Bogumil Goltz (Gartenlaube 1861)
An geistvollen Schriften mangelt es unserm lieben Deutschland heutigen Tages wahrhaftig nicht. Aber doch fehlt ihnen etwas – wohlverstanden, ich rede hier nur vom Durchschnitt und verwahre mich ausdrücklich gegen jede anderweitige böswillige Deutung – etwas fehlt ihnen, eine Kleinigkeit, von der freilich hie und da Leute behaupten, in ihr gerade liege der Werth einer Schrift, und ohne sie sei eine solche gar wenig nütze, – sie entbehren oft aller Kraft und Tiefe. Aus allerlei Fetzen und Flicken zusammengequält, ohne Trieb und Keimfähigkeit, ohne Art und Wesen, verstaubt und verlegen, schmecken sie gar zu sehr nach Schulwitz und Schulstaub, und gar zu wenig nach der Quelle. Mephisto hat wiederum Recht, mein lieber Faust, „Dir steckt der Doctor noch im Leibe!“
Da mag wohl Manchen von Zeit zu Zeit die Sehnsucht angewandelt haben nach einem rechten frischen Frühlingsregen, der all den alten dürren Staub von seiner Seele fortspüle; Mancher ging vielleicht mit sich zu Rathe und kam zu dem Schluß, jene Art von Schriften sei zwar sehr bequem und außerordentlich anständig, aber er wolle schon gern ein Paar harte, scharfe Kanten, eine Paar wilde, überwuchernde Schößlinge mit in den Kauf nehmen, wenn ihm nur etwas geboten werde, was ihn aufrichte und erhalte, ihn erfrische und erquickte nach der Mühsal und Mattigkeit, Hast und Schwüle der lieben täglichen Arbeit.
Darum, als vor vierzehn Jahren „das Buch der Kindheit“ erschien, ward es von allen Seiten, von Hoch und Niedrig, mit freudigem Zuruf begrüßt und aufgenommen; die erste Auflage war im Umsehn vergriffen[WS 1], eine zweite nothwendig geworden; Bogomil Goltz hatte sich mit einem Schlage vieler Menschen Anerkennung und Liebe, und mehr noch, einen ehrenvollen Platz in der heutigen Literatur erworben.
So damals. Seit jener Zeit nun hat Goltz unermüdlich fortgefahren, dem Publicum die Früchte eines reichbewegten Lebens, langjähriger ernster Studien und Erfahrungen vorzulegen. Von Jahr zu Jahr fast ist eines seiner längst vorbereiteten Werke herausgekommen; so 1847 „deutsche Entartung“, 1850 „des
[133]Menschen Dasein in seinen weltewigen Zügen und Zeichen“, 1851 „ein Jugendleben, westpreußisches Idyll“, „Kleinstädter in Egypten“, „der Mensch und die Leute“, „Typen der Gesellschaft“. Der Kreis seiner Leser aber hat sich nicht verringert; vielmehr ist er in stetiger Zunahme begriffen. Sein Wort ist mehr und mehr eingedrungen, hat, einmal festgewurzelt, immer weiter getrieben und gefaßt.
So mögen denn auch diese Zeilen dazu beitragen, Bogumil Goltz weiter hinaus Anerkennung und Würdigung zu verschaffen. Sie sind ebensowohl von herzlicher Dankbarkeit und Verehrung, als von inniger, fester Ueberzeugung geschrieben worden.
Wer denn nun schon mit seinen Schriften vertraut ist, dem werden diese Blätter eine willkommene Beigabe sein zur Kenntniß von des Verfassers Leben und Persönlichkeit. Du aber, lieber Leser und werthe Leserin, die Du von ihm noch nicht gelesen, vielleicht nicht einmal seinen Namen gehört haben solltest, wenn Du diese Zeilen durchflogen hast, versuch’s einmal, nimm eines der oben genannten Bücher zur Hand und lies darin. Freilich ganz leicht läßt sich das nicht verwinden; es will durchdacht und verstanden sein. Aber kräftige Speise gute Speise, und so gar schwer ist’s denn doch auch nicht. Goltz ist kein Philosoph von Fach, wiewohl er gern philosophirt; er versteigt sich nicht in die unerreichbaren Räume leerer Abstraction und Allgemeinheit; was er sagt, fußt auf täglicher und stündlicher Erfahrung, die Wahrheit seiner Worte kann man jeden Augenblick fühlen und erfahren. Auch giebt er kein System irgend welcher Philosophie, keine Schale, in welche die Welt hineingebracht werden soll und doch nicht hineinpaßt, er giebt mehr und weniger sein Herzblut, das All und Eine seines Sinnens und Dichtens. Und wie waltet darin ein Mark und Kern, wie webt und schafft dort eine Kraft und Tiefe, wie weht eine Luft, ein Duft von Poesie! – und doch wiederum ist Alles getränkt mit durchaus gereifter, mit offenem Auge geschauter Erfahrung. Das ist es eben, was packt, was ergreift und befriedigt.
