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ADB:Ziegler, Kaspar

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Artikel „Ziegler, Kaspar“ von Max von Waldberg in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 45 (1900), S. 184–187, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ziegler,_Kaspar&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 04:17 Uhr UTC)
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Ziegler: Kaspar Z., Rechtsgelehrter und deutscher Dichter des 17. Jahrhunderts, ist am 15. September 1621 als der Sohn des gleichnamigen Rechtsgelehrten und Proconsuls beim Leipziger Rath, und der Anna Walter verwittweten Kürsten zu Leipzig geboren worden. Seine Kinderjahre fallen in die Zeit des großen Krieges, der verheerend auch auf die geistige Entwicklung der damaligen Jugend wirkte und nur die sorgfältige Pflege der Eltern und der starke Bildungsdrang, der den jungen Z. beseelte, vermochten ihn vor den geistig-sittlichen Verirrungen abzuhalten, an denen nicht gerade die schlechtesten Köpfe jener Zeit zu Grunde gingen. Ein schwerer Unfall in den Jugendjahren hatte eine geschwächte Gesundheit zur Folge, erzeugte aber in dem lebhaften Knaben eine Frühreife, die nicht gerade förderlich auf die natürliche freie Entwicklung seiner Individualität wirkte, obgleich er keinen nivellirenden Schulunterricht genoß, [185] sondern sich größtentheils durch Selbststudium zu fördern suchte. So legte er den Grund zu einer die mannigfachsten geistigen Interessen vereinigenden vielseitigen Bildung, die sich zwar frei von der polyhistorischen Oberflächlichkeit seiner Zeitgenossen hielt, aber auch jede Selbständigkeit vermissen läßt. Im J. 1638 wurde er Baccalaureus der Philosophie, studirte dann in Wittenberg und Leipzig, wo er 1643 die Magisterwürde erlangte. Wol durch materielle Verhältnisse und den starken Willen seines Vaters gezwungen, wendet sich Z. gegen seine Neigung zunächst dem theologischen Studium zu, aber aller Eifer und die Anregungen von so bedeutenden Lehrern wie Sluter und Carpzov, vermochten ihn nicht dauernd zu fesseln, und als noch ein äußerer Mißerfolg bei Bewerbung um eine Predigerstelle dazu kam, entschloß er sich nach schweren inneren Kämpfen, die, wie es scheint, auch häusliche zur Folge hatten, dem Beispiele seines Vaters folgend, sich von der Theologie 1652 der Jurisprudenz zuzuwenden. Nach kaum zweijährigem Studium wurde er promovirt und schon wenige Wochen darauf erhielt er eine in Wittenberg erledigte Professur. Nach dem Abgange Augustin Strauch’s wurde ihm 1662 das freigewordene Ordinariat der Wittenberger Juristenfacultät übertragen, und bald darauf erhielt er wegen seiner gründlichen Kenntniß des Kirchenrechts auch eine Berufung ins Wittenbergische Consistorium. Nun begann Z. eine reiche von Erfolgen gekrönte Thätigkeit als Lehrer, Richter und Gelehrter. Sein ausgeglichenes Wesen, strenge Rechtlichkeit und sein Arbeitseifer machten ihn zu einem viel umworbenen juristischen Berather und Schiedsrichter. Als Rector der Universität Wittenberg hat er mit Erfolg gegen den damals üppig wuchernden Pennalismus angekämpft, und die Neuordnung der Wittenberger Bibliothek angeregt. In Dresden, wo er als Beisitzer des Tribunals fungirte, hat er zahllose juristische Gutachten – angeblich über 300 – ausgefertigt. Ein reicher Briefwechsel mit berühmten Zeitgenossen brachte ihn in geistige und persönliche Beziehungen zu den bedeutenden Gelehrten seiner Zeit. Dabei entfaltete er eine überreiche litterarische Thätigkeit. Gegen 80 Schriften die fast alle Disciplinen der Rechtswissenschaft umfassen, hat Z. veröffentlicht. Die hervorragendsten sind dem Kirchen- und Staatsrecht gewidmet. Fast alle ruhen sie jetzt in dem großen Massengrabe, in dem der größte Theil der wissenschaftlichen Litteratur jener Tage vergessen modert, und selbst die Geschichtschreiber der Rechtswissenschaft können sie nur als specimina damaliger Methode und Rechtsanschauung verwenden. Aber aus allen spricht der unerschrockene rechtliche Sinn, die reiche Belesenheit und klare Denkweise des Verfassers. In seiner „Rabulistica sive de artibus rabulariis“ (Dresden 1685) behandelt er mit sittlichem Ernst ein von der älteren wissenschaftlichen Litteratur oft dargestelltes Thema, und mit juristischem Scharfsinn geht er den rechtsverdreherischen Praktiken der Advocaten nach, die ja auch die schöngeistigen Autoren der Humanisten- und späteren Zeit seit dem Maître Patelin zu satirischer Ausbeutung gereizt haben. Ziegler’s Schrift fand, obgleich sie nicht gänzlich unabhängig ist von der den gleichen Stoff behandelnden Arbeit Ahasver Fritsch’s „Advocatus peccans“ (Breslau 1678) so reichen Beifall, daß auch eine deutsche Uebersetzung bald nöthig wurde. Sehr beachtet wurde von der zeitgenössischen Litteratur Ziegler’s Abhandlung „De clerico renitente“, in der er sich mit der damals actuellen Frage über das Recht der Geistlichen angebotene Stellen abzulehnen, beschäftigt. Auch sein Commentar zu J. P. Lancelotti’s „Institutiones