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ADB:Wildauer von Wildhausen, Tobias

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Artikel „Wildauer Ritter von Wildhausen, Tobias“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 521–524, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wildauer_von_Wildhausen,_Tobias&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 09:24 Uhr UTC)
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Wildauer *): Tobias W. Ritter von Wildhausen, meist T. von Wildauer genannt, Philosoph und deutschösterreichischer Politiker, wurde am 4. September 1825 zu Fügen in Tirol geboren. Schon auf dem Gymnasium zu Hall trieb er fleißig Griechisch, besonders Homer und Anakreon. Seit 1842 studirte er an der Innsbrucker Universität alte Philologie, Philosophie und Geschichte. 1848 war er, als die garibaldischen Freischaren Südtirol bedrohten, bei der ersten akademischen Compagnie. Fürs Lehrfach entschieden, wurde er Supplent am neu organisirten k. k. akademischen Gymnasium zu Innsbruck und nach ausgezeichnetem Examen 1850 ebenda wirklicher Lehrer; er unterrichtete hauptsächlich Griechisch, daneben dann philosophische Propädeutik, später Mathematik. Im J. 1855 muß er promovirt haben, da er im Schulprogramm für 1854/55 zuerst „Doctor der Philosophie“ heißt. Inzwischen auch erster Lehrer nächst dem Director geworden, folgte er 1857 dem Rufe als Supplent der philosophischen Lehrkanzel an der Innsbrucker Universität; 1858 wurde er ordentlicher Professor. Als solcher hat er die officielle „Akademische Festrede zu Friedrich von Schiller’s hundertjährigem Geburtstage 1859“, einen flammenden Aufruf zur rührigsten Pflege deutscher Cultur im österreichischen Kaiserstaate im Anschlusse an Schiller’s Posten als deutscher Nationaldichter, in dem sich die Culturideale unseres Volkes verkörpern, mit einer präcisen Huldigung an Kaiser Franz Joseph, der dieser deutschen Mission Oesterreichs entspreche, sowie die „Rede zu Johann Gottlieb Fichte’s hundertjährigem Geburtstage bei der von der philosophischen Facultät an der Hochschule zu Innsbruck veranstalteten Festfeier am 19. Mai 1862“, eine knappe, aber in den Anmerkungsnachweisen gründlichste Kenntniß der biographischen und sonstigen Materialien verrathende Charakteristik mit dem Nachdruck auf der national-pädagogischen Bedeutung von Fichte’s Persönlichkeit und Willenslehre, in der Universitätsaula vorgetragen. [522] Dies sein Lehramt hat W. bis zu dem am 3. April 1898 im 73. Lebensjahre erfolgten Tode mit Lust und Hingebung geführt und scheint es, zeitweise auch die Archäologie mit vertreten. Jedoch hat er aus seiner ursprünglichen Berufsdisciplin nur 1850 im Antrittsjahre als Lehrer am Innsbrucker Gymnasium dessen Jahresbericht (S. 12–36) eine Abhandlung „Plan und Einheit der Ilias“ veröffentlicht, die energisch die Unität und bewußte Composition verficht und sodann eine Ausgabe „Platons Protagoras. Mit Einleitung und Anmerkungen“ (1857), die, besonders durch die vortreffliche grammatische Analyse und sorgfältige Feststellung des Sprachgebrauchs, neben denjenigen I. Bekker’s, Stallbaum’s, Deuschle’s, Sauppe’s, Jahn’s nicht nur, sondern auch den neueren würdig besteht. Während er mit ihr schon den Grenzrain der Philosophie schritt, traten ganz in ihren Rayon etliche tüchtige Abhandlungen in Fachorganen, z. B. „Ob Platon ein Begehrungsvermögen angenommen habe“, Philosoph. Monatshefte 1873, S. 229 ff., oder Anzeigen, z. B. von J. Steger’s „Platon. Studien“ (ebd. 1872, S. 538), endlich, worin auch erstgenannter Aufsatz Aufnahme fand, das auf gründlichem philologischen Eindringen in die einschlägigen Denkmäler der griechischen Sprache basirte Werk „Psychologie des Willens bei Sokrates, Platon und Aristoteles“ (zwei Theile. 1877 bez. 1879), dessen geplanter dritter Theil, über Aristoteles’ Lehre vom Willen, nicht erschienen ist (zur Ursache vgl. II, S. III in.); es fand sofort den vollsten Beifall der Fachgenossen. „Eine Abhandlung über Schopenhauer“, anonym abgedruckt im litterarischen Theile der amtlichen „Wiener Zeitung“ im Mai 1858, belobte dieser anspruchsvolle meist mißverstandene Genius selbst als höchst interessant. Auf schöngeistigem Felde werden zwei Novellen in dem Tiroler Blatte „Phönix“ (1851), betitelt „Wildschütz und Förster“ und „Aus dem Tiroler Leben 1848“ mit der Chiffre T, genannt; auch gab er das „Denkbuch der Feier der fünfhundertjährigen Vereinigung Tirols mit Oesterreich“ (1864) heraus.

