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Aus Ferdinand Lassalle’s Jugend

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Textdaten
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Autor: Rudolf Gottschall
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Titel: Aus Ferdinand Lassalle’s Jugend
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 576–578
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Aus Ferdinand Lassalle’s Jugend.


Erinnerungen von Rudolf Gottschall.


Im Anfange der vierziger Jahre versammelte sich in Kießling’s Bierkeller in Breslau eine große Zahl Breslauer Bürger, junger Beamten und Studenten, welche nicht blos dem Bier, sondern auch dem Zeitgeist und der freien politischen Entwickelung huldigten. Man verstand unter der letzteren eine „constitutionelle Verfassung“, gegen welche damals eine heftige Reaction sich ereiferte, während sie jetzt eine unbestrittene und der Reaction selbst nicht unwillkommene Thatsache ist. Der Schweidnitzer Keller des Breslauer Rathhauses, dessen Bimmelglocke schon lange nicht mehr geläutet wird, versammelte allerdings ein zahlreicheres Publicum, aber in Kießling’s Keller kam Alles zusammen, was zur Opposition gehörte. Auch Gutsbesitzer der Provinz fanden sich häufig ein, darunter der jugendliche Graf Eduard Reichenbach mit seiner hohen Gestalt, seinem imponirenden Vollbart, seinen Feueraugen, jeder Zoll noch ein Jenenser Burschenschafter, der stets bereit war, „den Stier bei den Hörnern zu fassen“, wie er zugleich als politischer Radicaler und tüchtiger Landwirth sich auszudrücken pflegte. Uns jungen Studenten imponirte diese kräftige Reckengestalt, um welche die Glorie einer überstandenen Festungshaft schwebte und deren Frische und Energie einen hinreißenden Zauber ausübte.

Es herrschte in diesen unterirdischen Gemächern ein durch den Gerstensaft genährter lebhafter Cultus der geistigen Freiheit; hier wurden politische Gedichte declamirt, Herwegh war damals Mode, und Alles „riß die Kreuze aus der Erde“, um damit dreinzuschlagen; dort führte man philosophische Gespräche. Da machte sich vor Allem ein blutjunger Student bemerklich mit einer etwas spitzen, aber doch durchdringenden Stimme, von blasser Gesichtsfarbe, von einem griechischen Profil, das mit den physiognomischen Merkmalen israelitischer Herkunft eigenthümlich verschmolzen war. Ganz nach den Gesetzen hellenischer Plastik erstreckte sich die Nase ohne jeden Einschnitt geradlinig von der Stirn herab, aber um den Mund spielte eine lebhafte Beweglichkeit mit allen jenen zersetzenden geistigen Elementen, welche dem jüdischen Stamme eigenthümlich sind. Die ganze Erscheinung hatte etwas körperlich Durchsichtiges und geistig Feines – zählte doch der junge Student nicht mehr als siebenzehn Jahre; doch kein Professor der Philosophie konnte mit größerer Beredsamkeit von Hegel, dem modernen „Proclus“, sprechen und über die neuen mythologischen Offenbarungen Schelling’s in Berlin den Stab brechen; denn es hatte Ludwig Feuerbach in einer kleinen Schrift die Grundzüge einer neuen Philosophie des Sensualismus veröffentlicht, und an diese Schrift knüpfte sich die lebhafte Debatte an einem Seitentische des Kießlingschen Kellergeschosses. – Ich frug nach dem Namen des jungen Studenten und erfuhr, daß er Ferdinand Lassalle heiße und der Sohn eines vermögenden jüdischen Kaufmanns sei.