juris canonici“ wurde wegen seiner kritischen Schärfe sehr geschätzt. Den meisten Beifall aber fand sein in vielen Auflagen erschienener aus akademischen Disputationen entstandener „Tractatus de juribus Majestatis“ (Wittenberg 1668, 1681 und öfter), in welchem er als Erster die Frage des Majestätsrechtes dogmatisch und praktisch erörtert. Selbst moderne Forscher rühmen an [186] diesem Werke, daß es fast ein vollständiges Regierungs- und Verwaltungsrecht enthalte, und die vielen darin behandelten praktischen Rechtsfälle dürften dessen Brauchbarkeit noch erhöhen. Ziegler’s civilrechtliche Schriften, die einen neuen Beleg für seine juristische Vielseitigkeit bieten, wurden erst nach seinem Tode von Georg Beyer (Leipzig 1712) herausgegeben: alle diese Leistungen hätten ihm kaum ein Anrecht auf historische Beachtung und dauernden Nachruhm gegeben, wenn er sie nicht durch eine kleine theoretische Schrift zur schöngeistigen Litteratur erworben hätte. Selbst seine poetischen Versuche sind bedeutungslos. Seine Leipzig 1648 erschienenen „Zwanzig Elegien über die Geburt, Leiden und Auferstehung unseres Herrn und Heilands Jesu Christi“ sind, obgleich sie von liebedienerischen Freunden und Schmeichlern als Producte der himmlischen Muse besungen wurden, ebenso wenig beachtenswerth, wie die einzelnen verstreuten lyrischen Dichtungen, und es ist bezeichnend, daß selbst Erdmann Neumeister’s dringliche Aufforderung, die nachgelassenen Dichtungen zu sammeln, in jenem Zeitalter der Poetaster und druckfreudigen Editoren keinen Erfolg hatte. Daß einzelne seiner geistlichen Lieder in die Gesangbücher Eingang finden, darf, wenn man die Entstehungsgeschichte solcher localer Sammlungen kennt, kaum zu erhöhter Schätzung anregen. Schon der Umstand, daß es vorwiegend sächsische Gesangbücher sind, in denen sie sich finden, deutet an, daß persönliche Rücksichten nicht die letzten waren, die die Aufnahme bestimmten. Aber was ihm als Lyriker an Bedeutung abgeht, hat er reichlich als Theoretiker wieder erworben. Im J. 1653 hat er zum ersten Male seinen Tractat „Von den Madrigalen einer schönen und zur Musik bequemsten Art Verse, wie sie nach der Italiener Manier in unserer Deutschen Sprache auszuarbeiten“ in Wittenberg veröffentlicht, und damit für die Ausbildung und Entwicklung einer poetischen Form Anregungen gegeben, die mehr als ein halbes Jahrhundert für die gesammte lyrische Production bestimmend waren. Die irrthümliche Meinung, daß Z. überhaupt die Gattung der Madrigale in Deutschland eingebürgert habe, darf jetzt wol als widerlegt gelten. Durch den Einfluß der italienischen Musik auf die deutsche, war das Madrigal in der deutschen weltlichen und geistlichen volksthümlichen Lyrik schon hundert Jahre vor Ziegler’s Tractat heimisch. Aber Z. war der Erste, der nicht nur den Versuch machte, diese lyrische Form durch theoretische Erörterung ihrer Geschichte und ihrer Existenzbedingungen von allen metrischen Schwankungen zu befreien, das Stoffgebiet dieser Gattung zu fixiren, sondern er war auch derjenige, der die Kunstlyrik auf das Madrigal aufmerksam machte, dessen Pflege empfahl und hauptsächlich dazu beitrug, diesem wilden Schößling italienischer Erde im Ziergarten deutscher Dichtung einen dauernden und ausgedehnten Platz zu sichern. Erst seit Z. ist das Madrigal, eine Lieblingsform der galanten Lyrik, als rechtmäßige Dichtungsform anerkannt worden. Ziegler’s Schwager, der große deutsche Tondichter Heinrich Schütz, hatte in einem, der Schrift über die Madrigale vorgedruckten Briefe, auf die hohe Bedeutung der Madrigale als Object musikalischer Composition hingewiesen und diese Tendenz, die Z. dann stark betonte und die deutschen Madrigalisten seitdem nicht außer Acht lassen, hat nicht nur in die mit Formkünsteleien spielende Lyrik jener Zeit ein wohlthuendes musikalisches Element hineingebracht, sondern auch auf die Entwicklung anderer Formen, wie der Cantate entscheidend eingewirkt. Dadurch, daß Z. dem Madrigal in der inneren Form einen epigrammatischen Charakter geben wollte, bereitete er allerdings zum Schaden dieser von ihm propagirten Gattung, die galante Lyrik vor, die ja im pointirten Schluß die wesentlichste Eigenschaft der Poesie sah. Ziegler’s eigene Madrigale, die die Muster für seine Theorien bieten sollten, sind künstlerisch ohne jeden Werth auf einen meist gequälten Witz hinsteuernd, und trotz der Mannigfaltigkeit der Themen [187] sehr einförmig. Ein von ihm verfaßtes Madrigal: „Wider die Verläumder“, hat wenigstens den Werth, aus einer inneren Erfahrung heraus erwachsen zu sein und hat auch auf die Zeitgenossen tieferen Eindruck gemacht als die übrigen, deren Verdienst hauptsächlich darin zu suchen ist, daß sie für die folgende reiche madrigalische Production vielgebrauchte formale Modelle abgaben. Z., der in Wittenberg ein arbeitreiches aber behagliches Leben führte, war drei Mal verheirathet. Er starb nach kurzem Kränkeln am 17. April 1690.

Zedler’s Universallexikon. – Voßler, Das deutsche Madrigal. Weimar 1898.