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BLKÖ:Kinsky von Wchinitz und Tettau, Philipp Joseph Graf

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
korrigiert
Band: 11 (1864), ab Seite: 300. (Quelle)
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Kinsky von Wchinitz und Tettau, Philipp Joseph Graf (Staatsmann, Ritter des goldenen Vließes, geb. 1. Mai [nach Folkmann], 28. November 1700 [nach Wißgrill], gest. 12. Jänner 1749). Ein Sohn Wenzel Norbert Octavian’s [s. d. S. 285, Nr. 31] aus dessen zweiter Ehe mit Maria Anna Therese Freiin von Nesselrode. Trat in den Staatsdienst, in welchem er nach sehr kurzer Dienstzeit 1721 Appellationsrath, 1727 Appellations-Vicepräsident und Statthalter in Böhmen, im folgenden Jahre geheimer Rath und als bevollmächtigter Minister nach England gesendet wurde. Auf diesem Posten, obwohl erst 28 Jahre alt, war er dennoch mit großem Erfolge und für Oesterreichs Interessen thätig, und wurde in seinen Unternehmungen von seinem Stiefbruder Stephan Wilhelm [S. 303] wesentlich unterstützt, der um dieselbe Zeit den Botschafterposten in Paris bekleidete. Im Jahre 1735 wurde der Graf von London zurückberufen, am 10. Jänner 1736 böhmischer Hofkanzler und nach des Grafen Kolowrat Tode, am 21. April 1738, oberster Kanzler von Böhmen und Conferenzminister. Nach Kaiser Karl’s VI. Tode (1741) von Maria Theresia in seinen Aemtern und Würden bestätigt, begab er sich nach Prag, um die Intriguen Sachsens, welches Böhmen, Mähren und Schlesien in den Vicariatsdistrict ziehen wollte, zu bekämpfen, was ihm auch bis auf Schlesien gelang, welches Friedrich II., jedes Recht mit Füßen tretend, besetzt hielt. Im Jahre 1742 kehrte er nach Wien zurück und nahm seinen Posten im Rathe der von den Fürsten Europa’s treulos verlassenen Kaiserin ein, eine ihrer trefflichsten Stützen in bedrängtester Zeit. Sein Charakter – Folkmann schildert ihn „als von äußerst heftiger Gemüthsart, welche die sorgfältigste Erziehung und die ernstesten Studien zu mildern nicht im Stande waren, und die noch im reiferen Alter in schroffer Weise sich bemerkbar machte“ – seine an Starrsinn grenzende Gemüthsart paßten vortrefflich für diese außerordentliche Situation. Er war es vornehmlich, der die junge Monarchin – Maria Theresia zählte damals 25 Jahre – in ihrem Widerstande gegen Friedrich II. bestärkte und unterstützte. Noch im nämlichen Jahre reiste der Graf nach Böhmen zurück, wo er die Insurrection des böhmischen Landvolkes organisirte und zur Verwaltung Böhmens während der bayerisch-französischen Invasion eine eigene Deputation einsetzte. Eine Serie von Briefen der Kaiserin aus jenen Tagen – Folkmann citirt aus deren fünfzehn die wichtigsten und erheblichsten Stellen – bezeugt, wie sehr der energische Graf, der in den schwersten Zeiten oft den besten Rath wußte, das Vertrauen der Kaiserin genoß. Als zu Ende 1741 Böhmen von bayerisch-französisch-sächsischen Truppen besetzt und Prag erobert wurde, schaffte der Graf doch Geld aus Böhmen, um geliehene Summen zu decken; ferner dislocirte er im Jahre 1742 die räuberischen Panduren und Croatenhorden, welche, nachdem die Ungarn mit dem Beispiele ihrer Begeisterung für die Kaiserin vorangegangen, unter Menzel und Trenk ihr zu Hilfe geeilt waren; er sorgte für Zufuhr der Lebensmittel, zur Verproviantirung des unter Khevenhüller [s. d. S. 225] in so kurzer Zeit neu aufgestellten Heeres; besorgte, nachdem die Heere der Bundesgenossen 1743 aus Böhmen verdrängt worden waren, die Vorbereitungen zur Krönung der Kaiserin und ihres Gemals, bei welcher