Ariosts rasender Roland
[83]
Von Frauen sing ich euch, von Rittern und von Schlachten,
Von Edelsitte, von der Liebe Glück und Qual,
Von Thaten, die erstaunen machten,
Zur Zeit, als Mauren ohne Zahl,
Auf Gallien den wilden Sturm gethan,
Zu rächen den erschlagenen Trojan
An Kaiser Karls verwüstetem Gebiete.
[84]
Auch will ich euch von Roland Dinge melden,
Wie Liebe den verständigsten der Helden
In einen Rasenden und Thoren umgekehrt –
Wenn die, die mir dasselbe Schicksal zugetheilet,
Die unermüdet, Tag vor Tag
Mir anders soviel läßt, daß ich es enden mag.
Empfange, schöne Zierde meiner Zeiten,
Was Ehrfurcht dir und Liebe weihten,
Glorreicher Sproß des herrlichen Alcid,
Dir, Hippolyt, die große Schuld entrichten,
Dein Nahme ziere dieses Lied,
Verachte nicht die kleine Gabe,
Ich gebe alles, was ich habe.
[85]
Den ich jetzt zu besingen mich bereite,
Erblikst du Rogern groß im Streite,
Einst deiner Ahnen würd’ges Reiß.
Von seinem weit berühmten Siegen,
Gefällt es dir, von deines Geistes hohen Flügen
In meinen Versen auszuruhn.
Nach tausend glänzenden Trophäen
Die, für Angelika entbrannt,
Held Roland sich ersiegt an ihrer Hand,
Erschien er jetzt mit ihr am Fuß der Pyrenäen,
Wo streitend für sein Vaterland
Die fränkischen und deutschen Schaaren
[86]
Er kam just zu gelegner Zeit,
Den Muth der Christen anzufeuern,
Dem Uebermuth des Agramant zu steuern,
Der mit Barbaren Frankreich überschneit,
Zu Leons Waffen seine Zuflucht nahm.
Nicht günst’ger konnte Roland wiederkehren,
Doch bald bereut er, daß er kam.
Denn bald (so leicht kann sich der Mensch betrügen)
Die Schöne, die er sich mit heldenkühner Hand
Von Ost bis West bewahrt mit zahlenlosen Siegen,
In Freundes Schoos, im Vaterland,
Und ohne Schwerdtschlag, sich entwandt.
Entrückte sie der Kaiser seinen Blicken.
[87]
Schon hatte ihrer Reitze Macht
Im Busen seines Anverwandten
Dasselbe Feuer angefacht,
Besorgt, durch diesen unglücksvollen Streit
Zwey tapfre Krieger zu verlieren,
Ließ Karl die Zauberinn, die dieses Paar entzweit,
Vom Baierfürst von dannen führen;
Für den, der sie in nächster Schlacht erkämpfte,
Mit Strömen Sarazenenbluts
Den Uebermuth der Feinde dämpfte.
Doch der Erfolg sprach der Erwartung Hohn,
Der Baier wird gefangen von den Mohren,
Viel Ritter noch mit ihm, und sein Gezelt verloren.
[88]
Verlassen blieb indeß Angelika zurück,
Und wartete, von fern ein ahndungsvoller Zeuge,
Und jetzt, da das verrätherische Glück
Zum Untergang der Christen sich verschworen,
Giebt sie dem schnellen Roß die Sporen.
Durch einen Wald führt sie ein dichtverwachsner Steg,
Er geht gepanzert, mit dem Helm bedecket,
Umgürtet mit dem Schwerdt, am Arm das Schild.
Kaum fliegt so leicht durchs ländliche Gefild
Ein Schäfer nach dem Strauß, zum Ziel des Laufs gestecket.
Erschrockner fort beym Anblick einer Schlange,
Als jetzt Angelika, mit furchtgebleichter Wange,
Vor diesem tapfern Paladin.
[89]
Es war Rinald, ein edler Sohn
War jetzt Bojard sein Roß – er weiß nicht wie – entflohn.
Kaum daß nach ihr sich seine Blicke wenden,
Erkennt er in Angelikens Gestalt
Der hohen Schönheit Allgewalt,
Und längst ihn mit der Liebe Netz umstrickte,
Die Schöne lenkt ihr Roß zurück,
Und jaget mit verhängtem Zügel,
Durch wildverwachs’ne Thäler, über Hügel,
Das Roß durchfliegt die selbstgewählten Pfade:
Nachdem es lang des dichten Waldes Nacht
Und manchen Busch durchflogen, macht
Es plötzlich Halt an eines Stroms Gestade.
