Zum Inhalt springen

Abschiedspredigt des Herrn Pfarrer Rudolf

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Johannes Rudolf
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Abschiedspredigt des Herrn Pfarrer Rudolf
Untertitel: gehalten am 28. September 1913 in der evangelischen Kirche zu Rosbach a. d. Sieg.
aus: Vorlage:none
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1913
Erscheinungsdatum: Vorlage:none
Verlag: Vorlage:none
Drucker: Chr. Haupt, Waldbröl
Erscheinungsort: Waldbröl
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: [1]
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[5]
Abschiedspredigt
des
Herrn Pfarrer Rudolf
gehalten
am 28. September 1913 in der
evangelischen Kirche zu
Rosbach a. d. Sieg


[7]
Eingang: Lied Nr. 12, 1–3.
Predigt. – Lied Nr. 401, 1–5

 Die Gnade sei mit allen,
Die Gnade unsers Herrn,
Des Herrn, dem wir hier wallen,
Und sehn sein Kommen gern.

 Auf dem so schmalen Pfade
Gelingt uns ja kein Tritt,
Es gehe seine Gnade
Denn bis zum Ende mit.

 Auf Gnade darf man trauen,
Man traut ihr ohne Reu’;
Und wenn uns je will grauen,
So bleibt’s: der Herr ist treu.

 Wird stets der Jammer größer,
So glaubt und ruft man noch:
Du mächtiger Erlöser, du kommst,
So komme doch!

 Damit wir nicht erliegen,
Muß Gnade mit uns sein;
Denn sie flößt zu den Siegen
Geduld und Glauben ein.




[8]
Text: Römer 16, 24.

 Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi sei mit Euch allen.

Amen. 

 Im Herrn geliebte Gemeinde!

 Zum letzten Male bin ich heute in Eurer Mitte, im lieben, ehrwürdigen, trauten Rosbacher Gotteshaus. an der Stätte, wo ich im Laufe der langen Jahre so oftmals gestanden habe – innerlich bewegt von dem Gefühl des alten Mannes Gottes, dort in Bethel: „Wie heilig ist diese Stätte; hier ist nichts anderes denn Gottes Haus, hier ist die Pforte des Himmels.“[WS 1] – an der Stätte, wo ich so oft die Nähe des Herrn gespürt, und wo ich so viele gesegnete und weihevolle Stunden verlebt habe. Aber heute stehe ich an dieser Stätte doch besonders tief bewegt, wehmutsvollen und zugleich dankerfüllten Herzens, um Abschied zu nehmen von meiner lieben Rosbacher Gemeinde und mein Hirtenamt wieder zurückzulegen in Gottes Hand, von dem ich es empfangen habe. Wie schwer aber und wehmütig mir auch der Gedanke an das Scheiden ist, an die Trennung von der mir so lieb gewordenen Tätigkeit im Amte, an die Lösung so mancher engen Bande in der Gemeinde, so liegt doch ein großer Trost für mich in der Gewißheit: „Es sind des Herrn Wege.“ Wie Er mich hierher geführt hat vor langen Jahren, ohne mein Wollen und Suchen und ohne mein eigenes Zutun, sodaß ich freudig folgen konnte, so hat Er auch meiner Wirksamkeit nun ein Ziel gesetzt und für die Abschiedsstunde bestimmt, sodaß ich auch jetzt still und getrost bin in der Gewißheit: Es ist des Herrn Weg, den[9] ich gehe, dem ich darum auch willig folge; denn Gottes Wege sind allzeit gut und heilig.

 Und wenn ich dann nun in dieser Stunde meines Scheidens, am Abend meines Lebens, noch einmal zurückblicke auf die Wege Gottes, die Er mich geführt von meiner Jugend an und besonders in den Jahren meines Amtslebens, wie freundlich Er mich geleitet, wie vielfältig Er mich gesegnet, auch im Hause, mit Weib und Kindern, in meiner lieben Familie, wie oft Er mir geholfen aus Not und Gefahr, und wie Er mich getragen hat, bei allen meinen Gebrechen und Fehlern, dann fühle ich mich tief beschämt und muß loben und danken dem Herrn: „Ich bin viel zu gering aller Barmherzigkeit und Treue, die Du an Deinem Knechte getan hast.“[WS 2] „Bis hierher hast Du geholfen.“

