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Aus dem Schuldbuche Louis Bonaparte’s

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Textdaten
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Autor: Gustav Rasch
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Titel: Aus dem Schuldbuche Louis Bonaparte’s
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 218–220
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[218]
Aus dem Schuldbuche Louis Bonaparte’s.
Die Teufelsinsel.

Bevor ich die Teufelsinsel schildere, einen der vielen Deportationsorte der französischen Republikaner während der letzten siebenzehn Jahre der bonapartistischen Gewaltregierung, muß ich erst noch mit einigen Worten auf das berüchtigte Sicherheitsdecret und auf die gemischten Commissionen zurückkommen. Eugen Tenot, ein sehr gemäßigter Schriftsteller der letzten siebenzehn Jahre, sagt darüber:

„Am 8. December 1851 war in Paris ein Decret unterzeichnet worden, das noch heute nicht zurückgenommen ist und der Regierung die Macht giebt, als Maßregel der öffentlichen Sicherheit, das heißt ohne Richterspruch nach Cayenne zu deportiren ‚die wegen Bruches von Stadtarrest oder Internirung Verurtheilten und alle Individuen, die für schuldig befunden wären, einer geheimen Gesellschaft angehört zu haben.‘ Gegen das Ende des December wurden durch ministerielle Umschreiben die berüchtigten gemischten Commissionen eingerichtet. Man hat sie zuweilen mit dem Prävotalgericht der Restauration verglichen. Diese Zusammenstellung scheint uns aber nicht zutreffend zu sein. Die Prävotalgerichte waren eine Art Kriegsgerichte, die summarisch richteten, aber doch richteten, eine widersprechende Verhandlung und eine Vertheidigung in öffentlicher Sitzung zuließen. Die gemischten Commissionen von 1852 haben ohne alle Procedur, ohne Zeugenverhör, ohne widersprechende Verhandlung, ohne Vertheidigung der Angeklagten, ohne öffentlichen Spruch über das Loos von Tausenden und Abertausenden von Republikanern entschieden. Die Abstufung der Strafen, welche diese Commissionen (im Geheimen) verhängten, stieg von der Ueberwachung durch die Hohe Polizei bis zur Deportation nach Cayenne.“

So Tenot. In Frankreich weiß heute Jedermann, daß diese gemischten Commissionen in zwei großen Perioden, nach dem Staatsstreich des Jahres 1851 und nach dem Orsini’schen Attentat im Jahre 1858, thätig gewesen sind. Die Ziffer der nach dem Jahre 1851 von ihnen Deportirten hat fünfzigtausend, die Ziffer der nach dem Jahre 1858 ungefähr fünfundzwanzigtausend betragen. Deportationen politisch Mißliebiger haben aber noch im verflossenen Jahre in Frankreich stattgefunden. Ledru Rollin hat ganz Recht, vor Aufhebung des Sicherheitsdecrets nicht nach Frankreich zurückzukehren.

Die zur Deportation bestimmten französischen Bürger sind während der letzten siebenzehn Jahre theils nach Algerien, theils nach Guyana, gebracht worden. In Algerien wurden sie je nach den Graden ihrer politischen Gefährlichkeit entweder in den kleinen Städten der Steppe – ich verstehe unter Steppe die Region, welche sich vom atlantischen Ocean bis zum indischen Meere zwischen der fruchtbaren Mittelmeerregion und zwischen der großen Wüste durch das ganze nördliche Afrika ausdehnt – internirt oder in den dortigen Gefängnissen und Forts, beispielsweise in Lambessa und in den Forts von Bab-Azoun, Mostaganem, Bugia, Saint-Grégoire, in der Casbah von Bona gefangen gehalten. Ich habe die drei Provinzen des französischen Afrika, Oran, Algier und Constantine vor einigen Jahren bereist und diese Forts und Gefängnisse gesehen. Die Steppe hat eine Breite von ungefähr zwei starken Tagereisen, an der schmaleren Stelle in der Provinz Constantine habe ich bei guter, trockener Jahreszeit, mit alle drei Stunden wechselnden, sehr kräftigen und schnellen Pferden, zwei Tagereisen gebraucht, um aus der Mittelmeerregion in die Wüste zu gelangen. Die tägliche Reise begann Morgens um drei Uhr und dauerte bis Abends um neun. Den Charakter der afrikanischen Steppe hat wohl niemals Jemand in treffenderen Farben geschildert, als Ferdinand Freiligrath; ich bediene mich deshalb zu ihrer Schilderung seiner Worte:

