Zum Inhalt springen

Blumen-Luxus

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Hugo Klein
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Blumen-Luxus
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 31, S. 528–530
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[528]
Blumen-Luxus.

Die Mode spottet bekanntlich aller Logik und so stecken auch unsere Frauen, wenn die Natur erstarrt im Winterschlaf liegt, die duftigen Rosen in das Haar, während im Sommer, wenn die Kinder Floras siegreich alle Felder und Gauen behaupten, Kunstblumen aller Art auf den Damenhüten erscheinen. Aber die Blume selbst, sei sie nun Kunst oder Natur, gehört zu dem Luxus unserer Tage, wie sie in allen früheren Zeiten ihre Rolle spielte. Wie ein poetisches Symbol zieht sie sich durch die alte und die neue Geschichte, schmückt die Heldengräber und die Burgruinen, huldigt der Schönheit und dem Ruhme, windet der Zukunft ihre farbenprangenden Kränze. Sie beherrschte alle Ceremonien der alten Völker, und die christliche Kirche, die sie anfangs als ein Abzeichen des Heidenthums ausschloß, wollte sich schließlich auch nicht mehr ihrem blühenden Zauber entziehen. Fortunatus, Bischof von Poitiers, schrieb ein zierliches Gedicht an die Königin Radegund und die Aebtissin Agnes von Poitiers und sagte darin: „In dieser schönen Frühlingszeit schmücken alle Menschen ihre Häuser mit Blumen. Ihr aber sollt die herrlichen Blumen sammeln, sie zur Kirche tragen und damit die Altäre schmücken, damit sie in leuchtenden Farben erglänzen. Der goldne Krokus geselle sich zum holden Veilchen, grelles Roth sei durch schimmerndes Weiß abgelöst, dunkles Blau zu Grün gesellt. Es ist ein Kampf unter Blumen, die eine siegt durch ihre triumphirende Schönheit, die andere durch ihren süßen Duft; sie verdunkeln alle Edelsteine und spotten des Weihrauchs.“

Das war im sechsten Jahrhundert, in Rom aber schmückt man noch heute in der Kirche der Santa Maria Maggiore die Altäre mit weißen Rosen und Jasminblüthen. Die Blume gehörte im Mittelalter zum höchsten Luxus der Kirche. Die anglikanische Kirche kennt noch heute keinen höheren Prunk und vor Ostersonntag drängen sich aus dem Blumenmarkt von Covent Garden unzählige Churchmen zwischen vornehmen Ladies, um wahre Wagenladungen prächtiger Blumen für den Schmuck der Altäre zu erwerben. Die Römer bekränzten ihr Haupt, und darum wies die christliche Kirche anfangs diesen Gebrauch zurück, im neunten Jahrhundert aber waren bereits die Kränze von Rosen und Myrthen für Braut und Bräutigam, die der christliche Priester verband, allgemein. Die plötzlich verpönten Grabkränze erschienen zuerst wieder auf den kleinen Särgen der christlichen Kinder und spielten bald bei den Begräbnissen überhaupt die wichtigste Rolle, die sie noch heute innehaben.

Aber nicht nur in den kirchlichen Ceremonien, auch in allen weltlichen Dingen errichtete die Blume ihre Herrschaft. In Frankreich gab es eine Rosensteuer (baillée des roses), die noch gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts entrichtet wurde. Es war dies ein Tribut, welchen die Pairs von Frankreich dem Parlamente darzubringen hatten. Er mußte an einem Tage im April, Mai oder Juni, wenn die erste Sitzung stattfand, entrichtet werden. Vor Beginn derselben hatte der Pair, an dem die Reihe war, für die baillée zu sorgen, alle Gemächer des Palastes mit Rosen zu schmücken, selbst den Fußboden mit grünen Gräsern und Feldblumen zu bestreuen. Dann ging er in die große Halle und vertheilte die Rosen, die man ihm in großen silbernen Körben vorantrug, an die Mitglieder des Parlaments und die Hausoffiziere, die zu ihrem Dienste beigestellt waren. Wenn die Vertheilung beendet und die Sitzung geschlossen war, gab er den Präsidenten, Räthen, Beamten und Ceremonienmeistern des Hofes ein großes Festmahl.

