Antigone (Hermann Lingg)
Von jeher nur durch Schmerz erstritten,
Gewann das Menschenherz sein Recht,
Und Opfer haben stets dafür gelitten,
Indeß die Selbstsucht sich des Siegs erfrecht.
Graunvolle Nacht, als über die Gesetze,
Die in die Brust gegraben sind,
Daß sie kein Wahn, kein roher Hohn verletze,
Gewalt entschied und Willkür taub und blind!
Da hat, die Sophokles gepriesen,
Unsterblichen Gesanges werth,
Antigone zuerst den Muth bewiesen,
Der wunderbar ein zartes Herz bewehrt,
Den Muth, der das in sich für gut Erkannte
Unbeugsam auch vollbringt und kalt
Dem Tode trotzt, denn eine Gottgesandte,
Die Liebe, lebt in ihm mit Allgewalt.
Von ihren Armen lag umwunden
Des Bruders Leiche – „Du, so blaß,
O,“ rief sie, „theures Haupt, entstellt von Wunden,
Noch mehr entstellt von Aller Fluch und Haß,
Mit diesen Händen will ich dich bestatten,
Kein Herrscherwort halt’ mich zurück,
Auf dieser Flur und unter diesen Schatten,
Wo wir gespielt in holdem Kindesglück!“
So, Heldin, trotz dem Machtgebote,
Das jede Menschlichkeit zertrat,
Empfing durch dich sein Ehrengrab der Todte,
Und ruhig dann gestandest du dir That;
Der Schwesterliebe Bild und Offenbarung
Erhobest du dich, todgeweiht,
Und legtest gegen jenen Spruch Verwahrung
Und gegen Unrecht ein für alle Zeit. –
Die Höhle gähnt, dich einzuschließen
Noch lebend in den Grabesschoß,
Die Erde sieht, wie deine Thränen fließen
Um dein und mehr noch um des Bruders Los;
Ein Sturmwind donnert in den Fichtenhainen
Und zu der Burg des Kreon schwebt
Beflügelt das Verhängniß, all die Seinen
Erwürgt es, er nur und sein Vorwurf lebt. – –
Das Haus des Kreon ist gefallen,
Es liegt das Land wie Asche fahl,
Klaglieder tönen durch die öden Hallen,
Und träger Rauch steigt auf vom Leichenmahl.
Nur eine Lichtgestalt dort an dem Rande
Der Felsen ragt, sie wankte nicht;
Rag’ stets in deinem edlen Widerstande,
Antigone, Heroin, Weltgedicht!
Hermann Lingg.
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