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ADB:Wit genannt von Dörring, Ferdinand Johannes

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Artikel „Wit genannt von Dörring, Ferdinand Johannes“ von Robert Franz Arnold in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 43 (1898), S. 550–552, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wit_genannt_von_D%C3%B6rring,_Ferdinand_Johannes&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 07:10 Uhr UTC)
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Wit: Ferdinand Johannes W., genannt v. Dörring, politischer und litterarischer Abenteurer, wurde am 22. August 1800 zu Eimsbüttel, zwar auf hamburgischem Boden, jedoch als dänischer Unterthan geboren. Da sich bald darauf seine geistig ungewöhnlich begabte Mutter von ihrem Gatten, einem Altonaer Pferdehändler holländischer Abkunft, scheiden ließ, den dänischen Officier v. Döring ehelichte und ihren Sohn erster Ehe nicht in das neue Heim mitnahm, so verlebte W. bereits seine Kinderjahre in jener Unsicherheit und Unstetigkeit, die auch späterhin sein Leben charakterisiren sollte. Schon auf der Mittelschule, deren letzte Periode er in Hamburg absolvirte, gab er Lehrern und Mitschülern durch überspannte Einfälle und krankhaften Ehrgeiz vielfach Anstoß. Als angehender Jurist bezog er Herbst 1817 die Universität Kiel, Frühling 1818 Jena; hier wurde er Mitbegründer der allgemeinen deutschen Burschenschaft, und eine Begegnung mit den Brüdern Follen in Gießen (Pfingsten 1818) genügte, um den leicht Erregbaren völlig in die Kreise radicalster Jünglingspolitik zu ziehen, aus welchen Sand, aber auch Heinrich Leo hervorging. Im August 1818 unternahm W. eine abenteuerliche, theils wissenschaftlichen, theils Zwecken politischer Propaganda gewidmete Fußreise nach Paris, wo seiner Mutter Bruder Baron Ferdinand v. Eckstein (1776–1824), ein vielgenannter Emporkömmling der bourbonischen Reaction, damals das Amt eines Generalinspectors der Polizei bekleidete. Dann finden wir W. in Jena, abermals in Kiel und wiederum in Jena; Anfang 1819 wurde er eines albernen Streiches halber relegirt, bekannte sich sodann der preußischen Regierung brieflich zur Autorschaft des revolutionären „Großen Liedes“, welches thatsächlich von Karl Follen herrührte, und entfloh gleichzeitig (Oct.) über Hamburg nach England. Hier entfaltete er eine rege journalistische Thätigkeit in revolutionärem Sinne und verkehrte trotz seiner Jugend intim mit angesehenen Radicalen wie mit Ministeriellen, da er sich in London, wie später anderwärts, erfolgreich als Führer der deutschen Umstürzler oder [551] doch als Mitwisser ihrer Pläne gerirte; gleichzeitig legte er sich in kindischer Eitelkeit völlig unberechtigt den leichtveränderten Adelstitel seines Stiefvaters bei. Aus England verwiesen wandte er sich 1820 (Jan.) nach Paris, kam durch seinen Oheim in Verbindung mit dem Großsiegelbewahrer Grafen de Serre und setzte seine politische Schriftstellerei sowie das Doppelspiel zwischen gegnerischen Parteien auch hier fort. Die Ermordung des Herzogs von Berry (13. Febr.) habe ihn, behauptete er nachmals, der revolutionären Sache völlig abwendig gemacht; im folgenden Sommer vermittelte er indeß noch zwischen den französischen Radicalen und den Exaltados der deutschen Universitäten, freilich nicht, ohne alles seinem Gönner de Serre zu verrathen, wie er später selbst naiv in seinen berüchtigten „Fragmenten“ eingestanden hat. Juli 1820 begab er sich mit Karl Follen in die Schweiz und trat in Beziehung zu den Bonapartisten; damals sagte er sich förmlich und gänzlich von den revolutionären „Unbedingten“ los. Im September wurde W. aus Stuttgart ausgewiesen; dann tauchte er (Jan. 1821) wieder in Paris auf, aber auch hier (April), in Turin, in Genf (Mai) traf ihn das nämliche Geschick, zumal er sich schließlich tief in die carbonarischen Umtriebe verwickelt hatte. Im Mai wurde er von piemontesischen Organen zum ersten Male verhaftet, am 20. September zum zweiten Male, in harten Kerker nach Turin gebracht und von da (Febr. 1822) an Oesterreich nach Mailand ausgeliefert; hier wußte er sich die Gunst des Höchstcommandirenden, Grafen Ferd. Bubna, zu verschaffen, und aus erleichterter Haft gegen Ende Mai d. J. zu entfliehen. Nun irrte er, überall verfolgt, in Piemont, längere Zeit in der Schweiz, dann in Süddeutschland umher und wurde am 20. Februar 1824 in Baireuth abermals festgenommen; und jetzt begannen seine „Enthüllungen“ über deutsche und internationale Verschwörungen und Umsturzparteien, zunächst vor den bairischen Inquirenten Frhr. v. Welden und dem nachmaligen Minister v. Abel, dann (seit Mai) in Berlin vor Kamptz, zuletzt (März bis September 1825) in Wien vor Sedlnitzky und Hofrath v. Braulik – ein wirres Gewebe von Wahrheit, Selbsttäuschung und Lüge, das ihn den Regierungen anfangs ebenso wichtig als den Zeitgenossen ohne Unterschied der Partei verächtlich machte. In Berlin speciell scheinen seine Denunciationen die vorübergehende Haft des Philosophen Victor Cousin verschuldet zu haben. October 1825 wurde er endlich in Hamburg von Preußen an seine heimathlichen dänischen Behörden ausgeliefert, in Friedrichsort internirt, Ende d. J. zwar in Schleswig auf freien Fuß gesetzt, aber 1827 nochmals wegen Außerachtlassung der polizeilichen Evidenzvorschriften (diesmal auf sechs Monate) festgesetzt. Nach Ablauf der Strafzeit erschien er in Hamburg, wo er sich höchst tactlos in litterarische Fehden einließ. Gleich darauf nahm er in Braunschweig an der Polemik zwischen Herzog Karl und dem hannoverschen Hofe theil; in diese Zeit fällt überhaupt die Hauptmasse seiner schriftstellerischen Production. 1828 (Oct.) erschien W. in München und verkehrte bis zu seiner bald erfolgenden Ausweisung mit dem in Hamburg gewonnenen Freunde Heine. Seit März 1829 hielt er sich in Weimar auf und drängte sich in die Nähe Goethe’s, welchem er jedoch gründlich mißfiel; hier indeß, wo der seit Jahren, allerdings durch eigenes Verschulden wie ein Wild Gehetzte zum ersten Male wieder Ruhe fand, gründete er sich eine Existenz durch Vermählung (Febr. 1829) mit der reichen Erbin des kurhessischen Geheimen Raths v. Gössel, an deren Seite er zunächst nach Schleswig zurückkehrte. Als W. endlich nach längerem Aufenthalte hier und in Kassel mit vieler Mühe von der preußischen Regierung die Erlaubniß erwirkt hatte, sein erheirathetes Gut Urbanowitz bei Kosel in Schlesien zu bewirthschaften, schloß er sich in der neuen Umgebung den Ultramontanen an und setzte frühere Versuche, eine exclusive aristokratische Partei in Deutschland zu bilden, fort, dabei unausgesetzt [552] journalistisch thätig und freilich auch (so 1848) empfindlichen Demüthigungen ausgesetzt. 1843 war er in die Gegend von Ratibor übergesiedelt. Anfang der sechziger Jahre verwendete ihn Graf Rechberg (österr. Minister des Auswärtigen 1859–64) in seinem Preßbureau, ohne daß es wenigstens diesmal W. gelungen wäre, sich Achtung und Sympathien zu erwerben. Er starb am 9. (nicht am 22.) October 1863 in Meran.