Gelegenheit er das goldene Vließ erhielt. Im [301] Jahre 1744 bewährte er wieder sein schon oft erprobte Klugheit während der Belagerung Prags (August und September) durch die Preußen. In ein neuen Periode der Bedrängnisse, welch sich in den ersten Regierungsjahren der Kaiserin so zu sagen einander ablösten, übernahm der Graf im Verein mit dem Grafen Gaisruck die Finanzverwaltung der gesammten kaiserlichen Erbländer. Aber bei den auf das Aeußerste erschöpften Finanzen und nachdem auf eine Rückeroberung Schlesiens jede Hoffnung aufgegeben werden mußte, galt es auf Mittel zu sinnen, der Finanznoth abzuhelfen. Alle im Rathe der Kaiserin gemachten Vorschläge führten doch nicht zum Ziele. Friedrich Graf Harrach hatte der Kaiserin endlich einen Finanzplan vorgelegt, der Abhilfe in dieser traurigen Lage hoffen ließ. Graf Philipp, der seinen Platz nicht gerne räumen wollte, entwarf nun auch seinerseits einen Finanzplan und zwar den auf Errichtung eines Katasters begründeten, nach welchem ein Verzeichniß der Zahl und des Werthes der Grundstücke einer jeden Gemeinde, mit Angabe der Besitzer, zum Behufe der Besteuerung eines jeden Einzelnen angelegt werden sollte. Dadurch aber ward das Steuerbewilligungsrecht der Stände preisgegeben, was eben nicht dazu beitrug, seinen Einfluß bei ihnen zu stärken. Aber auch Friedrich Wilhelm Graf Haugwitz [Bd. VIII, S. 68] entwickelte mittlerweile auf finanziellem Gebiete eine erfolgreiche Thätigkeit und Graf Philipp Joseph, der aufgehört hatte, der einzige maßgebende Rathgeber der Krone in Geldsachen zu sein, verbittert über diesen Umschwung der Dinge, zog sich aus dem öffentlichen Leben zurück und lebte nunmehr einzig der Verwaltung seiner Güter. Aber nur wenige Jahre waren ihm mehr gegönnt, denn er starb im schönen Mannesalter von 49 Jahren. Um sein eigenes Vaterland hat sich Graf Philipp Joseph nicht geringe Verdienste erworben. So verdankt ihm Böhmen ein Patent wegen Erleichterung der Robot, die Annahme der schlesischen Wechselordnung, die Organisirung des Invalidenhauses in Prag, die Anregung zum Baue des Arbeits- und Zuchthauses daselbst; auch hatte er in seinem schon mehrere Jahre vor seinem Tode aufgesetzten Testamente ein Capital zur Gründung eines Spitals auf 24 Personen in Böhmisch-Kamnic und ein gleiches auf 12 Personen in Zlonic verschrieben, welche beiden Stiftungen er in einem im Todesjahre geschriebenen Codicille bestätigte. Der Graf war (seit 1721) mit Maria Karolina Gräfin von Martinitz vermält und stammen aus dieser Ehe vier Söhne und vier Töchter, wie sie aus der II. Stammtafel ersichtlich sind. Von den Söhnen brachte Fürst Franz de Paula Ulrich (II.) [s. d. S. 295] dem Hause der Kinsky als Kriegsheld neuen Glanz.

Arneth (Alfred Ritter von), Maria Theresia’s erste Regierungsjahre (Wien 1863, Wilhelm Braumüller, gr. 8°.) Bd. I, S. 222–227, 230, 240, 317, 343, 414. – Wißgrill (Franz Karl), Schauplatz des landsässigen Nieder-Oesterreichischen Adels vom Herren- und Ritterstande (Wien, kl. 4°.) Bd. V, S. 139. – Oesterreichische National-Encyklopädie, herausgegeben von Gräffer und Czikann (Wien 1835, 8°.) Bd. III, S. 203. – Nouvelle Biographie générale ... publiée par Firmin Didot frères, sous la direction de M. le Dr. Hoefer (Paris, 1850 et s., 8°.) Tome XXVII, p. 760. – Folkmann (Jos. Erwin), Die gefürstete Linie des uralten und edlen Geschlechtes Kinsky (Prag 1861, K. André, gr. 8°.) S. 56–65. – Vehse (Ed. Dr.), Geschichte des österreichischen Hofs und Adels und der österreichischen Diplomatie (Hamburg, Hoffmann u. Campe, kl. 8°.) Bd. VIII, S. 79.