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Briefe über das neue Theater

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Textdaten
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Autor: Achim von Arnim und Clemens Brentano.
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Titel: Briefe über das neue Theater
Untertitel:
aus: Wünschelruthe – Ein Zeitblatt. Nr. 23, S. 89/90; Nr. 24, S. 92/93; Nr. 25, 97/98 ; Nr. 26, S. 101/102 ; Nr. 27, S. 105/106; Nr. 28, 109/110; Nr. 31 S. 123 ; Nr. 32 S. 128; Nr 34 S. 134/135.
Herausgeber: Heinrich Straube und Johann Peter von Hornthal
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1818
Verlag: Vandenhoeck und Ruprecht
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Erscheinungsort: Göttingen
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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Briefe über das neue Theater.




Erster Brief. Der Direktor an den Poeten.

Schreiben Sie mir im Ernst, ich sollte eins der beyden Stücke des Calderon, deren Uebersetzung ich Ihnen hiebey ohne Dank zurücksende, zur Einweihung unsres neuen Theaters aufführen? Herr Poet, Sie rasen und Serenissimus ließe mich auch ins Tollhaus bringen - und das mit Recht. Gestern Abend bat ich unsre Psyche, mir etwas daraus vorzulesen, das giebt mir gleich einen bestimmteren Eindruck und ich kann nebenher dabey essen. Der dicke pockennarbige beschnittene Amant hatte trefliche Austern angeschafft und einen guten Eilfer für uns Elfen, aber dafür mußte er auch dabey sitzen und mit hören, was unsre Psyche ein wenig zerstreute. Denn einmal knarrt er immer mit seinen glänzenden Stiefeln, zweitens streift er immer über sein neues englisches Hosenzeug, wovon er gewiß andern so schlecht zugemessen hat, daß es ihm nichts kostet, dann zieht er alle Augenblicke die Uhr mit den unzähligen Pettschaften heraus und endlich klappert er unausstehlich mit den Geldstücken in der Westentasche und zählt sie heimlich durch, ob ihm auch keines gestohlen ist. Und wenn er noch alles an sich fand, wie er es verlassen hatte, so lächelte er so wohlgefällig, daß Psyche es lange für Beyfall hielt und mit großer Anstrengung fortlas. Aber unser schönes Kind wäre fast an den Versen gestickt, besonders bey der unendlichen spanischen Dialektik, die ganz ernsthaft Blume und Besen vergleichen könnte und alle Silben und Worte rückwärts und vorwärts combinirt. Was sie da für Tonreihen aus allen ihren guten Rollen aufgeboten hat ist schwer nachzumachen, bald hörte ich Gurli, bald die Jungfrau, und doch konnte sie keine Art Empfindung hineinlegen, keine dramatische Gestalt herausbringen. Das war eine Hexelschneiderei, der Amant zog das Maul bis an die Ohren, und wollte sich todt lachen, ich wollte mein Buch in Ehren erhalten und machte ihn auf die Schönheit der Anlage aufmerksam, dabey trank ich in der Verlegenheit eine Flasche bis auf den Grund aus. Lag es an Psyche, an uns, oder am Stück, daß wir nicht recht weit kamen? Freilich der Amant blinzelte so verliebt aus den Affenaugen, daß Psyche mir geradeaus erklärte, wenn sie morgen die Jungfrau spielen solle, so dürfe sie nicht mehr die Verse lesen, sie bekomme davon einen rauhen Hals. Sie werden dabey an den Bauer denken, der beym Pflügen nicht wollte auf Hochdeutsch nach dem Weg gefragt seyn, weil das seine Pferde scheu mache, aber so eigensinnig ist die Praxis, was ihr Poeten für höchsten Wohlklang ausgebt, zerschneidet oft dem Deklamator die Kehle. Mit dem halben Stücke im Kopf, ging ich von Psyche fort zum Kapellmeister, den ich schon vor dem Hause auf seinem Flügel phantasieren und dazu mit dem Munde trompeten hörte. Er nahm mein Anerbiethen mit ihm den Calderon zu lesen sehr hoch auf und versicherte, noch ehe er ihn gelesen, daß er ihn ganz in Musik setzen wolle, dabey kam er aber wieder ins Phantasieren, schlug seine Blicke gen Himmel auf und nuselte zum Erbarmen auf dem Fortepiano. Ihr Poeten wäret recht glücklich wenn ihr euer leeres Gefasel so leicht wie die Musiker mit ein Bischen Wohllaut gut machen könntet, aber euch sieht ein vernünftiger Mann gleich ins Herz, ob da Apollo hineinstrahlte oder ein Sparlämpchen aus geborgtem Oehl. Bey diesem Geklimper fing der Puthahn, den er unter seinem Fortepiano zum Mästen eingegittert hält, zu träumen an und kullerte bis sein Meister und Mäster versicherte, für den Frevel müsse er morgen [90] sterben, auch sey er fett und übermorgen sollten ich und Sie und vielleicht noch ein Paar ihn bey ihm essen, ich möchte es Ihnen schreiben. Ich nahm es für uns beyde an, aber da muß ich vorher fragen, ob Sie noch fromm sind, oder ob meine bittre Magenessenz die Trüffelpastete in Ihnen und ihre Leber, die mit der Gänseleber simpathisirt, kurirt hat? Sie müssen wieder sündigen, ich kann ohne Sie nicht lustig seyn, ich meine ohne Ihren Gegensatz. Der Meister wird selbst kochen, es wird delikat. Musengünstling, schmieren Sie eine Art Apotheose auf den Puthahn, wie er lange von der Musik zum Opfertode vorbereitet, endlich unter Abrahams Messer fällt. Nehmen Sie den Abraham auf Moria zum Vorbild, so haben wir das musikalische Ingredienz und erheben Sie nur bey jeder Gelegenheit des Meisters Musik zum Himmel, so rückt er alle seine guten Weine nach der Reihe heraus, der Puthahn muß sich freuen den Magen eines solchen Musikers zu begeistern. Es giebt vielleicht noch mehr Spas an dem Tage, ich schreibe Ihnen noch davon, Psyche muß kommen und der Teufel soll Sie holen, - wenn Sie nicht einmal wieder so lustig wie damals, als Ihnen der lederne Eierkuchen wie ein Heiligenschein auf den Kopf gesetzt und wohlbefestigt wurde.