[90]
Der Ritter Ferrau; seinen Durst zu stillen
eilt’ er nach diesem kühlen Ort,
Und harrt da wider seinen Willen;
Denn als er tief an des Gewässers Rand
War ihm sein Helm vom Haupt gesunken,
Den er im tiefen Strom nicht wieder fand.
Von Furcht getrieben flog die Schöne
Dem Ufer zu, mit ängstlichem Geschrei,
Des schönen Busens Angstgetöne;
So eilt er aus dem Wasser schnell herbey.
Wie lang auch schon der Ruf von ihr geschwiegen,
Sein erster Blick entdeckt ihm, wer sie sey,
[91]
Da er dem Dienst der Schönen sich geweiht,
Vielleicht von Lieb entbrannt, wie jene beiden,
Stand er zu ihrem Schutz bereit,
Schnell fliegt das Eisen aus der Scheiden,
Rinald, gewohnt kein Treffen zu vermeiden,
(Schon mehrmals trafen sie in Kämpfen sich)
Erwartet den, der ihm an Muthe glich.
Furchtbar begann auch jetzt das Handgemenge,
Nicht Helm, nicht Panzer bloß – ein Ambos selbst zerspränge
Von solcher Hiebe Donnerstrahl.
Und während nun in stets ergrimmterm Streite
Mit krachendem Getös sich Schwerdt an Schwerdt zerschlug,
Durch Wald und Feld des Kampfes schöne Beute.
[92]
Vergebens ringt der beiden Gegner Wuth
Mit gleichem Glück, mit gleichem Muth;
Vergebens! Keiner siegt, und keiner kann verlieren,
Jetzt aber nimmt der Held von Montalban
Zuerst das Wort, besiegt vom stärkern Drange
Der Liebe, deren süßem Zwange
Das Herz nicht mehr gebieten kann:
Dich selbst befehdest du! Sprich, warum streiten wir?
Hast du die Strahlen jener Sonn empfunden,
Bist du in Lieb entbrannt gleich mir,
Warum verweilest du dich hier?
Die Schöne wird nicht dein! Schon allzuweit
Entfloh sie während unserm Streit.
[93]
Hör an! liebst du mit mir in gleichem Maße,
So folgen wir jetzt ihrer Straße,
Und ist sie unser, ja, dann mag das Schwerdt entscheiden,
Wem sie gebühret von uns beiden,
Die Tapferkeit soll Richter seyn.
Was können wir durch längern Kampf erringen?
Der Mohr ist zum Vergleich bereit,
Es ruht der Streit, und unterdessen
Entspinnt sich Fried und Einigkeit.
So ganz sind Haß und Groll vergessen,
Dasselbe Roß vertraulich theilen;
So fliehen sie vom grünen Strand,
Der Spur des Fräuleins nachzueilen.
[94]
O, ächte Treu der alten Ritterzeit!
Sieht man nach kaum geschloßnem Frieden,
Noch matt und wund vom bittern Streit,
Doch frey von Furcht und Argwohn, durch die Engen
Des dunkeln Walds das Heldenpaar sich drängen,
Rasch wie ein Pfeil dahin, bis sich die Straße theilt.
Unkundig welche sie erwählet,
Da man auf beiden frische Spuren zählet,
Beschließen sie, dem Zufall zu vertraun,
Rinald auf einem Pfad, und Ferrau auf dem andern,
Durch des Gehölzes dichte Nacht gehaun.
Er windet sich hindurch mit tausend Schlangen
Und sieht sich endlich da – von wo er ausgegangen.
[95]
In dem sein Helm versank, muß er sich wieder finden.
Da alle Hoffnungen, den Pfad
Des Fräuleins zu erspähn, aus seinem Busen schwinden,
Steigt er hinab zum feuchten Strand,
Umsonst! Der lag tief in des Stromes Bette,
Begraben in dem tiefen Sand.
Er wühlt mit einem großen Baume,
Dem er der Zweige Schmuck geraubt,
Wo er den Helm verborgen glaubt.
Er wühlt und wühlt, bis die empörten Wellen
Auf einmal hoch ans Ufer schwellen.