Bald traten wir uns näher. Es spukte damals wundersam in den Köpfen, war doch die Welt in Gährung, in Unruhe. Ein neuer Tag schien anzubrechen, und der Lorbeer des Reformators erschien als der schönste und erreichbarste von allen. Ein wenig Märtyrerthum dabei – das machte die Weltverbesserung noch romantischer. Die heutige akademische Jugend, die sich auf der Grundlage eines mächtigen Staatswesens dem Dienste der Wissenschaften weiht, kann sich kaum in jene Zeit der politischen Bewegung zurückversetzen, wo sich eine Welt von Möglichkeiten traumhaft dem Blicke aufthat, wo Jeder glaubte, er brauche nur zuzugreifen, um dem Staatsschiff eine andere Richtung zu geben, wo der jüngste Student berühmt werden konnte und auch wirklich berühmt wurde, wenn er in den Reihen der Opposition irgend eine herostratische That verrichtet hatte, mochte diese auch nur in einem herausfordernden Gedicht oder in der Betheiligung an einer lärmenden Demonstration bestehen. Das geistige Streben ging damals in’s Blaue, aber es herrschte bei allen Verirrungen ein schöner Idealismus, wie er der Jugend ziemt. Man kannte zwar noch keine Zukunftsmusik, aber man glaubte an die Harmonie der Zukunft, und der Himmel hing voller Geigen.

Ferdinand Lassalle imponirte mir durch die genaue Kenntniß des schwierigsten Gedankensystems bei seiner großen Jugend; er konnte seinen Hegel auswendig bis in die dunkelsten Stellen; er wußte schon damals den Standort aller Gedanken in den verschiedenen Werken und Bänden, eine Kenntniß, durch die er später in Berlin selbst einem Alexander v. Humboldt die größte Achtung abnöthigte. Er war überhaupt ein feiner Kopf, geübt in allen Combinationen, ein gewandter Schach- und Whistspieler, und auch diese Neigungen führten uns zusammen. Wir beschlossen, eine geschriebene Zeitschrift für die Breslauer Burschenschaft, den „Raczeckes“, abzufassen, für welche Lassalle die philosophischen Artikel und ich die Gedichte lieferte. Das Journal, welches die Kunst Gutenberg’s verschmähte, erfreute sich dennoch einer großen Popularität, und wenn manche gedruckten Blätter und Werke in einem unheimlichen Dunkel verharren, so hatte unsere ungedruckte Zeitschrift dafür glänzenden Erfolg. Sie lag in den Lesezimmern aus; unsere Gedanken und unsere Verse wurden bei jeder Gelegenheit, bei den Kneipen und den Commersen citirt, und da sie uncensirt erschienen, fehlte es ihnen an Kühnheit nicht. Ein [577] Gedicht, welches ich gegen die Bureaukratie gesündigt hatte und in welchem ich die Dreistigkeit hatte, die Beamten mit einer numerirten Herde zu vergleichen, fand besonderen Beifall bei den künftigen Staatsdienern, aber weit geringeren bei dem damaligen Regierungsbevollmächtigten der Universität, der sich wahrscheinlich aus autographischer Liebhaberei in den Besitz desselben gesetzt hatte. Natürlich ließ sich ein solches journalistisches Unternehmen ohne Mitarbeiter nicht bestreiten, unter denen sich einige curiose Käuze befanden. Zu diesen gehörte ein angehender Philosoph, der ohne genügende Vorbildung in die Stromschnellen der Dialektik gerathen war; er hatte ein Drama geschrieben, „Der Sieg der Idee“, in welchem nach seinem eigenen Ausdrucke „die Geschichte hinten herunterfällt“, ein Drama, das sich nicht aufführen ließ und an die philosophischen Dramen der Hindus erinnerte, an diese großartigen metaphysischen Schattenspiele, wie „der Mondaufgang der Erkenntniß“.

Lassalle schrieb für unser Journal philosophische Aufsätze im Stil der „deutschen Jahrbücher“, Aufsätze, die von einer seltenen Begabung zeugten, und in der That, wer seine späteren großen Werke über Heraklit und das Erbrecht, welche für seine meisten Anhänger Bücher mit sieben Siegeln sind, aufmerksam durchstudirte, der muß seinem eminenten Scharfsinn, über den die zünftige Gelehrsamkeit nur selten gebietet, und seinem erstaunlichen Fleiß die vollste Anerkennung zollen. Doch was ein Dörnchen werden will, krümmt sich bei Zeiten – und so krümmte sich das Dörnchen Lassalle in unserem Journal.

