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Bilder aus dem Sudan

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Textdaten
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Autor: Adolf Ebeling
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Titel: Bilder aus dem Sudan
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aus: Die Gartenlaube, Heft 13, 16, S. 216–218, 272-275
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Der Kriegsschauplatz im Sudan, 1884, Heft 10
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[216]

Bilder aus dem Sudan.[1]

Von Suez nach Suakin. – Das Venedig des Rothen Meeres. – Massaua. – Die Kriegshorden des Mahdi. – Das Hauptquartier des „falschen Propheten“.

Sinkat. Ansicht von Berber.

Wie sich der Kriegsschauplatz in den letzten Monaten aus dem südlichen Sudan immer mehr nach dem östlichen gezogen hat, so sind es jetzt die westlichen Küsten des Rothen Meeres mit den daran liegenden Städten, welche das Hauptinteresse in Anspruch nehmen. In erster Reihe das auch von uns bereits erwähnte Suakin, das die Engländer zu einem Centralpunkte ihrer militärischen Operationen gemacht und wo sie auch schon unter General Graham zu wiederholten Malen erfolgreich gegen die Rebellen unter Osman Digma gekämpft haben.

Von Suez fährt man mit einem guten Dampfer, vorzüglich wenn man von dem im Rothen Meere häufig wehenden Nordwinde begünstigt wird, in vier bis fünf Tagen nach Suakin, und zwar der westlichen, also der afrikanischen Küste entlang. Man bleibt aber immer einige Meilen vom Lande entfernt wegen der vielen Korallenbänke, die sich mit wenigen Unterbrechungen am Meeresufer hinziehen. Schon von Weitem sieht man den milchweißen Schaum der Brandung an diesen gefährlichen Klippen und lenkt besorgt das Steuer mehr nach Osten, ohne übrigens die östliche, asiatische Küste je zu Gesicht zu bekommen; denn die mittlere Breite dieser gewaltigen Wasserstraße beträgt über dreißig geographische Meilen. Wundervoll ist bei ruhigem Wetter der Anblick des unermeßlichen Spiegels: ein tiefes Ultramarinblau, das an den Küsten in lichtes Krystallgrün übergeht; in den sternklaren Nächten ein Meeresleuchten, wie man es im Großen Ocean nicht schöner sieht. Nur die im Rothen Meere vom März bis October herrschende starke Hitze beeinträchtigt den hohen Genuß der Reise: Aden und Massaua gehören bekanntlich zu den heißesten Gegenden der Erde. Die Stadt Koser (Kosseir) erreicht man schon am Abend des ersten Tages; früher, und auch noch im Mittelalter, ein bedeutender Handelsplatz, ist sie jetzt, nach Eröffnung des Suezcanals, völlig gesunken und unbedeutend.

Tags darauf passirt man den Wendekreis des Krebses und gelangt in die heiße Zone. Von Koser bis Suakin giebt es an der afrikanischen Küste keine nennenswerthe Stadt mehr; hohe, nackte Gebirgsmassen ziehen sich ununterbrochen im Westen hin, immer dieselben wildzerklüfteten dunklen Felsen, fast ohne alle Vegetation, und hinter ihnen die öden Sandflächen der Nubischen Wüste. Jenseits des Cap Ras-Raui (Djedda gegenüber), gewinnt die Landschaft erst bei Durruhr, wenige Meilen nördlich von Suakin, einen freundlicheren Anstrich, und Suakin selbst, schon im Gegensatze zu dem tagelangen Anblicke der unwirthlichen und düsteren Küste, liegt ganz heiter und einladend da. Im Hintergrunde ragen freilich gleichfalls hohe Felsgebirge, schon an das nahe Abessinien erinnernd, das man nicht mit Unrecht die afrikanische Schweiz nennt; aber sie bilden hier nur die malerische Staffage zu der frühlingsgrünen Landschaft des Vordergrundes. Imposante Wälder fehlen freilich, aber die Mimosen bilden hübsche Baumgruppen, aus denen die weißen Häuserwürfel der Stadt sehr freundlich hervorschimmern. Suakin liegt nämlich zur Hälfte auf einer Insel, aber so dicht am Festlande, daß ein Theil der Bewohner sich dort angesiedelt hat. Das ist auch insofern die wichtigere Hälfte der Stadt, weil uns dort in der langen Bazarstraße das eigentliche Volksleben entgegentritt. Tags über herrscht in jener Straße und in den Nebengassen und -gäßchen ein buntbewegtes Treiben, das, natürlich im Kleinen, an dasjenige von Alexandria und Kairo erinnert, nur daß in Suakin die Bevölkerung durchgehends noch dunkelfarbiger ist. In dem auf der Insel gelegenen Stadttheile befinden sich die Regierungsgebäude und mehrere recht ansehnliche [217] Häusern der begüterten Kaufleute, ferner das Zollamt, die Post mit dem Telegraphen und auch eine Caserne, die mit ihren Mauern und Bastionen nach der Landseite hin die Insel sogar gegen einen Ueberfall schützen kann.