Denn Goltz ist gegenüber der heutigen Unnatur und Unfreiheit, Hast und Zerfahrenheit der Vertreter einer einigen, ganzen, frischen und freudigen Lebensanschauung, des wahren mit Welt und Wirklichkeit bestehenden Idealismus. Mit gewaltigem Feuer und überwältigender Wucht redet er zu uns; seine Rede ist wie Offenbarung eines alten Propheten. Er mahnt uns an unsern ewigen, sittlichen Beruf. Er erinnert an das verlorene Paradies der Kindheit, an unsere Schuld, an die Angst und Noth unseres Lebens und Treibens, aber auch an dessen sittlichen Werth und männliche Würde. Aus seinen Worten klingt der echte Schmerz und der gerechte, eifernde Zorn eines tiefsinnigen Gemüthes, und wiederum die Ruhe und der Friede eines gereiften, mit sich und der Welt ausgesöhnten Mannes. Schonungslos deckt er die Gebrechen und [134] Kleinlichkeiten, Lügen und Erbärmlichkeiten unserer und aller Zeit auf, entschleiert die endlos scheinenden Gegensätze von Natur und Geist, Freiheit und Nothwendigkeit, Leben und Tod; dann aber erweist er wiederum ihre tägliche, endliche Versöhnung und Ineinsbildung in Natur und Leben zu einer seelenvollen Weltordnung und Harmonie. Er deutet uns Schritt vor Schritt in unserer Entartung und Verordnung unsern übernatürlichen Geist und übernatürlichen Ursprung, und erhebt uns so zu einem freudigen Thun und Schaffen aus dem Ganzen und Vollen hinaus.
Mir war, Dank des Autors Freundlichkeit, gestattet, behufs einer kurzen Lebensbeschreibung Einsicht zu nehmen von einigen seiner Originalaufsätze. Ich werde mich daher auf das Nothwendigste beschränken, und so weit möglich ihn selbst redend einführen, um damit zugleich eine Probe seiner körnigen Denk- und Schreibweise zu geben.
„Ich kam,“ sagt Goltz, „1801 den 20. März in Warschau zur Welt, woselbst mein Vater (zur preußischen Zeit) den Posten eines Stadtgerichtsdirectors bekleidete, und drei Meilen von der Stadt das schöne Landgut Milanowk besaß. In meinem siebenten Lebensjahre wurde ich einer meinen Eltern befreundeten Familie übergeben, die nach Königsberg in Preußen verzog. Dort besuchte ich das Kneiphöfische Gymnasium unter dem originellen Director Lehmann zwei Jahre lang, kam dann in die Obhut eines unverheiratheten Landpfarrers in dem freiherrlichen Dorfe Klein-Tromnau bei Marienwerder, wo ich die glücklichsten Tage meiner Kindheit genoß, und durch den freien Verkehr mit Bauersleuten, die ihren guten Pfarrer verehrten, unverlöschliche Eindrücke vom Landleben, von einem friedlichen Menschendasein wie von den Naturscenen unseres preußischen Vaterlandes erhielt. –
Der Pfarrer war ein Mann von einer unbeschreiblichen und unergründlichen Gemüthsunschuld; still in sich vergnügt vom frühen Morgen bis in die Nacht; mit verhaltenem Jubel darüber, daß er auf dieser schönen Gotteswelt sein durfte; ein unverwüstlicher Freund der Thiere und Menschen, fleißig, frugal, gewissenhaft und schweigsam, wie die verhexten Prinzessinnen im Märchen, die auf Erlösung warten; ohne Begriff vom Gelde oder von irgend welchen Leidenschaften und Lastern; ganz erschrocken, desorientirt und voller Scham über jeweilige Nichtswürdigkeiten seiner Nebenmenschen, die ihm zu Ohren kamen; so verschämt an Leib und Seele wie ein Kind, und so glückselig beim Spaziergehen, daß er uns Pensionairen an einem hohen Rohrstocke voraushopste, was wir ihm harmlos nachmachten, glückselig, wie der Mann Gottes selbst. Es war eine Paradieseszeit, eine Lebensempfindung, die ich bis zu diesem Tage nicht ergründen kann, deren Poesie ich nicht mit Worten anrühren kann, und die mich bis in die reifen Mannesjahre hinein zu einem Träumer und Grübler gemacht hat. – Aber diesem Dorfidyll verdanke ich auch meinen frühen Ekel vor jeder Prosa und säcularisirenden Methode, vor jeder materialistischen Lebensanschauung und gewinnsüchtigen Weltgeschäftigkeit.
