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An den Mistral

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Textdaten
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Autor: Friedrich Nietzsche
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Titel: An den Mistral
Untertitel: Ein Tanzlied
aus: Die fröhliche Wissenschaft. („la gaya scienza“) Anhang: Lieder des Prinzen Vogelfrei, S. 348-350
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: E. W. Fritzsch
Drucker: Adolph Mehnert
Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Google-USA* und commons
Kurzbeschreibung:
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[348]

 An den Mistral.
 Ein Tanzlied.

Mistral-Wind, du Wolken-Jäger,
Trübsal-Mörder, Himmels-Feger,
Brausender, wie lieb’ ich dich!
Sind wir Zwei nicht Eines Schoosses

5
Erstlingsgabe, Eines Looses

Vorbestimmte ewiglich?

Hier auf glatten Felsenwegen
Lauf’ ich tanzend dir entgegen,
Tanzend, wie du pfeifst und singst:

10
Der du ohne Schiff und Ruder

Als der Freiheit freister Bruder
Ueber wilde Meere springst.

Kaum erwacht, hört’ ich dein Rufen,
Stürmte zu den Felsenstufen,

15
Hin zur gelben Wand am Meer.

Heil! da kamst du schon gleich hellen
Diamantnen Stromesschnellen
Sieghaft von den Bergen her.

Auf den ebnen Himmels-Tennen

20
Sah ich deine Rosse rennen,

Sah den Wagen, der dich trägt,

[349]

Sah die Hand dir selber zücken,
Wenn sie auf der Rosse Rücken
Blitzesgleich die Geissel schlägt, –

25
Sah dich aus dem Wagen springen,

Schneller dich hinabzuschwingen,
Sah dich wie zum Pfeil verkürzt
Senkrecht in die Tiefe stossen, –
Wie ein Goldstrahl durch die Rosen

30
Erster Morgenröthen stürzt.


Tanze nun auf tausend Rücken,
Wellen-Rücken, Wellen-Tücken –
Heil, wer neue Tänze schafft!
Tanzen wir in tausend Weisen,

35
Frei – sei unsre Kunst geheissen,

Fröhlich – unsre Wissenschaft!

Raffen wir von jeder Blume
Eine Blüthe uns zum Ruhme
Und zwei Blätter noch zum Kranz!

40
Tanzen wir gleich Troubadouren

Zwischen Heiligen und Huren,
Zwischen Gott und Welt den Tanz!

Wer nicht tanzen kann mit Winden,
Wer sich wickeln muss mit Binden,

45
Angebunden, Krüppel-Greis,

Wer da gleicht den Heuchel-Hänsen,
Ehren-Tölpeln, Tugend-Gänsen,
Fort aus unsrem Paradeis!

Wirbeln wir den Staub der Strassen

50
Allen Kranken in die Nasen,
[350]

Scheuchen wir die Kranken-Brut!
Lösen wir die ganze Küste
Von dem Odem dürrer Brüste,
Von den Augen ohne Muth!

55
Jagen wir die Himmels-Trüber,

Welten-Schwärzer, Wolken-Schieber,
Hellen wir das Himmelreich!
Brausen wir … oh aller freien
Geister Geist, mit dir zu Zweien

60
Braust mein Glück dem Sturme gleich. –


– Und dass ewig das Gedächtniss
Solchen Glücks, nimm sein Vermächtniss,
Nimm den Kranz hier mit hinauf!
Wirf ihn höher, ferner, weiter,

65
Stürm’ empor die Himmelsleiter,

Häng ihn – an den Sternen auf!


 *     *     *


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