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BLKÖ:Sniadecki, Johann

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 35 (1877), ab Seite: 211. (Quelle)
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Sniadecki, Johann (Astronom, Naturforscher und Geschichtsschreiber, geb. zu Znin, einem Städtchen in der Nähe von Gnesen 29., nach Poggendorff schon am 21. August 1756, gest. zu Jaszun, einem Gute seines Bruders Andreas in der Nähe von Wilna am 21. November 1830). [212] Sein Vater Andreas, selbst ein sehr unterrichteter Mann, welcher die höheren Studien beendet hatte und die Wissenschaften liebte, wollte, daß auch seine Söhne eine tüchtige Bildung erhielten und schickte seinen erst neunjährigen Sohn Johann in das Collegium Lubrański nach Posen, wo dieser durch sieben Jahre verblieb, zugleich aber auch am Collegium der Jesuiten die Vorträge über Physik des Jesuiten Rogaliński hörte. Im August 1772 ging Johann S. nach Krakau, erhielt dort einen Platz in der Bursa und erlangte noch im October d. J. das Baccalaureat der Philosophie. Nun hörte er durch zwei Jahre noch die Vorträge aus der Physik und Mathematik. Darauf wurde er Doctor der Philosophie und begann an der Krakauer Hochschule Vorträge aus der Algebra, einem damals an der Jagellonischen Universität noch wenig gekannten Wissenschaftszweig, zu halten. Als Kollontaj [Bd. XII, S. 365] im Jahre 1780 die Reorganisation der Krakauer Hochschule durchgeführt hatte, wurde S. zum Professor der Statik, Hydraulik und Logik, ferner zum Professor der politischen Oekonomie am Nowodworskischen, im J. 1617 gegründeten Gymnasium in Krakau ernannt. Kollontaj munterte nun S. auch zu einer wissenschaftlichen Reise in’s Ausland auf, wozu ihm die Mittel aus dem Vermögen der Hochschule angewiesen wurden. So besuchte S. 1778 Deutschland, Holland und Frankreich. Auf dieser Reise verweilte er längere Zeit in Göttingen, hörte dort Vorträge über Astronomie, trieb aber nebenbei Kriegsbaukunst, deutsche Sprache und Literatur. Ueberangestrengtes Studiren hatte seine Gesundheit angegriffen. S. verließ nunmehr auf Rath des Arztes Göttingen und setzte seine Reisen weiter fort. Im Jahre 1779 kam er nach Leiden, nahm dort seinen bleibenden Wohnsitz und machte von da aus Reisen im Lande nach allen Richtungen. Diese kleinen Ausflüge hatten ihn wesentlich gekräftigt, auch war er daselbst vielfach mit Männern der Wissenschaft in Verbindung getreten. Zu Anbeginn des Jahres 1780 reiste er nach Paris, wo er astronomische Beobachtungen anstellte, Chemie, Mineralogie und französische Literatur studirte und mit den hervorragendsten Gelehrten verkehrte. Bald wurde der Name des gelehrten Polen in den wissenschaftlichen Kreisen von Paris genannt und bekannt; aber auch seine eigenen Landsleute wurden jetzt erst recht auf ihn aufmerksam, Gregor Piramowicz, Secretär der Unterrichtscommission, suchte S. in Paris auf und empfahl ihn auf das wärmste der obersten Schulbehörde seines Vaterlandes. Die Folge davon war, daß die Commission anordnete, an Sniadecki 300 Ducaten als Beitrag zu den Reisekosten auszuzahlen und daß sie ihm überdieß die Lehrkanzel der höheren Mathematik an der Krakauer Hochschule mit dem Jahresgehalte von 6000 fl. poln. verlieh, jedoch von ihm verlangte, daß er schon mit dem beginnenden Schuljahre seine Vorträge eröffne. Obgleich ihm nun zur nämlichen Zeit durch Vermittlung d’Alembert’s der Antrag einer Anstellung als Astronom an der Madrider Sternwarte mit jährlichen 1000 Ducaten Gehalt und nach zehnjährigen Diensten einer Remuneration von 6000 Ducaten gemacht worden, stand S. doch keinen Augenblick an, die viel mäßigeren Anträge seiner Heimat anzunehmen, um derselben seine Dienste widmen zu können. Gegen Ende des Jahres 1781 begann er an der Krakauer