          Vale.

Direktor.          

[93] Nachschrift. Ich habe Nachts noch etwas im Calderon gelesen, es ist doch manches Gute darin, wäret ihr Poeten nur nicht so fremdartig geworden in griechischer spanischer, englischer Leserei, es könnte euch nicht schwer werden, aus solchen Stücken etwas zu bilden, das unsre deutsche Völkerschaft, die ihr bald zu gering bald zu hoch achtet, lebendig anspräche. Aber ihr freut euch nur, wenn ihr mit Hülfe von Silben- und Reim-Teufel etwas zu stande bringt, wie es andren alten oder neuen Völkerschaften beliebt hat, wie es unser Volk liebt ist eine Kleinigkeit für euch, das wollt ihr erziehen, ehe es euch erzogen hat. Ihr müst das nicht übel nehmen, aber es ärgert mich, wenn ich in Euch so viele schöne Talente ungenutzt untergehen sehe, mit denen ich, wenn ich sie besäße, die ganze Welt regieren wollte; wenn ihr nichts dem Volke zu Liebe thut, verlangt ihr doch, daß es Euch lieben, Euer Verdienst anerkennen, Euch reichlich besolden und noch mehr ehren soll. Ich schreibe Ihnen das, um Sie wegen der vielen vergeblichen Arbeit zu trösten, die Sie an den Calderon gewendet haben, das Theater kann Ihnen nichts dafür zahlen, denn er ist nicht aufführbar, vielleicht läßt sich ein Buchhändler damit anführen, der sich eben erst etablirt hat und noch nicht weiß für wen die Bücher gedruckt werden. Ich zahlte gern, es ist mein Ernst, aber die Rechenmeister monieren gleich, wenn für ein Manuscript bezahlt worden, das nicht zur Aufführung gekommen, denn da fehlt eine Rubrik. Würde es nur einmal aufgeführt, auch wenn es total mißfiele, so könnte ich zahlen, darum frage ich an, ob sie Geld und Schande, oder kein Geld und keine Schande wollen, denn fallen müssen beyde Stücke ohne Gnade und Barmherzigkeit.




Zweiter Brief. Der Poet an den Direktor.

Verehrter Herr Direktor! Ich habe den Calderon ohne Dank zurück erhalten, doch zwei gute Dinge in Ihrem Brief [94] belohnen meinen guten Willen, erstens der fidele Humor, mit welchem Sie ihm auf dem Hintern über das Leben hinrutschen, zweitens, daß Sie Etwas Gutes hie und da im Calderon gefunden haben. - Daß Sie mir als einem Dichter so übervertraulich im Gesicht greifen, nachdem Sie mir Allerlei in meine Seele hinein dekretirt haben, woran ich nie gedacht, muß ich mir um so leichter von Ihnen gefallen lassen, als dies ein Handwerksgebrauch bei Ihnen ist, ohne dessen Beobachtung Sie von jeder Komödianten-Herberge herunter geworfen werden würden; aber wenn ich es vertrage, daß Sie so Theater-Direktormäßig mit mir umgehen, so dürfen Sie mir auch nicht verdenken, wenn ich Sie einmahl etwas auf meine Art behandle. Diese Wechselwirthschaft hält uns vielleicht allein zusammen. So mögen Sie denn hier nochmahls alles schriftlich hören, was ich Ihnen neulich bei ihrer Magenessenz ins Gewissen gesagt. Ich halte von dem Theater, wie es jetzt ist und eine schlechte Bühne es der andern ohne alle Originalität nachtreibt, weniger als nichts. Ich bin der eisernen Ueberzeugung, ihr spielt Comödie mit allem, womit man sie nicht spielen kann, und alles, was dazu nöthig ist, habt ihr nicht und wollt ihr nicht. O wäre ich ein Fürst, ich wollte euch zeigen wie die Sache allein anzugreifen ist. Ich kann mir einen Staat denken, dessen ganze Revenue in der Theatereinnahme bestände, und der Eintritt sollte doch billiger als jetzt, oder gar nach Belieben sein. Da wären wir alle Standespersonen, sagen Sie und lachen, und nennen meine Worte Unsinn, weil Sie ihre eigne Aufgabe nicht, vielweniger die Meinige verstehen. Ich wundere mich gar nicht darüber, wie kann der Bandwurm, der in den Eingeweiden eines Menschen lebt und vermöge der Krankheit über ihn herrscht, ihn treibt, ängstigt, ihn rasen, fantasiren und convulsioniren macht, einen Begriff von dem Menschen, als dem Ebenbilde Gottes und also auch von dessen Ebenmacht im Menschen haben, das heist, was kann ein moderner Theaterdirekttor von der Macht einer Kunst verstehn, welche das conzentrirteste Leben, das Gedicht, durch dessen Schöpfer selbst, den Menschen, dem Menschen einzuspiegeln berufen ist.