An der ganzen Küste liegen außerdem noch eine Menge größerer und kleinerer Inseln, dicht neben einander, die sich sehr gut durch Brücken oder Dämme verbinden ließen, denen die Korallenriffe als Fundamente dienen könnten. Dies war wenigstens eine Lieblingsidee Munzinger’s, jenes verdienstvollen Gouverneurs von Suakin und Massaua, der in dem unglücklichen abessinischen Feldzuge von 1875 sein Leben verlor. Munzinger, der die Bedeutung Suakins für den ganzen Binnenhandel mit dem östlichen Sudan sofort erkannte, wollte aus der Stadt ein kleines Venedig machen, und wer weiß, ob die Engländer, die es jetzt in Händen haben und es sehr wahrscheinlich so bald nicht wieder fahren lassen werden, diese originelle, aber jedenfalls höchst praktische Idee nicht dereinst verwirklichen. Landeinwärts, schon eine Stunde von der Stadt, beginnen die Baumwollenfelder, die Dattelpalmen- und Sykomorenwälder und bieten ein überraschendes Bild von der außerordentlichen Fruchtbarkeit des ganzen Landes. –

Ansicht von Massaua.0 Originalzeichnung von R. Cronau.

Wenige Meilen südwestlich von Suakin liegen die beiden kleinen Städte Sinkat und Tokar, an sich unbedeutende Ortschaften, in die man aber doch beim Ausbruche der Insurrection ägyptische Garnisonen legte, die sich dort, so gut es gehen wollte, verschanzten und muthig eine lange und hartnäckige Belagerung aushielten, bis sie der Hungersnoth und der Uebermacht erlagen. Weder der einen noch der andern Stadt konnten die Engländer rechtzeitig Entsatz bringen, denn die Baker’sche Expedition mißglückte bekanntlich, und die anderweitige Hülfe kam zu spät. Der Fall beider Städte und die dabei geopferter zahlreichen Menschenleben müssen mit ernster Schrift in das britische Schuldbuch geschrieben werden.

Sehr wichtig ist noch die letzte, ganz südlich und hart an der abessinischen Grenze gelegene ägyptische Hafenstadt Massaua – ja, eben dieser Lage wegen, die bedeutendste von allen. Von Suakin braucht ein Dampfer nicht mehr als vierundzwanzig Stunden, aber das Schiff muß sich wegen der vielen Untiefen und Korallenbänke noch weiter vom Festlande entfernt halten, als auf der früheren Fahrt. Massaua liegt ganz auf einer Koralleninsel, deren es dort wie bei Suakin mehrere giebt, die aber in neuester Zeit durch Dämme (ein Werk des oben genannten Munzinger) mit dem Festlande verbunden sind. Vom Meere aus gesehen, macht Massaua einen ähnlichen freundlichen Eindruck wie Suakin, der aber durch die weit höheren Berge des nahen Abessiniens im Südwesten ungleich imposanter wird. Die Umgegend der Stadt ist gut bebaut; der Boden ist überaus fruchtbar und könnte bei rationeller Bewirthschaftung einen außerordentlichen Ertrag liefern. Bis weit nach Taka hinein gedeiht dort Alles, namentlich Baumwolle, die sogar noch weiter nach Westen, in Sennaar, wild wächst – ebenso der Kaffeebaum und in den Niederungen das Zuckerrohr und die Reispflanze. An Wasser aus den zahlreichen Gebirgsquellen fehlt es gleichfalls nicht, und wer weiß, was die Berge selbst an metallischen Schätzen in ihrem Schooße tragen? Aber noch ist das weite, reiche Land fast ganz im Naturzustande und wartet auf die fleißigen Hände guter Colonisten; vielleicht werden die Engländer auch hier thatkräftig eingreifen, denn, wie wir bereits früher gesagt, Massaua ist für sie ein sehr verlockender Platz.

