Damenmode
Damenmode! Du gräßliches kapitel kulturgeschichte! Du erzählst von der menschheit geheimen lüsten. Wenn man in deinen seiten blättert, erbebt die seele angesichts der fürchterlichen verirrungen und unerhörten laster. Man vernimmt das wimmern mißbrauchter kinder, das gekreisch mißhandelter weiber, den ungeheuren aufschrei gefolterter menschen, das geheul derer, die auf dem scheiterhaufen starben. Peitschenhiebe klatschen, und die luft bekommt den brenzlichen geruch gebratenen menschenfleisches. La bête humaine …
Nein, der mensch ist keine bestie. Die bestie liebt, liebt einfach und wie es die natur eingerichtet hat. Der mensch aber mißhandelt seine natur und dadurch den eros in sich. Wir sind bestien, die man in ställe gesperrt hat, bestien, denen die natürliche nahrung vorenthalten wird, bestien, die auf befehl lieben müssen. Wir sind haustiere.
Wäre der mensch bestie geblieben, dann wäre einmal im jahre die liebe in sein herz gezogen. Aber die mühsam zurückgehaltene sinnlichkeit macht uns jederzeit zur liebe tauglich. Um den lenz wurden wir betrogen. Und unsere sinnlichkeit ist nicht einfach, sondern kompliziert, nicht natürlich, sondern widernatürlich.
Diese unnatürliche sinnlichkeit kommt in jedem jahrhunderte, ja in jedem jahrzehnte in anderer weise zum ausbruche. Sie liegt in der luft und wirkt ansteckend. Bald verbreitet sie sich gleich einer pest, die man nicht verbergen kann, bald schleicht sie durch das land gleich einer geheimen seuche, und die menschen, die von ihr befallen sind, wissen sie vor einander zu verbergen. Bald [158] ziehen die flagellanten durch die welt und die brennenden scheiterhaufen werden zum volksfest, bald zieht sich die lust in die geheimsten falten der seele zurück. Aber wie dem auch sei: marquis de Sade, der kulminationspunkt der sinnlichkeit seiner zeit, dessen geist die grandiosesten martern ersann, deren unsere phantasie fähig ist, und das liebe, blasse mädchen, dessen herz freier aufatmet, nachdem es den floh geknickt hat, sie sind eines stammes.
Das edle am weibe kennt nur die eine sehnsucht: sich neben dem großen, starken manne zu behaupten. Diese sehnsucht kann gegenwärtig nur in erfüllung gehen, wenn das weib die liebe des mannes erringt. Die liebe macht ihr den mann untertan. Diese liebe ist nicht natürlich. Wäre es so, würde sich das weib dem manne nackt nähern. Das nackte weib aber ist für den mann reizlos. Es kann wohl die liebe des mannes entflammen, nicht aber erhalten.
Man wird euch erzählt haben, daß die schamhaftigkeit dem weibe das feigenblatt aufgenötigt hat. Welcher irrtum! Die schamhaftigkeit, dieses mühsam und mit raffinierter kultur konstruierte gefühl, war dem urmenschen fremd. Das weib bekleidete sich, es wurde für den mann zum rätsel, um ihm die sehnsucht nach der lösung ins herz zu senken.
Die erweckung der liebe ist die einzige waffe, die das weib im kampfe der geschlechter gegenwärtig besitzt. Die liebe aber ist eine tochter der begierde. Die begierde und den wunsch des mannes zu erregen, ist des weibes hoffnung. Der mann kann das weib durch die stellung, die er sich in der menschlichen gesellschaft errungen hat, beherrschen. Ihn beseelt der drang nach vornehmheit, den er auch in seiner kleidung zum ausdrucke bringt.
[159] Jeder raseur möchte wie ein graf aussehen. In der ehe erhält die frau durch den mann ihre soziale marke, gleichviel ob sie kokotte oder fürstin gewesen ist. Ihre stellung geht vollständig verloren.
Das weib ist daher gezwungen, durch seine kleidung an die sinnlichkeit des mannes zu appellieren, unbewußt an seine krankhafte sinnlichkeit, für die man nur die kultur seiner zeit verantwortlich machen kann.
Während also die veränderung in der männerkleidung in der art bewirkt wird, daß die großen massen in ihrem drange nach vornehmheit nachstürzen und auf diese weise die ursprünglich vornehme form entwerten, die wirklich vornehmen – oder, besser: die, die von der menge für vornehme gehalten werden – sich nun aber nach einer neuen form umsehen müssen, um sich zu unterscheiden, wird der wechsel in der frauenkleidung nur von dem wechsel der sinnlichkeit diktiert.