Hochschule seine Vorträge aus der Mathematik und schon [213] im folgenden Jahre jene aus der Astronomie. Außerdem war er noch als Secretär Kollontaj’s thätig, war Mitglied des obersten Erziehungsrathes, Visitator und hatte noch das Organisations-Statut der Provinzialschulen auszuarbeiten. Ueber seinen Antrag erfolgte der Bau eines Observatoriums und um diesen allen Anforderungen der Wissenschaft entsprechend auszuführen, reiste er 1787 nach England, blieb dort über ein halbes Jahr, machte sich daselbst mit allen astronomischen Einrichtungen bekannt, wie er deßgleichen dieselben in Frankreich und Deutschland studirte. Nach seiner Rückkehr nach Krakau widmete er sich ausschließlich seinem astronomischen Observatorium, dessen Einrichtungen und Arbeiten in den in Wien in lateinischer Sprache herausgegebenen Ephemeriden (1798 bis 1805) und in Zach’s monatlicher Correspondenz (1802) beschrieben und abgedruckt sind. Aus diesen seinen Arbeiten wurde er aber in Folge der politischen Wirren und Veränderungen seines Vaterlandes gerissen, da er von der Universität den Auftrag erhielt, nach Warschau und Grodno sich zu verfügen und daselbst für die Wahrung der Interessen derselben und die Erhaltung des Erziehungsfondes zu wachen und einzustehen. Und in der That verdankt in jenen verhängnißvollen Tagen die Krakauer Hochschule Sniadecki’s energischem Einschreiten ihre Erhaltung, und diese Wirksamkeit in der genannten Zeit bildet auch eine der schönsten Epochen in S.’s Leben. Die dankbare Hochschule, sein einflußreiches und so gedeihliches Wirken anerkennend, erwählte ihn auch, um ihm ein Zeichen ihrer Dankbarkeit zu geben, zum Präsidenten des naturwissenschaftlichen Collegiums, einer ebenso ehrenvollen als wichtigen Stelle. Seine Thätigkeit auf dem Landtage zu Grodno im Jahre 1793, auf welchem er, unbekümmert um die Gegner, die Interessen der allgemeinen Wohlfahrt auf das entschiedendste vertrat, gewannen ihm ebenso die Zuneigung des Königs Stanislaus August, wie die Achtung vieler damals hochgestellter und einflußreicher Männer. Die politischen Wirren, welche im Jahre 1795 in Polen Statt hatten, nöthigten ihn, seine Zuflucht auf österreichischem Gebiete zu suchen und S. verweilte längere Zeit in Galizien, wo er ausschließlich seinen Studien lebte. Als im Jahre 1801 in Warschau die Gesellschaft der Wissenschaftsfreunde sich gestaltet hatte, war S. eines der ersten in dieselbe gewählten Mitglieder. Im folgenden Jahre entband die österreichische Regierung S. über sein Verlangen von allen seinen Verpflichtungen an der Krakauer Universität und er trat als Emeritus mit einer entsprechenden Pension aus dem Dienste. Nun unternahm er in den nächsten zwei Jahren Reisen, auf welchen er die vorzüglichsten Sternwarten in Italien, Frankreich und Deutschland besuchte und nach seiner Rückkehr die Absicht hatte, in Krakau sich niederzulassen und sich zu eigenen Zwecken mit astronomischen Beobachtungen zu beschäftigen. Aber Czacki und Kollontaj bewogen ihn, sein Vorhaben aufzugeben und die Stelle eines Astronomen an der Sternwarte in Wilna anzunehmen. So verließ denn S. nach 27jähriger Thätigkeit, in dem ihm zur zweiten Heimat gewordenen Krakau, diese Stadt. Bald nach seiner Ankunft in Wilna erwählte ihn die Hochschule zum Rector, welche Würde er von 1807 bis 1814 bekleidete. Im Jahre 1814 legte er das Rectorat nieder und blieb weiters nur mehr als Astronom und Mitglied der lithauischen Erziehungs-Commission [214] bis 1825 thätig. Im letztgenannten Jahre legte er auch diese beiden Aemter nieder, sich ganz in den Ruhestand zurückziehend, den er zu Jaszun, einer wenige Meilen von Wilna gelegenen Besitzung seines Bruders Andreas, verlebte. Dort in einem Hause, das er sich selbst erbaut, lebte er, gepflegt von seiner