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Adolph Menzel

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Textdaten
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Autor: Ludwig Pietsch
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Titel: Adolph Menzel
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aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 794–798
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Adolph Menzel.

Von Ludwig Pietsch.

Dasselbe Jahr 1815, welches Deutschland und Europa den Frieden und die endgültige Befreiung von der Besorgnis der Möglichkeit einer Wiederkehr der Unterjochung und Fremdherrschaft gab, hat noch eine andere hohe Bedeutung und Wichtigkeit für unser Vaterland erhalten. Unter den Knaben, welche in deutschen Häusern in jenem Jahre das Licht der Welt erblickten, waren zwei, die, zu Männern erwachsen, dem deutschen Namen auf zwei ganz verschiedenen Gebieten den höchsten Ruhm bei den Menschen erwerben und der größte Stolz unseres Volkes werden sollten. Der eine von ihnen wurde in dem einfachen Herrenhause auf dem Landsitz eines märkischen Edelmanns, des Herrn von Bismarck auf Schönhausen, geboren. Der andere in einer bürgerlichen Mietwohnung zu Breslau, der Sohn des Vorstehers einer Mädchenschule, Namens Menzel. Jener war berufen, dem deutschen Volk ein Vaterland zu schaffen, das mehr als ein „geographischer Begriff“, das ein geschlossenes, großes, mächtiges, einheitliches Reich ist. Der andere: in zahlreichen Werken des Stiftes und Pinsels die Muster einer wahrhaft originalen und wahrhaft nationalen gesunden Kunst zu geben und die deutsche Malerei zur Erkenntnis der Natur und der Schönheit in der Wahrheit zurückzuführen. Beide sind wie die deutschen Eichen „kernfest und auf die Dauer“. Die gewaltigen Heraklesthaten im Dienste des Vaterlandes haben des ersteren Kraft so wenig aufzureiben vermocht wie die ungeheure nie rastende schöpferische, künstlerische Arbeit die des andern. An der dem Menschendasein, „wenn es hoch kommt“, gesetzten Grenze, dem Abschluß des achtzigsten Lebensjahres, angelangt, stehen Fürst Bismarck und Adolph Menzel noch immer so schaffenskräftig, so geistesmächtig und den jüngeren Nachwuchs so weit überragend wie vor manchen Jahren da. Dem großen Künstler aber fiel das glücklichere Los: ihn hemmt und hindert nichts, diese Geisteskraft noch immer in jedem Augenblick auf seinem eigensten Gebiet zu bethätigen. Dem großen Kanzler ist es versagt. Lange [795] vor der Zeit und wider seinen Willen sieht er sich sein ganzes Arbeitsgebiet verschlossen, auf dem er so Gewaltiges, wie kein zweiter, zum Heile Deutschlands geschaffen und vollbracht hat und heute noch wirken könnte.…

In ihren jüngeren Mannesjahren nach ihrem vollen Wert von der Menge nicht erkannt und gewürdigt, haben beide, erst als sie über die Mitte des Lebensweges hinaus waren, ihre Zeitgenossen durch die Kraft ihres Genies und die Größe ihrer Leistungen bezwungen und die frühere Gleichgültigkeit, ja die Gegnerschaft, in Bewunderung und begeisterte Verehrung gewandelt. –

