BLKÖ:Palóczy, Ladislaus von
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich | |||
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Band: 21 (1870), ab Seite: 246. (Quelle) | |||
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[247] geb. zu Miskolcz 14. October 1783, gest. 27. April 1861). Der Sohn eines wohlhabenden Landedelmannes; nach beendeten juridischen Studien widmete er sich neben der Bewirthschaftung seines Landgutes dem Comitatsleben. So wurde Palóczy zuerst Obernotär, dann Vicegespan des Borsoder Comitats, welches er von 1832 an auf allen Landtagen vertrat. Auf dem ersten dieser Landtage, dem von 1832/36 war er es, der als Districtsnotär das erste Landtag-Diarium, das bisher in lateinischer Sprache geführt wurde, in ungarischer redigirte. Zum Andenken daran wurde ihm von mehreren Patrioten eine goldene Feder verehrt. Was nun seine Wirksamkeit als Deputirter und seine Rednergabe betrifft, so zählte er stets zu den tüchtigsten Mitgliedern des Hauses, dessen Einfluß und Bedeutsamkeit kaum durch manche nicht immer zeitgemäße Eigenthümlichkeiten beeinträchtigt wurde. So z. B. besaß er wenig Sympathie für die neueren Erfindungen der Civilisation, er haßte und fürchtete die Dampfschiffe und Eisenbahnen; er war bei dem ersten Stadium der Cultur und Opposition in Ungarn zu alt geworden, um eine besondere Anhänglichkeit für die Reformen einer stets wachsenden Civilisation, die ihn aus einem gewohnten Eigenleben aufstörte, zu empfinden. Hingegen besaß er ein außerordentliches Gedächtniß, eine seltene Erfahrung der historischen und parlamentarischen Vergangenheit Ungarns; als Calvinist eine Kenntniß der Bibel wie der bibelfesteste Pastor und verwendete zu Citationen in seinen Reden meistens wichtige und zutreffende Stellen aus derselben. So waren denn die Beschwerden der Protestanten auch das Streitroß, das er am liebsten und gewandtesten tummelte. Dabei war sein Vortrag voll Humor und Laune, mit originellen Einfällen und köstlichen Citaten gewürzt und Alles horchte auch hoch auf, mit gespannter Aufmerksamkeit, wenn er die Tribune betrat; er verstand es, ebenso wohl seine Zuhörer zu unterhalten und die Lacher auf seine Seite zu bringen, als sie, wenn es galt, zu ernster Würde zu erheben. Im Einklange mit seinem Widerstreben gegen alle Neuerungen war er auch lange Zeit ein heftiger Gegner des Neologismus in der ungarischen Sprache; überhaupt ein wie kluger, erfahrener, kenntnißreicher, das Beste seines Vaterlandes mit Nachdruck und Ernst anstrebender Mann er sonst war, ebenso schwer war er auch zu überzeugen; einmal überzeugt, stand er aber dann auch mit dem ganzen Gewichte seines Einflusses dafür ein. Als im Reichstage des Jahres 1843 der Antrag, daß der Bauer adelige Güter kaufen könne, angenommen wurde, erhob sich Palóczy und rief: „Heute ist der Jahrestag der Schlacht bei Mohács, welche Ungarn in’s Unglück stürzte; seit diesem Tage haben die Stände nichts so Entscheidendes gethan, um das Vaterland wieder zu erheben als heute“. Ein donnerndes „Eljen“ war die Antwort auf diese Bemerkung des damals sechzig Jahre alten Patrioten. Palóczy war in der Politik seines Vaterlandes ergraut; ein eifriger Anhänger der Freiheit und ungarischen Verfassung, stand er stets auf Seite der Opposition, nicht um Opposition zu machen, sondern um dieselbe, wenn er es für wichtig erkannte, durch das Gewicht seines Ansehens zu stärken. Seine Politik war weniger die eines Demokraten, als die eines freiseinwollenden Ungars. Oft donnerte er mit grollender Stimme gegen die Politik der Regierung, ohne Schminke, gerade und offen, entlarvte er dann die Ränke und [248] Listen jener Leute, die ihr Vaterland um Credit, Freiheit und Ehre bringen wollten. Ein solcher Mann des Vormärz konnte im Nachmärz um so weniger bloßer Zuschauer bleiben, als er ja wieder Deputirter und noch mehr, Alterspräsident des Unterhauses war; er bekleidete letztere Stelle bis zur Wahl Pazmandy’s. Was seine parlamentarische