Und die sinnlichkeit wechselt stetig. Gewisse verirrungen häufen sich gewöhnlich in einer zeit, um dann wieder anderen platz zu machen. Die verurteilungen nach den paragraphen 125 bis 133 unseres strafgesetzes sind das verläßlichste modejournal. Ich will nicht weit zurückgreifen. Ende der siebziger und anfang der achtziger jahre strotzte die literatur jener richtung, die durch ihre realistische aufrichtigkeit zu wirken suchte, von beschreibungen üppiger frauenschönheit und flagellationsszenen. Ich erinnere nur an Sacher-Masoch, Catulle Mendès, Armand Silvestre. Bald darauf wurde volle üppigkeit, reife weiblichkeit durch die kleidung scharf zum ausdrucke gebracht. Wer sie nicht besaß, mußte sie vortäuschen: le cul de Paris. Dann trat die reaktion ein. Der ruf nach jugend erscholl. Das weibkind kam in [160] mode. Man lechzte nach unreife. Die psyche des mädchens wurde ergründet und besungen. Peter Altenberg. Die Barrisons tanzten auf der bühne und in der seele des mannes. Da verschwand aus der kleidung der frau, was weiblich ist. Sie log sich ihre hüften hinweg, starke formen, früher ihr stolz, wurden ihr unbequem. Der kopf erhielt durch die frisur und durch die großen ärmel den ausdruck des kindlichen. Aber auch diese zeiten sind vorüber. Man wird mir einwenden, daß sich gerade jetzt die schwurgerichtsverhandlungen über verbrechen an kindern in der erschreckendsten weise mehren. Gewiß. Das ist der beste beweis, daß sie aus den höheren kreisen verschwinden und nun ihre wanderschaft nach unten antreten. Denn der großen masse stehen nicht die mittel zu gebote, sich aus jener schwüle hinauszuretten.
Ein großer, konstanter zug ging allerdings durch dieses jahrhundert. Das werden wirkte stets stärker als das gewordene. Der frühling wurde in diesem säkulum zur bevorzugten jahreszeit. Die blumenmaler früherer zeiten haben niemals knospen gemalt. Die professionellen schönheiten am hofe der französischen könige erreichten ihre vollste blüte erst mit dem vierzigsten jahre. Aber heute hat sich auch für jene männer, die sich für vollständig normal halten, dieser zeitpunkt in der entwicklung des weibes um zwanzig jahre verschoben. Jede frau wählt daher formen, die alle merkmale der jugend tragen. Ein beweis: lege die photographien aus den letzten zwanzig jahren einer frau nebeneinander. Sie wird ausrufen: „Wie alt habe ich vor zwanzig jahren ausgesehen!“ Und auch du wirst zugeben müssen: auf dem letzten bilde erscheint sie am jüngsten.
Wie ich schon bemerkt habe, gibt es auch parallelströmungen. [161] Die wichtigste, deren ende noch gar nicht abzusehen ist, dabei die stärkste, weil sie von England ausgeht, ist jene richtung, die das raffinierte Hellas erfand – die liebe Platos: das weib sei dem manne nur ein guter kamerad. Auch dieser strömung wurde rechnung getragen und sie führte zur schaffung des tailor made-costume, des vom herrenschneider gemachten kleides. In jener gesellschaftsschichte aber, in der auch bei der frau auf vornehme herkunft gesehen wird, im hochadel, wo die abstammung der frau noch nach generationen mitspricht, kann man eine emanzipation von der herrschenden damenmode bemerken, indem dort dem zuge auch nach äußerer vornehmheit gehuldigt wird. Die leute können sich dann nicht genug über die in der aristokratie herrschende einfachheit wundern.
Aus dem gesagten geht hervor, daß die führung in der herrenkleidung der mann inne hat, der die höchste soziale position einnimmt, die führung in der damenmode aber jene frau besitzt, die für die erweckung der sinnlichkeit das meiste feingefühl entwickeln muß, die kokotte.
Die kleidung der frau unterscheidet sich äußerlich von der des mannes durch die bevorzugung ornamentaler und farbiger wirkungen und durch den langen rock, der die beine vollständig bedeckt. Diese beiden momente zeigen uns, daß die frau in den letzten jahrhunderten stark in der entwicklung zurückgeblieben ist. Keine kulturperiode kannte einen so großen unterschied zwischen der kleidung des freien mannes und der des freien weibes wie die unsrige. Auch der mann trug in früheren epochen kleider, die farbig und reich geschmückt waren und deren saum bis zum erdboden reichte. Die grandiose entwicklung, die unserer kultur in diesem jahrhunderte [162] zu teil wurde, hat das ornament glücklich überwunden. Ich muß mich hier wiederholen.*)[1] Je tiefer die kultur, desto stärker tritt das ornament auf. Das ornament ist etwas, was überwunden werden muß. Der papua und der verbrecher ornamentieren ihre haut. Der indianer bedeckt sein ruder und sein boot über und über mit ornamenten. Aber das bicycle und die dampfmaschine sind ornamentfrei. Die fortschreitende kultur scheidet objekt für objekt vom ornamentiertwerden aus.