Zunächst handelt es sich aber um die Wiederherstellung der Ruhe und des Friedens im Sudan, und diese Aufgabe ist keine leichte.[2] Zur Zeit, das heißt im März, wo wir dies schreiben, scheint der Mahdi sich ziemlich ruhig zu verhalten; das Gerücht geht sogar, daß ihm das Anerbieten Gordon’s (das Sultanat von Kordofan) sehr verlockend erscheine und daß er nahe daran sei, sein immerhin sehr zweifelhaftes Prophetenthum aufzugeben und sich mit einer weltlichen Herrschaft zu begnügen. Dann wäre er also doch und in Wahrheit der „Falsche Prophet“. Bestätigung bleibt übrigens abzuwarten. Fast scheint es dem Mahdi zu ergehen wie dem Goethe’schen Zauberlehrliug: „Die ich rief, die Geister, werd’ ich nun nicht los.“

Die entfesselten Horden, die man noch dazu durch die Aussicht auf den Paradieseslohn im Jenseits fanatisirt hat, sind schwer zu bändigen und noch schwerer. in die frühere Hörigkeit zurückzuführen. Hauptsächlich gilt dies von den Beduinenstämmen Sennaar’s und Taka’s, die jetzt die letzten Niederlagen bei Suakin zu rächen haben. Sie gehören zu den wildesten Kriegern des Mahdi und stellen sich mit einer an Wahnsinn grenzenden Todesverachtung dem Feuer der Feinde entgegen. Ihre Hauptwaffen bestehen, wie vor tausend Jahren, noch immer aus Speeren, Bogen und Pfeilen, Messern, Schwertern und Keulen mit den dazu gehörenden Schilden. Die Schilde sind durchweg von hartem Holz, mit zolldicker Elephanten- oder Nilpferdhaut überzogen, rund oder länglich, oft bunt bemalt und mit Metallzierrathen geschmückt; die Speere sind entweder sechs bis zehn Fuß lang zum einmaligen Schleudern, oder kürzer und dann mit einem Lederriemen versehen, um sie nach dem Wurf wieder zurückzuziehen und von Neuem zu verwenden. Diese letzteren sind die gefährlichsten. Die oft mehr als fußlangen eisernen Spitzen sind mit scharfen Widerhaken versehen, [218] meist sehr roh, aber auch manchmal hübsch zierlich gearbeitet. Von den Pfeilen gilt dasselbe, und das Gift, in das die Speer- und Pfeilspitzen getaucht werden, ist Pflanzengift, von verschiedenen Euphorbienarten, schnell wirkend und unbedingt tödtlich.

Fast durchweg pflegen die Sudanesen, wie die Abessinier, die Leichen der gefallenen Feinde zu verstümmeln, leider auch oft die blos Schwerverwundeten; sie schmücken sich sogar selbst mit einzelnen Gliedertheilen und hängen auch wohl die Schädel neben einem Heiligengrabe auf, wenn sich dort zufällig ein Baum vorfindet (vergl. Illustration S. 221). Das Schlachtgeschrei ist, je nach den einzelnen Stämmen, verschieden, selten ein wirklich verständliches Allah, sondern meist ein Geheul oder Gebrüll, das ganz an die wilden Thiere ihres Landes erinnert. Auch ist bei ihrer Kriegführung an kein geregeltes Vorrücken und Zusammenhalten, oder gar an irgend einen strategischen Plan von Seiten der Befehlshaber, wenn überhaupt solche da sind, zu denken.