[97] Liebster Direktor, wenn ich die hohe Aufgabe, die reichsten Mittel, und die mögliche Wirkung der Schauspielkunst in der Einsamkeit meines Herzens so recht betrachte, erschrecke ich, denn ich sehe das Ungeheure, und ich fühle dann, daß sie, wenn sie nicht im strengsten Sinne und Stile zum Heiligen und dessen Feier hinarbeitet, sehr verdächtig ist. Es entstehen dann tiefe Zweifel in mir, ob sie nicht auf jedem andern Wege zu den verbotenen satanischen Künsten gehöre, was sich aus der Combination ihrer unendlichen hohen Aufgabe mit allen endlichen niedrigen ja infamen Beziehungen ihres jetzigen Zustandes leicht vermuthen läßt. Selbst ein Theaterdirektor, der den Macbeth oder den Faust gespielt, kann nicht mehr an einer Macht des Abgrunds zweifeln. Alles Leben und dessen historische Jugenderinnerung, und aller ewige Glauben erkennt die misbrauchende zum ewigen Tod hinlockende Gottesnachäffung des Satans in allen reichen Werkstellen des menschlichen Geistes, welche der göttliche verlassen hat. Alles Zauber und Hexenwesen, das so lange wir davor schaudern, nicht wegzuleugnen ist, geht aus dieser Kehrseite des Lebens hervor, und wenn ich die Armseeligkeit, den Schmutz, das elende Lumpenleben der armen verruchten Hexen neben ihrer hohen Aufgabe Wunder zu wirken betrachte, so fällt mir auch gleich die ganze innere Misere, Lumpenwirthschaft, Lüderlichkeit, und Eitelkeit, das flüchtige, gespannte, gehetzte Leben der Komödianten ein, die um einige Groschen (das ist der Teufel!) die außerordentlichsten Kunstaufgaben lösen sollen, das zerstreute Leben in sein Simbol erhoben in unsere Sinne zu stellen. Ach und ihr thut es auch nicht besser, als die Hexen ihre Wunder. Ein bischen Wettermachen, der Kuh die Milchverderben, Liebestränke kochen, Nestelknüpfen, auf dem Besen zum Teufel fahren ist auch bei euch das ganze Facit der hohen Aufgabe. So geht es dem Satan und seinen Dienern, er geht krumm vor ihnen her und ruft ihnen zu, geht grad wie ich, er will sie lehren Fiat zu sprechen und kriegt selbst nur Pfui heraus. Wehret euch nicht gegen meine Paralele! Hat ein einfaches unschuldiges Mägdlein von 15 Jahren, welche der Frühling unter dem berauschenden Dufte des blühenden Hollunders zu wecken im Begriff steht, wenn sie in einem tief unwahren, liebesgiftigen, edelnden, von euren geschminkten aufgewichsten, aufgeschnürten, aufgedonnerten, ausgestopften Missethätern mit wollüstigem Gequick und Gegurgel herausgekrampften Schauspiele, hingerissen weint, hat [98] sie wohl eigentlich Etwas anders gethan, als eine Jungemagd, die sich aus Neugierde mit der Hexensalbe der Grethlieschen einschmiert, und[WS 1] durch den Schornstein auf dem Besen zu der großen Assemblee des Blocksbergs zu fahren glaubt, wo sie in dem Bock einen hohen Helden verehrt, und den Satan, der auf einem Pferdeschädel mit ein paar Diebsfingerknochen klappert, für den Orpheus hält, während sie eigentlich im Starrkrampf in der Küche hinterm Spülfaß liegt oder in der Asche auf dem Herde sitzt. O ihr treibt ein entsetzliches Handwerk. Findet sich auch manchmal unter dem gemeinen Hexengesindel ein Faust ein, so wie[WS 2] Ekhof, Schröder, Fleck, so ist das Finale, wenn ihn der Teufel holt, nur etwas geräuschvoller, was hat er mehr gethan als die schlechte Comödie gut gespielt, keine Spur eines höhern Menschenlebens läßt er zurück. Höchstens rühmt sich der Amant, er habe Punsch mit ihm getrunken, höchstens daß eine mit allen Hunden gehetzte Jüdinn, welche alle ästhetische[WS 3] Hundekrankheiten überstanden hat, und nun etwa in überaltteutschem Somnambulismus Nacht in Tag wandelt, seinen Shylock über alle lebenden Shylocks erhebt. Hat er auch nur irgend eine Ahndung von der gänzlich verlohren gegangenen Bedeutung und Bestimmung seiner Kunst gehabt? Hat er sie irgend ausgesprochen? Herr, das konnte er nicht, er wäre sonst kein Schauspieler gewesen zu dieser Zeit, wo eben so wenig Ehre auf den Brettern zu holen ist, als seit langer Zeit. Aber ich predige tauben Ohren und vergesse was ich oben von dem Bandwurm sagte, der Sie sind, lieber Direktor, aber doch immer einer der erträglichsten. Warum ich doch mich mit euch verdammten Gesindel herumtreibe? fragen Sie - nein fragen Sie nicht - sehn Sie grade deswegen, weil Sie nicht darum fragen. Uebrigens hat in flacher Gegenwart, alles Zerstörte einen tiefen Reitz, der Mineralog bewundert den Stein am Bruch, und das ist das Beste an euch, daß ihr keinen eigentlichen Schliff habt, das heist, nicht einmal Schule. Abentheurer, Zigeuner, Räuberbanden, Amsterdammer und Prager Judenstraßen, Hundekomödien, Schauspieler, Wahnsinnige, Misgeburtem u. d. g. sind dem Dichter eben so interessant, als es einem grausamen Arzte je sein konnte in die Eingeweide einer lebendig aufgeschnittenen Katze zu schauen. Pfui Teufel! o wär es doch nicht wahr? Aber ob dieses Gelüsten zu euch nicht selbst schon ein Rapport ist von des Satans Magnetismus, das quält mich oft nicht wenig, und drum wehre ich mich wenigstens mit Worten. Nun auf den Calderon. Serenissimus würde Sie ins Tollhaus setzen? und mit Recht, meinen Sie, wenn Sie dergleichen aufführten. Ich sage dasselbe, und wäre ich Serenissimus, ich thäte es schon, ohne daß Sie den Calderon aufführten. Sie müßten mir wegen des ersten besten Stücks mit theuern Dekorationen und prächtigen Kleidern, und schlechten Schauspielern hinein. Ach[WS 4] Sie können also nie heraus, lieber Herr Direktor.