Den weiten Ruf, der sich stellen- und zeitweise zu größter Popularität steigerte, verdankt W. jedoch seiner innerpolitischen Wirksamkeit, insbesondere seinem, durch ein seiner Zeit vielbesprochnes Ereigniß markirten starken Deutschösterreicherthum. Als 1859 sich frischer Zug in den inneren Verhältnissen der Habsburgermonarchie regte, begann W. sich activ an den bewegenden Fragen zu betheiligen. Zunächst publicistisch. Er schrieb im deutschen, dabei gut österreichischen und offenherzig moderngeistigen Sinne in die Augsburger „Allgemeine Zeitung“, wie die liberal-patriotisch Gesinnten des Kaiserstaates damals in der Regel. Gemäßigter Fortschritt, immer Hand in Hand damit unantastbare Deutschheit, das waren die Triebfedern seiner Preßthätigkeit. „Zwölf Artikel zur Tiroler Landesverfassung“, 1860 in der „Schützenzeitung“, bekämpften die damals beabsichtigte Rückkehr zu vier Ständen. Als Separatabdruck aus dem „Tiroler Boten“ kam der Aufsatz über „Ein confessionelles Ausnahmsgesetz [nicht ‚Aufnahmegesetz‘, wie die, von ihm revidirte biographische Notiz in Kürschner’s „Dtsch. Litteraturkalender“ bis zum Tode schrieb] für Tirol. Worte der Verständigung“ 1861 und schnitt ein Thema an, das W. später wiederholt im Parlament in anticlericalem Sinne behandelt hat. Trotz alledem kannten weitere Kreise Wildauer’s Namen noch nicht, als er am 14. Juli 1862 knapp, ruhig, entschieden und ohne Nebengedanken beim Festbankett des Deutschen Schützenfestes zu Frankfurt a. M. auf des „nationalvereinlichen“ Darmstädter Advocaten August Metz mißverstandnes Rede-Aperçu, die Deutschösterreicher seien gleich den Schleswig-Holsteinern und Kurhessen „Schmerzenskinder“ Deutschlands, namens seiner Landsleute Verwahrung einlegte. Kaiser Franz Joseph decorirte ihn „in Anerkennung seines in mannhafter Rede bewiesenen Patriotismus“ schon am 21. Juli mit dem Orden der eisernen Krone III. Cl., wodurch er mit dem Prädicate „von [523] Wildhausen“ den Ritterstand erhielt, und als W. auf der Heimreise am 23. Juli in der Münchener Westendhalle (jetzt „Volkstheater“) in einem Trinkspruche auf Baiern des letzteren ausgleichende großdeutsche Mission betonte, verlieh ihm König Maximilian II., mit diesem Standpunkte harmonirend, das Ritterkreuz des Verdienstordens der bair. Krone. Wie W.’s Worte in Frankfurt gezündet hatten, so fanden sie starken Widerhall in allen großdeutschen Kreisen, in erster Linie innerhalb der schwarzgelben Grenzpfähle: es regnete förmlich Anerkennungs- und Zustimmungsadressen, Ehrenmitglied- und gar Ehrenbürgerdiplome, ernste und heitere Gedichte über die Affaire liefen in Menge um, ein Akrostichon aus der „Frankfurter Postzeitung“ machte die Runde durch die Zeitungen, und ein österreichisches Officiercorps widmete W. sogar einen von Militärcapellmeister L. Jeschko componirten „W.-Marsch“. Im ultramontanen, feudalen und autonomistischen Lager kläfften viele kleinliche Gegner; W. blieb unerschrocken und nahm u. a. den Widersachern der ersten Richtung durch eine feste Rechtfertigung sowie eine antwortende „Erklärung zur Abwehr“ den Wind aus den Segeln. In der Heimath ward die Hetze geschürt gegen den „Patrioten, der eigentlich kein Patriot war, gegen den Liberalen, der eigentlich ein Reactionär war, gegen den Mann des Tages, der bei Licht besehen, nur ein Mann der Nacht war“.