Eine studentische Katastrophe sollte den jungen Philosophen in jene ersten Conflicte mit den Behörden bringen, die ihm in späterer Zeit fast zu den täglichen Lebensgewohnheiten gehörten; diesmal waren es indeß die akademischen Behörden, deren Joch immerhin noch süß und deren Last leicht ist. Jene Vorgänge zeugten von einem so leidenschaftlichen Interesse für Philosophie bei der Studentenschaft, wie es heute längst in das Reich der Sage gehört. Der Professor der Philosophie Braniß in Breslau war einer der geistreichsten Docenten der Universität; sein Vortrag war außerordentlich lebendig und anregend. Weniger glücklich war er als Schriftsteller. Eine „Geschichte der Philosophie seit Kant“ hatte es nur bis zu einem Bande gebracht und war in demselben glücklich bis zu dem Anfangspunkte des Werkes, bis zu Kant vorgedrungen; sein philosophisches Hauptwerk stellte als höchstes Princip das „absolute Thun“ hin, während sehr viele Commilitonen sich lieber für das „absolute Nichtsthun“ erklärt hätten. Braniß liebte es, Zeitrichtungen anzugreifen, und so ließ er denn auch eines Tages das schwere Geschütz seiner Dialektik gegen Ludwig Feuerbach spielen. Damit stach er indeß in ein Wespennest. Feuerbach hatte eine große Zahl begeisterter Anhänger, welche ihre Opposition alsbald in thatkräftiger Weise äußerten; sie trommelten und trampelten, und brachten so die Logik des Professors Braniß zum Schweigen.

Es war dies jedenfalls ein unwissenschaftliches Vorgehen. Dieser Ansicht war auch ein Student, Hermann Grieben, jetzt tüchtiger Redacteur der „Kölnischen Zeitung“ und beliebter Dichter; er sprach seine Ueberzeugung in einem Artikel der „Breslauer Zeitung“ aus und tadelte das Benehmen der Studirenden auf das Heftigste. Eine solche Auflehnung eines Einzelnen durfte indeß nicht ungestraft bleiben; es war eine Art von Hochverrath an der Majestät der Studentenschaft. Max v. Wittenburg, damals eines der Häupter der Burschenschaft, später in das feudale Lager übergegangen, berief eine große Studentenversammlung, vor welcher Grieben sich wegen seines Attentats rechtfertigen sollte. Diese Versammlung wurde von dem Rector und dem Senat verboten, aber, wie dies zu gehen pflegt, dennoch abgehalten, und war vielleicht gerade deshalb außerordentlich besucht. Der Angeklagte erschien und vertheidigte sich nach besten Kräften; aber er war schon von Hause aus verurtheilt, und die Catilinarischen Reden regneten nur so auf sein verfehmtes Haupt herab. Unter diesen Anklägern befand sich auch Ferdinand Lassalle; er ließ vielleicht zum ersten Male sein etwas spitzes, aber von nervöser Energie vibrirendes Organ in einer größeren Versammlung ertönen. Seine Beweisführung war wenig volksthümlich; es waren allerlei dialektische Spinngewebe, die er in hastiger Rede zusammenfegte, und so rief sein erster Versuch auf dem Gebiete volksthümlicher Beredsamkeit eigentlich keine durchschlagende Wirkung hervor. Doch an Terrorismus ließ er nichts zu wünschen übrig; seine Rede war mit lauter Donnerkeilen gegen die Ankläger Feuerbach’s hinlänglich ausgerüstet, und man glaubte, als er mit prickelndem Feuer schloß, etwas von jenem Schwefeldampf zu verspüren, welcher das Verschwinden des Mephistopheles begleitete.