[101] Warum ich Ihnen den Calderon geschickt, will ich Ihnen sagen. Ich wollte daß Ihnen etwas zugemuthet werde; denn das geschieht das ganze Jahr nicht. Sie gehen mit Ihrer Kunst im ewigen Einerlei unter. Sie haben bei dieser Gelegenbeit den Calderon doch gelesen, Sie haben doch gefühlt, daß die Bühne einst etwas konnte, wovon sie keinen Begriff mehr hat. Daß ein Umfang, eine Ueberschwenglichkeit, eine Spiegelspiegelung poetischer Trunkenheit in Ton und Farbe bei unendlich süßer unschuldiger Einfalt, und einer tiefen dunklen Bitterkeit der Schuld, der Leidenschaft, der Sünde im Calderon zauberisch herrscht, haben Sie nothwendig bei Ihrer großen Empfänglichkeit gefühlt, und das ist schon so viel wehrt, als wenn ein junger Neugrieche den Hyperion Hölderlins mit tiefer Rührung ließt, oder wenn der Amant dem lieben schüchternen Distelfink den Auftrag giebt, ihm das hohe Lied Salomonis auf einer Flötenuhr zu setzen, welche er der lieben Psyche schenken will, wann sie die Tochter Jephthas zum erstenmahl spielen wird. O lieber Direktor! wann Sie sich nur erst einmahl recht ärgern, daß es auf der Bühne einst ganz anders war, wenn Sie nur einmahl erst recht darüber ergrimmen, daß die Riesenwerke Shakespears, welche Ihnen für Ihre übergroße und reiche und umständliche Schaubühnerei, noch immer zu reich und umfassend scheinen, daß diese Werke zu völliger Täuschung auf kleinen armen Bühnen mit zwei Culissen Tiefe und einer sehr kleinen Anzahl von Statisten vorgestellt wurden[WS 5], und daß Jünglinge[WS 6] die Ophelia, die Desdemona, die Julie spielten, für welche Sie heutzutage kaum Schauspielerinnen finden zu können hinreichend im Stande sind, die an Zartheit und Empfindung hinreichen. Wenn Sie das erst einmahl fühlten, und auf die Frage kämen, warum getrauen wir uns mit unserm entsetzlichen Apparate von Darstellungsmitteln nicht an solche Werke, ohne sie erst auf die unsinnigste Weise zu verstümmeln, da sie ursprünglich mit den wenigsten Mitteln ausgeführt worden sind, ja, da ihnen sogar ein ganzes Geschlecht fehlte, würde Ihnen dann nicht die Antwort sehr nahe liegen, indem wir uns ganz und gar in das durchaus überflüssige, ja häufig schädliche verlohren haben, ist uns das einzige, womit man darstellt ganz aus den Augen gekommen, der begeisterte talentvolle Schauspieler. Ihr habt die Umstände, die Sachen, euch über den Kopf wachsen lassen! O [102] ich kann mir einen herrlichen wirklichen Schauspieler denken, der auftretend eure papiernen Säulen grimmig niederrisse und ausriefe: nieder mit diesen Lumpen und Latten, wie soll diese schändliche erbärmliche Lüge mich unterstützen, mein Werk wahr machen, da ich bin, was der Held meiner Rolle war, ein Mensch, gebt mir einen Tempel von Marmor, oder keinen. - Doch das habe ich schon zu oft gesagt, für heute haben Sie genug.


[105] Wie mochten Sie auch mit dem Calderon gleich zu Psyche laufen, und sie vor dem Amanten das herrliche Gedicht abhaspeln lassen. Warum lasen Sie nicht erst ruhig für sich, und fragten mich dann, wie es anzustellen sei, mit den gehörigen Modificationen, den blüthentollen farbentrunkenen Triumphzug dieses südlichen Thyrsusschwingers der Fantasie über unsre Bühne zu führen. Aber da laufen Sie gleich mit dem zauberischen Carfunkel zu Ihrem jüdischen Hofjuwelier, und weil dieser dergleichen Edelsteine nicht in seinem Handel kennt, rümpft er die Nase, und meint er sei der Fassung nicht wehrt. Die Fassung war Psyche, und die kam aus der Fassung über des Amanten Gesicht. Was geht diese Leute der Calderon an. Sie müssen das Kunstwerk verstehen, Sie müssen Ihre Leute kennen und beherrschen, und wo Sie nicht mit Macht durchdringen zu können glauben, da müssen Sie Ihre Leute zum Guten und Rechten verführen, zum Schlechten verführen sie sich selbst. Bei dieser Gelegenheit fällt mir die Ursache ein, warum ich mich eigentlich mit euch herumtreibe, blos um euch zu verführen, zum Guten zu verführen. Lieber Himmel, wenn sich niemand [106] mehr um euch bekümmerte, ihr würdet nie besser als ihr seid. Ja Freund, ich bin noch fromm, was Sie so nennen;[WS 7] das heist alle mein Leben und Treiben wird beständig durch einen innern Ruf unterbrochen, daß Alles, was nicht mit, durch, und in der Liebe des Herrn geschieht, vergebens ist und verlohren, ja mehr als verlohren, daß es in einen ewig tödtenden Tod, in das Reich, in das Wirken der Hölle gethan wird. Darum aber schmerzt es mich euer Treiben anzusehn, denn von euch ist zu sagen, o Herr, verzeihe Ihnen, denn sie wissen nicht was sie thun; und so drängt es mich immer, euch zu mahnen, und anzustoßen, und zu wecken. O so ihr erst dahin gelangt wärt, nur das menschlich Wahre und Große, fromm und würdig und ohne Eitelkeit, und niedrige Heuchelei und schmutzige Buhlerei um den Beifall und das Geld niedrigen Gesindels alles Rangs mit dehmütiger Begeisterung darzustellen; man würde euch nicht mehr verbieten das Heilige und Ewige selbst vor unsre Augen zu führen. Aber jetzt seid ihr ein so verruchtes Gesindel, daß euern Lippen das Heilige verboten ist, wie den Frommen das Fluchen. Wie muß eine Kunst versunken sein, die den Menschen zur Aufgabe hat, aber dessen Bestimmung, die Heiligung, nicht aussprechen darf, um diese nicht zu profaniren. Euch ist die niedre Welt angewiesen, ihr seid die frechen, lüderlichen, infamen Priester des vergänglichen Lebens, eure Schwungfedern holt ihr aus den Flügeln des Satans, eure Glut nehmt ihr nicht von dem Himmel und nicht aus der Hölle ihr bekommt sie aus der zweiten Hand, von des Teufels Feldschmiede im Bivouack des Todes, wo die Sünde Marketenderin und die Leidenschaft Feldprediger ist. So wundert euch dann nicht, daß ich wie der ewige Jude, der keine Ruhe hat, weil er dem kreuztragenden Heiland keine Ruhe auf seiner Bank vergönnte, manchmahl neben euch trete an das Feuer im Lager, wo ihr auf der Trommel um den Mantel des Herrn würfelt, und euch erzähle, was mir selbst geschah, weil ich that, was ihr thut. Denn nichts werfe ich euch vor, als meine eigne Schuld, alles was ich in euch vermisse, fehlt auch in meiner Brust, alles, wozu ich euch ermahne, darnach ringe ich selbst. Denn des Menschen Brust ist eine Schaubühne, und die Schaubühne sollte das darstellen, was in des Menschen Brust sein sollte, aber in beiden geschieht das Rechte nicht. So erlauben Sie mir dann wenigstens darum zu eifern und dahin zu ringen. Sehn sie, so bin ich leider erst fromm und frommer nicht.