Alle solche Angriffe stählten Wildauer’s Mannesmuth und Ueberzeugungstreue und bestärkten ihn nur in seinen Ansichten. Sein Gegensatz zu der „katholisch-conservativen“ Partei, d. i. den verbündeten staatlichen und kirchlichen Rückschrittlern, wurde immer erbitterter (vgl. seine Abhandlung „Die römische Curie und das Recht Oesterreichs“ 1868), obwol man ihm von dieser Seite auch bei den vielen patriotischen Artikeln nichts am Zeuge flicken konnte, die er vorm und im 1866er Bruderkriege zur „Allgemeinen Zeitung“ und einem leitenden Wiener Tagesblatte beisteuerte. Trotz dieses eifrigen Gegendrucks gelangte er am 30. Januar 1867 in den Tiroler Landtag, in dem er nach Einführung directer Wahlen lange Jahre die Städtebezirke Innsbruck, Hall, Schwaz und Kufstein vertrat, sowie die Innsbrucker Handelskammer mit 1200 gegen 600 Stimmen seit 24. October 1873 bis zu den 1897er Wahlen im Abgeordnetenhause des Reichsraths. Er hat in beiden legislativen Körpern eine hervorragende Rolle gespielt, war Obmann des liberalen Landtagsclubs, im Reichsrathe Obmann-Stellvertreter der deutschen Linken, mehrfach Mitglied der österreichischen „Delegation“. In der Natur der Sache lag es, daß er besonders bei Gegenständen des Cultus und Schulwesens ein „Rufer im Streit“ war. Für die confessionelle Gleichberechtigung, für die staatliche Schulaufsicht, die gesetzliche Regelung der tiroler Volksschulordnung stand er rastlos auf der Schanze und hat, trotzdem an der Regierung und des Herrenhauses Veto viele seiner Ideen scheiterten, dafür, ebenso für andere Punkte im Unterrichtsbudget, für dessen „Centrale“ er bis 1879 als Referent fungirte, für die Vorlage zur Errichtung der Czernowitzer Universität und das Gesetz über die Anerkennung der Religionsgesellschaften viele Verbesserungen durchgedrückt. In derselben Hinsicht verwandte er, Curator und Ausschußmitglied des tirolischen Museum Ferdinandeum, sich für die Bedürfnisse der Innsbrucker Universität, dabei und bei der Gebäudesteuer-Reform, endlich dem Antrag Ciani betr. Aenderung der Wahl aus dem adligen Großgrundbesitze Tirols die Interessen seines engeren Heimathlandes schützend. In dessen öffentlichem Leben, auch in dem Innsbrucks (vergl. seinen Artikel „Die Wahlen in den Innsbrucker Bürgerausschuß“ 1868) stand W. im Vordergrunde. Er war Gründer, Ausschußmitglied, lange Obmann des dortigen „Constitutionellen Vereins“, der für Nordtirol die liberale Bewegung zusammenhielt, und verfaßte meist dessen wie überhaupt der Liberalen Streitschriften, Wahlaufrufe und sonstige Kundgebungen. Die zwei genannten [524] Broschüren Wildauer’s von 1868 gab der „C. V.