Auch ich hatte in jener verbotenen Versammlung gesprochen, natürlich im Sinne der Bewegungspartei, und da ich noch an den Folgen eines Königsberger Consilium abeundi litt und noch nicht rite immatriculirter Student war, so machte man mit mir kurzen Proceß und verwies mich einfach aus der Stadt. Der Regierungsbevollmächtigte erfreute mich außerdem durch den Vortrag einiger Verse, zu deren Autorschaft ich mich bekennen mußte und die, um die Wahrheit zu sagen, äußerst wenig zu meinen Gunsten sprachen. Doch die Studentenschaft benutzte diese Ausweisung zu einer neuen Demonstration; man erkannte mir die Ehre eines feierlichen Geleits zu; Ferdinand Lassalle war mit unter den Entrepreneurs dieser Feierlichkeit. Auch die Landsmannschafter betheiligten sich mit einer Deputation, in welcher sich der jüngst verstorbene wackere Berliner Rechtsanwalt Hiersemenzel befand, damals ein strebsamer Musenjünger, dem die Lyrik in aller Stille und Verschwiegenheit ihre Weiheküsse ertheilte. Es war für ihn der Anfang einer Sturm- und Drangperiode, die an allerlei lustigen Abenteuern reich war; denn der blaß und schüchtern aussehende Jüngling konnte mit seinen damaligen und späteren Erlebnissen eine ganze Chronik füllen.

Außer den Abgesandten der Landsmannschaft hatten sich zu dem Comitat auch einige Breslauer Bürger eingefunden, um den Antheil an den Tag zu legen, den auch die Bürgerschaft allen Bestrebungen zuwandte, die eine Opposition gegen das Cultusministerium, wenn auch in ferner Perspective, zeigten. Vor dem Thor des grauen Bibliothekgebäudes auf dem Sande, in dessen Hof ich meine klösterliche Wohnung aufgeschlagen hatte, wurde es auf einmal in unheimlicher Weise lebendig, vier- und sechsspännige Wagen fuhren vor, die Posthörner schmetterten, Reiter sprengten mit blanken Hiebern in den Hof, Studentenmützen von den verschiedensten Farben wogten durcheinander. Ein langer Wagenzug entführte mich aus der Vaterstadt, vor dem Gebäude des Polizeipräsidiums und Regierungscuratoriums hielt der Zug; die Postillone bliesen das wehmüthige Lied: „Bemooster Bursche zieh’ ich aus“ und weiter ging’s dann nach dem oberschlesischen Bahnhofe, wo vor zahlreich versammeltem Publicum noch einige kräftige Abschiedsreden gehalten wurden.

Doch der hinkende Bote kam nach! Die Unternehmer und Theilnehmer des Comitats geriethen in Untersuchung und auch Ferdinand Lassalle wurde der Märtyrer seiner Ueberzeugungen. Mannhaft trat er dem Universitätsrichter gegenüber und bewies sein gutes Recht mit jener unerschütterlichen Unfehlbarkeit, die auch allen seinen späteren Vertheidigungsreden eigen war. Ich besitze noch einen sehr ausführlichen Brief von ihm, in welchem er mir das ganze Verhör mit allen seinen kecken Antworten mittheilt – wie oft ist mir dieser Jungfernproceß Lassalle’s bei seinen späteren Processen eingefallen! Doch die blinde Themis ließ sich durch das Genie nicht bestechen. Lassalle wurde zu achttägiger Carcerstrafe verurtheilt und genoß so den Vorgeschmack der künftigen Gefängnißstrafen, die dem socialen Agitator zuerkannt wurden.

Nachher verlor ich ihn einige Zeit lang aus dem Gesicht. Als ich ihn dann in Berlin wiedersah, befand er sich in der Epoche der feinen Pariser Hemden und der vornehmen Liebesabenteuer, einer sehr kostspieligen Epoche, die an die Tasche des Vaters appellirte. Alles um ihn war aristokratischer Parfum, Liebesbriefe von dem Umfang einiger Bogen Conceptpapier wurden in echtem Romanstil an vornehme Damen gerichtet; der Don Juan stand in voller Blüthe.