Von dieser Stimmung unseres Volks für ihn hat Fürst Bismarck gelegentlich seines achtzigsten Geburtstages eine überschwengliche Fülle von Beweisen der mannigfachsten Art empfangen. Auch dem um acht Monate jüngeren großen deutschen Künstler gegenüber wird es wenigstens der Teil seiner Nation, welcher seine Ehrung, die ihm indes noch erwiesen werden könnte, würde dennoch den Wert und die Bedeutung derjenigen nicht zu überbieten vermögen, welche dem Meister um die Mitte dieses seines achtzigsten Lebensjahres durch seinen Kaiser und König bereitet worden ist: jene für Adolf Menzel im Konzertsaal Friedrichs des Großen zu Sanssouci durch Kaiser Wilhelm II. veranstaltete Verlebendigung und Realisierung des von dem Meister vor dreiundvierzig Jahren gemalten unvergleichlichen Bildes „Konzert bei Hofe. Sanssouci 1750“ durch das Kaiserpaar, die Herren und Damen des Hofes und die dazu eingeladenen und darin mitwirkenden Musiker. Eine ausgesuchtere, sinniger erdachte, schmeichelhaftere, geistreichere und liebevoller durchgeführte Auszeichnung ist nie zuvor einem großen Künstler durch einen Herrscher zu teil geworden als diese. Was den Kaiser dazu bewog, war – ebenso wie das, was vor zehn Jahren Kaiser Wilhelm I. zu dem unvergeßlichen Schreiben bestimmte, in welchem er den Meister an dessen siebzigstem Geburtstage beglückwünschte – nicht allein die allgemeine künstlerische Bedeutung des so Gefeierten. Beide kaiserliche Ehrungen galten doch in erster Reihe dem „Maler Friedrichs des Großen“, dem Verherrlicher dieses Monarchen, dem Schilderer seiner Persönlichkeit, seines Lebens und Wirkens und seiner unsterblichen Thaten für Preußens Größe und Ruhm im Kriege wie im Frieden. Aber Menzels diesen Aufgaben gewidmete künstlerisch schöpferische Thätigkeit bildet doch nur einen Teil seines allumfassenden kaum noch übersehbaren Lebenswerks. Ein glückliches Ungefähr veranlaßte einst den wenig über zwanzig Jahre alten Zeichner, sich intimer mit jenem königlichen Helden und der durch ihn heraufgeführten Heroenzeit Preußens zu beschäftigen und während einer längeren Reihe von Jahren seine ganze frische Kraft, wenn auch nicht ausschließlich, so doch überwiegend, auf die Lösung der großen künstlerischen Aufgabe der Schilderung König Friedrichs und seiner Zeit zu richten.

