesem Fall der Sache der Humanität und der Religionsfreiheit geleistet, das Recht verliehen. Auf der entgegengesetzten Seite sieht man in der zweiten Darstellung den Durchgang der Juden durchs rothe Meer und wie ihre egyptischen Bedrücker durch Moses Vermittelung
den Untergang finden. Die dritte Darstellung bezeichnet den in der Welt herrschenden Zustand gesetzloser Willkür durch Löwen und Wölfe, die Lämmer verschlingen. Auf der vierten, dieser Darstellung entgegengesetzten Seite bedeutet das Zusammenleben der verschiedenen Thierarten,
wie Jesaias es beschrieben, einen Zustand der Eintracht, der Sicherheit und des Glücks. Das Ganze wird von Sphinxen getragen: eine Hinweisung auf das Land Egypten, wo Israel so lange in Knechtschaft gehalten wurde. Es ist ein Werk, welches der englischen Kunst zur hohen Ehre gereicht, das merkwürdige Ereigniß, worauf es Bezug hat, in passender Weise im Andenken erhält, und für den glorreichen Vertreter Israels, dem es gewidmet worden, eine würdige Huldigung bildet.
Die Ueberreichung dieses Ehrengeschenks geschah am 27. März, in Sir Moses Montefiore’s Wohnung in Parklane durch eine Deputation, an deren Spitze sich Hr. de Castro als Vorsitzender des zu diesem Zweck zusammengetretenen Vereins befand, und war von folgender Adresse begleitet:
„Sehr verehrter Herr! Wir haben lange dem jetzigen Augenblick als einer hohen und ehrenvollen Genugthuung entgegengesehen, wenn wir von Seiten der israelitischen Gemeinde kommen würden, Ihnen dieses Zeichen ihrer Dankbarkeit und Hochachtung darzubringen. Die Dienste, welche Sie zu einer Zeit der Aufregung und Verfolgung unter einem fremden Himmel der Religion und der Menschheit geleistet, waren von einer Art, wie sie selten erforderlich werden. Der Bereitwilligkeit, dem Muth und dem Eifer, womit Sie diese Angelegenheit aufnahmen, kam nur die Uneigennützigkeit, die Umsicht und die Entschiedenheit gleich, die Sie bei der Vollführung des Zweckes, welchen Sie im Auge hatten, bewiesen: Rückgabe der Freiheit an die Bedrückten und vollständige Widerlegung der niedrigen Verleumdungen, die gegen unsern Glauben aufgebracht worden waren. Mit Hülfe einer gütigen Vorsehung sind diese beiden Hauptzwecke erreicht worden. Die herzlichen Danksagungen der entlassenen Gefangenen erklären Sie führ ihren Befreier. Der Ferman des Sultans verneint jene Verleumdungen, deren unglückliche Opfer sie gewesen. Von Ihnen und von Ihrer liebenswürdigen Gemahlin, der Theilnehmerin Ihrer Mühen und Gefahren, läßt sich mit Recht sagen, daß Ihre Dienste Thaten des Herzens waren, Werke, die vor allen andern am meisten Auszeichnung und Belohnung verdienen. Mögen Sie stets frohe Botschaften für Zion haben und lange leben, um Ihre wachsame Sorgfalt für Alle, die Ihres Trostes und Ihrer Unterstützung bedürfen, fortzusetzen. Wie freudig werden Ihre leidenden Brüder in Jerusalem den neuesten Beweis Ihrer Großmuth empfangen: die Begründung einer Apotheke für die Armen unseres Glaubens, die jetzt das Land unserer Väter bewohnen. Im Namen des jüdischen Volks überreichen wir Ihnen dieses Anerkenntniß Ihrer großen und erfolgreichen Bemühungen, in der Hoffnung, daß der Segen unseres himmlischen Vaters Ihnen und Ihrer Gemahlin viele, viele glückliche Jahre schenke, es zu betrachten und zu genießen.“
Sir Moses Montefiore beantwortete diese Adresse auf eine angemessene Weise und gab dann den Deputirten nebst einigen Anverwandten und Freunden ein glänzendes Festmahl, an dem 32 Gäste und unter diesen seine Reisegefährten: David Williams Wire, Esq. und Dr. Loewe Theil nahmen.