Thätigkeit in dieser denkwürdigen Periode betrifft, so ist zunächst seiner Rede zu gedenken, mit welcher er am 4. August in der Debatte über das Elementarschulengesetz den ministeriellen Antrag in meisterhaft schlagender Weise bekämpfte [siehe die Quellen]; in der Sitzung vom 30. August wurden über seinen Antrag die Krankenhäuser und frommen Stiftungen von der Steuer befreit; in der Sitzung vom 24. September aber drang er, erbittert von der Unlauterkeit der Politik, die damals gegen Ungarn in Anwendung kam, zur Erlassung eines Manifestes an die Völker Europa’s mit den denkwürdigen Worten: „Jetzt ist es Zeit, flectere si nequeam superos, Acheronta movebo, auszurufen. Sollen wir uns immer auf zwei Bände des Corpus juris verlassen? Werden uns diese als Batterien dienen? Dann glichen wir den Leuten, welche, wenn es ringsum donnert und blitzt, Palmbeeren anzünden, auf daß es nicht einschlage“. Palóczy folgte dem Agitator nach Debreczin und votirte in der Sitzung vom 15. April dem abgetretenen Kriegsminister Mészáros den Dank des Hauses, zugleich seine einstimmige Ernennung zum Feldmarschall-Lieutenant fördernd. In der letzten Debrecziner Sitzung, vom 30. Mai, beantragte er – und damals schien er zum ersten Male in seiner vieljährigen parlamentarischen Thätigkeit aus der Rolle strengpuritanischer Sitteneinfalt, die ihm bis dahin eigen geblieben, zu fallen – für den Landesgouverneur die für Ungarn ungeheuere Gage von 200.000 fl. C. M. und verlangte, daß das Ministerium für eine der Würde der Nation angemessene Wohnung desselben in Buda-Pesth sorge. Noch einmal, einige Wochen später, erscheint er und in jener düsteren Periode zum letzten Male in der Sitzung vom 21. Juli 1849, in welcher er in Abwesenheit des ordentlichen Präsidenten die merkwürdige erste Sitzung des Unterhauses auf dem letzten magyarischen Reichstage zu Szegedin eröffnete. Nach der Katastrophe von Villagos flüchtig, lebte P. einige Zeit in der Türkei, kehrte aber später nach einem Amnestieerlaß in seine Heimat zurück, in der er im Jahre 1861, ein Greis von 78 Jahren, sein Leben beschloß. Sein Tod war das Losungswort für alle Parteien des Landes, ihm, dem gefeierten und hochgeachteten Patrioten, alle nur denkbaren Huldigungen darzubringen. Nachdem der Präsident im Unterhause seinen Tod angekündigt, wurden, um den Todten zu ehren, dreitägige Sitzungsferien und sechswöchentliche Trauer nebst Begräbniß auf Landeskosten beschlossen. Der Zipser Sachse Paul Hundsdorfer – später magyarisirt Hunfalvi – erhob zwar gegen die dreitägigen Sitzungsferien Protest, blieb aber mit demselben vereinzelt und wurde von Baron Raday, ehemaligen Director des National-Theaters, und Baron Eötvös mit seinem Antrage zurückgewiesen. Die Bestattung selbst ging in feierlichster Weise vor sich. Die einbalsamirte Leiche wurde von Pesth, wo P., gestorben, nach seiner Heimat Miskolcz gebracht und auf dem Bahnzuge, der die Leiche führte, befand sich auch das Ehrengeleite, bestehend aus dazu erwählten [249] Mitgliedern des Unterhauses und einer Deputation der Stadt Miskolcz. In jedem Comitate, durch welches der Zug ging, gesellten sich diesem Ehrengeleite die betreffenden Comitatsbeamten zu. In Debreczin wurde der Zug von einer nach Tausenden zählenden Menschenmenge erwartet, obgleich er, nachdem seine Ankunft auf 11 Uhr Nachts irrthümlich angezeigt worden, erst Morgens um 5 Uhr angekommen war. Dann schmückte Susanna Janossy im Namen der Stadt Debreczin den Sarg mit einem durch ein großes Nationalband zusammengehaltenen Lorbeerkranze. Koloman von Ghyczy und Superintendent Török hielten im Museum, Paul Török und Emerich Revesz in der reformirten Kirche, Paul Jámbor im Bahnhofe zu Pesth, Michael Könyves-Tóth und Karl Mészáros in jenem zu Debreczin Vorträge, welche die seltenen, einstimmig anerkannten Vorzüge des Geistes und Herzens dieses großen Patrioten würdigten. Mit Palóczy ist ein Alt-Ungar der edelsten Sorte – einer Sorte, die auszusterben beginnt – dahin gegangen.