Männer, die ihr verhältnis zu vorhergehenden epochen betonen wollen, kleiden sich heute noch in gold, samt und seide: die magnaten und der klerus. Männer, denen man eine moderne errungenschaft, die selbstbestimmung, vorenthalten will, kleidet man in gold, samt und seide: lakaien und minister. Und der monarch hüllt sich bei besonderen gelegenheiten in hermelin und purpur, ob es nun seinem geschmacke entspricht oder nicht: als erster diener des staates. Auch beim soldaten wird durch farbige und goldstrotzende uniformen das gefühl der hörigkeit erhöht.
Das lange, bis zu den knöcheln reichende gewand ist das gemeinsame abzeichen derer, die nicht körperlich arbeiten. Als körperliche und erwerbende tätigkeit noch unvereinbar war mit freier, adeliger abkunft, trug der herr das lange kleid, der knecht die hose. So ist es heute noch in China: mandarin und kuli. So betont bei uns der klerus seine nicht auf den erwerb gerichtete tätigkeit durch die soutane. Wohl hat der mann der obersten gesellschaftsschichten sich das recht auf freie arbeit erworben, bei festlichen anlässen trägt er aber noch immer [163] ein kleidungsstück, das bis zu den knien reicht, den gehrock.*)[2]
Der frau aus diesen kreisen wird eine reine erwerbstätigkeit noch nicht zugestanden. In den schichten, in denen sie das recht auf erwerb erlangte, trägt sie auch die hose. Man denke an die kohlengräberin in den belgischen schichten, an die sennerin der alpen, an die crevettenfischerin der nordsee.
Auch der mann mußte für das recht des hosentragens kämpfen. Das reiten, eine tätigkeit, die nur körperliche ausbildung, aber keinen materiellen gewinn erzielt, war die erste etappe. Dem blühenden, reitfreudigen rittertum des dreizehnten jahrhunderts haben die männer die fußfreie kleidung zu danken. Diese errungenschaft konnte ihnen das sechzehnte jahrhundert, in dem das reiten aus der mode kam, nicht mehr rauben. Die frau hat erst in den letzten fünfzig jahren das recht der körperlichen ausbildung erlangt. Ein analoger vorgang: wie im dreizehnten jahrhundert dem reiter, wird im zwanzigsten jahrhundert der radfahrerin das zugeständnis der fußfreien kleidung und der hose gemacht. Und damit ist der erste schritt zur gesellschaftlichen sanktion der frauenarbeit getan.
Das edle am weibe kennt nur die eine sehnsucht, sich neben dem großen, starken manne zu behaupten. Diese sehnsucht kann gegenwärtig nur erfüllt werden, wenn das weib die liebe des mannes erringt. Aber wir gehen einer neuen, größeren zeit entgegen. Nicht mehr die [164] durch den appell an die sinnlichkeit, sondern die durch arbeit erworbene wirtschaftliche unabhängigkeit der frau wird eine gleichstellung mit dem manne hervorrufen. Wert oder unwert der frau werden nicht im wechsel der sinnlichkeit fallen oder steigen. Dann wird die wirkung von samt und seide, blumen und bändern, federn und farben versagen. Sie werden verschwinden.[H 1]
Anmerkungen
- ↑ *) Siehe s. 65 dieses buches.
- ↑ *) In England wird bei audienzen der königin, bei der Parlamentseröffnung, bei hochzeiten usw. der gehrock getragen, während man in den rückständigen staaten den frack bei den erwähnten anlässen auch am tage trägt.
Anmerkungen (H)
- ↑ Der artikel ist hier gekürzt. Er bespricht auch noch den inhalt anderer zeitschriften. Aus diesen sind abbildungen entnommen, von denen zwei hier auf einer bildtafel wiedergegeben sind, da der schmuck von Lalique kaum mehr bekannt sein dürfte. Ein zweiter teil der „kunstgewerblichen rundschau“ erschien in heft 48 derselben zeitschrift, s. 793; er ist in der ersten auflage von „ins leere gesprochen“, gleichfalls gekürzt, wieder gedruckt worden, blieb aber in der zweiten auflage weg.