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BLKÖ:Semlitsch, Ludwig Julius

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Semmelweiß, Ignaz
Band: 34 (1877), ab Seite: 84. (Quelle)
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Semlitsch, Ludwig Julius (Schriftsteller, geb. zu Gratz in Steiermark 2. Juli 1827, gest. zu Roznau in Mähren 23. Juli 1860). Sohn unbemittelter Eltern, die er, als er kaum zu Schülerjahren heranreifte, bereits verlor. Auf sich selbst angewiesen, verlebte er nur eine Jugend voll Entbehrungen, und in dieser bitteren Schule sich selbst erziehend, entwickelte sich in ihm, während er mannigfaltige Kenntnisse sammelte und seine Talente wissenschaftlich ausbildete, eine ätzende Schärfe des Geistes, die seinen Arbeiten in der Folge den Stempel aufdrückte und ihnen jene Objectivität nahm, welche selbst dort, wo sie tadelt, nie verletzt. Während er in Gratz den Universitätsstudien oblag, ertheilte er selbst Privatunterricht und bildete sich in den alten und modernen Sprachen aus, dabei übte er leidenschaftlich Musik und spielte trotz seiner schwächlichen Körperbeschaffenheit, ja trotz einer Lunge, welcher nicht viel zugemuthet werden durfte, die Flöte. Als ihm Nahrungssorgen hart an den Leib rückten und der gebildete, wohlunterrichtete Mann gar nirgends mehr eine Unterkunft fand, wurde die Flöte seine Lebensretterin, denn er trat in Wien in Ballin’s Orchester als Flötist ein. Aber die Laufbahn eines Flötisten mußte er, da sich bedenkliche Symptome eines beginnenden Brustleidens zeigten, bald aufgeben und so wurde er – Schriftsteller. Wenn Herausgeber dieses Lexikons nicht irrt, war es Aimé von Wouwermanns in Gratz erscheinende „Wochenschrift“, in welcher Semlitsch zuerst mit seinen Arbeiten debütirte. In seinen ersten Leistungen gab sich eine übersprudelnde Unregelmäßigkeit in Form und Gedanken kund und aus der Formlosigkeit derselben ließ sich schwer vermuthen, daß etwas Rechtes daraus [85] werden sollte. In Gratz hätte sich S. auch kaum herausgearbeitet, als er aber nach Wien kam, da mußte er sich selbst weise beschränken lernen und aus dieser Zucht seiner selbst ging eine tüchtige, leistungsfähige, leider im vollsten Triebe zerstörte Kraft hervor. In Wien erregten seine Feuilletons bald Aufmerksamkeit, sie zeigten eine große Geistesfrische, das kritische Element war darin vorherrschend, und seine feine, glänzende Schreibart, sein mit leichten, pikanten, oft von prickelnden Särkasmen gewürzter Styl fanden in einer Zeit journalistischer Zerfahrenheit, wie sie in den Reactionsjahren 1850–1856, in welcher ein Faun, wie Saphir, mit den knorrigen Aesten seines unlauteren Witzes herumfuchtelte, bald allgemein Anklang und als Semlitsch mit noch einigen jüngeren journalistischen Kräften bei der von Ernst von Schwarzer[WS 1] begründeten „Donau“ eintrat, wurde bald das große Publicum auf den jungen geistvollen Journalisten aufmerksam. Dieß alles aber steigerte sich, als S. in Gemeinschaft mit einem zweiten geistigen Kempen, mit Rudolph Valdeck, dem alten Saphir zu Leibe ging und im Jahre 1856 in der Wiener Journalistik der berüchtigte Saphir-Valdeck-Semlitsch-Scandal abgespielt wurde, in welchem Semlitsch mit einem wahrhaft grotesken Humor die Abwicklung der Saphir-Mumie in Nr. 55, 1856 der „Donau“ vornahm, und in den Nummern 72, 73, 74, 80 und 86 im Feuilleton des Abendblattes der „Donau“ die Saphir’schen „Wilden Rosen“, diese mit wenigen Ausnahmen gereimten Monstra geleckter und geschniegelter Lyrik voll falscher Sentimentalität und erborgtem orientalischen Bilderwuste in wahrhaft gelungener Weise parodirte. Saphir’s Nimbus war dahin und das haben Valdeck und Semlitsch gethan; es war eine Herculesarbeit, denn es war die erste Reinigung des Augiasstalles der Wiener Journalistik, der seit den Befreiungsjahren nicht ordentlich ausgemistet worden war. Saphir’s Rache verpuffte in einem schalen Witze, indem er eine „Pracht-Ausgabe sämmtlicher Schriften der „Wiener modernen Classiker“, 1. Semlitsch. 