„Sie dehnt sich aus von Meer zu Meere;
Wer sie durchschritten hat, den graust.
Sie liegt vor Gott in ihrer Leere
Wie eine leere Bettlerfaust.
Die Ströme, die sie jäh durchrinnen,
Die ausgefahrnen Gleise, drinnen
Des Colonisten Rad sich wand,
Die Spur, in der die Büffel traben: –
Das sind, vom Himmel selbst gegraben,
Die Furchen dieser Riesenhand.“

Diese afrikanische Steppe oder die Forts und Gefängnisse in der Steppe waren der Aufenthalt der nach Algerien auf fünf oder zehn Jahr deportirten französischen Bürger. Welche Existenz!

Weit schrecklicher als das Schicksal der nach Algerien Deportirten war war das Schicksal der Unglücklichen, die nach Guyana deportirt worden sind. Sie sind vor ihrer Einschiffung nach Guyana in den Depôts der Bagnos von Toulon und Brest oder im Gefängnisse von Marseille, sowie auf der Fahrt über den Ocean wie Galeerensträflinge behandelt werden. Man hat ihnen Bart und Haare abgeschnitten, sie mit den Füßen an eine eiserne Barre geschmiedet und ihnen die Kleidung eines „Forçat“ angelegt. Manche von diesen nach Guyana deportirten Republikanern haben das dortige Klima und die dortige Misère überstanden und sind theils, weil die „fünf oder zehn Jahre Cayenne“, zu denen sie von der gemischten Commission verurtheilt wurden, abgelaufen sind, theils in Folge der Amnestie zurückgekehrt; der größte Theil dieser Unglücklichen ist aber dem Fieber, dem Klima und der Misère jenseits des Oceans erlegen. Mehrere von den Deportirten nach Cayenne habe ich bei meiner jetzigen Anwesenheit in Paris kennen gelernt und mir ihr Elend und ihre Leiden in Guyana schildern lassen. Zu ihnen gehört der jetzige Chefredacteur des Réveil, Charles Delescluge, der bekanntlich in diesen Tagen wieder zu einer Gefängnißstrafe von dreizehn Monaten wegen einer ganz unbedeutenden Notiz über einen auf dem Marsche übermäßig angestrengten Soldaten unter dem „liberalen Empire“ und unter dem Justizministerium des „anständigen Mannes“, wie sich Ollivier selbst bei jeder Gelegenheit zu nennen beliebt, verurtheilt ist. Delescluge war Präfect des Norddepartements während der ersten sechs Monate der Februarrepublik, ist ein Mann von classischer Bildung und von höchst ehrenwerthem Charakter. Eine gemischte Commission verurtheilte ihn zu zehn (!) Jahren Deportation nach Cayenne wegen Theilnahme an einer geheimen Gesellschaft. Er hat, bevor er nach Cayenne gebracht wurde, drei Wochen auf der Teufelsinsel, einem von den Verbannungsorten für politisch Deportirte in Guyana, zugebracht.

Ich werde nun seinen Aufenthalt auf der Teufelsinsel nach seinen mir gemachten mündlichen Mittheilungen und nach seinen eigenen Aufzeichnungen, welche das Feuilleton des Reveil vor Kurzem veröffentlicht hat, schildern. Delescluge gehörte noch zu den Glücklichen unter den Deportirten der Teufelsinsel. „Ich habe,“ erzählte er mir, „als einer der Letzten auf den Proscriptionstafeln Bonaparte’s, nicht mehr nöthig gehabt, mich mit dem Diensteifer von Kerkermeistern herumzuschlagen, welche sich Mühe gaben, durch ihr brutales Benehmen gegen die politischen Deportirten um den Beifall ihrer Vorgesetzten zu buhlen. Als ich am 16. October 1858 in Guyana landete, fand ich wenigstens Seitens der Regierungsbehörden geregelte Zustände vor.“

Geregelte Zustände! Man höre, wie diese geregelten Zustände auf der Teufelsinsel waren, und man kann sich selbst ein Bild machen, wie die Zustände auf der Teufelsinsel gewesen sein müssen, als die Deportirten ganz und gar der Willkür der Gensd’armerie preisgegeben waren. Ich werde den Deportirten der Teufelsinsel selbst sprechen lassen.

