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BLKÖ:Stoll, Johann Ludwig

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
korrigiert
Band: 39 (1879), ab Seite: 157. (Quelle)
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Stoll, Johann Ludwig (Poet, geb. in Wien im Jahre 1778, gest. ebd. nach Gräffer am 22. Juni 1815). Der durch seine Schicksale denkwürdige Sohn des berühmten Arztes Maximilian Stoll, dessen Biographie [siehe die S. 161] folgt. Seine Mutter, die er früh durch den Tod verlor, war die Tochter des fürstlich Eszterházy’schen Leibarztes Molitor Edlen von Mühlfeld. Wir haben hier ein Dichterleben vor uns, über dessen Einzelnheiten wir uns vergebens in den umfassendsten Werken über deutsche Literatur, wie bei Heinrich Kurz, Wolff, Jördens u. A. umsehen, einen geistvollen Poeten und Schriftsteller, dessen die Literaturgeschichten Laube’s, Menzel’s, Gottschall’s u. A. gar nicht gedenken, und dem selbst Goedeke in seinem „Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung. Aus den Quellen“, diesem Monumente deutschen Fleißes und deutscher Gründlichkeit, nur wenige Zeilen widmet. Und doch ist Interessantes über sein Leben, Verdienstliches über sein Schaffen zu berichten. Freilich fiel sein Hinscheiden in das ereignißreiche Jahr 1815, in welchem unter der Fülle des politischen Treibens und Drängens das Einzelleben, und gar wenn dieses in Noth und Kummer verhauchte, spurlos hinüberging. Erst zehn Jahre zählte der Sohn, als ihm der Vater 1788 starb. Ein zarter Knabe von schwächlicher Constitution, bedurfte er sorgfältiger Pflege. Die Mittel dazu [158] waren reichlich vorhanden, denn sein Vater hatte ihm das ansehnliche Vermögen von 200.000 fl. hinterlassen, wo durch der junge Stoll sich in der Lage befand, ein Uebriges für seine physische und geistige Ausbildung zu thun. Sein Erzieher, ein emigrirter Abbé Namens Staß, fügte sich leider den Launen des talentbegabten Zöglings nur zu leicht. Der junge Stoll wollte zunächst reisen, mit welchem Plane sein Mentor sich ganz einverstanden erklärte, aber dieses Project blieb, so lange das Vermögen dem Erben nicht ausgefolgt war, unausführbar. Endlich ward dieses Hinderniß beseitigt, und der junge Stoll hatte über sein Erbe zu verfügen. Wie es geschehen konnte, daß der feurige, genußsüchtige und unerfahrene minderjährige Jüngling, der den Werth des Geldes gar nicht zu würdigen verstand, uneingeschränkter Herr seines Vermögens wurde und über dasselbe nach seinen Launen und nicht nach den Bedürfnissen eines geregelten Lebensganges, die er bei so schönen Einkünften immer noch glänzend befriedigen konnte, verfügte, ist noch unaufgeklärt. Mit seinem nachgiebigen Mentor durchzog er Italien, Frankreich, Belgien, England, Deutschland, stürzte sich überall kopfüber in den Strudel der Genüsse und warf das Geld mit vollen Händen hinaus. So waren nach wenigen Jahren zwei Drittheile des ansehnlichen Erbes vergeudet. Aus einer Mittheilung des alten Justinus Kerner, der 1809 längere Zeit in Wien verweilt und viel mit Stoll verkehrt hatte, erfährt man, daß dieser um das Jahr 1798 sich in Berlin aufgehalten, um Fichte zu hören. Ein eigentliches Brodstudium habe er nie betrieben, hingegen in Sprachen und philosophischen Studien sich ernstlich ausgebildet. Von Berlin sei er nach England gegangen und habe in London mit Schauspielern in leichtem Jugendsinne, oder richtiger jugendlichem Leichtsinne, den größten Theil seines Vermögens durchgebracht. Von London nach Deutschland zurückgekehrt, habe er in Weimar, wo er den ihm befreundeten Falk vorgefunden, mit dem kleinen Reste seines Vermögens als Privatgelehrter sich niedergelassen. Hier lernte er Leo von Seckendorf [Bd. XXXIII, S. 268], den jungen Feuergeist kennen, der später als Landwehr-Hauptmann in der österreichischen Armee bei Ebelsberg (6. Mai 1809) den Heldentod fand. Seckendorf, der mittlerweile nach Wien gegangen war, um seinen kranken Bruder zu pflegen, nahm daselbst seinen bleibenden Aufenthalt. Stoll zog ihm in einiger Zeit mit den