2. Ernst von Schwarzer. 3. Rudolph Valdeck. Nach ihren Originalwerken gewissenhaft gesammelt, zusammengestellt und herausgegeben von M. G. Saphir. Kein „Kochbuch“ – also Druck und Verlag nicht bei Carl Gerold.“ als Beilage zum „Montagsblatt“ Nr. 13 [1856] des „Humoristen“ ankündigte und auf der vierten Quartseite der übrigens unbedruckten vier Seiten, welche eben die „sämmtlichen Schriften“ der genannten drei Autoren vorstellen sollten, am unteren Rande die Bemerkung beifügte: „Die Herren Buchbinder werden gebeten, auf Ordnen und Heften der Bögen große Aufmerksamkeit zu verwenden, damit kein Classiker aus dem Leim gehe. Der Herausgeber.“ Um Wiederholungen zu vermeiden, verweise ich den Literaturhistoriker, welcher diese traurige Episode in der Geschichte der Wiener Journalistik des Näheren kennen lernen will, auf den Artikel „Saphir“ im XXVIII. Theile dieses Lexikons, wo S. 220 u. f. der ganze Scandal erzählt und S. 225 die reiche Literatur über denselben mitgetheilt wird. Von dieser Zeit an war Semlitsch’s Name allgemein bekannt und die Spalten aller Journale öffneten sich gern seiner Feder. Es schlug aber im Ganzen nicht zu seinem Besten aus. Semlitsch [86] hatte – im Verneinen – seine eigentliche Stärke kennen gelernt und nun ging auf Kosten des geistigen Kitzels die schriftstellerische Sittlichkeit verloren. Nicht um Gold hat Semlitsch sein Urtheil verkauft, wie es bei Saphir und Compagnie Brauch war, aber um Einem Eins über die Schnauze zu geben, um einen Witz zu machen, an den Einer zeitlebens denken sollte, übte er mit verbissenem Aerger das Schergenamt der Kritik, und erzielte, was er eigentlich wollte, den Verdruß des Betroffenen, wenn dieser schwach genug war, denselben zu zeigen. Es soll damit jedoch nicht gesagt sein, daß Semlitsch nicht auch Anderes schrieb, worin sich diese Schattenseite seines Geistes nicht kundgab, im Gegentheil, um sich und seine mittellose alte Mutter zu ernähren, entwickelte S. eine staunenerregende Fruchtbarkeit. Er arbeitete unausgesetzt für mehrere große Journale des In- und Auslandes; er monopolisirte eine Zeit lang das Feuilleton der Provinzblätter und jenes der „Krakauer Zeitung“, welches er mehrere Jahre unter dem Pseudonym Emil Schlicht schrieb, ist eine Zierde dieses Blattes, dieses letzten deutschen Pionniers an der Grenze des beginnenden Polenthums, der auch bereits das Zeitliche gesegnet hat. Von den Wiener Blättern, in welchen Semlitsch von Zeit zu Zeit mit seinen Arbeiten auftrat, sind mir bekannt: Nordmann’s „Salon“, die „Ostdeutsche Post“, die „Morgenpost“, die „Neuesten Nachrichten“ und die im Jahre 1860 neu erstandene Theater-Zeitung“, welche aber auch nur kurze Zeit ihr Dasein fristete. Herausgeber dieses Lexikons, welcher mit großer Aufmerksamkeit Semlitsch’s schriftstellerisches Auftreten verfolgte, gedenkt noch einiger seiner Aufsätze, welche in dem in den Jahren 1853 und 1854 erschienenen „Salon“ abgedruckt waren, so z. B. „Römische Touristen“ [1853, Bd. III, S. 113], – „Oeffentliches Leben und Feste in Rom“ [ebd. S. 163]. – „Das romanische Schauspiel“ [ebd. S. 