 39 Jahre sind’s her, im Herrn Geliebte, seit ich ins Amt getreten bin, daß ich das Amt eines evangelischen Predigers habe führen dürfen, zuerst 31/2 Jahre in meiner ersten lieben Gemeinde in einer Vorstadt von Cöln, der damaligen Vikariatsgemeinde Nippes und dann 351/2 Jahre hier in meiner lieben Rosbacher Gemeinde. Meine lieben Freunde, wieviel hat sich doch in dem langen Zeitraum geändert, durch wieviel Wechsel und Wandel bin ich hindurch gegangen! Ganze Geschlechter sind vom Strome der Zeit hinweggespült worden, manche liebe Menschen, die mir im Leben nahe gestanden haben, sind geschieden. – Auch wir selbst sind andere geworden, welke Blumen, die der Herbstwind verweht. – Eins aber hat sich nicht geändert, eins ist mir treu geblieben auf meiner Lebensreise bis auf diesen Tag. Das ist die große Treue meines Gottes, die mich nie verlassen hat, seine unveränderlíche Gnade, die da währet von Ewigkeit zu Ewigkeit und die auch mich nicht verlassen hat, bis zu dieser Stunde. Diese Gnade[10] will ich nun rühmen, dieser Gnade will ich auch dich, liebe Gemeinde, empfehlen in dieser Abschiedsstunde.

 „Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi sei mit Euch allen.“

 Das ist mein letzter Abschiedsgruß und Segenswunsch an dich, liebe Gemeinde Rosbach.

 Mit diesem Worte fängt der Apostel Paulus alle seine Briefe an, wie er auch fast alle schließt mit dem Gruße „Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, dem Vater unsers Herrn Jesu Christi.“[WS 3] Gnade, das ist Sein Erstes und Letztes, der Anfang und das Ende, die Quelle alles Heils und alles Segens, der Grund alles Trostes und aller Hoffnung. Sie ist auch das A und das O, der Anfang und das Ende von dem, was ein Christ im Leben zu lernen hat, von dem ersten Seufzer eines bußfertigen Sünders: „Gott sei mir Sünder gnädig“[WS 4] bis zum letzten Sterbestündlein, wo er sich empfiehlt der göttlichen Gnade. Die Gnade unsers Herrn Jesu Christi, das ist es auch, was das ganze Christentum bezeugt. Alles was wir sind und haben, sind und haben wir aus lauter Gnade. Auch unser irdisches Leben, auch das tägliche Brot, das wir empfangen, insonderheit die unvergänglichen Güter des Himmelreichs – alles ist Gnade. Wir alle miteinander bedürfen die Gnade unseres Herrn Jesu Christi. Fehlt uns die, dann ist unser Leben verloren, dann sind alle anderen Güter ohne Wert, dann bleiben wir ohne Trost und ohne Hoffnung. Kein Verdienst eigener Werke, keine noch so glänzenden Tugenden und Vorzüge, kein eigenes Arbeiten und Ringen und Mühen kann uns helfen, das kann allein die Gnade unsers Heilandes, des Herrn, der zu uns gekommen ist aus Himmels Höhe, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist[WS 5], der unsere Sünden getragen hat am Kreuz, der uns[11] mit Gott versöhnt und die Gerechtigkeit erworben, die vor Gott gilt. Wer diese Heilandsgnade im Glauben ergreift als ein bußfertiger Sünder und zu Ihm kommt, der hat einen guten Trost im Leben, im Leiden und im Sterben und eine gewisse Hoffnung des ewigen Lebens.

 Das Evangelium von der Gnade Gottes unsers Herrn Jesu Christi, das ist der Inhalt aller Wortverkündigungen in der Gemeinde, es ist auch die hohe Aufgabe, liebe Gemeinde, die mir vom Herrn gestellt worden ist in all den Jahren.

 Wo ich nun von Euch scheide, frage ich mich vor Gottes Angesicht: „Wie bist du deiner Aufgabe nachgekommen?“

 Es ist mir Herzensbedürfnis, heute noch einmal ganz schlicht und einfach von meiner persönlichen Glaubensstellung zum Evangelium Zeugnis abzulegen.