Nichte Sophie, Gattin Michael Baliński’s, noch einige Jahre, bis der Tod die Augen des 74jährigen Greises schloß. S. war seit seiner Anstellung an der Krakauer Hochschule nach verschiedenen Richtungen schriftstellerisch thätig. Die Titel seiner Schriften in chronologischer Folge sind: „In laudem Divi Stanislai Casimiritani Oratio“ (Krakau 1776, 4°.), seine philosophische Habilitationsschrift; – „Kalendarz na rok 1777 i 1778“, d. i. Kalender auf das Jahr 1777 und 1778, der astronomische und literarische Theil ist von S. bearbeitet, und unterscheidet sich der Kalender wesentlich von den älteren Krakauer Kalendern; – „Rachunku algebraicznego teorja przystosowana do linii krzywych“, 2 tomi, Theorie der algebraischen Rechnung, auf krumme Linien angewandt, 2 Theile (Krakau, 1783, 4°.). Die in Warschau bei Orgelbrand herausgegebene „Encyklopedyja powszechna“ gibt 1753 als Druckjahr an, was sich, da Sniadecki erst 1756 das Licht der Welt erblickte, sofort als Irrthum herausstellt. Das Werk selbst ist auf Grundlage von Euler’s „Introductio in Analysim“ gearbeitet und sollten noch weitere zwei Bände folgen, welche die Anwendung der Differenzial- und Integral-Rechnung auf die Mechanik enthalten sollten; aber theils amtliche Geschäfte, theils die späteren Wirren im Lande vereitelten die Vollendung; – „Rozprawa o Koperniku“, d. i. Abhandlung über Kopernikus (Warschau 1802, Piaristen-Druckerei, 8°.), ist auch im 2. Jahrgang der Schriften der Warschauer Gesellschaft der Freunde der Wissenschaften abgedruckt. Sniadecki ist der Erste, welcher den bisher nur als polnischen Mathematiker geschätzten Kopernikus in seiner ganzen wissenschaftlichen Bedeutung, die ihm ein Anrecht auf Unsterblichkeit gibt, darstellte. Schon im folgenden Jahre. 1803 erschien eine französische Uebersetzung unter dem Titel: „Discours sur Nicol. Copernic“ (Warschau, 8°.), da aber dieselbe an und für sich schlecht und überdieß voller Fehler war, kam eine neue, verbesserte Uebersetzung (ebd. 1818) heraus, wovon ein neuer Abdruck (Paris 1820, V. Renaudière) veranstaltet wurde. Außerdem erschienen eine englische Uebertragung (Dublin 1823) und eine italienische (Florenz 1830), diese mit einigen Zusätzen und dem Bildnisse Köpernik’s; „Geografija czyli opisanie matematyczne i i fizyczne ziemi“, d. i. Geographie oder mathematische und physikalische Beschreibung der Erde (Warschau 1804), von S. während eines Aufenthaltes in den Karpathen geschrieben; eine zweite verbesserte Auflage erschien in Wilna 1809 bei Zawadzki, und eine russische, von Kaniewiecki ausgeführte Uebersetzung im Jahre 1818 zu Charkow; – „Reflexions sur les passages relatifs à l’histoire et aux affaires de Pologne inserés dans l’ouvrage de M. Villers“ (Paris 1804, Le Normant, 8°.), gegen eine vom Institut français gekrönte Schrift Villers’, über den Einfluß der Reformation Luther’s, gerichtet. Sniadecki widerlegt darin die Unrichtigkeiten und Oberflächlichkeiten, welche sich Villers in seiner Preisschrift hatte zu schulden kommen lassen. Eine polnische Uebersetzung dieser Schrift erschien 1804 im [215] „Pamiętnik Warszawski“ und besonders (Warschau 1812, 8°.); – „Żywot uczony i publiczny Marcina Poczobuta“, d. i. das wissenschaftliche und öffentliche Leben des Martin Poczobut (Wilna 1810); – „Żywot P. Zawadowskiego“, d. i. das Leben Zawadowski’s (Wilna 1814); – „Żywot literacki Hugona Kollątaja“, d. i. Literarisches Leben Hugo Kollontaj’s (ebd. 1814); – „Trygonometrja kulista, analitycznie wyłożona“, d. i. Sphärische Trigonometrie, analytisch durchgeführt (Wilna 1817, 8°.); in zweiter vermehrter Ausgabe (ebd. 1820, 8°.); das erste Werk über diesen Gegenstand in polnischer Sprache; eine deutsche Uebersetzung desselben nach der zweiten Auflage veranstaltete Professor L. Feldt