304]. – „Siglinde von Redwitz“ [1854, Bd. I, S. 26, 58, 93, 125]. – „Dresden und Berlin“ [ebd. Bd. IV, S. 57, 113, 215, unvollendet], aus allen diesen spricht eine Tüchtigkeit ohne Gleichen; die Kritik über „Sieglinde“ ist eine ästhetische Studie voll Geist, wenngleich rücksichtsloser Grobheit; die Parallele von „Dresden und Berlin“ ist reich an scharfsinnigen Pointen und zeigt eine ungewöhnliche Beobachtungsgabe. Aber diese angestrengte Thätigkeit zog ihm in den letzten Jahren den „Schreiberkrampf“ zu, durch welchen seine rechte Hand gelähmt wurde. Mit beispielloser Ausdauer übte er nun seine Linke zum Schreiben ein und hatte sie in kurzem gezwungen, die Dienste der untauglich gewordenen Rechten zu vertreten, daher denn auch in seiner Schrift die Buchstaben schief von der Linken gegen die Rechte liefen. Später lähmte dasselbe Uebel auch seine linke Hand und S. war genöthigt seine Arbeiten zu dictiren. Indessen hatten die sitzende Lebensweise und ohnehin schwächliche Leibesbeschaffenheit noch Schwereres über ihn verhängt. Der längst in ihm gelegene Keim des Brustleidens, das ihn schon seiner Zeit das Flötenspiel aufzugeben gezwungen hatte, entwickelte sich immer mehr, artete endlich zu einer galopirenden Schwindsucht aus, welcher auch eine durch Beihilfe seiner Freunde ermöglichte Badecur, Genuß der Ruhe und Landluft seinen Einhalt mehr zu thun vermochten. In Rožnau, einem für solche Zustände oft benützten Bade in Mähren, hoffte er Genesung. Am 17. Juli hatte er Wien verlassen, am 23. bereits [87] war er eine Leiche. Er befand sich Nachmittags 4 Uhr sitzend auf dem Sopha, ganz angekleidet, den Stock in der Hand, da er die Absicht hatte, in’s Freie zu gehen, welche er nur auf des Arztes dringendes Bitten, zu Hause zu bleiben, aufgegeben. Fünf Minuten später hatte er ausgehaucht. Er liegt zu Rožnau begraben. Am Tage seines Ablebens wurde in Wien im Carltheater zu seinem Vortheil eine Vorstellung gegeben. Das Ergebniß derselben war ein glänzendes; er hatte es nicht mehr nöthig, es wurde zur Bestreitung der Leichenfeier verwendet, der Rest kam seiner armen, nun ihrer ganzen Stütze beraubten Mutter zu. Ein größeres, zusammenhängendes Werk aus seiner Feder liegt nicht vor, und nicht unberechtigt war der hie und da ausgesprochene Wunsch, seine bedeutenderen, zerstreut in Journalen gedruckten Aufsätze zu sammeln, da sie, geschickt geordnet, einen werthvollen Beitrag zur Geschichte der Fünfziger-Jahre, namentlich des Wiener geistigen Lebens, bilden würden; es kam nicht dazu. Nach einem Gerüchte, das nie widersprochen, aber auch nicht aufgeklärt worden, wurde Semlitsch als der Verfasser der seiner Zeit vielgenannten Parodie „Tschindara“ in den „Fliegenden Blättern“ bezeichnet. Eine besondere Schwäche besaß S., er wollte um jeden Preis als Lyriker gelten und hatte auch nicht eine Ader dazu. Denn seine Parodien der Saphir’schen „Wilden Rosen“ sind wohl köstliche Reimereien, aber doch nicht Zeugnisse eines lyrischen Talentes. Was aber sonst noch von seinen lyrischen Gedichten hie und da erschien, ist, mit einer Ausnahme, das Gedicht: „Ich habe Dich viel zu lieb“, in der Gratzer „Iris“ 1863, Bd. I, 2. Lief., nichts als eine reine Verneinung aller Lyrik. Das Urtheil über S. als Journalist und Schriftsteller aus dem Munde seiner Freunde klingt einigermaßen übertrieben. Sigmund Schlesinger, der in Semlitsch’s Physiognomie eine unverkennbare Aehnlichkeit mit Heine finden will, das namentlich in der letzten Zeit bei dem Hervortreten des sterbehaften Gesichtsausdruckes in peinlicher Weise