 Als ich am 18. Oktober 1874 in meine erste Gemeinde bei Cöln eingeführt und ordiniert wurde, wobei mir mein seliger Vater die Hände aufs Haupt gelegt hat mit dem Wort, das der Apostel Paulus zu seinem lieben Schüler Timotheus spricht: „So sei nun stark, mein Sohn, durch die Gnade Jesu Christi“[WS 6], da hatte ich mir als Text für meine Einführungspredigt das Wort des Herrn genommen: „Laß dir an meiner Gnade genügen.“[WS 7]

 Und heute, wo ich von meinem Amte scheide, da ist’s derselbe Ton, dasselbe Zeugnis von der Gnade unsers Herrn Jesu Christi! Diese Gnade, das ist der Grund meines Glaubens, mein Trost: „Ich habe einen versöhnten Gott und Vater in Christo Jesu“, mein Bekenntnis der schöne Vers aus dem Liede, das wir gesungen haben:

„Auf Gnade darf man trauen,
Man traut ihr ohne Reu’;
Und wenn uns je will grauen,
So bleibt’s: der Herr ist treu.“

[12]  Das Bekenntnis dieser Gnade war auch der Grundton, der sich hindurch zog durch all mein amtliches Wirken in den langen Jahren unserer Gemeinschaft in dieser lieben Gemeinde, sei es hier auf der Kanzel, wo ich das Wort als ein lebendiges Samenkorn, oft in Schwachheit, unter vielen Mängeln bei meinen bescheidenen Gaben, ausstreuen durfte in die Menschenherzen oder am Altar, wo ich den bußfertigen Sündern die Gnade Gottes und die Vergebung all ihrer Schuld dargeboten habe, oder daheim in Euren Häusern, wo ich so viele Kinder habe aufnehmen dürfen in den Gnadenbund mit dem dreieinigen Gott, der auch das heranwachsende Geschlecht, meine lieben Konfirmanden einführen durfte in die Grundwahrheiten des Evangeliums, oder an unzähligen Krankenbetten und offenen Gräbern, wo ich bekümmerte und trauernde Seelen hingewiesen habe auf die lebendigen Trostquellen der göttlichen Gnade, die da bleibt, wenn alles wankt und bricht.

 Diesem Bekenntnis zu der Gnade Gottes habe ich noch hinzuzufügen das Bekenntnis meiner eigenen Unwürdigkeit, meiner Unzulänglichkeit, meiner vielfachen Unterlassungen und Versäumnisse!

 Ich darf es ja wohl sagen, daß ich ernstlich darnach getrachtet habe, treu erfunden zu werden und mit meinen bescheidenen Kräften die schwere Pflicht treu zu erfüllen. Aber ich weiß auch, wieviel daran fehlt, daß ich auch bekennen muß: „Herr, ich bin ein unnützer Knecht, ich habe getan, was ich zu tun schuldig war.“[WS 8] Und das noch nicht einmal! Ich bitte dich Herr, mein Gott, wo ich daran gefehlt habe, was Du mir aufgetragen hast, wo ich nicht genug gearbeitet, nicht ernst genug gestraft, nicht geduldig alles getragen habe, da wollest Du mir um Christi Willen in Gnaden vergeben und meine[13] Mängel zudecken und ausfüllen mit deiner Gnade.

 Dieser Gnade meines Gottes übergebe ich mich denn auch nun, wo’s zum Scheiden geht. Die Feierabendglocken läuten. Wir sind als die Hinwegeilenden. Die Knechte gehen – aber der Herr bleibt. Ich bitte ihn auch in dieser Zeit meines Scheidens, daß er bei mir bleiben möge und mich und die Meinen segnen wolle in meinem Haus und Heim. Mein Gebet in dieser Scheidezeit und für die Tage meines Alters soll sein: „Herr, bleib Du bei mir; denn Deine Gnade ist mein Trost, mein Trost bis ans Ende.“

 Ich bitte auch dich, liebe Gemeinde, daß Ihr meiner und der Meinigen auch ferner in fürbittender Liebe gedenken möget, wie ich es auch der Wahrheit gemäß sagen kann, daß ich meiner mir anvertrauten Gemeinde täglich vor Gott fürbittend gedacht habe und ihrer auch ferner in unveränderlicher Liebe gedenken werde.