„Während meiner Ueberfahrt von der Königsinsel nach der Teufelsinsel hatte ich den Ort meines Exils vor Augen. Weit kleiner als die benachbarten Inseln, hinter denen sie sich discret [219] verbarg, bot die Teufelsinsel, von der Barke aus gesehen, die mich hinüberführte, ein ergreifendes Bild der Oede und des Elends. Kein Baum, um ihre Bewohner vor den Sonnenstrahlen zu schützen; nur hier und da verkrüppeltes Gesträuch; von Weg und Steg durch dies verkrüppelte Gesträuch nichts zu erblicken; nichts als kahle Felsen und einige Gebäude, welche Ställen und Casernen glichen. In dieser Oede sollte ich zehn Jahre meines Lebens zubringen, und in einem Alter, wo der Mann sonst gewohnt ist, das einzuernten, was er gesäet hat …“

„Nun, und als Sie landeten?“

„Die oberste Autorität auf der Insel war seit einigen Monaten ein einfacher Brigadier der Gensd’armerie. Zu diesem führte mich der Ruderknecht der Barke. Sein Empfang war passabel. Der Brigadier war ein noch junger Mann, der mir besser schien als sein trauriger Beruf. Er sagte mir, daß ich mich drei Mal täglich bei ihm einzufinden hätte, einmal Morgens um fünf Uhr, das zweite Mal um sechs Uhr, zum dritten Male zehn Uhr Abends. Abgesehen von diesem dreimaligen täglichen Appell und von der Verpflichtung, die Nächte in dem gemeinschaftlichen Schlafsaale zuzubringen, könne ich auf der Insel frei umhergehen und thun und lassen, was ich wolle. Als meine Vorstellung bei dem Brigadier beendigt war, ging ich gerade aus, mitten hinein in das Gestrüpp und in die Felsen, um zu untersuchen, wo ich mich eigentlich befand. In der Ferne hatte ich einige mit Stroh gedeckte Lehmhütten und in ihrer Umgebung Menschen bemerkt. In der Nähe derselben angekommen, konnte ich die Einzelnheiten des Bildes unterscheiden. Die Hütten bestanden aus Steinen und Lehm; die Bedachungen aus Maisstroh. Die Menschen gingen in Lumpen; ihre Gesichtszüge waren von der Sonne verbrannt; keine Schuhe an den Füßen; sie gingen barfuß. Es waren meine zukünftigen Leidensgefährten, die politischen Verbannten. Sie begrüßten mich in freundschaftlicher und herzlicher Weise; ich sagte ihnen, wer ich sei, und einer von ihnen bot mir seine Hütte als Wohnung an. Unter seiner Führung begab ich mich nach dem Innern der Insel, um mir mein zukünftiges Quartier anzusehen. Das ärmlichste und schlechteste Bauernhaus in Frankreich konnte, mit dieser Hütte verglichen, als Palast gelten. Einige größere und kleinere Löcher bildeten Fenster und Thüren. Das ganze Mobiliar bestand aus einem roh gearbeiteten hölzernen Tisch und aus einem ähnlichen Stuhl. Ich ließ mich auf den Stuhl nieder und war froh, den brennenden Sonnenstrahlen entflohen zu sein. Das war mein Empfang auf der Teufelsinsel.“

„Und wie viel Deportirte fanden Sie auf dieser abscheulichen Insel vor?“

„Fünfunddreißig. Sie stammten aus drei Kategorien. Die erste Kategorie gehörte in die Zahl der Bürger, welche nach dem Staatsstreich deportirt waren; die zweite bestand aus Juni-Insurgenten, welche im Jahre 1848 nach Afrika und später unter allerlei Vorwänden nach Guyana gebracht waren; die dritte aus einigen Schwarzen von den Ufern des Senegal, aus den Verurtheilten der Schieferbrüche von Angers, aus solchen, die wegen Theilnahme an geheimen Gesellschaften verurtheilt waren, und aus dem unglücklichen Tibaldi.“

