Zum Inhalt springen

ADB:Wiener, Christian

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Wiener, Christian“ von Hermann Wiener (Mathematiker) in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 42 (1897), S. 790–792, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wiener,_Christian&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 04:16 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Wichmann von Seeburg
Nächster>>>
Wilbrand
Band 42 (1897), S. 790–792 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Christian Wiener in der Wikipedia
Christian Wiener in Wikidata
GND-Nummer 117362700
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|42|790|792|Wiener, Christian|Hermann Wiener (Mathematiker)|ADB:Wiener, Christian}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=117362700}}    

Wiener *): Christian W., namhafter Mathematiker, geboren am 7. Decbr. 1826 zu Darmstadt, wo sein Vater Criminalrichter war, † am 31. Juli 1896 in Karlsruhe als Professor der darstellenden Geometrie und graphischen Statik an der dortigen technischen Hochschule. Mit 17 Jahren bezog er die Universität Gießen zum Studium des Baufachs, in dem er auch die Staatsprüfung ablegte. Doch drängten ihn Neigung und Begabung zur wissenschaftlichen und Lehrthätigkeit [791] hin, und so trat er unmittelbar nach Beendigung seines Studiums als Lehrer in die höhere Gewerbeschule in Darmstadt ein, deren Director Külp schon damals mit dem später verwirklichten Plane umging, diese Schule in ein Polytechnikum auszubauen. Doch war es Külp trotz aller Bemühungen nicht möglich, ihm eine bleibende Stelle an dieser Schule zu sichern, und so folgte W. dem Drängen seiner Gießener Lehrer, insbesondere Liebig’s, sich an der Landesuniversität zu habilitiren. Vorher jedoch (im Herbst 1850) ging er auf ein Jahr nach Karlsruhe, um unter Redtenbacher weitere Studien zu betreiben. Zwischenhinein promovirte er in Gießen mit einer mathematischen Dissertation und erwarb sich dadurch die facultas docendi. Im Sommer 1851 begann W. seine Thätigkeit als Privatdocent und hielt als solcher Vorlesungen über darstellende Geometrie und technische Fächer. In diese Zeit fällt eine Reise zur Weltausstellung in London, auf der ihm eine Sammlung geometrischer Modelle nachhaltige Anregungen brachte. Schon in der Mitte des zweiten Semesters seiner Privatdocententhätigkeit erhielt er einen Ruf an das Polytechnikum in Karlsruhe, wo ihm an Stelle von Guido Schreiber die Professur für darstellende und praktische Geometrie übertragen wurde. Dort hat W. 44 Jahre hindurch eine Thätigkeit entfaltet, die sowohl der Wissenschaft, wie seiner Hochschule die reichsten Früchte gebracht hat. Da er von Anfang an das Vertrauen seiner Amtsgenossen und der Regierung in hohem Grade besaß, war es ihm vergönnt, planvoll in die Organisation der technischen Hochschule einzugreifen, dreimal an leitender Stelle als gewählter Director. In seiner Wissenschaft pflegte W. den Umgang mit hervorragenden Fachgenossen, und wie durch die Freundschaft mit Redtenbacher, so war ihm auch sonst in Karlsruhe reichliche Gelegenheit zum Gedankenaustausch gegeben. Mit Clebsch und Schell zusammen gründete er ein mathematisches Kränzchen, das sich in alter Form auch unter dem Wechsel der Theilnehmer erhielt. Mit Clebsch verband ihn noch nach dessen Weggang von Karlsruhe innige Freundschaft. Die Gelegenheit, die sich ihm auf den Naturforscherversammlungen bot, mit andern Mathematikern zusammenzutreffen, hat er oft benützt, jedoch nie, ohne sich dabei thätig zu zeigen durch Mittheilung einer seiner schönen Untersuchungen oder durch Vorzeigen eines seiner feindurchdachten geometrischen Modelle, von denen das einer Fläche dritter Ordnung mit 27 reellen Geraden Aufsehen erregte und Anlaß zu wichtigen anderen Untersuchungen gegeben hat. Gerade durch diesen mannigfachen persönlichen Verkehr ist eine Fülle von Anregungen von ihm ausgegangen. So auch im naturwissenschaftlichen Verein zu Karlsruhe, in welchem er einen Theil seiner mathematischen, viele philosophische, die meisten seiner physikalischen Untersuchungen zuerst bekannt gegeben hat. Er durfte dies, da er die Kunst besaß, strenge Wissenschaft einem weiteren Zuhörerkreis verständlich zu machen. Dadurch war auch seine Lehrthätigkeit in ganz hervorragendem Maaße ersprießlich; selbst mit einer Raumanschauung von seltener Kraft begabt, wußte er dieses Vermögen auch bei seinen Schülern zu wecken und zu stärken. Seine Erfolge als Lehrer und die geachtete Stellung unter seinen Collegen verdankte er aber am meisten den harmonischen Eigenschaften seines Wesens: der stets heiteren Liebenswürdigkeit und dem Wohlwollen gegen jedermann, der Gerechtigkeitsliebe und dem strengen Pflichtgefühl.

Wiener’s wissenschaftliche Arbeiten beziehen sich auf Mathematik, Physik und Philosophie. Denn sein Streben, alle Erscheinungen auf den Grund zu verfolgen, hatte ihn frühzeitig von der Physik und Mechanik zur Philosophie geführt, und jenen drei Gebieten gehören auch seine drei Hauptwerke an. Jedes von diesen ist die Frucht langjähriger angestrengter Arbeit. Das erste „Die Grundzüge der Weltordnung“ (Leipzig und Heidelberg 1863, neue Ausgabe in zwei Bänden 1869) enthält ein philosophisches System, das auf der Grundlage der [792] Naturwissenschaften aufgebaut ist, deren Methoden er für die Erforschung sowol der nichtgeistigen Welt (1. Band, Atomenlehre), wie auch der geistigen Welt (2. Band) in Anspruch nimmt. In späteren Abhandlungen hat er manche Stoffe dieses Werkes weiter ausgeführt, so in seiner „Begründung der Sittenlehre“ (Darmstadt 1879) seine Lehre von den von einander unabhängigen Grundvermögen und von der Zusammenwirkung der Triebe. Als ein Vorbild klarer philosophischer Darlegung wurde von Vertretern der verschiedensten philosophischen und religiösen Richtungen seine Directorrede über „Die Freiheit des Willens“ (Darmstadt 1894) anerkannt. In seinem zweiten Hauptwerk: „Lehrbuch der darstellenden Geometrie“ (2 Bände, Leipzig 1884 und 1887) hat er die Errungenschaften seiner langjährigen Lehrthätigkeit niedergelegt und eine Menge schöner in echt geometrischem Geiste geführter Untersuchungen hinein verwoben. Von seinem wichtigsten Werk physikalischen Inhalts „Die Helligkeit des klaren Himmels und die Beleuchtung durch Sonne, Himmel und Rückstrahlung“ hat er den Druck nicht mehr erlebt, es wird dieser in den „Nova acta“ der Leopoldinischen Akademie erfolgen. Die großen Schwierigkeiten, die sich hier der Behandlung des Stoffs entgegenstellten, hat er durch eine neue gemischte Methode überwunden, indem er bald rechnend, bald zeichnend verfährt. – Man vergleiche: „Zur Erinnerung an Dr. Christian Wiener“, Leopoldina 1896 Nr. 10 u. 11. Dort findet sich auch ein Verzeichniß sämmtlicher wissenschaftlichen Veröffentlichungen Wiener’s.


[790] *) Zu S. 420.