Menzels Jugendgeschichte ist ziemlich allgemein bekannt. Man weiß, daß dem ernsten nachdenklichen in sich zurückgezogenen Knaben in Breslau schon keine Beschäftigung lieber, keine von ihm eifriger betrieben war als das Zeichnen; daß er ohne Lehrer und Anleitung selbstkomponierte geschichtliche Scenen in der Weise des Linienstichs, Porträtköpfe und die Teile des menschlichen Körpers nach der Natur zeichnete und darin frühe bereits sein großes Talent bekundete. Durch die Uebersiedlung des Vaters mit der Familie im Jahr 1830 nach Berlin, wo er ein lithographisches Institut errichtete, erhielt der junge Zeichner die Möglichkeit, seine Begabung weiter auszubilden. Die damalige Berliner Kunstakademie mit ihrem verzopften Unterricht konnte ihm das, was er brauchte und suchte, nicht bieten. Seine Lehrer waren die lebendige Natur, die Werke der alten Meister in den Museen und die Nachbildungen der in den Galerien anderer Städte enthaltenen, die er an den Schaufenstern und in den Mappen der großen Kunstläden sah. Die damals zumeist gepriesenen Sterne der Düsseldorfer und Münchener Schule imponierten ihm wenig und vermochten keinen Einfluß auf ihn zu gewinnen. Ueber ihre innere Unwahrheit konnten sie sein in der steten Beobachtung der Natur geschärftes Auge nicht täuschen. In der lithographischen Anstalt seines Vaters und der des Hofkunsthändlers Sachse übte er sich gleichzeitig in der Technik des Steinzeichnens mit der Feder und der Fettkreide. Unberaten durch andere, versuchte er zu malen und im zähen tapferen Kampf mit allen Schwierigkeiten sich aus eigener Kraft die Beherrschung auch dieser Technik zu erobern. Des Vaters früher Tod, welcher dem kaum zum Jüngling Gereiften die heilige Pflicht der Sorge für die des Hauptes und Ernährers beraubte Familie, die Mutter und zwei Geschwister, auferlegte, nötigte Menzel zur Uebernahme von Brotarbeiten, von Zeichnungen und Lithographien jeglicher Art. Aber in seinem stetigen Vorschreiten zu den hohen Zielen echter Kunst ließ er sich dadurch nicht hemmen. Von den während der dreißiger Jahre erschienenen zahlreichen, teils mit der Feder, teils mit der lithographischen Kreide auf Stein gezeichneten Werken eigener Erfindung, vor allem den Tisch- und Festkarten, Titelblättern und Randzeichnungen, Illustrationen, Einzelbildern und Bilderfolgen, in denen sich das ganz originelle Genie, das eindringende Naturstudium und das so früh schon erworbene außerordentliche Können des jungen Künstlers glänzend bekundeten, nenne ich hier nur die am bekanntesten gewordenen Kompositionen von phantasievoller, sinniger Erfindung und bewundernswürdiger Gestaltung. Es sind die Bilderfolgen „Künstlers Erdenwallen“, „Die fünf Sinne“, „Das Vaterunser“, Titelblatt und Randzeichnungen zu dem „Gedenkbuch“, die Meisterbriefe der Maurer und Zimmerleute (sämtlich Federzeichnungen auf Stein), die Bilder aus brandenburgisch-preußischer Geschichte – mit der Kreide auf Stein gezeichnete Blätter, in denen eine Größe, Kühnheit und innere Wahrhaftigkeit der geschichtlichen Auffassung und der Zeichnung zu Tage tritt, wie wir sie vergebens in den Werken der gleichzeitigen deutschen Historienmalerei suchen würden; ferner sind hervorzuheben die ersten der von Menzel für den eben damals wieder zum Leben erweckten Holzschnitt auf den Stock entworfenen Zeichnungen: die Illustrationen zu „Peter Schlehmihl“, der Tod des Franz von Sickingen und das herrliche Gedenkblatt zur Feier der Erfindung der Buchdruckerkunst vor 400 Jahren.

Alle diese Schöpfungen voller Leben und Geist hatten die Aufmerksamkeit der einsichtigeren Kunstfreunde auf ihren Zeichner gelenkt. Unter diesen wurde besonders Franz Kugler, der Dichter und Kunstgelehrte, mit der höchsten Meinung von Menzels Künstlerschüft erfüllt. Als er in buchhändlerischem Auftrage eine populäre Geschichte Friedrichs des Großen schrieb, die mit 400 Illustrationen geschmückt werden sollte, verlangte er, daß keinem anderen als Menzel die Ausführung dieser in Holz zu schneidenden Zeichnungen übertragen werde.