„Tibaldi,“ unterbrach ich den ehemaligen Präfecten des Norddepartements, „schildern Sie mir Tibaldi. Er wurde wegen angeblichen Complots zugleich mit Ledru Rollin und Mazzini von bonapartistischen Richtern verurtheilt. Ledru Rollin und Mazzini haben dies Complot für Erfindung der bonapartistischen Polizei erklärt. Beide schützte ihr Aufenthalt in England; aber der unglückliche Tibaldi fiel als Opfer dieses Polizeicomplots und wurde nach Guyana deportirt. Keine Nachricht über ihn ist seitdem aus Guyana nach Europa gedrungen.“

„Von meinen Leidensgefährten auf der Teufelsinsel,“ sagte Delescluge, „habe ich die meiste Sympathie für Tibaldi empfunden und am meisten mit ihm verkehrt. Die Sanftmuth seines Charakters, sein feines Benehmen und die Würde, mit der er sein Unglück trug, erwarben ihm meine Hochachtung und meine volle Sympathie; aber nicht allein meine, sondern die Sympathie aller andern Bewohner der schrecklichen Insel. Er hatte unter ihnen keinen Feind; alle liebten ihn. Seine Gesichtszüge waren schön und edel; sein Auge blickte so kühn und doch so sanft; niemals habe ich eine Klage aus seinem Munde gehört. Seit seiner Ankunft auf der Teufelsinsel war er ohne jede Nachricht von seiner Familie und von seinen Freunden in Frankreich. Meine Trennung von Tibaldi war mein einziger Schmerz, als ich von der Teufelsinsel schied und nach Cayenne gebracht wurde.“

Die kleine Colonie der Deportirten der Teufelsinsel lebte ein rein vegetatives Leben, für dessen Erhaltung und Einrichtung tägliche Frohndienste zu sorgen hatten. Die Speisen, welche sie brauchten, hatten sie sich selbst zuzubereiten; das Wasser, welches sie tranken, hatten sie selbst herbeizuschaffen und in eine eiserne Cisterne zu schleppen; das Holz, um Kochfeuer anzuzünden, hatten sie selbst klein zu machen; ihre Wohnungen selbst auszubessern, ihre Kleider selbst zu flicken. Waren die Schuhe zerrissen, so konnten sie ohne Schuhe auf dem steinigen Boden umhergehen.

„Nach einiger Zeit,“ sagte Delescluge, „sah ich ganz aus wie die Andern; meine Kleider fingen an zu zerreißen, und wenn ich noch länger auf der Insel geblieben wäre, würde ich ebenfalls in bloßen Füßen umhergegangen sein; dem überflüssigen Luxus, Strümpfe zu tragen, mußte ich sehr bald entsagen. Ich bekam meinen Platz in der Schlafbaracke; ich erschien zur regelmäßigen Zeit beim Appell; ich stand auf und legte mich schlafen, wenn ich die Kanonenschüsse hörte, welche die Zeit des Aufstehens und des Schlafengehens anzeigten; mit einem Worte: ich lebte und existirte bald mit der Regelmäßigkeit eines Veterans der Inseln des Heils.“

Täglich landete eine von der Königsinsel kommende Barke an der Teufelsinsel und brachte für die Deportirten das tägliche Futter, natürlich in rohem Zustande. Dies Futter bestand für jeden Deportirten aus anderthalb Pfund Brod von mehr oder minder genießbarem Zustande, welches zuweilen durch verschimmelten Zwieback ersetzt wurde, aus Mehl von Brodfruchtstauden, aus Rindfleisch oder Schweinefleisch, aus Bohnen oder Reis und aus etwas Oel und Schmalz. Aber das frische Fleisch war selten genießbar, das gesalzene Fleisch fast niemals; die Bohnen trotzten dem stärksten Appetit durch ihre Härte, und im Reis krochen die Würmer umher. Diese Vorräthe konnten die Deportirten unter sich vertheilen und sie in rohem Zustande verzehren oder sie am Feuer zubereiten, wie sie Lust und Geschick hatten.