Bei einem späteren Besuch in Berlin fand ich ihn etwas mehr zu den Gretchen und Clärchen herabgestiegen; er liebte nur Naturkinder, huldigte aber außerdem der Freundschaft. Er wohnte mit seinem Freund, dem Doctor Mendelssohn, zusammen, den er in die Geheimnisse der Hegel’schen „Phänomenologie“ einweihte. Das unerwartete Resultat dieser Studien war der berüchtigte Cassettendiebstahl, der nicht lange darauf in Scene ging. Nun begann Lassalle eine öffentliche Rolle zu spielen; ich habe sie mit Antheil verfolgt, bis zu dem Duell, das dem duellfeindlichen Agitator, dem Helden einer Pauk- und Prügelscene [578] auf den Straßen Berlins, verhängnißvoll werden sollte, und mit Antheil sah ich später einmal die goldgelockte Ate dieses unseligen Duells, die Rolle in der Hand, in dem Salon der Frau Peroni-Glaßbrenner, wo sie sich, nach selbsterlebter Tragödie, für die geschminkten Tragödienrollen der Bühne vorbereitete!

Wer, wie ich, Lassalle von Jugend auf kennt, dem muß es als eine merkwürdige Ironie des Schicksals erscheinen, wie gerade an seinen Namen sich eine Agitation der Massen knüpfen konnte. Lassalle war eine durchaus aristokratische Natur; er besaß eine geistige Vornehmheit, wie sie den Vertretern der Hegel’schen Philosophie eigen ist, welche die Masse und ihren gesunden Menschenverstand verachten; seine gelehrten Werke sind nur der exclusivsten Gelehrsamkeit zugänglich und tragen für das profane Publicum die Inschrift der Dante’schen Hölle: „Die Ihr hier einzieht, laßt die Hoffnung draußen!“ er hatte überdies aristokratische Lebensgewohnheiten und gehörte durchaus nicht zu den Männern, die sich in der Atmosphäre des Arbeiterpublicums wohl fühlen oder die durch Bonhomien, Humor, äußeres Kraftgefühl und die Vorliebe für Kraftausdrücke sich die Sympathien dieses Publicums gewinnen können.

Als er sich indeß einmal mit dem heißen Ehrgeiz und der fieberhaften Energie, die ihn beseelten, auf die Arbeiterfrage geworfen hatte, zu welcher ihn die Bedenken über die Berechtigung des Capitalgewinns in seinem größeren Werke hinführten, da vermochte er durch seine Neigung für das Extreme, das die Massen begeistert, durch die Unermüdlichkeit, mit welcher er die Sturmglocke läutete, durch die scharfgeschliffenen Sätze, die er hin- und herschleuderte wie ein Jongleur, auf die Massen einen Zauber auszuüben, der ihn überlebt hat und ihn zum Gegenstande eines enthusiastischen Todtencultus seitens der Arbeiter Deutschlands macht.

Vergessen wollen wir indeß nicht, daß er keineswegs den staatsfeindlichen Theorien der Internationale und ihrer deutschen Anhänger huldigte, daß er in seinen politischen Broschüren und in seiner Fichterede den Beruf Preußens zur Wiederherstellung deutscher Macht und Größe energisch hervorgehoben, ja einen Cavour dem preußischen Staatsmann als Muster hingestellt hat, daß er himmelweit entfernt war von einer Allianz mit dem Particularismus und den jetzigen reichsfeindlichen Mächten.

Lassalle hatte von Haus aus wie Wenige eine eiserne Stirn und den Glauben an seine Unfehlbarkeit – und das ist für ein öffentliches Auftreten schon die halbe Bürgschaft des Erfolgs. Hat er doch dadurch selbst dem kranken Aristophanes in Paris imponirt, der in ihm den Vertreter einer neuen Jugend erblickte, die rücksichtslos mit allen Traditionen und jeder Gefühlsschwärmerei gebrochen hat.

Sein Lebenslauf bewegt sich indeß in einer „gebrochenen“ Linie; aus dem Gelehrten entpuppt sich der Agitator, und der Abenteurer geht durch beide Epochen hindurch. Mindestens beweist dies interessante Phänomen, daß die Zeit der deutschen Faust-Don Juane noch nicht vorüber ist, eine so große Rolle auch gegenwärtig die gelehrten und poetischen Wagner spielen!