Dieser von ihm übernommene und in unvergleichlich vollendeter Weise durchgeführte Auftrag war es, welchem wir es danken, daß Menzel „der Maler Friedrichs des Großen“ geworden ist. Nie hatte ein Künstler vor ihm dieser ganzen Epoche ein so umfassendes und so tief eindringendes Studium gewidmet, das sich auf alle ihre Lebensäußerungen, ihre Menschen, vornehme und geringe, ihre Sitten, ihre Einrichtungen, ihre Paläste, Kirchen, Bürgerhäuser und Dorfhütten, ihre Kriegs- und Friedensgebräuche, Trachten und Waffen, ihre Architektur und gewerblichen Erzeugnisse bezog. So erwarb er sich die vollständigste lebendigste Anschauung dieser Vergangenheit. Nur so konnte es ihm gelingen, sie mit ihrem großen Könige und den Seinen, mit dessen Feinden und Gegnern in voller Realität und überzeugender Wahrheit aus ihrem Grabe in seinen Zeichnungen und seinen späteren Gemälden wiedererstehen zu lassen. Die bei diesem Anlaß erworbene intimste, vertrauteste Kenntnis des Zeitalters Friedrichs und dies tiefe Versenken in den Geist und das Wesen des großen Königs befähigten Menzel dann auch zur vollkommensten und fesselndsten Lösung jener noch schwierigeren Aufgabe, die ihm König Friedrich Wilhelm IV. nach dem Erscheinen des Kuglerschen Friedrichbuches stellte: die auf königlichen Befehl unternommene große Prachtausgabe der sämtlichen Schriften Friedrichs mit Holzschnittillustrationen zu schmücken. Im Schneiden der Menzelschen Zeichnungen zu Kuglers Buch hatte sich eine Anzahl deutscher Xylographen zu einer Höhe der Meisterschaft im Faksimileschnitt entwickelt, die ohne Beispiel war; Kretzschmar, die beiden Vogel und andere bewährten dieselbe in vielleicht noch gesteigertem Maße in der Ausführung dieser bewundernswerten Zeichnungen mannigfachster Gattung – Bildnisse, Darstellungen geschichtlicher Vorgänge, Sittenbilder, symbolischen und ornamentalen Kompositionen – zu den Werken Friedrichs. So danken wir Menzel mittelbar auch den neuen glanzvollen Aufschwung der deutschen Holzschneidekunst.

Einen Hauptgegenstand seiner das Zeitalter des Großen Königs betreffenden Studien bildete dessen gesamtes Heerwesen. Mit wahrhaft staunenswertem Fleiß und unermüdlicher Ausdauer durchforschte er alle darauf bezüglichen Dokumente, die Montierungskammern und Zeughäuser, maß die vorhandenen Uniformen, Waffen und [796] sonstigen Ausrüstungsgegenstände mit dem Zollstock aus, zeichnete mit peinlichster Genauigkeit jedes irgend erreichbare Stück derselben nach. Das so gewonnene Material verwertete er zu den lithographischen großen Federzeichnungen, welche den Inhalt des nur in dreißig Exemplaren gedruckten Werkes „Die Armee Friedrichs des Großen“ bilden. Die Soldaten, in die echten Uniformen gekleidet und mit den echten getreu nachgebildeten Waffen ausgerüstet, erscheinen jeder in so charakteristischer Haltung, Aktion und Physiognomie und als so lebensvolle Typen des altprenßischen Militärs, daß sie täuschend so wirken, als müßten sie direkt nach solchen gezeichnet sein. Diese wunderbare Fähigkeit, die Menschen vergangener Zeitalter in voller Lebendigkeit in der Zeichnung oder im farbigen Bilde hinzustellen, bewies Menzel jedoch nicht nur in seinen Schilderungen aus der Fridericianischen Epoche. Mindestens ebenso in den zahlreichen Darstellungen von Gestalten und Scenen aus früheren Jahrhunderten, von denen das Bild „Die Schweden kommen“ im Jahrgang 1866 der „Gartenlaube“ den Lesern eine Probe bietet. Aber die seiner ganzen Geistesart zumeist sympathische Kulturepoche bleibt jene Fridericianische. Er zuerst hat diese der modernen bildenden Kunst gleichsam erschlossen und mit dem reichen malerischen Stoffgehalt und Reiz derselben seine Zeitgenossen bekannt gemacht.