Palóczy, Ladislaus von (ungarischer Landtagsdeputirter und Publicist,- Ungarns politische Charaktere. Gezeichnet von F. N. (Mainz 1851, J. G. Wirth Sohn, 8°.) S. 174. – Neue Croquis aus Ungarn (Leipzig 1844, J. B. Hirschfeld, kl. 8°.) Bd. II, S. 216. – Schlesinger (Max), Aus Ungarn (Berlin 1856, Franz Duncker, 8°.) S. 408. – Levitschnigg (Heinrich Ritter von), Kossuth und seine Bannerschaft. Silhouetten aus dem Nachmärz in Ungarn (Pesth 1850, Heckenast, 8°.) Bd. II, S. 176. – Springer (Anton), Geschichte Oesterreichs seit dem Wiener Frieden 1809 (Leipzig 1864 u. 1865, S. Hirzel, gr. 8°.) Bd. I, S. 84. – Gallerie denkwürdiger Persönlichkeiten der Gegenwart. Nach Originalzeichnungen, Gemälden, Statuen und Medaillen (Leipzig, J. J. Weber, kl. Fol.) Bd. II, S. 45. – Illustrirte Zeitung (Leipzig, J. J. Weber. Fol.) II, Bd. (2. Semester 1845), S. 345, im Aufsatze: „Preßburg und der ungarische Landtag“ [daselbst auch sein Bildniß im Holzschnitt.] – Bohemia (Prager politisches und Unterhaltungsblatt, 4°.) 1861, Nr. 102, in der „Correspondenz aus Pest“. – Pest-Ofner Zeitung 1861, Nr. 100: „Palóczy’s Leichenbegängniß“. – Pester Lloyd 1861, Nr. 106, in der Rubrik „Tagesneuigkeiten“. – Fremden-Blatt von Gustav Heine (Wien, 4°.) 1861, Nr. 118. – Ujabb kori ismeretek tára, d. i. Neues ungarisches Conversations-Lexikon (Pesth 1850, Heckenast, 8°.) Bd. V, S. 640. – Vasárnapi ujság, d. i. Sonntagszeitung (Pesth, 4°.) 1860, Nr. 44, und 1865, Nr. 8. – Protestáns egyházi és iszkolai lap, d. i. Protestantisches Kirchen- und Schulblatt (Pesth, 4°.) 1861, Nr. 18. – Pesti Napló 1861, Nr. 99. – Nagy (Iván), Magyarország családai czimerekkel és nemzékrendi táblákkal, d. i. Die Familien Ungarns mit Wappen und Stammtafeln (Pesth 1860, Mor. Ráth, 8°.) Bd. IX, S. 98. – Porträte. Außer dem schon erwähnten in der Leipziger Illustrirten Zeitung: 1) Gestochen von Ferdinand Baron Lütgendorf im Jahre 1827, mit der Unterschrift: „Palóczy László Borsod Vármegyenek követje“; – 2) auf einer Bildnißgruppe mit anderen ungarischen Patrioten. Lithographie nach Rohn.