“ heraus, auch die „Der Austritt der sechs Deutschtiroler Abgeordneten aus dem Reichsrathe“ (1870). Endlich gründete und leitete er als erster Obmann die Innsbrucker Ortsgruppe des „Deutschen Schulvereins“, womit Anfang der achtziger Jahre auch in Tirol ein neuer Aneinanderschluß der deutschnationalen freigesinnten Kräfte anhob. Die separatistischen Wälschtiroler wollte er nicht schroff zurückstoßen. In W.s letzten Lebensjahren begann auch in Tirol eine schier unüberbrückbare Kluft zwischen den von W. geführten Deutschliberalen und den radical-chauvinistischen Deutschnationalen zu gähnen, die die Erfolge der deutschen „Gemeinbürgschaft“ zu untergraben drohte: die rücksichtlosen Anhänger Georg Schönerer’s hielten ihm, wie 1868 die clericalen „Tiroler Stimmen“, vor, er sei „ein reiner Opportunitätspolitiker“, und stürmische Jugend warf ihn mit andern Verdienten der „verfassungstreuen“ Garde zum alten Eisen. So starb W., nachdem eben die obstructionistisch-nationale Strömung ihn nebst der ganzen moderaten Fraction aus der Wiener Volksvertretung weggespült. Doch ein Kämpfer für deutschen, freisinnigen Geist, für Cultur im Sinne der von ihm gefeierten Heroen Schiller und Fichte, in Cisleithanien, gilt er über das Grab hinaus: ein moderner Mensch, ein wackerer Deutscher und guter Oesterreicher.

Das Material, mit erstaunlicher Reichhaltigkeit der Einzeldaten für das 1862er Vorkommniß, bei Wurzbach, Biograph. Lexikon d. Kaiserth. Oesterreich Bd. 56 (1888), S. 136–142. Kurze Nachrufe direct nach dem Tode in den meisten größeren Zeitungen; davon seien genannt: Neue Freie Presse Nr. 12074, 4. April, S. 3 (das Frankfurter Datum falsch 15. Juli); (Wiener) „Fremdenblatt“ Nr. 94, 5. April, S. 3; Frankfurter Ztg. Nr. 96, 1. Morgenbl., 7. April. Für die Schulthätigkeit sind die Programme des Innsbrucker k. k. akad. Gymnasiums verglichen. – Rühmende Besprechungen der Protagoras-Ausgabe Liter. Centralbl. 1860, Nr. 37, des I. Theiles der „Psychologie des Willens“, außer den bei Wurzbach S. 140 genannten, Ztschr. f. Philos. u. philos. Kritik, 73. Bd., 191 (Krohn, abweichend), Lit. Ctrlbl. 1878, Nr. 47, S. 1530; Philos. Monatshefte, XIV (S. 306–308), welch letzteren W. auch durch längere Jahre Mitarbeiter gewesen ist. – Schopenhauer’s oben angeführtes Lob von Wildauer’s – der Name war ihm unbekannt – ihn betreffender Charakteristik bei Wurzbach S. 139 f. verdient genauere Prüfung, weil danach der bei Lebzeiten argverkannte und darüber mißmuthige große ‚Pessimist‘ sie als Bestes, was über ihn je geschrieben, bezeichnet haben soll. Der erste „Schopenhauer-Philolog“, Eduard Grisebach, weist mir diese von Wurzbach nach D. Asher, „Arthur Schopenhauer, Neues von ihm und über ihn“, S. 18 u. 26, citirte, bei Wurzbach auf Grund mir unbekannter Annahmen übertriebene Aeußerung in „Schopenhauer’s Briefen“, hsg. von Grisebach S. 426 u. 429, ebd. S. 436 einige weitere Erwähnungen in der „Wiener Zeitung“ aus der zweiten Hälfte von 1858 (von Wildauer?) nach. – Rechtsanwalt Jg. Metz in Darmstadt controllirte obige Angaben über die 1862er Reden und verwies auf deren Wortlaut „Wochenschrift des Nationalvereins“ (Nr. 117, S. 971 f.). – Kukula, Jahrb. d. d. Hochschulen, S. 1015.

[521] *) Zu Bd. XLII, S. 495.