Dies alles gilt aber nur, was wir nicht vergessen dürfen, von einzelnen Stämmen, die sich gewissermaßen auf eigene Hand der Bewegung angeschlossen haben; der Mahdi hat außerdem noch und speciell in seinem Hauptquartier in Kordofan ganz gut einexercirte und uniformirte Regimenter, die vortrefflich mit Schießgewehren, mit Säbeln und Seitengewehren bewaffnet sind. Tausende von Remington-Gewehren hat er in seinen Siegen erbeutet, und Tausende von Ueberläufern aus den verschiedenen ägyptischen Regimentern brachten ihre Waffen mit. Auch europäische und zwar italienische Officiere sollen in seinem Heere dienen, und in El-Obeid soll ein vollständiger Artilleriepark von mehr als dreißig Kanonen aufgestellt sein. Alles sehr problematisch; sicher ist nur, daß der Mahdi eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Geschützen besitzt, theils als Beute auf den Schlachtfeldern, theils von den kleinen südlichen Garnisonen, die sich ihm ergaben.

[272]
Sudanesische Frauen. – Das sudanesische Bettgestell. – Die Hütten der Eingeborenen. – Dorfleben. – Heilige und Derwische. – Khartum. – Der Mittelpunkt des afrikanischen Sclavenhandels. – Gordon’s Proclamation.

Wir folgten bis jetzt in unsern Schilderungen den kriegerischen Ereignissen und suchten die Städte auf, vor deren Thoren der Kampf wüthete. Nun müssen wir, um unser Bild zu vervollständigen, auch die stillen sudanesischen Dörfer kennen lernen, in welchen die Frauen und Kinder der Krieger des Mahdi, wie in den Friedenszeiten, das Feld bebauen und die häuslichen Geschäfte besorgen.

Ihr Loos ist im Allgemeinen nicht beneidenswerth, denn die Weiber werden auch im Sudan, wie überall in den mohammedanischen Ländern, und ganz besonders bei den Negervölkern, als Wesen untergeordneter Art betrachtet, denen ja der Koran selbst nur bedingungsweise eine Seele und damit das Anrecht auf Unsterblichkeit zugesteht. Wo dabei freilich die Huris des Paradieses hergekommen, ist eine andere Frage, es sind vielleicht ganz besondere Himmelsgeschöpfe; aber der Koran ist bekanntlich voll von Widersprüchen.

Heilige und Derwische im Reiche des Mahdi.
Originalzeichnung von Wilhelm Gentz.

Trotzdem sind die Sudanesinnen eitel und geben viel auf Putz, wenn auch in höchst eigenthümlicher Weise. Zunächst ist es das Haar, dem sie eine ganz besondere Sorgfalt zuwenden. Sie flechten es nämlich in hundert kleine Stränge, die, wenn das Haar recht üppig ist, terrassenförmig über einander liegen. Dies könnte allenfalls noch für eine originelle Mode gelten, aber das Schlimme und Widerwärtige kommt hintennach, das ist das Einreiben und gewissermaßen Durchtränken des Flechtkunstwerks mit Hammelfett, Telka genannt, das schon beim ersten Gebrauch durch die starke Hitze ranzig geworden ist und einen abscheulichen Geruch verbreitet. Die hübschesten Sudanesinnen (und es giebt wirklich unter den jüngeren Weihern schöne Gestalten mit überaus ansprechender Gesichtsbildung) werden dadurch für den Europäer Ekel erregend, vollends wenn man sieht, wie sie das herabtropfende Fett sorgfältig auf Schultern und Nacken verreiben, um ihrer dunkelfarbigen Haut noch mehr Glanz zu geben. Und einen solchen Kopfputz, für dessen Herstellung es eigene Künstlerinnen giebt, die sich ihre Arbeit teuer bezahlen lassen, tragen die Schönen oft einen Monat und länger, bevor sie ihn erneuern. Die Männer lassen sich dagegen, nach der allgemeinen Sitte der Mohammedaner, das Kopfhaar bis auf einen dicken Büschel im Wirbel kahl scheeren und tragen eine Filzkappe oder gar nichts. Turban und Tarbusch (das rothe Fez) sieht man nur in den Städten, wo auch die übrige Tracht beider Geschlechter eine gewähltere ist. In den Dörfern und auch in den größeren Ortschaften gehen die Kinder bis zum achten und zehnten Jahre unbekleidet; später bekommen die Knaben den Libáhs, eine Art weitfaltiger Badehose, wie sie auch die Aegypter tragen, und die Mädchen den Ráhad, einen aus langen, dicht an einander genähten Lederstreifen bestehenden Leibschurz. Die verheiratheten Frauen fügen diesem Kleidungsstück, außer dem Gesichtsschleier, noch die Fúrdah hinzu, ein größeres oder kleineres Baumwollentuch, in das sie sich sehr hübsch zu drapiren wissen, auch ausnahmsweise Sandalen oder feingeflochtene Strohschuhe, denn gewöhnlich geht alles barfüßig.