unter dem Titel: „Sphärische Trigonometrie in analytischer Darstellung, mit Anwendung auf die Ausmessung der Erde und auf die sphärische Astronomie“ (Leipzig 1828, mit 2 Steintafeln und 36 Tabellen, gr. 8°.); – „O rachunku losów“, d. i. Von der Rechnung der Lose (Wilna 1817). Gesammelt erschienen seine Schriften unter dem Titel: „Pisma rozmaite“ zum ersten Male in zwei Bänden (Wilna 1814); in zweiter vermehrter Auflage in vier Bänden (ebd. 1818–1824), und nach seinem Tode in dritter Auflage in sieben Bänden (Warschau 1837–1839). In den Denkschriften der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg befinden sich im zweiten, vierten, siebenten und neunten Bande seine astronomischen Beobachtungen auf der Sternwarte in Wilna aus den Jahren 1817–1821, und seine übrigen astronomischen Beobachtungen enthalten Zach’s monatliche Correspondenz im fünften, sechsten und neunten Bande, und Bode’s Jahrbücher 1809–1826. Sniadecki’s Wirksamkeit greift tief ein in die wissenschaftliche Entwicklung Polens. Was er in Krakau, dann später in Wilna geleistet, gibt ihm ein Anrecht auf bleibende Erinnerung in der Culturgeschichte seines Vaterlandes. Hatte er schon in Krakau seinen Namen mit dem Gedeihen und dem Fortschritte der Jahrhunderte alten Jagellonischen Hochschule eng verknüpft, steht, was die Reformen und den Fortgang des Schulwesens in dem einstigen Freistaat betrifft, Sniadecky’s Name obenan, so wurde er nach seinem Abgange von Krakau nach Wilna ebenso einflußreich für letztere Stadt: er ordnete dort die Stiftungen der Hochschule, legte den botanischen Garten an, baute ein stattliches chemisches Laboratorium, führte Ordnung und Disciplin ein, vervollständigte die Lehrstühle der Hochschule und besetzte sie mit tüchtigen Männern der Wissenschaft, wodurch er Leben und Gedeihen in die Hochschule brachte. Was ihn selbst betrifft, so vertiefte er sich, nachdem er jahrelang praktisch im Lehramte gewirkt, in philosophische Forschungen. Seine Arbeiten nach dieser Richtung sind im vierten Bande seiner in der zweiten Auflage ausgegebenen „Pisma rozmaite“ niedergelegt. Sie führen den Titel: „Filozofja umysłu ludzkiego“, d. i. Philosophie des menschlichen Denkens. S. stellt sich darin als offener, aber entschiedener Gegner Kant’s und als Anhänger der schottischen Schule dar, welche in Reid und Dugald Stewart ihre Vertreter hat und deren System Sniadecki, der Erste, den Polen bekannt gemacht hat. – Sein Bruder Andreas (geb. zu Znin 30. November 1768, gest. zu Wilna 11. Mai 1838) ist ein berühmter Arzt, Physiolog und polnischer Fachschriftsteller, der wohl seine wissenschaftliche Ausbildung in Krakau, später an den Hochschulen [216] in Wien und Pavia erlangt, doch seiner ganzen weiteren Thätigkeit nach vom Jahre 1797 bis zu seinem Ableben als Professor der Chemie (bis 1822) und als Professor der Klinik (von 1824 bis 1838) der Stadt Wilna angehört hat.

Baliński (Michal), Pamiętniki e Janie Śniadeckim, d. i. Denkwürdigkeiten des Johann Sniadecki. Zwei Bände (Wilna 1865, 8°.). – Chodynicki (Ignacy), Dykcyonarz uczonych Polaków etc., d. i. Lexikon der gelehrten Polen (Lemberg 1833, Kühn und Millikowski, 8°.), Bd. III, S. 144. – Czas, d. i. Die Zeit (Krakauer politisches Blatt) 1865, Nr. 199, 200 u. f., im Feuilleton: „Jan Śniadecki w Krakowie“, d. i. Johann Sniadecki in Krakau, – Rycharskí (Lucyan Tomasz), Literatura polska w historyczno-krytycznym zarysie, d. i. Polnische Literatur im historisch-kritischen Grundrisse (Krakau 1868, Himmelblau, gr. 8°), Bd. II, S. 89 u. f., 105. – Poggendorff (J. C.), Biographisch-literarisches Handwörterbuch zur Geschichte der exacten Wissenschaften (Leipzig 1859, Joh. Ambr. Barth, gr. 8°.) Bd. II, Sp. 950 [nach diesem geb. 21. August 1756].
Porträt. E. Schuler sc. (8°.).