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[210]232. Lebenslust. (III. 78.)
Munter.
1. Al=les, was wir lie=ben, le=be! al=les,
was uns hoch er=freut! Wein und Frühling, Frucht und
Blü=te, fro=he Lau=ne, Her=zens=gü=te, Freundschaft
und Ge=sel=lig=keit, Freundschaft und Ge=sel=lig=keit!
2. Alles was wir lieben, lebe! Jede Blume sei gepflückt! Jede
Freude sei willkommen, die uns düstrer Sorg entnommen, |: die Gemüt
und Herz entzückt! :|
3. Alles, was wir lieben, lebe! bis das Leben uns entweicht.
Wer, wenn los die Luft sich kettet, sich sein reines Herz gerettet, den
deckt auch die Erde leicht.
Ritter.
233. Hundert Semester. (I. 40.)
Mäßig.
Preiskomposition von Adolf Schlieben. 1885.
1. Als ich schlummernd lag heut Nacht, lock=ten sü=ße
Träume, schimmernd in der Ju=gend Pracht mich in fer=ne Räume.
Krasses Füchslein saß ich schlank in der Kneipe [211] wie=der, und in vol=lem Cho=re klang laut das Lied der
Lieder: Gau-de-a-mus i-gi-tur, iu-ve-
nes dum sumus! post iu-cun-dam iu-ven-tu-tem,
post mo-les-tam se-nec-tu-tem nos ha-be-bit hu-mus,
nos ha-be-bit hu-mus.
2. Tabakswolkenduft umkreist, bläulich, Rheinweinbecher; desto
heller flammt der Geist in dem Haupt der Zecher. Füchslein fühlt im
Weltenrund sich der Schöpfung Krone; und er singt mit keckem Mund
und mit keckem Tone: Ubi sunt qui ante nos in mundo fuere? Vadite
ad superos, transite ad inferos, |: ubi iam fuere. :|
3. Jäh erwacht ich. – Glockenklar tönt mir's in den Ohren: Heut
sind's runde siebzig Jahr, seit Du warst geboren. Heut schon liegen
hinter dir der Semester hundert! – Hell rieb ich die Augen mir,
summte still verwundert: Vita nostra brevis est, brevi finietur, venit
mors velociter, rapit nos atrociter, nemini parcetur.
4. Schnell vom Lager sprang ich auf, rief: Mir hat das Leben
viel in seinem kurzen Lauf, Leid und Lust, gegeben. Sei vergessen,
was gedrückt mich mit Sorg und Plage; heut ein Hoch dem, was be=
glückt meine jungen Tage: Vivat academia, vivant professores, vivat
membrum quodlibet, vivant membra quaelibet, semper sint in flore!
5. Goldne Burschenzeit entflog schnell – daß Gott erbarme! –
Ledern Philisterium zog mich in dürre Arme. Doch philistern lernt ich
nicht, hoch, auf goldnen Schwingen, trug mich lieb zum Himmelslicht,
jubelnd durft ich singen: Vivant omnes virgines, graciles, formosae!
vivant et mulieres, tenerae, amabiles, bonae, laboriosae!