Barrabas
Es war einst ein Bettler, der bekam viele Kinder, und wählte immer dreißig Gevattern zur Taufe, auf daß sie ihn beschenkten, und von dem Gelde lebte er dann eine Zeit lang mit seiner Frau herrlich und in Freuden. Zuletzt aber brachte seine Frau noch einen Sohn zur Welt, und weil schon alle Leute in der Hütte des Bettlers Gevatter gestanden hatten, so wußte er für dies Kind keinen Pathen mehr als seine armen Verwandten, die ihm nichts schenken konnten. Als nun der Knabe in der Kirche getauft wurde, trat daheim der Teufel zu dem Bettler, ihn zu versuchen, und erinnerte ihn, wie er früher so lustig Kindtaufe gehalten und noch lange Zeit von den Geschenken der dreißig Taufzeugen gelebt hatte, und da verschrieb er dem Teufel den Knaben und bekam von ihm mehr Geld, als er sonst an einer Kindtaufe gehabt hatte. Er hielt nun mit seiner Frau und seinen ältern Kindern noch die allerlustbarste Kindtaufe.
Es kam aber die Zeit heran, da der Knabe zwanzig Jahr alt war und dem Teufel übergeben werden mußte. Da versammelten sich der Pfarrer, der Lehrer und der Superintendent in der Kirche, schlossen einen Kreis und nahmen den Knaben mitten hinein, schlugen auch einen Gesang auf und legten das aufgeschlagene Gesangbuch [210] dem Jungen auf den Kopf. Sogleich erschien der Teufel und forderte den Jungen, da sagte der Superintendent: Nur wenn er jetzt die Macht hätte, ihn aus dem Kreise herauszunehmen, solle er ihn haben. Diese Macht hatte der Teufel nicht und sagte, der Junge solle nach der Hölle kommen und die Verschreibung zurückholen. Da verschwand der Teufel; der Knabe aber machte sich auf, und kam auf einen großen schönen Weg, der wurde immer breiter und breiter und führte zuletzt in die Hölle. Da standen Unglückliche, denen Pech im Halse brannte, und ein Bett stand da, das brannte lichterloh, und der Teufel gab ihm die Verschreibung zurück, erzählte auch, daß in dieses Bett der Räuber Barrabas sollte, welcher schon neunundneunzig Menschen todtgeschlagen hätte, wenn er aber den hundertsten todtschlüge, so würde er sofort in die Hölle kommen, wo er in dem brennenden Bett schlafen solle. Dann ging der Junge mit der empfangenen Bescheinigung wieder fort und es begegnete ihm ein Riese, der trug einen Stab in der Hand und fragte, wo er herkäme, und der Knabe sagte: „Aus der Hölle!“ und erzählte von dem Bette des Räuber Barrabas. Da steckte der Riese den Stab in die Erde und sprach: „Dieser Barrabas bin ich, mein Sohn! neunundneunzig habe ich schon getödtet, und Du, hättest Du mir nicht solches berichtet, wärst der hundertste gewesen.“
Da gab der Riese dem Jüngling alles Geld, was er geraubt hatte, und der war fortan ein reicher Herr und zog mit einer großen Dienerschaar in der Welt umher und that wohl von dem Gelde des Riesen allen Kranken und Elenden.
[211] Eines Tages kam er wieder in die Nähe der Stelle, wo er dem Riesen Barrabas begegnet war, da sah er einen schönen Apfelbaum mit rothen Äpfeln stehen, die lachten ihn an, und er hieß seiner Diener Einem ihm einen Apfel von dem Baume brechen. Als aber der Diener nach dem Apfel greifen wollte, hoben sich die Zweige in die Höhe und sprachen:
Du hast mir die Frucht nicht gegeben,
Kannst sie mir auch nicht nehmen.
Da aber der Jüngling selbst hinkam zu dem Apfelbaum, neigten sich die Zweige und sprachen:
Du hast uns die Frucht gegeben,
Kannst sie uns auch nehmen.
Es war aber dies derselbige Stab, den der Riese Barrabas in die Erde gesteckt hatte. Weil der Riese Barrabas Buße that, hatte der Stab begonnen zu blühen und Früchte zu tragen und da hatte der Riese gerufen: So viel rothe Äpfel auf diesem Baume seien, so viel blutrothe Mordthaten hätte er auf seinem Gewissen, und da hatte Gott ihn in seinen Himmel aufgenommen und wenn die Engel die Gnade und Langmuth Gottes loben, so übertönt der Gesang des Riesen Barrabas die Gesänge aller der himmlischen Heerschaaren.
Der Jüngling aber brach die Äpfel alle vom Baume und sie wurden in seinen Händen alle zu Gold und wurden ein Segen und eine Erquickung für alle Armen und Kranken.
Anmerkungen der Vorlage
[235] Folgende schöne Variante wurde mir noch so eben am Fuße des Brockens bekannt. Ein Frachtfuhrmann bricht ein Rad, ein schwarzes Männchen hilft ihm. Dafür soll er ihm seinen Sohn, als der [236] 14 Jahr alt ist, auf die nämliche Stelle bringen. Der Knabe sucht Hülfe bei Priestern, die schicken ihn zu Bischöfen, die Bischöfe zum Papst, der Papst sendet ihn zu einem Einsiedler, dem täglich drei Engel beistehen, der – noch 70 Meilen weiter zu seinem Bruder, einem Räuber, und meint in der Stille, der Räuber werde ihn tödten, ehe er dem schwarzen Männchen, dem Teufel, verfalle. Als der Knabe indessen den Räuber von seinem frommen Bruder grüßte, der ihn noch niemals hatte grüßen lassen, beschloß derselbe gerührt ihm zu helfen. Er beschied den Satan vor sich und dieser war gezwungen, den Knaben mit sich zu nehmen, um ihm die Handschrift zurückzugeben, die ihm sein Vater ausgestellt hatte. Dabei sah er einen neuen Topf einmauern und erfuhr, daß der Räuber darin gekocht werden solle. Der aber hatte sich unterdessen zu Gott bekehrt. Der Knabe muß ihm Hände und Füße binden und ihn dann mit seinem eignen Schwerte in Kochstücken hauen. Nachdem dies alles in drei Tagen geschehen, ist gerade die Zeit da, wo der Knabe dem schwarzen Männchen verfallen gewesen wäre. In diesen drei Tagen aber war der Einsiedler von seinen drei Engeln verlassen und als sie wieder erscheinen, erfährt er, daß sie unterdessen seines Bruders Seele in Abrahams Schoos getragen haben. Erzürnt, daß sein sündiger Bruder noch eher in den Himmel gekommen ist, als er, wird er ein Räuber und – so schloß mein Erzähler, der Sattler Kolbaum in Hasserode – der Satan hatte doch einen Braten. – Professor Meier gab das Märchen in seiner Sammlung unter Nr. 16 in noch anderer Fassung. So wie wir es im Texte lieferten, stellen sich Beziehungen zu Donar und den Riesen als sein wesentlicher Gehalt heraus. Vorzüglich merkwürdig ist, daß hier der Stab, der, wie öfter in Sagen geschieht, in die Erde gesteckt sogleich Früchte trägt, ein Riesenstab ist.