Der Ursprung dieser Sitte ist nicht bekannt. Sie existirte nicht bloß für das Pariser, sondern auch für die übrigen Parlamente des Königreiches, besonders für jenes von Toulouse. Die Rosensteuer war ferner auch an die Kinder des Königs, die Prinzen von Geblüt, die Herzöge, Kardinäle und übrigen Pairs zu entrichten. Ein Edikt Heinrichs III. soll die Entrichtung des duftigen Tributs angeordnet haben. Große Ausdehnung nahm der Blumenluxus in Frankreich unter Ludwig XIV. an, welcher ein großer Blumenfreund war. Er liebte es, am Abend den Duft seltener, kostbarer Blumen einzuathmen und in den königlichen Gärten gab es weite Beete von Veilchen, Orangenblüthen, Jasmin, Tuberosen, Heliotropen, Hyacinthen und Narcissen. Die Vorliebe des Königs wurde selbstredend in den Palästen der Großen nachgeahmt. Jenes Porzellanhaus, in welchem Ludwig seine glänzendsten Feste gab, trug den Namen „Palais de Flore“ – Palast Floras. Eine der königlichen Launen zertrümmerte aber den Porzellanpalast. Er fiel mit Madame de Montespan in Ungnade und an seiner Stelle erhob sich ein imposanterer Bau, zu Ehren des neuen Sternes, der Maintenon. Das war Trianon, in italienischem Stile gebaut, ganz aus rosafarbigem Marmor, mit einer mächtigen Balustrade, welche das ganze Gebäude krönte, geschmückt mit marmornen Statuen, Körben, Urnen, Kronen. Lenôtre erfand einen neuen Stil für die königlichen Gärten. Fortoul schreibt in den „Fastes de Versailles“: „Wenn man von Versailles nach Trianon kam, glaubte man, Land und Zone gewechselt zu haben und in irgend eine deliziöse Villa Italiens gerathen zu sein. Die Erde ist derart geschmückt und vergoldet durch Blumen und Marmor, die sich in stillen Wassern spiegeln, daß es scheint, als leuchte da eine wärmere Sonne und überschütte die ganze Landschaft mit ihrem Glanze.“

Wenngleich die Herrschaft der Blume beständig neuen Glanz gewinnt, so sind die Blumenarten doch der Mode unterworfen, wie alles in der Welt. Die alten Griechen liebten die Levkojen und Narcissen, in Deutschland beherrschten Lilien, Rosen und Rosmarin lange den Markt und die Frauenherzen, bis sich die Tulpe zur Alleinherrscherin emporschwang und alle Börsen plünderte. Sie ruinirte Holland wie später die Georgine Frankreich. Heute sind die Pelargonien, Hortensien, Geranien, Kakteen, Kamelien, Azaleen die Lieblingsblumen der eleganten Welt. Sie schmücken alle unsere Feste. Auf den Bällen strahlen die Damen nicht bloß von Juwelen, sondern farbenglühende Blumen nisten in ihrem Haar, schlingen sich in Gewinden aller Art um ihre kostbaren Roben, blühen an jeder Frauenbrust, umsäumen den weißen Nacken am Rande des Kleides, werden, zu Sträußen gebunden, von den schönsten Händen getragen. Wir senden sie der Geliebten ins Haus und kein Geburts- oder Namenstag schöner Frauen geht ohne Blumenhuldigung vorüber. Wir tragen sie kokett im Knopfloche und ehren die Künstlerin für die schöngesungene Arie mit einem Blüthenregen. Es giebt bereits eine „Blumenbindekunst“.