Trümmern seines Vermögens nach. Da er, der bisher ganz seinen Launen gelebt, sich nicht für eine bestimmte Laufbahn entscheiden konnte, so privatisirte er und verband sich dann mit Seckendorf zur Herausgabe einer Zeitschrift „Prometheus“, in welcher schon die im Denken, Fühlen und Leben stets widerstrebenden Elemente Oesterreichs Norddeutschland nähergebracht und befreundet werden sollten. Durch die auf seinen Reisen gemachten Bekanntschaften gelang es ihm, gute Namen für sein Unternehmen zu gewinnen, unter Anderem erschien auch Goethe’s Festspiel „Pandora’s Wiederkunft“ im 1. und 2. Hefte des „Prometheus“. Bis zum Jahre 1808 kamen davon sechs Hefte heraus, die Fortsetzung unterblieb des bevorstehenden Krieges wegen. Seckendorf, kampfesmuthig, wie er war, zog in denselben und kehrte nicht wieder. Stoll blieb zurück und wurde von der Nachricht des Heldentodes seines [159] Freundes auf das tiefste erschüttert. Schon früher hatte er eine Stelle gesucht und eine solche als Theater-Regisseur unter der Direction des Grafen Pálffy [Bd. XXI, S. 202] erhalten. Als dann die Franzosen in Wien einrückten, gelang es dem Poeten, sich dem Leibarzte Napoleons, J. N. Corvisart zu nähern, der die „Aphorismen zur Erkenntniß und Behandlung der Fieber“ von Stoll’s Vater ins Französische übersetzt hatte. Corvisart interessirte sich für den jungen Mann, dessen drückende Lage ihm bald bekannt geworden, und seinem Fürworte gelang es, ihm eine Vorstellung bei Kaiser Napoleon zu erwirken, der dem verarmten Sohne des berühmten Arztes eine kleine Pension aussetzte. Dieser Umstand, wie ferner die Thatsache, daß Stoll, als der Aufruf zur Bildung einer Landwehr erging und Alt und Jung sich begeistert unter die Fahnen schaarte, es unterließ, gleichfalls dem Waffenrufe zu folgen, machte ihm die Wiener feindlich gesinnt, und er verlor seinen Posten als Theater-Regisseur. So in schwere Bedrängniß versetzt, welche sich nur noch steigerte, als nach Napoleons Abgang von Wien seine Pension mit einem Male ausblieb, fristete er mit Schriftstellerei kümmerlich sein Dasein. Aus dieser Zeit verdanken wir Gräffer, der den Dichter persönlich kannte, einige Nachrichten über denselben. Gräffer schreibt: „Um seine kärgliche Existenz zu fristen, fuhr Stoll fort, literarisch thätig zu sein. Alsbald las man an den Straßenecken affichirt: Bei Geistinger ist erschienen: „Neoterpe. Schnecken-Almanach von J. L. Stoll“. Dieses geniale Product, an welchem übrigens die Goethe’sche Schule nicht zu verkennen, machte Eindruck; selbst die Franzosen, wenn sie auch nur einigermaßen deutsch verstanden, fanden Geschmack daran, schon gereizt durch die von Grüner dabei befindlichen frappanten Bilder. Stoll wohnte im erzbischöflichen Gebäude auf dem Heidenschuß, ober dem Freiherrn von Retzer in einer ärmlichen Stube, in der er auf einem Rechaud den ganzen lieben Tag hindurch schwarzen Kaffee kochte und ihn leidenschaftlich trank. Mit ihm bekannt, wollte ich ihn beschäftigen. Ich sprach von einer ausführlichen Biographie Schiller’s. Stoll war gleich bereit dazu, versicherte, viel noch Unbekanntes zu wissen, da er mit dem Dichter persönlichen Umgang gehabt, wies mir auch zwei Briefe Schiller’s an ihn. Ich schaffte das Material, mußte einen Geldvorschuß leisten, erhielt aber kein Manuscript. Von Stoll wendete ich mich ab, übertrug die Sache dem gebildeten und geistreichen nachmaligen Domprediger Khünl [Bd. XI, S. 237] und das Buch erschien unter dem Titel: „Biographie Schiller’s und Anleitung zur Kritik seiner Werke“. Da es Absatz fand, so verfiel ich auf eine andere biographische Speculation, machte mich, da es dem Manne doch gar so schlecht ging, wieder an Stoll, kam aber ebenso arg an. Dem guten Stoll war leider nicht mehr zu helfen. Der edle Justinus Kerner wird das selbst eingesehen haben“. So Gräffer, an dessen Glaubwürdigkeit in diesen Sachen nicht zu zweifeln ist. Was nun Justinus Kerner betrifft, den Ersterer am Schlusse nennt, so nahm er sich während seiner bereits erwähnten Anwesenheit in Wien des