Noch viele der bedeutendsten Werke Menzels bleiben aufzuführen, denen er seinen volkstümlichen Ruhm und Titel als Maler Friedrichs des Großen mit verdankt. Da sind die meisterhaft in Holz geschnittenen großen Zeichnungen von Einzelgestalten (Kniefiguren) des Königs und seiner zwölf Paladine zu nennen, die mit Text von Al. Duncker in dessen Verlag unter dem Titel „Aus König Friedrichs Zeit“ 1856 erschienen und und aus deren Reihe das auf der nächsten Seite wiedergegebene Bildnis des Königs stammt; ferner die Kohlezeichnung „Friedrich am Sarge des Großen Kurfürsten“, welche die „Gartenlaube“ im Jahrg. 1878 (S. 825) brachte, die prächtigen Holzschnittzeichnungen für das Prachtwerk „Germania“, eine ganze Reihe köstlicher Gouachebilder aus dem Leben seines Helden in den heitern Tagen von Rheinsberg. Vor allem aber die Oelgemälde, mit denen Menzel sich seit 1850 seinen Platz in der ersten Reihe auch der zeitgenössischen Maler eroberte: die „Tafelrunde zu Sanssouci“ – der König mit Voltaire und den andern geistreichen, witzigen Genossen seines Kreises beim Dessert des Diners; das schon oben erwähnte „Konzert bei Hofe“ – Friedrich die Flöte blasend, auf dem Flügel und Streichinstrumenten von seinen Musikern begleitet, in Gegenwart des Hofes und der Schwester, der Markgräfin von Bayreuth; „Friedrich der Große auf Reisen“; das großartige packende und erschütternde Bild des vom Flammenschein des brennenden Dorfes beleuchteten nächtlichen Heldenkampfes König Friedrichs und der Seinen bei Hochkirch; „Friedrichs Zusammenkunft mit Kaiser Josef im Schloß zu Neiße“. Unvollendet geblieben ist leider das so herrlich begonnene große Bild „Friedrich, seine Generale am Morgen der Schlacht bei Leuthen anredend“ und das, welches des Königs Erscheinen nach jenem Siege im Quartier der österreichische Offiziere im Schloß zu Lissa schildert.

Gleichzeitig mit diesen Werken gingen künstlerische Schöpfungen jeder Gattung, und in jeder Technik ausgeführt, aus seinen nie rastenden Händen hervor: kleinere Oel-, Gouache- und Pastellgemälde; große Transparente, wie „Adam und Eva nach der Vertreibung“, „Jesus als Knabe im Tempel zwischen den Schriftgelehrten“, „Christus vertreibt die Händler aus dem Tempel“; die Folge von geistsprühenden, auf dem Lithographierstein mit Tusche gemalten und ausgeschabten Bildchen, die unter dem Titel „Versuche mit Pinsel und Schabeisen“ gesammelt erschienen sind; das in der gleichen Technik mit größter Meisterschaft ausgeführte Blatt nach jenem Transparentgemälde „Jesus als Knabe im Tempel“; eine Sammlung in Kupfer radierter Landschaften uud Genrescenen. Dann im Jahre 1861 beginnt in Menzels künstlerischem und bürgerlichem Leben eine neue Epoche. Er wird berufen, in einem großen figurenreichen Bilde mit dokumentarischer Treue die Krönung König Wilhelms I. in der Schloßkapelle zu Königsberg zu malen. Nach seinen während dieses feierlichen Aktes aufgenommenen Skizzen uud Notizen führt er in mehrjähriger angestrengter Arbeit das Gemälde, diesen Triumph der realistischen und gewissenhaften Darstellung eines geschichtlichen Aktes seiner Zeit, jeden der Hunderte von Teilnehmern nach dem Leben porträtierend, im Garde-du-Corpssaal des Königlichen Schlosses zu Berlin aus. Geschmeichelt hatte er den hohe Herrschaften in ihren Bildnissen nicht, am wenigsten den Damen. Aber seine ernste, in sich

[797]

Friedrich der Große.
Nach einer Zeichnung von Adolph Menzel.

[798] gefestete, charaktervolle künstlerische und menschliche Persönlichkeit hatte sich in dieser glänzenden Welt des Hofes, wo sonst der Schein oft sehr viel mehr gilt als die Wahrheit, den ihr gebührenben Respekt, ohne sich darum besondere Mühe zu geben, zu erringen verstanden. Die Hochschätzung und Gunst des königlichen und des kronprinzlichen Paares wandte sich dem Meister zu. Er sah sich in jene höchsten Gesellschaftskreise gezogen und – fand in diesen eine Fülle von Anregungen und Motiven zu einer Reihe von größeren und kleineren Oel- und Aquarellgemälden, Farbenskizzen und Zeichnungen, in denen sich der schärfsten, oft fein satirischen und treffendsten Charakteristik eine überraschende Grazie und Eleganz, der Strenge der Zeichnung Reichtum und Reiz der Farbengebung und eine hohe Vollendung der malerischen Durchführung gesellt.