Die Kleidung der Männer ist ähnlich, das lange indigoblaue Baumwollenhemd der Aegypter findet sich auch im Sudan; der weiße Stoff kommt meistens aus England und wird in Kairo und in den südlicheren Nilstädten, namentlich in Siut, blau gefärbt. Von den Waffen der Sudanesen haben wir bereits gesprochen; hier wäre nur noch das Sickihn zu nennen, ein Messer, das jeder Mann in einer Lederscheide am linken Arm trägt, das ihn nie verläßt, und das viele nicht einmal Nachts ablegen. Es ist aber weniger Waffe als nothwendiges Hausgeräth, und auch die Nubier tragen ein solches Messer.

Ueberaus seltsam ist das sudanesische Bettgestell, das Ankaréb, das gewiß schon mancher unserer Leser in irgend einem ethnographischen Museum gesehen hat. Es besteht aus einem schrägen, auf kurzen Füßen ruhenden Holzrahmen, dessen schmaler innerer Raum mit starken Lederriemen vollständig überspannt ist; am Kopfende befindet sich eine Vorrichtung zum festeren Anziehen oder [273] zum Nachlassen der Riemen, was aber auch durch bloße Befeuchtung erzielt werden kann.[3]

Sudanesische Volkstypen. Originalzeichnung von Wilhelm Gentz.
Zur Erklärung dieses Gruppenbildes möge Folgendes dienen: Von den drei Männerköpfen auf der linken Seite des Holzschnittes stellt der oberste einen Typus des durch seine Wildheit schlecht beleumundeten Bischarinstammes dar, während der mittlere uns einen Bewohner Kordofans und der unterste einen Eingeborenen aus Darfor veranschaulicht. Die drei kleinen Köpfe rechts oben sind naturgetreue Portraits nubischer Jugend, und von den Frauenköpfen zeigt uns der oberste eine Repräsentantin der Bischarin, die anderen sind sämmtlich Frauentypen aus Khartum. Im Uebrigen verweisen wir unsere Leser auf den nebenstehenden Artikel.

Die Dörfer des Sudans, deren es unzählige giebt, denn auch die sogenannten kleinen Städte sind nicht viel mehr als Dörfer, nehmen sich fast alle, namentlich von fern gesehen, recht hübsch aus. Mimosen oder sonstige Akazienarten, Dum- oder Fächerpalmen (die Dattelpalme wird über Khartum hinaus immer seltener), Tamarinden und Lebbakbäume, und vor allem gewaltige Adansonien geben der Landschaft einen vollständig tropischen Charakter. Die letzteren, die sogenannten Affenbrodbäume, gehören jedenfalls zu den interessantesten Bäumen der Erde. Es sind wahrhafte Baumriesen, allerdings nur von mittlerer Höhe, aber ihre weitgestreckten Aeste, deren jeder schon an sich einen ungeheuren Baum bilden würde, gehen oft über hundert Fuß in die Breite, sodaß eine einzige Adansonie wie ein kleiner Wald aussieht. Dabei erreichen sie nachweislich ein Alter von vielen tausend Jahren. Die Gärten, und hier und da auch die bebauten Felder sind von Cactusfeigenhecken umgeben, die undurchdringlichen Schutz, sogar gegen wilde Thiere, gewähren, und ein gewaltiger Dornstrauch mit fingerlangen eisenharten Spitzen bildet einen noch dichteren Verhau, die sogenannte Scheriba, die im Kriege zu Verschanzungen dient, wie wir aus den verschiedenen Schlachtberichten von El Teb und Tamanieh noch jüngst erfahren haben.

Die Hütten der Eingeborenen (die Thokuls) tragen sämmtlich ein trichterförmiges Strohdach, „man erbaut sie,“ sagt Brehm (für unsere ganze Schilderung der beste Gewährsmann) „in wenig Tagen, und ein zufällig ausbrechender Brand zerstört sie in wenig Minuten.“

Einfach wie die Hütte ist auch das Leben ihrer Bewohner: der Mann liegt die meiste Zeit auf seinem Ankaréb und trinkt Busa oder Meriesa, zwei auf Durrahkörnern[4] gegohrene, dem Bier ähnliche Getränke, aber für einen europäischen Gaumen von widerlichem

[274]

El-Obeid.0 Originalzeichnung von Rudolf Cronau.