„Als ich am ersten Tage meiner Ankunft auf der Teufelsinsel meinen Antheil an Victualien empfing,“ sagte Delescluge, „wußte ich gar nicht, was ich damit anfangen sollte. Ich besaß keine Küche, keinen Feuerheerd, keinen Topf und keinen Teller, nicht Gabel noch Messer; von Kochkunst verstand ich nichts. In einem Bananblatte schleppte ich meine Vorräthe heim und konnte wie Hamlet sagen: ‚Sein oder Nichtsein, das ist die Frage!‘ Mein Gastfreund, der mich eingeladen hatte, seine Hütte zu theilen, und etwas von der edlen Kochkunst verstand, erbot sich glücklicherweise auch, mir meine Vorräthe zuzubereiten; sonst hätte ich sie roh verzehren oder verhungern müssen.“

Am Sonntag war es den Deportirten gestattet, sich für ihr eigenes Geld ein wenig Wein zu kaufen; mehr als fünfundzwanzig Centilitres wurden aber nicht verabreicht. Wer kein eigenes Geld hatte, mußte auf den Wein verzichten. Daß das heiße und zugleich feuchte Klima von Guyana die Kräfte erschöpft, indem es den menschlichen Körper in einem fortwährenden Zustande der Transpiration erhält, ging die mörderische bonapartistische Regierung natürlich nichts an. Um die Gesundheit der politischen Deportirten kümmerte sie sich nicht. Die Republikaner wurden ja gerade deshalb nach Guyana deportirt, um zu sterben. Die Deportation der Galeerensträflinge aus den Bagnos nach Guyana, welche Louis Bonaparte nicht lange nach dem Staatsstreich eingeführt hat, hatte denselben Zweck. Ein Seeofficier, der mich vor einigen Jahren im Bagno von Toulon umherführte, sagte mir, als ich mit ihm von den Deportationen nach Cayenne sprach: „Die Deportation nach Cayenne ist einem Todesurtheil ganz gleich zu achten. Cayenne ist der Tod.“ Als Delescluge von der Teufelsinsel nach Cayenne gebracht wurde, brachte er einige Stunden auf der Insel des heiligen Joseph zu. Er fand dort Deportirte, welche wegen Bruches des Stadtarrestes oder wegen Internirung an einem bestimmten Orte nach der Insel des heiligen Joseph gebracht waren. Sie waren zu derselben Zeit wie er in Toulon eingeschifft worden, und seit ihrer Ankunft auf der entsetzlichen Insel waren bereits von sechsunddreißig nicht weniger als elf dem mörderischen Klima erlegen. Diese Menschenhekatomben, welch’ ein schreckliches Blatt aus dem Schuldbuche Louis Bonaparte’s!

In dieser Weise vergingen den Deportirten der Teufelsinsel die Tage in fortlaufenden Frohndiensten und in ewigem Einerlei, während ihr Verkehr mit der Welt einer sorgfältigen Ueberwachung [220] unterlag. Alle Monate einmal ging der Courier nach Frankreich ab. Die Briefe der Deportirten, welche derselbe zugleich mit der Regierungspost beförderte, mußten dem Gensd’armerie-Brigadier offen und ohne Couvert übergeben werden. Nur ein Drittel jeder Seite des Briefbogens durfte beschrieben sein, und die erste Seite mußte an der Spitze den Namen des Deportirten tragen mit der Nummer seiner Kategorie und der Nummer seiner Section. Das war ein Robinsonleben, illustrirt durch die Quälereien eines Gefängnißreglements, ein Kerkerleben in der Wildniß ohne allen Comfort einer europäischen Existenz. Abends um acht Uhr verkündete ein Kanonenschuß auf der Königsinsel, daß die Einsperrung der unglücklichen Deportirten beginne. Nachdem der Brigadier ihre Namen verlesen hatte, wurden sie in ein stallähnliches Gebäude geführt, welches als gemeinschaftlicher Schlafsaal diente, wenn man einen Stall so nennen will.