Zu dieser Gruppe von Gemälden gehören das bezaubernde Aquarellbild „Auf dem Hofball“, „Ballpause“, das vielbewunderte „Ballsouper“, mit der überströmenden Masse glücklich erfundener, dem Treiben auf einem solchen Fest am Berliner Hof abgelauschten Gruppen, Gestalten, Farben- und Beleuchtungseffekte, „Kaiser Wilhelm, Cercle auf einem Hofball haltend“, die Federzeichnung „Im Salon der Gräfin Schleinitz“ u. a. m.

Wo unser Meister sich auch befinden mag, sein Auge erfaßt und beobachtet alles. Die Bilder der ihn umgebenden Wirklichkeit prägen sich unauslöschlich seinem Gedächtnis ein und treten in jedem Moment, wo er dessen bedarf, in voller Klarheit und Bestimmtheit hervor. Und alles und jedes wird – von ihm angeschaut und dargestellt – zum fesselnden reizvollen Bilde: ein Anderen gleichgültig und nicht des Ansehens wert erscheinendes Stück Straße, eine kahle Hauswand, ein Gartenwinkel, ein Zaun an einem Rasenfleck, jede Gestalt und Gruppe auf der Gasse, in der Kirche und Sakristei, in der Werkstatt, im Theater, im Konzertsaal, im Biergarten und Weinkeller, im vornehmen Salon, im Eisenbahnwagen, auf der Brunnenpromenade, auf dem Markt, in Wald und Wiese, jeder Vorgang des alltäglichen Menschendaseins wie des Tierlebens, der wilden großen Bestien, der Vögel und Vierfüßler unserer Zoologischen Gärten, wie der in der Freiheit lebenden scheuen Geschöpfe und unserer gezähmten Hausgenossen! Wer will sie alle nennen und schildern, die in unabsehbarer Reihe an unserem inneren Blick vorüberziehen, wenn wir Seiner gedenken – jene Wunderwerke der Beobachtung der Wirklichkeit und der jeder Schwierigkeit spottenden Darstellungskraft, die Bilder, die den Mann der rauhen Handarbeit am Werke darstellen, wie die humorvolle 1885 in der „Gartenlaube“ (S. 809) wiedergegebene „Kunstpause“ und das machtvolle „Eisenwalzwerk“, das die „modernen Cyklopen“ vor der Glut der Schmelzöfen zeigt, wie sie das erweichte Eisen recken und schmieden; die Schilderung des vom buntesten Leben überwimmelten Marktplatzes zu Verona, und wieder die kleinen lieblichen Idyllen, die Tierbilder, Garten- und Straßenscenen in dem Album, das er ursprünglich als Bilderbuch für die beiden Kinder seiner Schwester angelegt hatte! Nicht minder groß an Zahl und nicht minder bewundernswert sind die einzelnen in der Reihe der reinen Phantasieschöpfungen, der Gouache- und Oelbilder novellistischer Scenen aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert und die in Aquarell ausgeführten, ebenso beziehungs- und gedankenreichen wie schönheitsvollen, farbenprächtigen Gedenkblätter und Adressen für hervorragende Männer und jubilierende Institute. Ich nenne nur die im Auftrage des Berliner Magistrats ausgeführte Illustrierung des Begrüßungsgedichtes Scherenbergs an König Wilhelm beim Einzuge der Sieger von 1866 in Berlin; die Ehrenbürgerbriefe für Moltke und Bismarck; das Jubiläumsblatt der Heckmannschen Fabrik; die Adresse der Berliner Akademie an Kaiser Wilhelm nach den Attentaten; das Widmungsblatt Hamburgs für den Oberbürgermeister Peters. In diesen Kompositionen läßt er „Phantasie mit allen ihren Chören, Vernunft, Verstand, Empfindung, Leidenschaft“, wie es in Goethes „Faust“ heißt, dazu reizenden Humor und holde Anmut aufspielen in wundervollen Harmonieen.