Geschmack; die Frau besorgt die Haushaltung und arbeitet, unbekümmert um die sengende Tropensonne, in dem kleinen Gemüsegärtchen, und die nackten Kinder spielen umher. Abends kommen die Dorfbewohner zusammen, die Mädchen führen ihre meist unschönen Tänze auf, die älteren Weiber schlagen dazu das Tamburin (die Tarabucca) und die Männer sprechen wohl von der letzten Karawane und dem kleinen Tauschhandel, den sie gemacht, oder auch von dem Scheich der nächstgelegenen Ortschaft, der für den folgenden Tag angemeldet ist, um die Steuern einzutreiben. In die blendend helle Vollmondsnacht tönt der heisere Ruf der Brüllaffen, oder das Geheul der Panther, aber die Raubthiere wagen sich nur selten in die Nähe der Menschen. Jetzt geht freilich seit etwa anderthalb Jahren ein anderer Geist durch jene Länder, weil sie der Mahdi in wilden Aufruhr gebracht hat. Die jüngeren Männer, von den überall umherziehenden Sendboten des Propheten aufgewiegelt, verlassen den friedlichen Thokul und eilen mit Schild und Lanze, mit Bogen und Pfeil zu irgend einem Versammlungsort, um sich den Heerhaufen anzuschließen.

Manchmal erscheinen auch in den Dörfern Derwische und Heilige, vorzüglich in letzter Zeit, um für den Mahdi Propaganda zu machen. Von jeher haben übrigens die Letzteren in der islamitischen Welt eine wichtige Rolle gespielt.

Wer nie mit eigenen Augen einen solchen magnuhn, weli oder megdubh, und wie man noch sonst die mohammedanischen Heiligen nennt, gesehen hat, würde nach der bloßen Schilderung solche Leute für Fabelwesen halten. Sie treiben sich aber zu vielen Hunderten, ja zu Tausenden in ganz Aegyptenland umher, und wir selbst sind ihnen in Kairo und in anderen ägyptischen Städten nicht allein häufig begegnet, sondern haben sie auch direct aufgesucht, um sie genauer kennen zu lernen.

Man könnte ein kleines ganz interessantes Buch darüber schreiben; hier beschränken wir uns nur auf einige kurze Andeutungen. Das Leben und Treiben dieser Verrückten, denn etwas Anderes sind diese „Heiligen“ nicht, obwohl es auch nicht wenig Betrüger und Speculanten unter ihnen geben mag, ist ein verschiedenes: manche sitzen halb oder ganz nackt Tage und Wochen lang auf einem Fleck und stoßen nur unartikulirte Laute aus, die von ihren Verehrern dann beliebig gedeutet und weiter verbreitet werden, andere, mit allerlei bunten Lappen und Fetzen behängt, laufen umher und „predigen“, wieder andere stehen als Bettler am Wege und verkünden unter verzückten Grimassen und sonstigen Faxen das nahe Gottesgericht – im vorliegenden Falle die Ankunft des neuen Propheten. Noch andere, und zwar die schlauen und gut bezahlten, gehen, wie oben erwähnt, als Sendboten unter das Volk, von Dorf zu Dorf, und stacheln es auf zum Christenhaß, zur Verfolgung der Ungläubigen, zur Abschüttelung des verhaßten ägyptischen Jochs, unter Verwünschungen des Khedivs und seiner Minister, die sämmtlich an die Engländer verkauft seien etc. Und das Alles predigen sie unter Hinweis auf die göttliche Sendung des Mahdi und die späteren Freuden des Himmels, die um so herrlicher sein werden, je mehr Christenhunde man hier auf Erden todtgeschlagen.

In den wenigen größeren Städten des Sudan ist natürlich das Leben ein anderes, und da nimmt vor Allem Khartum, die Hauptstadt des mittleren Sudans, unsere besondere Aufmerksamkeit in Anspruch.