Ein Ritter steigt bis an die Brust hervor,
[96]
Ein Panzer dekte seine Brüste,
Das Haupt nur war entblößt, ein Helm in seiner Hand,
Der nehmliche, den Ferrau mißte,
Den er gesucht und nirgends fand.
Ruft die Erscheinung laut und fürchterlich:
Zum zweytenmal willst du des Helmes mich,
Der mir zu lange schon gebührt, berauben?
Denk nach, Ungläubiger, als du
Was sagtest du auf Treu und Wort ihm zu?
Versprachst du nicht, nach wenig Tagen
Die Rüstung sammt dem Helm dem Strome zu vertraun?
Ein Zufall endlich läßt der Wünsche Ziel mich schaun.
Dein treulos Herz allein mag dich betrüben.
[97]
Gelüstet dich, solch einen Helm zu tragen,
such ihn mit Ehren zu erjagen.
Es führt Roland, der edle Paladin,
Und einen andern, dem der noch an Schönheit weichet,
Besitzt Rinaldo von Mambrin.
Durch Muth erwirb dir einen jener beiden,
Von diesem hier entschließe dich zu scheiden.
Als sich der Geist aus dem Gewässer hebt,
Die Wang erbleicht, der Busen bebt,
Die Worte auf den Lippen stoken.
Und als er jetzt Argolia erkennt,
Und der ihn falsch und treulos nennt,
Zerschmilzt sein Herz in Schaam und flammt in Zornesgluten.
[98]
Er schweigt von tiefem Unmuth voll,
Da er des Vorwurfs Wahrheit fühlet;
Nie, rief er aus, ich schwör es hier, nie soll,
Ich schwör es bey Lansusens meiner Mutter Leben,
Ein andrer Helm die Stirn umgeben,
Als den vom Haupte des Almont
Und treuer blieb, als seinem ersten Eide
Der Sarazene diesem Schwur.
Zernagt von Zorn und bitterm Leide,
Verfolgt er Rolands dunkle Spur,
Wo irgend Hoffnung ist den Ritter zu erspähn.
Indessen hat, seitdem er ihn verlassen,
Rinald ein seltnes Abentheur gesehn.
[99]
Sein stolzes Roß fand er nach wenig Schritten,
Halt an! o mein Bajard, begann er sanft zu bitten,
Zuviel hab’ ich durch deine Flucht erlitten!
Umsonst, es bleibt der Lockung taub und säumt;
Dann flieht es schneller nur, und brüstet sich und schäumt.
Doch, eilen wir Angeliken zu suchen.
Sie fliegt durch dunkler Wälder Nacht,
Auf unwirthbaren Felsenwegen,
Und wenn im Winde sich der Eichen Blätter regen,
Flieht sie betäubt zur Rechten bald zur Linken,
Bey allen Schatten die vom Hügel sinken,
Bey jedem Dämmerschein, der durch die Thäler streicht,
Wähnt sie von Rinalds Armen sich erreicht.
[100]
Ein junges Reh, wenn es durchs Laub erblickt,
Wie dort ein Leopard in seiner Mutter Hüften
Die gier’gen Zähne schneidend drückt,
In ihre Brust die scharfen Klauen.
Ein Strauch der es berührt, erfüllt es schon mit Grauen,
Und dünkt ihm schon des wilden Thieres Zahn:
So irrt sie Tag und Nacht, und bis der Abend sinket,
Auf wildem Pfad, bis ihr ein lieblich Wäldchen winket,
Um das sich klare Quellen murmelnd gießen,
Und wo das junge Grün der Wiesen
Ein zarter Thau mit sanftem Hauche kühlt.
Wie süß ertönt der klaren Wellen Rieseln,
[101]
Hier wähnt sie sich in Sicherheit,
Fern von Rinald bey tausend Meilen.
Von Sonnenglut erschöpft, von Müdigkeit,
Entschließt sie sich hier zu verweilen;
Und läßt den Zelter frey vom Zügel grasen;
Er weidet sich am duftig frischen Rasen
Befeuchtet von der Wellen Silberthau.
Bald tritt sie in ein duftendes Gebüsche,
Von Rosen und Jasmin dem Blick entgegen lacht,
Und aus des Eichbaums grünen Finsternissen
Erfrischte Lüfte sie umfließen.
