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ADB:Wernick, Fritz

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Artikel „Wernick, Fritz“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 42 (1897), S. 87–90, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wernick,_Fritz&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 17:57 Uhr UTC)
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Band 42 (1897), S. 87–90 (Quelle).
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Wernick: Fritz W., Reiseschriftsteller, wurde am 13. September 1823 zu Elbing geboren. Er mußte dem elterlichen Willen folgen und des Vaters Gewerbe, die Hutmacherei, erlernen. Nachdem er dies 1839–43 zu Liegnitz erledigt hatte, arbeitete er in Geschäften zu Wien, Paris und Berlin und trat dann daheim in die Fabrik ein. Die Bewegung vom Jahre 1848, die ihn zum Antheil am politischen Leben des Geburtsortes veranlaßte, dazu der Umgang mit Männern wie Friedrich Kreyßig, dem Litterarhistoriker, und Max von Forckenbeck riefen in dem jungen Gewerbtreibenden den Sinn für alle die Bildungsinteressen, die er infolge jenes Zwanges seit der Schulzeit hatte hintansetzen müssen, wieder wach. Mit doppeltem Eifer holte er durch Selbststudium das Versäumte nach, übergab dann, nachdem er sich durch nachdrückliche kaufmännische Emsigkeit die erforderliche finanzielle Unterlage gesichert hatte, die ererbte Firma einem Vetter (endgültig 1867) und verleugnete fürder sogar den ehemaligen Hutmacher so gänzlich, daß man nach seinen eigenen stets etwas abgebrauchten Hüten gewiß keinen geschulten Fachmann vermuthet hätte. Auch sonst stellte er sich allmählich völlig unabhängig und wirkte seit 1867, getreu seiner Ueberzeugung, an dem führenden liberalen Preßorgan seiner Heimathsprovinz, der „Danziger Zeitung“, mit. Mit herzlicher Neigung für intime Localhistorie und einem entsprechenden Griffel, um Geschautes und Erforschtes festzuhalten, begabt, veröffentlichte er 1865 ein „Elbinger Wanderbuch, ein illustrirter Führer durch Elbing und seine Umgebungen“. „Das kleine Handbuch“ beabsichtigte bescheiden, „die Eindrücke und Erfahrungen, die auf vielfachen Wanderungen und Ausflügen durch die Umgegend Elbings während einer langen Reihe von Jahren erworben wurden, einheimischen und fremden Naturfreunden mitzutheilen“. Die in den „knappen historischen Notizen“ enthaltene „Fülle interessanter Daten und Vorgänge“ deutet die Wichtigkeit des noch fehlenden Geschichtswerks über Elbing an; W. weist auf das interessante Material bei Fuchs, Beschreibung von Elbing, u. a. hin, zu dessen Bearbeitung „eine kundige und geschickte Hand“ nöthig sei. Wie schon hier das geschichtliche und landschaftliche Moment die Rubriken „Statistisches“ und selbst „Fremdenführer durch die Stadt“ stark im Hintergrunde läßt und kleines illustratives Beiwerk verwerthet, so zieht „Danzig. Ein Führer durch die Stadt und ihre Umgegend“ (1873) letzteres noch plastischer heran und „hauptsächlich bietet sich das kleine Buch als Führer durch die Umgegend an. So interessant und sehenswerth die Stadt auch sein mag, so ist es doch zumeist ihre landschaftliche Umgebung, die an den nordischen Küsten nicht ihres Gleichen findet, welcher die [88] Besucher Danzigs sich zuwenden“. Aeußerlich gibt sich das Buch als „einfachen Fremdenführer“ und legt da namentlich auf die architektonische Seite Gewicht. Am Schlusse des Vorworts zu beiden Büchern erklärt sich W. zufrieden, wenn der Führer seinen Lesern einen Theil der Genüsse vermittelt, die er selbst in dieser „herrlichen Natur“ durchkosten durfte. 1888 behandelte sein Buch „Elbing“ als Nr. 3 der „Nordostdeutschen Städte und Landschaften“ das Thema seines schriftstellerischen Debuts, nachdem 1869 sein „Elbinger Wanderbuch“ eine „veränderte Auflage“ des letzteren, 1873 und 1877 erweiterte Revisionen des Danziger Führers das zweitgenannte Buch erneuert hatten.

