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Brodlose Kunst

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Johann Peter Hebel
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Titel: Brodlose Kunst
Untertitel:
aus: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes
S. 139-140
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum: 1803-1811
Erscheinungsdatum: 1811
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: Tübingen
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
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Quelle: ULB Düsseldorf und Djvu auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[139]
Brodlose Kunst.

In der Stadt Achen ist eine Fabrike, in welcher nichts als Nähnadeln gemacht werden. Das ist keine brodlose Kunst. Denn es werden in jeder [Woche][1] zweihundert Pfund Nadeln verfertigt, von denen 5000 Stück auf ein Pfund gehen, Facit: Eine Million, und der Meister Schneider und die Näherinn und jede Hausmutter weiß wohl, wie viel man für einen Kreutzer bekommt, und es ist nicht schwer, auszurechnen, wie viel Geld an den Aachner Nadeln in der Fabrike selbst und durch den Handel jährlich verdient und gewonnen wird. Das Werk geht durch Maschinen, und die meisten Arbeiter sind Kinder von 8-10 Jahren.

Ein Fremder besichtigte einst diese Arbeiten, und wunderte sich, daß es möglich sey, in die allerfeinsten Nadeln mit einem noch feineren Instrument ein Loch zu stechen, durch welches nur der allerfeinste, fast unsichtbare Faden kann gezogen werden.

Aber ein Mägdlein, welchem der Fremde eben zuschaute, zog sich hierauf ein langes Haar aus dem Kopfe, stach mit einer der feinsten Nadeln eine Oeffnung dadurch, nahm das eine Ende des Haares, bog es um, und zog es durch die Oeffnung zu einer artigen Schleife.

Das war so brodlos eben auch nicht. Denn das Mägdlein bot dieses künstlich geschlungene Haar dem Fremden zum Andenken und bekam dafür ein artiges [140] Geschenk, und das wird mehr als einmal im Jahr geschehen seyn. Solch ein kleiner Nebenverdienst ist einem fleißigen Kinde wohl zu gönnen.

Aber während ehrliche Eltern und Kinder aller Orten etwas Nützliches arbeiten und ihr Brod mit Ehren verdienen, und mit gutem Gewissen essen, zog zu seiner Zeit ein Tagdieb durch die Welt, der sich in der Kunst geübt hatte, in einer ziemlich großen Entfernung durch ein Nadelöhr kleine Linsen zu werfen. Das war eine brodlose Kunst. Doch lief es auch nicht ganz leer ab. Denn als der Linsenschütz unter anderm nach Rom kam, ließ er sich auch vor dem Papst sehen, der sonst ein großer Freund von seltsamen Künsten war, hoffte ein hübsches Stück Geld von ihm zu bekommen, und machte schon ein paar wunderliche Augen, als der Schatzmeister des heiligen Vaters mit einem Säcklein auf ihn zugieng, und bückte sich entsetzlich tief, als ihm der Schatzmeister das ganze Säcklein anbot.

Allein was war darin? Ein halber Becher Linsen, die ihm der weise Papst, zur Belohnung und Aufmunterung seines Fleißes, übermachen ließ, damit er sich seiner Kunst noch ferner üben und immer größere Fortschritte darin machen könnte.

  1. Anmerkung Wikisource: vgl. Erstdruck in Der Rheinländische Hausfreund (1808), Faksimiledruck der Jahrgänge 1808-1815 und 1819, Hrsg. Ludwig Rohner, Athenaion 1981, S. 38 books.google.