an das bekannte Bild Heine’s auf dem Sterbebette mahnte, charakterisirt S. als einen unermüdlichen, unerschrockenen Kämpfer, der vor allem den Zusammenhang aller Gebiete des Menschenlebens und der menschlichen Thätigkeit kannte; der wußte, daß sich da nichts sondern, nichts trennen läßt, da Kunst und Leben und Individuum[WS 2] und Gesammtheit im innigsten, inneren Verbande sind, und daß sich nichts an und für sich betrachten und nichts auf dem einen Gebiete absolut gut heißen lasse, was schädlich auf ein anderes hinüberwirken könne. „Er trug,“ schreibt Schlesinger, „an sich alle Züge des Journalisten Bolz in Freitag’s „Journalisten“; er war ohne anderen Ehrgeiz als witzig und bedeutend zu schreiben; zu flüchtig, zu unruhig, zu zerstreut für ein weiteres Streben, für eine gesammeltere Arbeit; Satans Tagesküche, aus der die Menschen regalirt werden, büchsenweise durchkostend und sich deßhalb Manches zugute halten lassend; müde der geballten Faust, sich nach und nach spitzer Zunge und spitzer Feder bedienend, bienengleich die Welt durchsuchend, um Honig zu saugen, wo er ihn fand, freilich öfter stechend, wo ihm was mißfiel und eigens nach Dingen suchend, die ihm zu mißfallen, dem Stachel Beschäftigung zu geben vermöchten. Dabei ein angenehmer, anregender Gesellschafter, leicht, witzig, sarkastisch, aber ebenso gerüstet, dem ernsten Gespräch durch tüchtigen Geistes- und selbsterworbenen Wissensfond [88] zu begegnen. In den letzten Jahren war er durch die innere, mehr überhandnehmende Kränklichkeit reizbarer und empfindlicher, blasirter in der Anschauung, schiefer im Ausdruck geworden.“ Die Czartoryski’sche „Monatschrift“ aber, ein in der Noblesse seiner Haltung unerreichtes und der Gediegenheit wegen, mit der es alles Höhere, Edlere verfocht, anerkanntes, ästhetisches Organ, begleitet Semlitsch’s Ableben mit folgenden Worten: „Semlitsch gehörte zu jenen Journalisten, deren Leistungen des wahren Gehaltes ermangeln, deren Thätigkeit völlig resultatlos bleibt. Es fehlte ihm, wie so manchen Anderen weniger an Talent, als an Gesinnung. Als S. zu schreiben und zu „referiren“ begann, nahm er eine kurze Weile mit mehreren Collegen einen frischen kräftigen Anlauf, bald aber verpuffte das Strohfeuer und auch S. sank mehr und mehr zu einem Allerwelts-Feuilletonisten und Dutzend-Referenten herab, was sowohl in diesem einzelnen Falle, wie als allgemeine Erscheinung bedauert werden muß.“ Das Alles aber entsprang aus der Noth des täglichen Erwerbes, die sich nicht Zeit nimmt, den Stoff zu wählen, sondern eben Alles zu Stoff macht.

Theater-Zeitung (Wien, kl. Fol.) 1860, Nr. 170: „Nekrolog“. – Dieselbe Nr. 180, im Feuilleton. – Krakauer Zeitung 1860. Nr. 173, im Feuilleton. – Oesterreichischer Volksfreund (Wiener Parteiblatt) 1860, Nr. 174, im Feuilleton: „Leben und Kunst in Wien“. – Klagenfurter Zeitung 1860, Nr. 183, im Feuilleton: „Grazer Briefe“. – Grazer Zeitung 1860, Nr. 172, im Feuilleton: „Nekrolog“ [nach diesem 1825 geb.]. – Morgen-Post (Wiener polit. Blatt) 1860, Nr. 206, im Feuilleton: „Nekrolog“, von Sigmund Schlesinger. – Pesther Lloyd 1860, Nr. 171, unter den „Tages-Neuigkeiten“. – Temesvárer Zeitung 1860, Nr. 174, im Feuilleton. – Donau (Wiener polit. Blatt) 1860, Nr. 122, im Feuilleton. – Recensionen und Mittheilungen über Theater und Musik (herausgegeben von den Fürsten Czartoryski, Wien, Wallishauser, 4°.) VI. Jahrg. (1860), S. 488 [nach diesen gest. am 23. Juli 1860].

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: August von Schwarzer.
  2. Vorlage: Individium.