[109] Ich komme zum Kapellmeister Krumpipen, aber nicht des Puthahns, sondern des Distelfinks wegen. Dieser edle Singvogel ist leider auch unter Krumpipens Fortepiano eingegittert, aber nicht um fett zu werden, sondern um auszudürren. Sie glauben nicht, wie mich der bescheidene Jüngling rührt, er ist voll schöner höherer Begeisterung, und wenn ihm der Muth erwüchse, sich mit seiner Harfe dem Herrn und der Natur gegen überzustellen und zu psalliren wie ein David, er würde es bestimmt vom Distelfink zur Nachtigall bringen. Aber da sitzt der unglückliche bei dem Futteral der Baßgeige, in welcher am Ende gar kein Instrument, sondern Schinken und Metwurst steckt, bei dem erhabenen Krumpipen. Es ist etwas kindliches menschliches, unschuldigstes in der blinden Verehrung;[WS 8] jeder Begeisterte schafft sich einen Götzen seines Ideals, aber es ist sehr betrübt, wenn eine kriechende Sklaverei, eine gänzliche Lähmung des Selbstgefühls daraus entsteht. O daß es doch weniger gefährlich wäre den Gott in sich selbst zu erkennen und zu verehren, aber daraus entstehen leicht solche Magenschwärmer und Speckfantasten, wie Krumpipen, welche herrlich zu musiziren glauben, wenn sie ein verschwommenes, eitelsüßes, Schmorgesicht, wie ein verliebter gen Himmel schnuffelnder Stier machen, während sie ganz lamentable leere alte Passagen auf dem Fortepiano heraus quetschen und dabei mit den Fingern drücken und zucken, als seien die Klaven bald butterweich, bald glühend heiß, es hängt ihnen[WS 9] gewöhnlich dabei eine Thräne im Aug, ein Schweistropfen auf der Stirn, und ein Tröpfchen an der Nase und das nennen sie in hoher [110] unendlicher Sehnsucht zerfließen. Armuth ist nach meiner Ueberzeugung eine der wohltätigsten Erzieherinnen der Kunst, und Nüchternheit eben so. Wäre Krumpipen nicht bei sich selbst auf der Mast, es wäre gewiß etwas aus ihm geworden, Alle erhabenen Gesichter, die er schneidet sind wirkliche Seelenflüge, die ihm ins Fleisch geschlagen sind. Der Schauspielkunst geht es nicht anders, seit die stehenden Theater in den Schutz der Serenissimi gekommen, sind die Zugvögel so schneckenfett geworden, daß sie in dem stehenden Sumpfe liegen bleiben und nicht mehr nach schönerem Frühling ziehen, den sie uns mitbringen. Soll es mich nicht rühren, wenn ich eine freudige offene Natur wie sie, mein Freund, so verlohren finde in niederem schwerfälligen, fruchtlosen Treiben: soll es mich nicht zerrreißen, wenn ich ein so liebliches, reines, festes, bestimmtes Kind, wie die holdseelige süßlächelnde Psyche in solchem elenden Handwerke sehe. Ach sie ist so malerisch wie der Farbenschimmer an dem Hals einer Goldtaube, so plastisch wie eine elfenbeinerne Maus, so lirisch wie ein Minnelied des Walthers von der Vogelweide, so episch wie die goldlockichte Briseis, so mithisch wie Psyche, so dramatisch wie Julie und Miranda, und Desdemona und so romantisch wie Mignon, Gott weiß, wie sie ist. Ich kann oft nicht begreifen, wie das zarte durchsichtige Kind alle die Schätze ihres Innern[WS 10] so sicher trägt, ohne einmahl zu zerspringen, und in einem Feuerwerk, Springbrunnen, in einer Hymne, in einer Duftwolke, in einer Fatamorgana von Liebesglut, süßen Thränen, Nachtigallentönen, Blumen und Farben gen Himmel zu strömen. Süßgefüllter hat sich nie der Blumenstrand eines seelenvolles Hauptes mit Vergißmeinnichtaugen, Lilien und Rosenwangen und Kirschenlippen und einem blühenden Frühlingenäschen, Riechfläschchen der Venus! über dem zierlich geschwungenen, von Hesperischen Apfeln überwallenden Füllhorn eines Leibes erhoben. Alles dieses aber ist nur die Klangfigur der herrlichsten harmonischsten Seele. Diese ganze Schönheit ist durchaus mehr magisch, als phisisch, denn man braucht kein Mann zu sein um sie zu lieben. Schafft sie nicht alles zum Paradiese um sich, huldigen ihr nicht die Kleinen, die Bäume, die Vögel, die vierfüßigen Thiere, wie der Eva vor dem Sündenfall. Wie sanft schreitet das wilde Pferd unter ihr, daß ihr der Begeisterte ungrische Magnat Passamanelki geschenkt, als sie im Zriny gespielt. Wie schmiegt sich der nackte Amerikanische Hund zu ihren Füßen, den ihr Maranda schenkte, für ihre Gurli. Wie fressen die Goldfische aus ihren Lilienfingern, die ihr der Generalstaaten van der Mees für ihre Pamina gab, welchen Buckel macht der Angorische Kater des[WS 11] Marchese Ballabene neben ihr, die Kanarienvögelhecke, die ihr Papageno angelegt, singt und flattert und schnäbelt auf ihrem Haupt. Aber wie liebt sie die Thierchen auch, ist sie nicht wie Mutter Natur? Wer kann es dem Amanten verdenken, daß er ihr opfert, er ist der Herr des Geldes, auch das edle Metall sehnt sich nach ihr, und rollt freudig klingend in den Klingelbeutel der Armuth, in den Opferstock[WS 12] der Grazien, in den Schoos der Danae. Ach ich kann das Leben um sie beneiden, der ewig blühende Rosenstock, den ich ihr geschenkt, wird täglich mit dem Wasser begossen, in dem sie die Blüten ihrer Schönheit erquickt. O seelig, wer der Rosenstock wäre! wie unaussprechlich liebenswürdig war sie neulich, als sie an ihrem Geburtsfeste den Distelfinck aufforderte den Canon anzustimmen dulce loquentem, dulce ridentem Lalagen amabo. Lalagen müste sie heißen! Aber ich sehe mit Beschämung, wie thöricht ich hier geschrieben, sieh, verdammter Mensch, nimm ein Beispiel an mir, wohin deine unseelige Kunst einen führt, der Zorn über den Misbrauch göttlicher Dinge treibt mich wie der Meersturm einen Delphin vor die Korallengrotte einer bezaubernden Sirene. O Direktor gebe der Psyche den Abschied, oder ich werde ein Komödiant um als Hamlet zu ihr zu sagen, gehe in ein Kloster. Ich soll eine Kantate auf den Puthan schmieren, und würde ich es, Sie hörten sie doch nicht an, auf den Distelfink werde ich eine schreiben, ich komme, aber bringen sie Lalagen Psyche mit. Ach ich habe heute die ganze Nacht vor ihrem Fenster gestanden, es war Licht, und ein Gegehe bei ihr, ich fürchte sie ist auf den Calderon nicht wohl geworden. Morgens gieng der Arzt aus dem Haus.