Im achten Jahrzehnt pflegen bei anderen Menschen die Sinne an Schärfe, die Hände an Geschicklichkeit mehr und mehr einzubüßen. Wenn man Menzels Kunstschöpfungen, die Zeichnungen und Aquarelle betrachtet, welche er in seinen siebziger Jahren ausgeführt hat, so könnte man zu dem Glauben verleitet werden, bei ihm hätte sich der entgegengesetzte Prozeß vollzogen. Alle diese unschätzbaren, meist in Gouachefarben gemalten Genrebilder, deren Motive größtenteils auf seinen sommerlichen Ausflügen nach Süddeutschland und während seines alljährlich wiederholten Badeaufenthalts in Kissingen von ihm gesammelt wurden, sie zeigen in der Durchführung eine Delikatesse, eine miniaturartige Vollendung bis in das geringste Detail, eine Präzision und unfehlbare Sicherheit der Pinselzeichnung, die uns selbst in Gemälden eines Meisters im frischesten Mannesalter ans Wunderbare grenzend erscheinen würde. Die volkstümlichsten dieser lebensvollen Bilder hat die „Gartenlaube“ ihren Lesern in vortrefflichen Holzschnitten vorgeführt, wir erinnern an die „Brunnenpromenade in Kissingen“ (Jahrg. 1891, S. 413), den „Biergarten in Kissingen“ (1893, S. 345), „Auf der Fahrt durch die schöne Natur“ (1894, S. 452), und auch die dieser „Menzel-Nummer“ beigegebene Kunstbeilage „Das Morgenbüffett der Feinbäcker in Kissingen“ gehört zu dieser Gruppe.

Alle höchsten Ehren, die in unserem Zeitalter einen Künstler lohnen und auszeichnen können, sind Menzel in vollem Maße zu teil geworden. Nach ihnen hat er nie gestrebt. Die That war ihm immer alles – nichts der Ruhm. Was er einzig suchte, war stets nur die Befriedigung seines unbestechlich strengen künstlerischen Gewissens. Er ging einsam seine eignen Wege, lange weit vorauf der Kunst seiner Zeit, den Blick auf seine hohen Ziele gerichtet. Er machte dem Geschmack des Tages und des großen Publikums keine Konzessionen. Er hat nie einem Modegötzen gehuldigt, kam der Menge keinen Schritt entgegen. Aber schließlich sind die Künstler und das Publikum zu ihm gekommen und blieben in seinem Kreise willig festgebannt. Wie jenen Frommen, die zuerst nach dem Reich Gottes trachten, alles andere von selbst zufällt, so ist es ihm ergangen, der unentwegt und unbeirrt nur nach dem trachtete und strebte, was er in der Kunst als das Wahre und Rechte erkannte.

Der modernen Kunst hat er die Wege dahin gewiesen und gebahnt. Ueberholt hat ihn noch keiner. Aber immer wird sich auch in der Zukunft das von ihm gegebene Beispiel segensreich erweisen – dies Beispiel der Wahrhaftigkeit, der Gewissensstrenge, der sittlichen Energie in der Kunst wie im Leben, der Freiheit von allem, was Phrase, Lüge, schwindelhaftes Scheinwesen heißt, das über die innere Leere und Schwäche durch falschen Aufputz verblenden will, dies Beispiel des immer vorwärtsstrebenden Fleißes, des heiligen Respektes vor der Meisterin der Meister, der Natur!