Der erste Anblick der Stadt, deren Einwohnerzahl jetzt 40- oder gar 50,000 Seelen betragen soll, ist kein sehr anmuthiger. Die alljährlichen Ueberschwemmungen machen die nach dem Flusse hin liegende Umgebung sumpfig und bei der später eintretenden Hitze staubig; überhaupt ist das Klima Khartums, wie fast des ganzen Sudan, ein ungesundes und für Europäer gefährliches; Brehm nennt es geradezu ein „mörderisches“.

Ansicht von Khartum.0 Originalzeichnung von Rudolf Cronau.

Vom Nil selbst aus gesehen, sieht die Stadt weit freundlicher aus, aber sie bietet doch nur ein ähnliches Bild wie die übrigen kleinen am Nil gelegenen Städte. Der Fluß ist immer von [275] Barken belebt, und dann und wann kommt auch wohl eine Nilbarke (eine sogenannte Dahabieh) mit europäischen Touristen bis nach Khartum hinauf. Handel und Verkehr sind sehr bedeutend, zumeist nilabwärts nach dem eigentlichen Aegypten, und in Bulak, dem Hafen von Kairo, lagern stets massenhafte Waarenvorräthe aus der sudanesischen Hauptstadt, besonders Elephantenzähne, Straußfedern, Gummi, Sennesblätter, Felle, Hölzer, kunstreich geflochtene wasserdichte Körbe, hölzerne Schalen und Geräthe etc. Die den Nil hinauffahrenden Schiffe bringen eine außerordentliche Fülle von Waaren aller und jeder Art nach Khartum zurück, meist europäischen Ursprungs, ganz besonders baumwollene und ähnliche Stoffe, Leder und Eisen in rohem und verarbeitetem Zustande, und jene zahllosen Dinge, die man unter dem Namen Quincaillerie- oder Kurzwaarenartikel begreift, vom kleinsten Messerchen, Spiegelchen oder Gläschen an bis zu allen möglichen Haushaltungsgegenständen, zunächst für die im Sudan lebenden Europäer, aber auch für die anderen, besser situirten Einwohner, die sich nach und nach an den Gebrauch jener Dinge gewöhnt haben.

Von Khartum nach El-Obeid, der Hauptstadt Kordofans, ist noch eine lange Reise. Zuerst geht es zu Schiff den Weißen Nil hinauf bis nach Turrah und von da aus Reitkamelen nach Westen in das Innere. Dieser Theil der Reise ist der beschwerlichste, denn die in den weiten Steppen zerstreut liegenden Dörfer bieten kein Unterkommen, und der Wassermangel ist in der heißen Jahreszeit, selbst für die Eingeborenen, sehr empfindlich. Nur Bara, eine Tagereise nördlich von El-Obeid, macht mit seinen hübschen Palmen- und Mimosenwäldern und seinen gutgepflegten Gärten eine freundliche Ausnahme. Es ist ein großes Thokuldorf, und El-Obeid ist im Grunde auch nichts Anderes. Nur besitzt die Hauptstadt einige öffentliche Gebäude, darunter den „Palast“ des Gouverneurs und eine Caserne; in dem ersteren hat der Mahdi jetzt sein Hauptquartier aufgeschlagen, wie denn überhaupt Kordofan mit seiner Hauptstadt als der eigentliche Mittelpunkt der gesammten sudanesischen Revolution angesehen werden muß.

Ist nun schon die Bevölkerung Khartums eine buntscheckige und gemischte, so ist es diejenige El-Obeids in noch höherem Grade, nur daß hier die echt afrikanische schwarze Hautfarbe noch allgemeiner vorwaltet – hauptsächlich der vielen Negersclaven wegen, die weit mehr als die Hälfte der Einwohnerschaft ausmachen. In El-Obeid sieht man Repräsentanten aller schwarzen Menschenrassen, Nubier und Bischarin, Mohren aus Darfor und Fassogl, auch aus den entlegenen Gallaländern, die von den Sclavenhändlern auf ihren Raubzügen erbeutet und hier verkauft wurden – die verschiedenartigsten Typen, wie sie der berühmte Orientmaler Professor Wilhelm Gentz in Berlin auf einer unsrer heutigen Illustrationen veranschaulicht hat. El-Obeid wird mit Recht als das Centrum des gesammten mittelafrikanischen Sclavenhandels betrachtet. Dorthin kommen zunächst die zahlreiche Karawanen mit ihrer lebendigen Waare, auf die früher von den Regierungsbeamten (und wer weiß, ob nicht jetzt von dem Mahdi) ein Zoll wie auf jeden andern Importartikel gelegt wurde und zwar ein sehr hoher; bis zu zwanzig Thalern und mehr nach unserem Gelde. Von El-Obeid ziehen auf Schleichwegen durch die östlichen und westlichen Wüsten, oft aber auch ganz frech auf Nilbarken (oben leichte Waarenballen und unten im Raume die gefesselten Unglücklichen) die Händler nach Norden weiter. Was unterwegs stirbt, wird einfach in den Fluß geworfen oder im Sande liegen gelassen; selbst bei fünfzig Procent Verlust ist der Gewinn noch immer ein außerordentlich großer, wie ihn kein anderes Handelsgeschäft abwirft.