Kein Sonnenstrahl hat jemals diese Nacht,
Kein Auge hat sie je durchdrungen.
[102]
Ein weiches Bett, erhöht von zartem Laub und Flieder,
Winkt hier dem Wanderer; ermattet überläßt
Angelika dem Schlaf die schönen Glieder,
Doch ein Geräusch, als wie von Rosses Schlägen,
Zerreißt des Schlummers kaum geknüpftes Band.
Mit leisem Schritt schleicht sie dem Schall entgegen,
Und kampfgerüstet zeigt ein Ritter sich am Strand.
Kein Seufzer wagt die Lüfte zu durchdringen,
Erscheint ein Feind um Schaden ihr zu bringen?
Erscheint ein Freund ihr zum Gewinn?
Er sinkt ins Gras, das frischen Thau getrunken
Das Haupt ist in den Arm gedankenschwer gesunken,
Indem die Brust von bangen Seufzern schwillt.
[103]
Still sinnend saß er eine Stunde,
voll tiefen Grams, bis endlich seinem Munde
Ein Laut, so sanft, so weich, so seelenvoll,
Um Tigerherzen Mitleid einzuflößen,
Um Felsen selbst in Thränen aufzulösen;
Aus seinem Aug’ dringt eine Zährenflut,
Gedanke, rief er aus, der mich zu Eis erstarret,
Des Schmerzens Dolch in meinen Busen drückt,
In Flammen mich verzehrt, zu lang hab’ ich geharret,
Ein andrer hat die schöne Frucht gepflückt,
Nur Wort und Blick erhielt mein liebend Herz.
Ist Blüth’ und Frucht gewiß für mich verschwunden,
Warum verzehr’ ich mich in Schmerz?
[104]
Die Jungfrau gleicht der jungen Rose,
Aufblüht in still verborgner Zier.
So lang kein Schäfer naht, noch Heerden von der Aue,
Wiegt sie die linde Luft, im zarten Morgenthaue,
Zum Schmuck dient Erd’ und Wasser ihr.
Erwählen sie, um Brust und Stirn zu krönen.
Doch kaum ist sie getrennt vom mütterlichen Strauch,
Kaum von dem grünen Stiel gepflücket,
So flieht der Menschen Gunst, so flieht des Himmels Hauch,
So schnell verblüht der Jungfrau Werth,
In Männer Herzen, die einst für sie glühten,
wenn sie der Unschuld holde Blum entbehrt;
O, wie ihr Auge soll sie sie behüten!
[105]
Sieht sie von jedem andern sich verachtet.
Ach, während ich in bitterm Schmerz geschmachtet,
Hat schon ein andrer ihren Reitz umfaßt!
Doch könnte je dieß Herz sich von ihr kehren,
So mag mir heute noch des Lebens Strahl verglühn,
Auf einmal beide Flammen sich verzehren!
Und kommt ein Wanderer vorbey,
Und fragt, wer soviel Thränen hier vergießet,
Der hier in bitterm Gram zerfließet;
Der liebewunde Sakripant,
Bestimmt, sich ewig zu betrüben.
Sein Elend ist, Angeliken zu lieben,
[106]
Er eilt ihr nach, bis wo der Sonne Wagen,
Im Weltmeer sich verbirgt, aus fernem Orient.
In Indien erschrekten ihn die Sagen,
Wie sie Rolanden folgt’ im Occident.
Wie Kaiser Karl dem Aug’ der Freyer sie entzogen,
Und dem zum Lohn bestimmt, der aus der Mohrenschlacht
Die goldnen Lilien als Sieger heimgebracht.
Er eilt’ ins Lager, fand die Zeichen
Umsonst sucht er durch Wald und Flur
Die Spur des Fräuleins zu erreichen.
Dieß ist des Leidens Grund, das ihm im Busen brennt,
Der lauten Klagen, die die Lüfte theilen,
Die Sonne selbst voll Mitleid zu verweilen.
[107]
Indem der Mund die bittre Klage spricht,
Den Busen bange Seufzer schwellen,
Und aus den Augen Thränenbäche quellen,
Mit seltner Gunst beschloß es, ihn zu krönen.
Sein Seufzen dringt zum Ohre seiner Schönen.
Kaum in Jahrtausenden blüht solch ein Glück
Den Liebenden, als ihm in diesem Augenblick.