Meinem kindlichen Idealismus arbeitete weiterhin die elterliche Erziehung nachdrücklich entgegen. Der Vater war ein Urbild von Weltverstand, Biederkeit und Lebenshumor; Herz und Mutterwitz hielten sich in ihm, wie in meiner Mutter, die Wage. Arbeit, Naturgenuß und Verkehr mit Hausfreunden bildeten die mir sichtbare Genugthuung unserer Familie. – Vater und Mutter bewährten sich als ausgeprägte Charaktermenschen; der Vater war ein Verehrer der Bibel und des Buches Hiob; ein Mann mit einer spaßigen Herzlichkeit und prononcirten Wahrheitsliebe, delicat und voller Mitleidenschaft für jeden bedrängten Ehrenmann, aber derb und kurz angebunden mit aufdringlichen Narren und zweideutigen Subjecten, sie mochten Excellenzen oder Damen sein. Die Mutter steht mir als eine Frau vor Augen mit einem offenen Enthusiasmus für Freundinnen und für das Landleben, welches sie im mehrjährigen Besitze unseres Landgutes Milanowk bei Warschau kennen gelernt hatte.
Unter solchen Eindrücken dachte ich an nichts Anderes, als daran, wie ich einmal ein Landwirth werden konnte. Mein Vater übergab mich also, nachdem ich bis zu meinem siebenzehnten Lebensjahre die Gymnasien zu Marienwerder und Königsberg besucht hatte, einem befreundeten Amtmann in Polen, ehemaligem preußischen Officier. Ein inneres Bedürfniß jedoch nach wissenschaftlicher Ausbildung und die Ambition, mehr als ein professionirter Wirthschafter oder Pächter zu werden, trieb mich zu Studien an. Ich bezog 1821 nach gut bestandener Prüfung die Breslauer Universität, ließ mich zur theologischen Fakultät einschreiben, – hörte aber nur Humaniora bei Wachler, Braniß, dem Philologen Schneider, dazu bei Steffens Anthropologie etc.
Im Jahre 1823 wurde ich auf den Antrag meines hochbetagten Vaters von dem Gerichte mündig gesprochen, und erkaufte dann das Rittergut Lissewo an der russisch-polnischen Grenze, vier Meilen von Thorn; – heirathete ein Fräulein von Blumberg, die Tochter eines Gutsbesitzers und Husaren-Officiers; – hatte viel Unglück als Landwirth mit Mißwachs und Viehsterben; – mein Betriebscapital war dem Areal des Gutes und seinen durch frühere Pächter devastirten Verhältnissen nicht angemessen; ich quittirte also die Gutsbesitzerschaft, übernahm Pachtungen in Polen und Preußen, die ich mit Vortheil wieder abfand; – machte kleinere und größere Reisen in Polen, Deutschland, Frankreich, England, Italien und Aegypten, zuletzt in der Provence und Algerien, – und widmete mich den Studien, von denen meine literarischen Arbeiten Zeugniß geben.“
Es mag den Leser mit Grund befremden, wie in diesem biographischen Abriß sie letzten Jahre, voll von reichen Ereignissen und dem ruhigen Thun gewidmet, so flüchtig angedeutet werden. Doch ist dies überhaupt eine Eigenthümlichkeit unseres Autors, daß er im mündlichen Verkehr vorzugsweise seiner reiferen Jahre gedenkt, während er als Schriftsteller sich mit besonderer Vorliebe in den Paradiesestraum der Kindheit versenkt, bis er in seinen neuesten Büchern den Kreis über die breite Menschenwelt hinausgedehnt hat.