Ihr
Poet.
[123]
Dritter Brief. Der Direcktor an den Poeten.

[123] Wohl zehnmahl habe ich Ew. Wohlgeboren geehrtes Schreiben in der Probe angefangen und wieder einstecken müssen, endlich bin ich damit zu ende gekommen. Schon wegen ihrer engen Handschrift sind Sie zum Schriftsteller bestimmt, denn Sie merken gar nicht, wenn Sie zuviel schreiben. Mir war bey Ihrem Schreiben zu muthe wie neulich bey einem Mittagsmahle unsres Policeychefs. Der alte Spasvogel, der wohl wuste, daß wir den Kotzebue nicht von Person kannten, hatte einen Tausendkünstler unter dessen Namen der Gesellschaft vorgestellt. Jeder wollte ihm etwas verbindliches sagen, die älteren Frauen thaten es uns allen zuvor und recitirten, was ihnen aus ihrer Jugend von seinen Stücken besonders im Gedächtniß geblieben war. Der Mann nahm alles sehr verbindlich auf, wir glaubten, er werde uns nun sehr angenehm unterhalten, aber er blieb sehr ernst und verschlossen, aß aber dabey wie ein Wehrwolf. Wir sahen daß, er sichtlich dicker wurde und daß er sehr knap angezogen war, er seufzte mehrmals lamentabel, wir konnten uns nur mit Mühe des Lachens enthalten, insbesondre da Seufzen und Essen ordentlich im Tacte abwechselte. Der Wirth lief umher und bat, das Lachen zu unterdrücken, der berühmte Mann sei mit dieser Krankheit behaftet, er seufze in Gedanken; dem einen winkte er zu, dem andern trat er auf den Fuß, kurz er trieb durch diese Aufmerksamkeit die Lachlust noch höher, einer blies die Backen auf, dem andern funkelten die Augen. Endlich aber was geschieht, - der Tausendkünstler steckt eine ungeheure rothe Zunge heraus, wie ein feuriges Schwerdt, besieht sie sehr zufrieden mit eignen Augen, putzt damit Krumen von feiner Halskrause, streicht sich damit den Backenbart, endlich knöpft er damit seine obersten Westenknöpfe auf. Da hält sich keiner mehr, alles platzt los und wiehert den Fremden an, der ganz verwundert die Gesellschaft ansieht, warum sie so lache. Sehn Sie, so konnte ich mich am Ende ihres Briefes über ihre lange lange Zunge, über ihren ungeheuren Athen des Lachens nicht erwehren. Und daß Sie wirklich ein berühmter Poet sind und so die Zunge herausstrecken wie ein Taschenspieler, darin liegt ein Hauptspas. Von der Nachtigall sagte ein Barbar, der sie braten ließ, eine Stimme und weiter nichts, von Ihnen kann man sagen, eine Zunge und weiter nichts, denn ihr ganzes Leben und Treiben, hat gar nichts zu thun mit ihren Behauptungen. Sie müssen Maltheser werden, Sie bildeten für sich allein eine Zunge. Wie aber Aesop versichert, daß die Zunge der edelste Theil am Menschen ist, so sind sie auch gewissermaßen der edelste Mensch. Mit edlem Selbstgefühl blicken Sie auf ihre alte Hosen , weil Sie damit die zerrissene Altardecke flicken wollen, aber Sie tragen sie noch immer mehr ab, dabey sprechen Sie ahndungsvoll von ein Paar neuen, von denen ihnen geträumt hat; das alte Theater wollen Sie den Göttern opfern, noch ehe ein neues fertig ist, denn mit den Papierschnitzeln die sich bey Ihnen gesammelt haben, meinen Sie doch wohl nicht ein neues Theater zu begründen. Indem ich Ihren Brief beantworten will, merke ich, daß er entweder gar keinen Inhalt hatte oder daß es mir dabey wie bey einem langsamen Barbier ergangen, unter dessen Händen der Bart an der einen Seite schon wieder gewachsen, ehe er mit der andern fertig;[WS 13] ich habe bis zum Ende den Anfang vergessen und kann nur noch von dem Eindrucke sagen, den mir das Einseifen, das Kratzen des Rasirmessers, besonders als er mir an die Nase gegriffen, machte.