In tiefbegründeten geistigen Abnormitäten dürfte wol die Erklärung der verworrenen und verwerflichen Handlungsweise dieses Marodeurs der Politik und Litteratur zu suchen sein, den übrigens die Regierungen nach 1821 ebenso sehr über seine eigene Wichtigkeit getäuscht haben mögen, als er selbst vor dieser Zeit alle Welt. W. beherrschte mehrere Sprachen und war Mitarbeiter der angesehensten in- und ausländischen Blätter; aber als Schriftsteller kann er durch gewandten Stil, einzelne gute Einfälle und treffende Bemerkungen nicht für die Confusion und Haltlosigkeit seiner zahlreichen, völlig unkünstlerischen und nur culturhistorisch werthvollen Schriften entschädigen.

Schriften: „Neuestes aus Kurhessen“ (1818); „Die revolutionären Umtriebe in der Schweiz“ (1823); „Lucubrationen eines Staatsgefangenen“ (1827); „Ueber das Wesen und Unwesen des deutschen Theaters“ (1827. „Beleuchtung“ dieser Schrift durch einen Pseudonymus „Chlodwig“ 1827); „Fragmente aus meinem Leben und meiner Zeit“ (1827–30); „Ich und über mich“ (1828); „Versuch die Mißverständnisse zu heben, welche zwischen dem Könige von England und dem Herzoge von Braunschweig … herbeigeführt wurden“ (1828); „Mittheilungen aus den Memoiren des Satans. 3. Theil“ (1829); „Politisches Taschenbuch“ (1829–30); „Was uns Noth thut!“ (1830); „Meine Berufung an das Publikum“ (1832); „Schilderungen und Begebnisse eines Vielgereisten“ (1832); „Mein Jugendleben und meine Reisen“ (1833); „Ansichten, ausgesprochen bei der ersten Versammlung deutscher Landwirthe“ (1837).

Kordes, Lexikon d. Schleswig-Holsteinischen Schriftst., S. 81 (über den Großvater mütterlicherseits). – Schröder-Kellinghusen, Lex. d. hamb. Schriftst. 8, 96. – Alberti, Lex. d. Schlesw.-Holst.-Lauenb. Schriftst. v. 1829–1866 2, 575; dasselbe v. 1866–82 2, 389. – Lübker-Schröder, Lex. d. Schlesw.-Holst.-Lauenb. Schriftst., S. 699. – Nowack, Schles. Schriftst.-Lex. 3, 158. – Wurzbach 57, 144. – (Rob. Wesselhöft) Teutsche Jugend in weiland Burschenschaften und Turngemeinden, 1828. – Heinrich Leo, Meine Jugendzeit (1880), S. 179 f., 182, 186. – Ilse, Gesch. d. polit. Untersuchgn. etc. 1860. – Drei Schriften des Majors J. B. von Lindenfels 1827 f. – Heine (ed. Elster) 7, 257. – Elster, Deutsche Rundschau Bd. 23, Heft 9. – Prutz, Deutsches Museum 1864, Nr. 47. – Proben aus der unübersehbaren Zeitungspolemik gegen Wit’s Fragmente, an der namentlich Zedlitz lebhaften Antheil nahm: Friedr. Georg Ludw. Lindner im „Ausland“, 5. Jan. 1828; Karl Ernst Schmid im „Hermes“ 30, 76 (1828). – Blätt. f. litt. Unterhaltung 1827, Nr. 261, 268 f., 282.