- Palóczy’s parlamentarische Beredsamkeit. P., wie oben in der Lebensskizze angedeutet worden, gehörte zu den eigenthümlichsten Persönlichkeiten des ungarischen Landtages. In Größe und Stärke ein echter Typus des magyarischen Volkes, war er es auch in Wort und Rede. Seine Weise zu sprechen mögen ein paar Stellen aus seinen Reden am besten versinnlichen. Zu einer Debatte über einen Paragraph des Strafgesetzbuches vertheidigte Palóczy sein Comitat gegen die Beweisführung des Personals, daß in Borsod (Palóczy war eben Borsoder Deputirter) mehr Verbrechen verübt werden, als in slavischen Comitaten, in folgender drastischer Weise: „Der Charakter, die Sitten eines Volksstammes sind das Ergebniß der verschiedenartigsten Einflüsse, die der Criminalgesetzgeber nicht immer berücksichtigen kann. Zum Beispiel: indeß der Ungar in Borsod unter seinem warmen fröhlichen Himmel im Freien herumirrt und hierdurch oft Anlaß zu Excessen findet, ist der Slave in Arva, Liptay und Thurocz beinahe das ganze Jahr eingesperrt in seine ärmliche Hütte, steter Frost verwehrt ihm öftere Ausflüge. Nun es ist schwierig zu [250] stehlen, wenn man zu Hause hockt; das ist die Sache des Klima’s. Der Slave ist arm, er hungert; der Hunger aber befördert nicht sehr die Leidenschaften, erhitzt nicht gar sehr das Blut, da bleibt man hübsch besonnen, indeß der Borsoder Ungar, in einer besseren Zone lebend, gutes Getreide, wohlfeilen Wein, fettes Horn- und Borstenvieh besitzt und dann, wenn er sich einen kleinen Rausch antrinkt, leicht Excesse begeht u. s w.“ Besonders treffend aber waren seine Ansichten in der Rede, mit welcher er im Jahre 1848 in der Sitzung vom 4. August bei der Debatte über das Elementarschulengesetz den ministeriellen Antrag bekämpfte. Er sagte: „Ich glaube es, daß ein oder zwei Protestanten im Cromwell-Humoristischen Geiste rufen werden, mit den gemeinsamen Schulen ist das Weltende, ist der Antichrist da, wird der Wirrwarr entstehen: Eine Verwirrung wird es ohne Zweifel geben. Aber wie? Im ersten Jahre wird ein großer Lärm sein, im zweiten halb so viel, im dritten wird man kaum davon reden, im vierten gar nicht! So war es immer und so wird es auch jetzt sein. Die Erfahrung lehrt, daß in der Regel dasjenige, vor dem man sich am meisten fürchtet, wenn es eintritt, diese Furcht Lügen straft. So ist ja gesagt worden, daß wenn in der österreichischen Armee der Stock und die Spießruthen verschwinden, die ganze Armee sich auflösen, die Disciplin dahin und Alles aus sein werde. Das gefühlvolle Herz unsere Königs hat das Rohr des Feldwebels, wie den Corporalstock abgeschafft und die ganze Armee hält noch fest zusammen, und Alles geht schön und herrlich von Statten. Als der freie Religionsübertritt gestattet wurde, sprach man von einem lebensgefährlichsten Riß durch die Kirche, die Kirche lebt aber noch heute und wird ewig leben. Und wenn die Repräsentanten auf dem letzten Reichstage gesagt hätten: Was? Wie? Man will die Statthalterei, die Hofkammer und die Hofkanzlei aufheben und dafür ein verantwortliches Ministerium einsetzen? Das ist zuviel! Dieß kann nur nach und nach geschehen, nach und nach reif werden, weil drei Jahrhunderte vergehen müssen, bis das Volk alldessen theilhaftig werden kann! Und siehe da, wenige Märztage genügten. Radicale Curen sind die besten Curen. Heute ist der vierte August, ein denkwürdiger Tag in der Geschichte; heute sind es gerade fünfzig Jahre, seitdem die französische Nation alle Ständeunterschiede aufhob und sich in eine compacte Masse vereinigte. Ihr habt dieß bereits gethan. Es bleibt nur noch das Eine übrig, die große Scheidewand niederzureißen, welche die Schulen von einander trennt. Hebt diese Sonderung vom 4. August 1848 auf und ihr werdet euer Andenken in der ungarischen Geschichte verewigen.“ Stürmisches Eljen folgte dieser begeisterten Rede.