Seine Erlebnisse als Gutsbesitzer, als Pächter in Polen, als Reisender, haben viel Abenteuerliches; doch sind auch andern Leuten wunderliche Dinge genug vorgekommen, ohne daß sie daran sonderlich viel profitirten. Es ist das Charakteristische an Goltz, daß er sich in jede Situation gewissenhaft vertiefte. Er füllte seinen Geschäftskreis jedesmal vollständig aus, er suchte und fand darin, was nur irgend vorhanden war. Damals philosophirte er nicht, er handelte und wußte nicht nur jeder Schwierigkeit speciell zu begegnen, sondern auch sehr prosaische Affairen und Verhältnisse auszubeuten.
Daß seine Bemühungen nicht zu einem glänzenden Resultate führten, lag nicht daran, daß er ein unpraktischer Träumer gewesen wäre. Nicht nur Unglücksfälle, mangelndes Betriebscapital und die Entwerthung der Producte standen ihm entgegen, sondern noch mancherlei andere Verhältnisse, und es ist damals so manchem, der in ganz trivialem Sinne praktisch genannt wurde, noch übler ergangen. Goltz gab in allen Ehren seine fruchtlosen Bemühungen auf und rettete noch genug hinüber, um in Einsamkeit fortan seine Bücher auszuarbeiten, die er so fast am treffendsten „eine Metaphysik und Aesthetik des Werktagslebens“ nannte, – und die seine Recensenten bald mit Lichtenberg, Fischart und Abraham a Santa Clara, und dann wieder mit Hippel, Hamann und Jean Paul verglichen haben, aber das X der Gleichung ist damit nicht dechiffrirt.
In Gollub, einem kleinen preußischen Städtchen unweit Thorn an der polnischen Grenze, begannen mit dem Jahre 1830 jene geregelten Vorarbeiten, die unsers Autors Fruchtbarkeit seit 1847 erklären. Wie Goltz heute mitunter über sein Stillleben in jenem Grenzstädchen empfindet, zeigen die nachstehenden Zeilen.
„Als ich noch in dem kleinen Neste particularisirte, dachte ich nicht an Erwerb und Ruhm; denn das Leben, die Poesie des Scheins bespeisete mich von innen heraus. Ich wußte an schönen Frühlings- und Herbsttagen nicht wohin mit meiner Lebenslust. Ich war schon ein Dreißiger, als ich manchmal auf dem Markte des Städtchens hätte Rad schlagen[WS 2] mögen, – so war es da namentlich am Sonntag Vormittag, wenn die Masse der polnischen Landleute aus der Kirche kamen und in bunten Gruppen mit einander conversirten.“ –
– – „Seitdem ich in die Welt getreten bin, ist alle Freude und Unschuld dahin! – Sonst machte ich Landreisen zu meinen Bekannten, um ihnen lustige und ernsthafte Geschichten zu erzählen, und fand mich geehrt, wenn es gelang. – Heute sitzt mir ein Groll im Herzen, seit ich hinter die Coulissen geschaut habe. – Mit dem lichten Schein und leichten Sinn ist’s vorbei.“
Aus solchen Worten redet die tiefsinnige Melancholie eines echten Humoristen, von Wenigen erfaßt und begriffen, wie denn überhaupt Bogumil Goltz die schlimme Mission zu Theil geworden ist, in der Literatur wie im Privatleben einen Charakter zur Geltung [135] zu bringen, den man heut zu Tage selten versteht, weil man die Zweitheiligkeit einer unbändigen Natur und eines geschulten Geistes in „unsern theezahmen, glaceehöflichen und glanzledernen Tagen“ nicht mehr auszukämpfen braucht. – So wetterleuchtet nur der Humor, diese wunderbar kräftige und hohe Lebensfühlung, die, wie sie das All umspannt, mit gleicher Theilnahme sich hinabbeugt zur Einfalt und Armuth, zu Schmerz und Unglück, zu dem Kleinen, Geringen, zu den Armen am Geiste, und sie sorgend in ihr Herz schließt; in welcher sich Gemüth und Verstand, Gott und Welt, Schmerz und Freude, Groll und Liebe zu einer herzigen, zeugungskräftigen Ehe vermählt und verbindet.
