Abendphantasie (1796)
Die Sonn’ ist unter; Schwüle des Tages lag
Schwer auf der Erde, machte die Blumen der
Empfindung, machte deine Blumen,
Lächelnder Phantasus, alle welken.
Willkommen sey, ambrosischer Abend, mir!
Von deinen Fittigen gehoben,
Hebet sich neu mir der Seele Fittig.
Und das Beherrschte herrschet in mir, und hat
Hin in der Schöpfung Weite, die sich
Dankend und feyernd mit mir emporhebt.
O stille Wege heiliger, reinerer
Natur! Entbundne säuselnde Lüfte, wer
Erde, dein milderes Licht dir wieder?
So drückt die Leidenschaft den entwürdigten
Umwölkten Geist; die Dämpfe verfliegen, wann
Mit ihrem stillen Mondenschimmer
Du wandelst dort, Selene, in herrlicher,
Bescheidner, stillgenugsamer Glorie,
Und deine Silberleuchtung theilet
Freundlich die Wellen des nahen Stromes.
Halb Trug, halb Wahrheit, schwärmen Gestalten durch,
Ein Bild des Lebens, immer wechselnd
Kommen und gehn sie, wie unsre Freuden
Hat ihres Friedens schöne Geheimnisse,
Hier die Natur verbreitet? Sichtbar
Wallt die Unsichtbare durch die Dämmrung.
Hörst du die Geistertritte? der Gang ist Gang
Der Gottheit; ihre Nähe verkündet mir
Schwebt und in dämmerndem Glanz mein Wesen.
Wo, von der Büsche dämmerndem Wölbungen
Umschirmt, der Strom sich krümmet, da tauch’ ich mich
Hinunter jetzt; in deinem Lichte
Den Reinen ziemt das Reine; vom Quelle soll
Die erste Spende dein, o Selene, seyn;
Die zweite dein, Najade, die mich
Lächelnd umschlingt, und umschlingend kühlet.
Die Wellen schlagen! Frohe Vergessenheit
Der Tagesmühen schlürf’ ich, sauge
Süßer nach drückender Last die Wollust!
Urreine Schönheit! Wann dem entbundenen
Entschließt, in deinem Schooß nur werd’ ich
Seliger mich und entzückter fühlen.