Die Jagd auf den schwarzen Mann und der Handel mit Menschenfleisch haben allen Gesetzen zum Hohn bis auf die neueste Zeit in jenen Ländern fortgewuchert, und da die Ausübung derselben sich in den letzten Jahren vor dem Auge der höheren Beamten verborgen halten mußte, so waren die Opfer des Sclavenhandels der Willkür der Händler preisgegeben. In dem sudanesischen Volke gab es und giebt es keine öffentliche Meinung, die zu Gunsten der Unglücklichen sich erheben würde. Seit unvordenklichen Zeiten galt der Sclavenhandel als erlaubt, er bildete in den Augen der Betheiligten ein „Recht“, dessen Scheußlichkeit den barbarischen Stämmen mindestens ebenso unbegreiflich war, wie einst den civlisirten Sclavenhaltern Nordamerikas.

Unter diesen Umständen muß man zu der Annahme hinneigen, daß Gordon durch seine Proclamation, auf die wir in unserem ersten Artikel hinwiesen, keineswegs den Sclavenhandel als solchen in Schutz nimmt und von Neuem autorisirt, sondern daß er nur die Sclaven selbst und ihren Besitz gesetzlichen Regeln unterwerfen und somit der bisherigen Willkür in ihrem An- und Verkauf sowie in ihrer Behandlung Schranken ziehen will. Vielleicht versucht er auf diese Weise einen Uebergang von den jetzigen trostlosen Zuständen zur gänzlichen Aufhebung der Sclaverei zu schaffen. Ob ihm dies gelingen wird und ob die jetzigen Wirren im Sudan in absehbarer Zeit zu einem für die unglücklichen Völker gedeihlichem Ende geführt werden können, diese Frage auch nur mit annähernder Sicherheit zu beantworten, scheint uns selbst für die mit den Verhältnissen Vertrauten ein Ding der Unmöglichkeit.



Anmerkungen

  1. Vergl. Nr. 11.
  2. Auch in Berber, von welcher Stadt wir gleichfalls ein Bild bringen, soll neuerdings die Bevölkerung unruhig geworden sein. Berber liegt schon weit nördlich über Khartum hinaus, und insofern könnte diese Nachricht bedenklich werden, weil die noch nördlicher wohnenden Bischariestämme sich bereits für den Mahdi erklärt und auch, wenigstens theilweise, an den Kämpfen bei Suakin theilgenommen haben. Berber selbst ist nur durch seine Lage am Nil, wodurch es mit Khartum eine sehr lebhafte Schifffahrtsverbindung unterhält, bemerkenswerth und augenblicklich doppelt wichtig, weil die nach Aegypten zurückkehrenden Truppen sämmtlich über Berber müssen.
  3. Diese Ankarébs sind überaus bequem und auch oft, namentlich aus Eisenholz, sehr hübsch gearbeitet, sie bilden sogar einen Ausfuhrartikel, und man findet sie häufig in den vornehmen Häusern Kairos und Alexandrias, wo sie als Ruhebetten dienen. Ein anderes kleines Gestell gehört gleichfalls hierher: es sieht aus wie der obere Theil einer gewöhnlichen Krücke und dient den oben geschilderten Schönen Nachts als Nackenstütze um ihre Frisur zu schonen. Unglaublich, möchte man hinzufügen, wenn nicht einst auch bei uns Hochfrisuren Aehnliches erfordert hätten.
  4. Mohrenhirse.