Zu Anfang der vierziger Jahre erfanden die Franzosen die Champignon-Bouquets, welche die kunstvollste Anordnung der Blumen gestatteten, indem die Blumen an lange Drähte geheftet [530] und dann nach Belieben neben einander gereiht wurden. Mit Hilfe dieser Drähte bildet man aus Blumen Phantasiestücke aller Art, die als sinnige Geschenke dienen, für die Sängerin die Blumenlyra, für den Gelehrten den Blumenfolianten, Füllhörner, Vasen, Fächer etc. Neuestens hat man die Blumenkissen erfunden, aus feuchtem Moos gebildet, welches den Blumenstengeln eine feste Grundlage bietet. Mehr als alle diese künstlichen Formen, zu welchen die seltensten und kostbarsten Blumen verwendet werden, wird uns aber immer das kleine Sträußchen von Primeln oder Maiglöckchen erfreuen, das uns in der schönen Frühlingszeit ein niedliches Blumenmädchen an der Straßenecke anbietet.

Die Kunstblumen verdanken ihre Entstehung frommen Schwestern. In den Frauenklöstern Italiens wurden bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts zur Ausschmückung der Altäre und zur Bekränzung der Heiligenstatuen mühsam aus Papier, Pergament und sonstigen steifen Stoffen künstliche Blumen verfertigt. Seither haben die sogenannten „italienischen Blumen“, die in den venezianischen Fabriken aus den Bälgen der verdorbenen Seidenkokons hergestellt werden, überall in Europa als ein besonders zierlicher Damenschmuck Ruf bekommen. Selbstredend beschränkt sich die Fabrikation in Venedig, welche beinahe ganz Italien mit künstlichen Blumen versorgt und ganze Waggonladungen derselben in das Ausland exportirt, nicht bloß auf diese einzige Sorte. Ich habe in einer venetianischen Blumenfabrik Umschau gehalten. Kaum ist die erste Chokolade bei Florian auf dem Markusplatze hinuntergeschlürft, so präsentirt sich dort schon dem Fremden ein Cicerone mit dem Anerbieten, ihn in eine „berühmte“ Fabrik der „berühmten italienischen Blumen“ zu führen. Sie nimmt zwei Stockwerke und das Erdgeschoß in einem der dunklen, grauen, alterthümlichen Häuser der Frezzaria ein und beschäftigt mehrere hundert Mädchen, die in den weiten niederen Sälen der Stockwerke untergebracht sind, während sich die Waarenniederlage im Parterre befindet. In allen Glasschränken sieht man hier die täuschendsten Erzeugnisse der Kunst, welche der Natur die leuchtenden satten Farben und oft auch den Duft gestohlen zu haben scheinen. Denn diese Blumen werden häufig in Parfüms getaucht, welche berufen sind, unsere Geruchsorgane zu täuschen, wie der glänzende Schmelz dieser zierlichen Fabrikate unser Auge täuscht. Hier können die absonderlichsten Wünsche der Fremden, die aus Venedig nur etwas Besonderes heimbringen wollen, befriedigt werden. In den oberen Sälen sitzen die Arbeiterinnen, welche mit ihren geschickten Fingern so märchenhaft schöne Kunstgebilde verfertigen. Denn bei der Fabrikation feiner Kunstblumen ist beinahe alles Handarbeit und ihr Werth hängt einzig und allein von der Geschicklichkeit und dem Geschmacke der ärmlich gekleideten, zumeist kränklich aussehenden Mädchen ab, die an den langen Tischen sitzen und den gesundheitsschädlichen Staub der gefärbten Bestandtheile ihrer Blumenprodukte einathmen. Diese Geschicklichkeit und diesen Geschmack vermag keine Maschine zu ersetzen.