Ein Bild, selbst wenn es so ganz ähnlich ist, wie das vorstehende, vermag doch nur einen geringen Theil der Wirklichkeit anschaulich zu machen, ihm fehlt Leben und Beweglichkeit, das geistvolle Mienenspiel, der vollkommene allseitige Ausdruck des Innern. Soviel aber, glaube ich, wird selbst daraus schon ersichtlich sein, daß unsers Autors Persönlichkeit eine ungewöhnliche, vielsagende ist. In diese Züge hat die Seele ihre Gewalt mit bedeutsamen leserlichen Zeichen eingegraben. Die hohe, nachdenklich gewölbte Stirn, das tiefliegende, durchbohrende, fast grollende Auge, der bittere verhaltene Spott, welcher um die Lippen zuckt, – kurz ein Charakterkopf, wie man ihn selten findet. – Aber Goltz sieht auch wieder ganz anders aus; es liegt eine natürliche Gutmüthigkeit in seinem Gesicht, die sich auch dann nicht verliert, wenn er mit Zorn und Eifer die Gespenster peitscht, welche in der Welt umherspuken, – und wieder anders, wenn sie seine Erlebnisse in Scene setzt, von seinen Reisen erzählt, wenn er eine von den Geschichten hört, in welchen Schicksalslaune oder Volksreiz das Feld behaupten.
Bogumil Goltz ist in seinem Umgange wahrhaft liebenswürdig, ein kerniger, herziger, prächtiger Mensch; ohn’ Erbarmen, derb und schonungslos gegen jede falsche Idealität, jede zweideutige, affectirte Gefühlswärme, gegen alles süßliche, weinerliche, raffinirt-trübselige Sentiment, aber theilnehmend mit wahrem, unverstelltem Schmerz und unverschuldetem Schicksal. Er nennt die Dinge bei ihrem rechten Namen und kümmert sich wenig darum, ob er damit bei nervösen, überdelicaten Damen Anstoß erregt. Aller Hohlheit und Convenienz, aller leeren Formalität, Halbheit und Charakterlosigkeit ist er von Herzen gram, verfolgt und verhöhnt sie, wo er kann; dagegen interessirt ihn jede kernhafte, ganze, ungewöhnliche und absonderliche Natur. Deshalb verkehrt er gern mit sogenannten einfachen, schlichten Leuten, Arbeitern, Leuten aus dem Volke, alten Frauen. Als Erzähler ist er unübertrefflich und überall ein erbetener Gast; da sprühen die Funken seines Geistes, da jagt ein Einfall den andern, und die Zuhörer sitzen stumm und aufmerksam dabei, und können nicht genug hören.
Von seinen Schriften eines Weiteren zu reden, ist hier nicht der Ort; sie haben hinreichend Beurtheilung erfahren und bestanden, und wer ihren Geist und Inhalt erkennen will, thut am besten, sich an die Quelle zu begeben.
Goltz lebt seit einer Reihe von Jahren in Thorn, geliebt und geehrt von seinen Mitbürgern, und der angestrengte Fleiß und die unermüdliche jugendliche Schöpferkraft lassen noch viel von ihm erwarten. Ueber seine Widersacher können ihn die herzlichen Zuschriften vieler von unsern literarischen Notabilitäten und ein gebildetes Lesepublicum in allen deutschen Landen wohl trösten.
Man hat sich bisher viel zu viel mit seiner Form beschäftigt, ohne zu bedenken, daß dieselbe nur von innen heraus verstanden werden kann. Goltz strebt, überfluthet von geistreichen Einfällen, danach, in der concentrirtesten Fassung zu sagen, was er nach allen Seiten hin tief durchdacht und verarbeitet hat. Der überwuchernde Reichthum seiner Rede ist bei ihm nichts Gemachtes, Gesuchtes, wie bei Andern, die sich Seiten lang auf einem ihrer matten Laune in den Weg gekommenen barocken Einfalle selbstgefällig wiegen können; er ist die natürliche Form einer innern gewaltigen Volltönigkeit und Vielseitigkeit. Der ungewöhnliche Geist schafft sich die ungewöhnliche Form und darf wohl verlangen, daß man sich die Mühe gebe, eines aus dem andern einzusehn. Das große Publicum zählt freilich Mosaikarbeiten, wie sie Bogumil Goltz liefert, zu den Curiositäten. Es will in der Literatur vor allen Dingen seine Tagestendenzen und Leidenschaften wiederfinden, – und für diese Forderung ist er keineswegs der gesuchte Mann. – Wer aber ein Herz hat für all die tiefen Leiden und Freuden der Menschenseele, wem es ein Bedürfniß ist, sich zu erhalten vor Alltäglichkeit und Gewöhnlichkeit, der lese Bogumil Goltz. Und er wird ihn sicher lieb gewinnen! –