verlassenen Stoll warm an. Er erkannte in ihm, den er noch in späten Jahren, wenn er dessen im Gespräche dachte, „den guten lieben Stoll“ nannte, den wahrhaft genialen [160] Poeten. Oft nahm er ihn mit sich ins Gasthaus, um ihm doch die nothwendigste Lebensbedingung zu gewähren. Gingen sie zusammen spazieren, so mußte er oft die klaffenden Wunden an dessen Stiefeln mit englischem Pflaster zusammen kleben. Dabei lernte er die guten Eigenschaften und den Geist Stoll’s, der sich besonders in dessen dramatischen Arbeiter kundgab, immer mehr schätzen und sucht den Dichter zu bewegen, seine Poesien zu sammeln, für welche er ihm einen Verleger zu verschaffen versprach. In Kurzem war der erste Band zusammengestellt. Die Verlagshandlung Braun in Karlsruhe übernahm auf Kerner’s Verwendung den Verlag dieser vielversprechenden Producte, und wirklich erschien bald der erste Band, der ein Gedicht „An Napoleon“, vielleicht das schönste, das je auf ihn gemacht wurde, dann die dramatischen Arbeiten „Das Bild Amors“, „Scherz und Ernst“ und „Die Schnecken“ enthielt, wofür der Verleger an den Dichter 500 fl. sendete. Dadurch in die Lage gesetzt, nach Paris reisen zu können, um dort persönlich seine Pensions-Angelegenheit zu betreiben, ging Stoll sogleich dahin ab und erwirkte auch ein günstiges Resultat. Aber nach Wiederausbruch des Krieges änderte sich die ganze Sache. In der größten Noth kehrte er nach Wien zurück, wo er bald im Elende starb. „Wie Andere der Weintraube, ward Stoll wohl der Kaffeebohne Opfer“ meint Gräffer. – Friedrich Schlegel besorgte das Leichenbegängniß, und Uhland schrieb auf Stoll das Gedicht „Auf einen verhungerten Dichter“, worin eine Strophe dessen verwaister Jugend gedenkt: Die Mutter starb dir frühe | Man sah an dem Verlust | Daß dir kein Heil erblühe | Von einer ird’schen Brust“. – Auch Castelli gedenkt in den „Memoiren seines Lebens“ (Bd. I, S. 140) Stoll’s, den er im Jahre 1807 kennen gelernt. Er berichtet nur wenig über ihn. „daß er sich zu jener Zeit eines ehrenvollen Rufes erfreute, welcher durch ein paar Gedichte und sein unaufführbares Lustspiel „Die Schnecken“ entstand, allmälig schwächer wurde und endlich mit ihm ins Blaue verschwand, wohin auch seine wenigen Werke sich verloren“. – Wenig ist, was Stoll herausgegeben. In chronologischer Folge erschienen: „Scherz und Ernst. Ein Spiel in Versen“ (Berlin 1804, VI u. 86 S.), eine freie, aber sehr gelungene Bearbeitung des Lustspiels „Défiance et malice“ von Dieulafoy, einem 1823 verstorbenen ungemein fruchtbaren französischen Vaudeville-Dichter; – „Amors Bildsäule. Gesellschaftsspiel in einem Aufzug“ (Wien 1808, 8°.); – „Die Schneckenkomödie. Ein scherzhaftes Taschenbuch auf das Jahr 1810. Nebst einem Anhange kleiner Gedichte“ (Wien 1810, 12°.); – „Poetische Schriften“ Erster Theil (Karlsruhe 1811, 8°.), welche die vorerwähnten Schriften gesammelt enthalten. Der mit Seckendorf gemeinschaftlich herausgegebenen Zeitschrift „Prometheus“ ist schon gedacht worden. Einzelne Gedichte Stoll’s enthält Seckendorf’s „Musen-Almanach“ für 1807 und 1808.

Kehrein (Joseph), Biographisch-literarisches Lexikon der katholischen deutschen Dichter, Volks- und Jugendschriftsteller im 19. Jahrhundert (Zürich u. s. w. 1871, Wörl, gr. 8°.) Bd. II, S. 183 [nach diesem gest. am 22. Jänner 1815]. – Goedeke (Karl), Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung. Aus den Quellen (Hannover 1859 u. f. L. Ehlermann, 8°.) Bd. III, S. 56 [auch nach diesem gest. am 22. Jänner 1815]. – Brümmer (Franz), Deutsches Dichter-Lexikon. Biographische und bibliographische Mittheilungen über deutsche Dichter aller Zeiten (Eichstädt [161] und Stuttgart 1877, Brüll’sche Buchhandlung, schm. 4°.) Bd. II, S. 398. [gibt auch gleich den Vorigen sehr dürftige Notizen und den 22. Jänner 1815 als seinen Todestag an]. – (Schwaldopler), Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts. Mit besonderer Hinsicht auf die österreichischen Staaten (Wien 1807, Anton Doll) III. Bändchen: „Geschichte des Jahres 1803“, S. 161.