[128] Es giebt eine artige alte Comödie, die heist Hans Pfriem, der kam unter der Bedingung in den Himmel, daß er auch dort an allem einen wohlbegründeten Tadel zu finden wisse, womit er sich auf Erden verrufen und verhaßt gemacht. Und das gelingt ihm mit allen Patriarchen und Heiligen; als aber die unschuldigen Kindlein kamen, will er schon verzagen, da wirft er ihnen Zuckerwerk, Aepfel und Nüsse hin und als sie darüber herfallen, zeihet er sie der Näschigkeit. So ein dramatischer Hans Pfriem sind Sie auch, sie wissen alles zu tadeln und wo noch etwas in alter[WS 14] Unschuld fortgeht, da möchten sie es auf Abwege lenken, um sich dann darüber aufhalten zu können. Richtete ich mein Theater nach ihren Willen ein, und gäbe zwischen ein Paar Kulissen, oder gar mit mehreren Bühnen über einander fürs Erste lustige Stücke, die nur den Gebildeten ganz verständlich wären, sie wären der Erste, der diese Ueberbilduug rügte, in der die Leute ihre eigne Sprache vergäßen. Oder gefiele es ihnen noch, so blieben sie ganz fort, weil Sie nichts zu tadeln fänden, und blieben die Zuschauer fort, so sagten Sie, daß sie uns wie eine Hunde Comödie mit einer hingeworfenen Bratwurst aus dem Gleise gebracht hätten. Wir kennen euch ihr Herrn, ihr seyd wie Glatteis und führt uns praktische Künstler gern einmal an. Sie vergleichen mich mit einem Bandwurm, ich vergleiche Sie mit einem Bücherwurme, Sie stöbern tagelang nach etwas Seltsamen herum und weil es Ihnen Mühe gemacht hat, sich durch die dicken Bücher durch zu bohren, so sollen wir auch gleich diese Mühe wiederholen diesen seltsamen Fund, der nur Sie interessirt, öffentlich darzustellen. Was Sie von unserm Theater sagen gehört eigentlich gar nicht zu unserm Theater, so wenig wie der Tabacksdampf, durch den sie in ihrem Zimmer zum Himmel blicken, zu diesen Himmel gehört. Auf wessen Seite ist die Hexenküche? Haben Sie je einen Menschen, ein Kunstwerk, selbst die Natur ohne Tabacksdampf und System mit klaren Sinnen und ruhigem Herzen angeschaut? Glauben Sie wohl selbst an ihre Extase über Psyche? Ich nicht. Hachen Sie ihre Verachtung gegen den Amanten aus Einsicht angenommen? Ich glaube nicht, denn Sie haben es nie der Mühe werth gehalten, mit ihm zu sprechen, sie würden sonst gefunden haben, daß er bey aller Lächerlichkeit die Lunge Leber und Magen wie unser einer hat. Sie verdenken mir, daß ich ihn zum Zuhörer des Calderon machte. Aber wo konnte ich einen bessern Repräsentanten der Gesammtmasse des Theaterpublikums finden; von dem ich leben muß.