Das Gebäude bildete ein rechtwinkliges Oblongum von ungefähr zwanzig Meter Länge und sechs Meter Breite. An beiden Längenseiten befand sich eine Thür, zu der von außen ein paar Stufen führten. Im Innern dieses Stalles waren an den Wänden einander gegenüber zwei Reihen hölzerner Bohlen, auf kurzen Pfählen ruhend, welche ein Gang trennte, angebracht. Diese hölzernen Bohlen bildeten das Lager der Deportirten. Jedes einzelne Lager war immer durch einen leeren Raum von zwei Meter von dem benachbarten Lager getrennt. Von Matratzen und Kopfkissen war keine Rede. Als Bedeckung erhielt Jeder eine wollene Decke, in welche er sich einwickeln und nach Belieben schlafen oder träumen konnte, wenn das Eine oder das Andere auf den harten Brettern möglich war und ihn nicht die Berührung durch Hand oder Fuß seines Nachbars aus Schlaf und Traum plötzlich aufschreckte. Der Bewohner der Teufelsinsel auf dem harten Bretterlager seines Stalles hatte wahrhaftig Grund genug, den Indier zu beneiden, der seine aus Bambus gefertigte Hängematte zwischen zwei Baumstämmen des Waldes aufhängt; denn die Hängematte des Indiers war ein weicheres und bequemeres Lager als das Bretterbett in dem von mir beschriebenen Holzstalle. Aber die Nächte in diesem Holzstalle wissen noch von anderen Qualen zu erzählen. Sie bilden einen unaufhörlichen Kampf mit den großen Mücken von Guyana. „Als ich mich fünf Monate lang, in die bunten Lumpen eines Galeerensträflings gekleidet, im Fort Lamalgue bei Toulon befand, um das nächste Transportschiff nach Guyana zu erwarten,“ sagte Delescluge, „bin ich viel von den großen Flöhen von Toulon gequält worden. Wenn ich heute an die Mücken von Guyana und an die Flöhe von Toulon denke, und zwischen beiden Thieren eine Parallele ziehen soll, so muß ich sagen, daß sie in ihrer Gefräßigkeit einander vollständig glichen und Keines dem Andern nachstand. Aber in dem Schmerz, den sie durch ihre Bisse und Stiche hervorbrachten, übertrafen die Mücken von Guyana die Flöhe von Toulon bei Weitem. In Guyana gab es zweierlei Arten von Mücken. Die erste bohrt stumm wie ein Karpfe den Stachel in das Fleisch ihres Opfers. Die andere naht mit Musik, bevor sie das Attentat begeht. Aber der Schmerz, den die erste verursacht, dauert nur eine Secunde und hinterläßt keine Spuren ihres Stiches, während der Stich der zweiten ein langdauerndes Jucken hervorbringt und einen buntfarbigen Fleck auf der Haut zurückläßt.“

Bevor ich die Schilderung der entsetzlichen Insel schließe, welche die Regierung Louis Bonaparte’s und seiner Helfershelfer beim Verbrechen des zweiten December als Deportationsort für die französischen Republikaner benutzt hat, bis der Tod sie von ihren Leiden erlöste, muß ich noch eine ganz besondere Grausamkeit erwähnen, deren sich die Kerkermeister von Guyana, wahrscheinlich auf einen speciellen Befehl des schändlichen Morny, des intellectuellen Urhebers der Deportationen, gegen die unglücklichen Gefangenen der Teufelsinsel schuldig gemacht haben. Als Delescluge nach der Insel gebracht wurde – er landete dort am 16. October 1858 – gab es auf der Insel keinen einzigen Baum. Unter den glühenden Sonnenstrahlen von Guyana ist der Baumesschatten eine nothwendige Bedingung des menschlichen Wohlbefindens. Die tropische Natur des Aequators hat deshalb Guyana mit einem Reichthum von mächtigen Bäumen mit Riesenästen und riesigen Blättern beschenkt. Auch die Teufelsinsel war im Jahre 1851 mit diesen tropischen Riesenbäumen bedeckt. Und wo waren diese Bäume geblieben? Weshalb hatte die Insel das Aussehen einer nackten, steinigen Wiese? Die Verwaltung von Guyana hatte im Jahre 1852 sämmtliche Bäume der Teufelsinsel niederschlagen lassen. Und was war das Motiv dieser barbarischen Verwüstung? Einige von den politischen Deportirten hatten sich aus Baumstämmen Canots angefertigt, und es war ihnen gelungen, mit Hülfe dieser Canots der Hölle zu entfliehen, in deren Miasmen zu sterben sie das Sicherheitsdecret des Staatsstreichmannes verdammt hatte.

G. Rasch.