Im vergangenen Jahrhundert erfand wohl ein Schweizer eine Ausschneidepresse für Blätter, doch ist dieselbe nur für Blätter kleinster Art, wie der Hyacinthen, Maiglöckchen etc. in Gebrauch. Bei den größeren Blumenblättern zieht man der korrekten Form, welche der Natur nicht immer entspricht, den höhern Reiz der Unregelmäßigkeiten vor, welche die Schere der Arbeiterin begeht. Die Gewebe zu den Blumenblättern erfahren eine besondere Appretur in anderen Fabriken. Die Scheren und sonstigen Werkzeuge der Arbeiterin, die Pressen, welche die Blattnerven botanisch treu wiedergeben, sind eigenthümlich konstruirt. Die Verrichtungen, die mit der Blumenfabrikation verbunden, sind die verschiedenartigsten und werden von verschiedenen Arbeiterinnen besorgt. In einem Saale beispielsweise werden ausschließlich die Blumenstengel und Blattstiele verfertigt; in einem zweiten Saale gießt man Früchte aller Art, Beeren, Kirschen, Weintrauben und so weiter, wie sie oft zwischen Blätter und Blüthen vermischt werden, aus Wachs; an einem besonderen Tisch werden nur Staubfäden fabrizirt; andere Säle sind der Herstellung der Blumenknospen gewidmet. In einer weiten Halle erledigt man die Glasarbeiten, denn nicht alle Früchte werden aus Wachs gegossen; besonders die Beeren sind zumeist aus Glas. Die Glaskügelchen werden aus dünnen Glasstangen hergestellt, deren Ende man über eine kleine Flamme hält und glühend macht; durch eine geschickte Drehung wird die runde Form erzeugt, durch den Gebrauch verschiedenfarbiger Stäbe werden die feinsten Farbennüancen erzielt.

Den geschicktesten Arbeiterinnen ist das Zusammensetzen der Blätter zu Blüthen und der Blüthen zu Bouquets, Kränzen und Guirlanden aller Art anvertraut. Es ist interessant, diese Arbeit zu beobachten, bei welcher die emsig sich bewegenden Fingerchen der Arbeiterinnen mit den Innentheilen der Blumen beginnen, die äußeren Blumenblätter, zuerst die farbigen, dann die grünen nach und nach ansetzen, die Krone an den Stengel fügen und die gezackten Blätter an den Stengel reihen.

Venedig und Italien haben indessen schon lange kein Monopol mehr auf die Blumenfabrikation, die bereits auch in Frankreich und Deutschland in großem Maßstabe betrieben wird. Paris beschäftigte vor dem Kriege im Jahre 1870 15 000 Arbeiterinnen in Blumenfabriken und exportirte Kunstblumen alljährlich im Werthe von 25 Millionen Franken. Seit dem Kriege soll die französische Blumenfabrikation unter der Konkurrenz der deutschen stark gelitten haben. Namentlich die Berliner Blumenfabriken liefern wahre Kunstwerke und erobern sich wacker das heimische Absatzgebiet zurück. In Wien erfreuen sich die wunderschönen täuschenden Kunstblumen der Gräfin Baudissin großen Beifalls, welche ganze Blumenstöcke, exotische Pflanzen aller Art, ganze Epheuhecken, natürlich alles „unverwelklich“, zur Zimmerdekoration verfertigt.

Mit den imitirten Blattpflanzen befreunden sich auch jene, welche sonst den Blumen „ohne Seele“ keinen Geschmack abgewinnen können. Freilich ist jeder Kunst eine Grenze gezogen. Wer baut die Epheublüthe nach, die sich dem Sonnenstrahl verschließt und ihren Kelch nur dem keuschen Mondlicht öffnet? die Mimose, die bei fremder Berührung zitternd ihre Blätter schließt? die Sonnenwende, die strahlenberauscht stets gegen Osten blickt? So weit indessen die Kunst reicht, muß sie mit der Natur dem ungeheuren Luxus dienen, den wir modernen Menschen mit den Blumen treiben. Tausende und Tausende eifriger Hände wirken und schaffen jahraus, jahrein, nur für ihn. Dann kehrt ja der Frühling immer wieder, der große Zauberer, der aus reichem Füllhorn seine Gaben streut.

Hugo Klein.