[134] Serenissimus zahlt, unter uns gesagt, nicht mehr zur Erhaltung der Bühne, als seine Logen werth sind und ruinirt unsre Kasse mit Einrichtungen, welche uns die Popularität rauben. Muß ich auf den Unsinn jeder alten Hofzofe horchen und jede Einrichtung, welche mir die Erfahrung als angemessen und willkommen gezeigt hat, wie eine Staatsaffäre gegen Eigensinn und Halbwisserei durchführen, wie viel lieber höre ich nicht den Eindruck aus dem Munde eines Mannes, der in seiner Bildung die Mitte hält und ohne Prätension mir als ein gutes chemisches Reagens gleich an der Farbe zeigt, ob etwas unterhalten oder langeweilen werde. Sie kennen meine Lage nicht, wenn Sie mir viel von ungeheuren Anforderungen an Schauspielkunst vorsagen. Von oben her ein stetes Eingreifen. Es war eine gute Zeit, als es die Herrscher unter ihrer Würde hielten, sich in das Kunstwesen zu mischen und nur ganz im Allgemeinen ihre Anforderungen machten. Damals unterstützten sie wirklich die Kunst, wo es Noth that, jetzt aber unterstützen sie nur ihre eigne Kunstlaune, hemmen und klemmen und kein Mensch weiß, wie er mit ihnen dran ist. Unser ernährendes Publikum dagegen, diese auf den Trümmern einer zerstörten Welt erwachsenen Riesenpilze und Champignons, Morcheln und Stadtschwämme, haben eine sehr bestimmte Richtung, ihre Hirnkasten wollen jeden Abend nur so weit angeregt seyn, daß sie nebenher über den Stand der Papiere, über ihre unterirdische Trübsalliebschaften, über die schwachen Seiten der Minister und dgl. ihre philosophischen Betrachtungen machen können. Für diese sorgt die ganze Kompanie beliebter Theaterdichter, auf diese suchen die gewöhnlichen Theaterkritiker in öffentlichen Blättern zu wirken. Dieses Publikum verzeiht sogar Langeweile, nur nicht eine gewisse Unverständlichkeit und Mannigfaltigkeit, wie sie bey höherer dramatischer Kunst unvermeidlich ist, sie müssen das Stück verstehen, auch wenn sie ein Paar Akte zu spät kommen. Für alle solche höhere Kunst ist am Ende nichts als ein leeres Haus, ein Ausputzer von Serenissimus und etwas Spott von euch, ihr Herren, einzunehmen, wenn bey der Ausführung einige Kleinigkeiten versehen würden, denn ihr kennt keine Rücksicht, wenn ihr einen witzigen Einfall der Welt mittheilen könnt. Ich schwöre Ihnen, daß das Gute auf unserm Theater nur eingeschwärzt werden kann, und daß ich mich dazu der Bestechung durch kostbare Dekorazionen gar oft bediene. - Doch das alles wird Ihnen wohlgeborner Herr zu gemein vorkommen, um darüber nachzudenken, aber das Eine berücksichtigen [135] Sie, daß ich meine Welt mir nicht schaffen konnte, daß ich mit meinem Theater keine Phantasie im Hirne eines Poeten, sondern eine historisch begründete Thätigkeit bin wie die Leineweber in manchen Provinzen. Wollen die Leute keine Leinewand kaufen, keine Schauspiele sehen, müssen wir Hungers sterben, denn wir sind zu alt geworden, um noch zu etwas Andrem zu taugen, die Theaterliebhaberei hat sich aber überall gemindert, obgleich so viele neue Theater erbaut werden. Sie brauchen nur die Menschen in den Zwischenakten zu hören, ob sich noch wie sonst so viele Enthusiasten für Stücke, oder Schauspiele, so viel kritischer Eifer zeigt; die alten Theaterliebhaber sind ordentlich an ihrem Reden von der jüngeren Welt zu unterscheiden, die das Theater nicht höher aufnimmt, als eine Redoute, oder als eine Parade. Manche Aufmunterung fehlt dadurch unsern Schauspielern, den Direktoren wächst aber der Verdruß über den Kopf: das Publikum ist gleichgültig gegen des Beste und die Schriftsteller sind enthusiastisch für ihre unbedeutendsten Arbeiten eingenommen, sie schreiben jeden schlechten Erfolg den falschen Anstalten des Direktors zu. Ja, will der Direktor etwas nicht aufführen, aus Ueberzeugung, daß es nicht gefällt, so drohen ihm die Schriftsteller mit Schimpf und Duellen, mit Fluch und Thränen. Solch ein Spas wird uns vielleicht morgen beym Kapellmeister mit dem Grafen Pech unterhalten, der sich durchaus mit mir schießen will, weil ich keins seiner Stücke aufführe. Sie müssen eine Pistole mit Pulver laden, er muß mich scheinbar todtschießen, Postpferde sind bereit, er muß sich flüchten und wir sind ihn los. Einen verdammten Streich könnten Sie mir spielen, wenn Sie eine Kugel in die Pistole steckten und Sie wären es fähig, denn während ich aus Muthwillen Sie zuweilen necke, nehmen Sie wie Laertes ein vergiftetes Rapier und fahren mir mit der Wagendeichsel des Sonnengotts in den Leib und verbittern mir mein täglich Brodtgeschäft. Spas ist Spas, aber dem Nachtwächter das Horn versiegeln ist kein Spas mehr. Nun zur Versöhnung mit Ihnen ein Geheimniß, das Sie mit mir in gleichem Interesse verbindet. Wenn der Teufel nicht meine Augen zu seinem Spielplatz mißbraucht hat, so ist unsre Psyche gestern in Mannskleidern und zwar in ein Paar grauen Strickhosen, welche in die Schuhe reichten, in einem kurzen altdeutschen schwarzen Rocke, der sehr zierlich mit Sammet besetzt war, ein dunkelblaues Baret auf dem Kopfe bey Distelfink auf dem Chor gewesen, als er gestern für den kranken Organisten in der Surrogatenkirche spielte. Bey ihrem Stolze und ihrer Bequemlichkeit eine ungeheure That. Was hat ihr das Bürschchen angethan? Können Sie es zugeben, darf ich es leiden, daß die ohnehin schon so vielfach getheilte Zuneigung noch einmal im Kern getheilt werde, es bleibt am Ende nichts daran.

Erfinden Ew. Wohlgeboren ein Mittel gegen die Liebe, wenn der Mensch älter wird und nicht mehr gefallen kann, Sie werden dadurch sehr verpflichten Ihren ergebensten

Direktor.
(Die Fortsetzung künftig).

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: um. Siehe Druckfehler S. 120.
  2. Vorlage: ein. Siehe Druckfehler S. 120.
  3. Vorlage: ästethische
  4. Vorlage: Auch. Siehe Druckfehler S. 120.
  5. Vorlage: würden. Siehe Druckfehler S. 124.
  6. Vorlage:Jünlinge
  7.  ; fehlt in der Vorlage. Siehe Druckfehler S. 136
  8.  ; fehlt in der Vorlage. Siehe Druckfehler S. 136
  9. Vorlage: Ihnen. Siehe Druckfehler S. 136
  10. Vorlage: Innnern
  11. Vorlage: der. Siehe Druckfehler S. 136
  12. Vorlage: Opferstall. Siehe Druckfehler S. 136
  13.  ; fehlt in der Vorlage. Siehe Druckfehler S. 144.
  14. Vorlage: aller. Siehe Druckfehler S. 148.