 Und nun, liebe Rosbacher Gemeinde, empfehle ich dich Gott und dem Reichtum Seiner Gnade.

 Wenn ich alles das, was ich in dieser feierlichen Stunde betend für dich auf dem Herzen trage, in ein kurzes Wort zusammenfassen soll, dann wüßte ich keinen besseren Abschiedsgruß und Segenswunsch als dieses Wort des Apostels: „Die Gnade unsers Herrn Jesu Christi sei mit Euch Allen.“

 Seine Gnade sei mit dem Vorstande unserer Gemeinde, den lieben Mitgliedern des Presbyteriums und der Repräsentation, die mir stets ihre Liebe und ihr Vertrauen geschenkt und mit mir im Geiste der Einigkeit und den Friedens zusammen gewirkt haben. Gott segne Euch in Eurem Amte, in Euren Häusern. Die Gnade des Herrn sei auch mit den Lehrern unserer Gemeinde,[14] von denen manche mir nahe gestanden haben, eng verbunden durch dieselbe hohe Aufgabe des Amtes, der Erziehung, der Arbeit an den Kindern. Der Herr kröne auch ferner ihr Werk mit seinem Segen und lasse sie reiche Früchte schauen der in Liebe ausgestreuten Saat. Die Gnade des Herrn bleibe insonderheit auch mit meinen lieben Konfirmanden, die ich im ganzen 36 mal in der Rosbacher Gemeinde vor Gottes Angesicht habe einsegnen dürfen. Der Unterricht an den Kindern ist mir immer eine rechte Freude gewesen, und ihre Förderung in der christlichen Erkenntnis war mir Herzenssache. Bleibt auch, Ihr alten Konfirmanden, in dem, was Ihr gelernt habt und vergesset nicht, was Ihr an heiliger Stätte gelobt habt. Wenn Ihr aber abgewichen seid vom rechten Wege, kehret wieder im Glauben und in der rechten Liebe zum Vater, dessen Gnade Ihr bedürft. Und nun, Ihr lieben Rosbacher Gemeindemitglieder, mit denen ich so manche schöne Stunde verlebt habe, deren Lebensgang mir bei so vielen vertraut ist und die ich auf liebendem Herzen getragen habe bis hierher, seid der Gnade unseres Herrn Jesu Christi alle miteinander befohlen. Der Herr gebe Seinem Worte, das ferner hier verkündet wird, seinen Segen und öffne ihm die Tür zu Euren Herzen, er walte in Gnaden über der Gemeinde und bewahre sie vor allem Uebel, vor den drohenden Mächten des Unglaubens, der Verweltlichung, der Zersplitterung, Zwietracht und Trennung und lasse das Licht Seines Evangeliums über ihr leuchten. Bleibet einig in der Liebe, haltet fest am Bekenntnis, seid getreu bis in den Tod.[WS 9]

 Das ist mein letzter Wunsch und mein innigstes Gebet in dieser Scheidestunde.

[15]  Dem aber, der überschwänglich tun kann, über alles was wir bitten, dem sei Ehre in Christo Jesu allezeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Amen. 




Schluss: Lied 401, 6–8.

 So scheint uns nichts ein Schade,
Was man um Jesum mißt,
Der Herr hat eine Gnade,
Die über alles ist.

 Bald ist es überwunden
Nun durch des Lammes Blut,
Das in den schwersten Stunden
Die grössten Taten tut.

 Herr, laß es Dir gefallen,
Noch immer rufen wir:
Die Gnade sei mit allen,
Die Gnade sei mit mir!


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Gen. 28,17.
  2. Gen. 32,11.
  3. Vgl. Röm. 1,7; 1. Kor 1,3.
  4. Lk. 18,13.
  5. Vgl. Lk. 19,10.
  6. 2. Tim. 2,1.
  7. 2. Kor. 12,9.
  8. Vgl. Lk. 17,10.
  9. Vgl. Offb. 2,8.