Berührt es bei solchem Drange wundersam, daß es fürder W. zu regelmäßigem Schweifen durch schöne oder seltsame Lande in die Ferne trieb? Neben einer umfänglichen Lectüre in guten Sachen alter, neuer, neuester Herkunft erkannte er in verständnißvollem Reisen das bildendste Moment der Gegenwart. So hat er besonders Italien und zwar wiederholt mit verstärkendem und ergänzendem Besichtigen bis zum südlichsten Winkel durchstreift, ist auf der hesperischen Halbinsel von einem merkwürdigen Flecke zum andern gewandert, hat England und Frankreich genau, nicht etwa mit dem Operngucker des flüchtigen Bädeker-Touristen, unter die Lupe genommen, sich Europas Osten, Rußland sowol wie die Balkanländer ordentlich angeschaut, endlich die Vereinigten Staaten bei Anlaß der Philadelphiaer Weltausstellung – vergleiche seine Schrift „Paris und die Weltausstellung 1878“ (Haus u. Reisebibliothek Bd. I) –, achtsam und offenen Blicks. Von all diesen Spaziergängen spendeten ungenirte frische Niederschläge im Feuilleton verschiedener Tagesblätter Anderen die Möglichkeit, im Geiste ihn zu begleiten und sich nach all den anschaulich geschilderten Plätzen zu versetzen. Die daraus erwachsenen Bücher enthalten nämlich nicht etwa kahle und kalte Beschreibungen, sondern farbenvolle Volks- und Lebensgemälde, ohne falschen Firniß zwar, aber mit schlagenden Beobachtungen verbrämt; es sind: „Sommerfrischen. Eine Wanderung zu den schönsten und beliebtesten gastlichen Stätten in den deutschen Bergen“ (1875), „Olympia und seine Alterthümer. Eine Osterfahrt in den Peloponnes“, das nett die imponirende Gewalt aller großen Kunst abspiegelt, ohne sich antiquarische Belehrung anzumaßen, „Reisebilder aus Südfrankreich“ (1879, 2. Aufl. 1888), mit Woldemar Kaden zusammen „Nach dem Süden. Wanderungen durch die Schweiz und die Riviera“ (1882) und endlich die fünfbändige Folge „Städtebilder“, 1879–80 gesammelt, Wernick’s in jedem Betracht erheblichste Leistung. Die bedeutendsten Metropolen, die anerkannten Verkehrs- und Culturcentralen treten innerhalb dieser Bände vor unser Auge, und zwar stehen die erstgewonnenen Eindrücke, als die Mehrzahl jener rasch sich umwandelnden Städte von ihrem gegenwärtigen Wesen mannichfach abwichen, neben solchen von jüngeren Besuchen. Diese „schnellskizzirten Augenblicksbilder“ wollen „treu, wahr, anschaulich“ sein. Sie dürften jedoch leicht höheren Anspruch erheben; denn diese ernst gemeinten, sorgfältig angelegten, sauber ausgeführten Reisestudien verrathen den Stift eines berufenen Schilderers, der es für unredlich und zwecklos halten würde, bloße Abschnitzel aus der Briefmappe aneinanderzukleben. Und gerade die Beschäftigung mit dem Aeußeren und Inneren halbverflossener Perioden nebst den unaufdringlichen Parallelen mit den bis heute daraus entwickelten Verhältnissen verleihen dem Ganzen das Gepräge culturgeschichtlicher Bedeutsamkeit. Ein feiner Stift vergegenwärtigt alles Architektonische, dringt aber auch in die Geheimnisse der Völkerpsychologie ein, so daß diese kundigen und anmuthenden Darstellungen thurmhoch über den landesüblichen oberflächlichen Touristenerinnerungen und mit an der Spitze der modernen Reiselitteratur belletristischen Schlags stehen. Die Physiognomie der besuchten Großstädte und [89] Provinzen wird künstlerisch reproducirt und der Charakter aus allerlei sorgfältigen Einzelmerkmalen herausdestillirt. Obschon er bei dem letzteren oft als Forscher, bisweilen wie ein methodischer Historiker verfährt, treten der Weltmann und der naiv genießende Freund des Imposanten und Interessanten nirgends in den Hintergrund. Demgemäß und im Absehen auf das erwartete breitere Lesepublicum ist die Schreibweise, Wernick’s ganzer Art getreu, plauderhaft im guten Sinne, dabei nie seicht und schönrednerisch. Das ist schon deshalb ausgeschlossen, weil W. bei dem factisch-ästhetischen Anreize der Städte, ihrem Baustile und Verwandtem, dem Grade des Kunstsinns und dem geistigen Treiben überhaupt, stets mit warmer Vorliebe verweilt. Diese eben ist nur ein Stück seines schönen Enthusiasmus, der seine Skizzen immer durchweht und unmerklich auf den Leser übergeht. Daher erwarb sich die Serie Beifall und Antheil, ist freilich jetzt nach Ungebühr wenig bekannt, gelesen, berücksichtigt.

Und so ist auch Wernick’s litterarischer Gesammterscheinung nicht ihr Recht geworden. Bloß Eingeweihte und Engbefreundete nahmen W. ganz ernst. Das genannte Werkchen über Olympia, das dessen eindringlicher Schilderung eine der romantisch gestimmten Hinreise voraus- und allenthalben umschauende „Wanderungen im Peloponnes“ nachschickt, sehen die Zunft-Archäologen über die Achsel an, und zu dem kurzen gehaltvollen Hefte über „das Kunstgewerbe auf den Ausstellungen zu Mailand und Stuttgart“ (1882), Nr. 5 der allerdings nicht von Akademikern getauften „Sammlung (12) kunstgewerblicher und kunsthistorischer Vorträge“ über „Die Kunst im Hause“ (1881–86), dem ein eingehender „Führer durch die Kunst-Gewerbe-Ausstellung zu Leipzig 1879“ vorausgegangen war, mögen die Herren vom ‚Bau‘ sich ähnlich verhalten haben; und doch entpuppt er sich als ein gründlicher Kenner und selbständiger Beurtheiler dieses jungen Sonderfachs.

Das rührte W. freilich wenig. Seit Jahrzehnten war er gewohnt, seine eigene Straße zu ziehen und sich seine Weg- und Strebeziele vorzustecken. Als abgerundete Persönlichkeit, die sich nicht um Etikettenschablone kümmerte und nach dem à la mode-Tone nichts fragte, kannten ihn seine Bekannten auch auf dem Pflaster der Weltstadt Berlin, wo er so häufig, vor oder nach dem Ausfluge Station gemacht hat. Das derbe, kraftvolle Wesen mit seinem nicht eben abgezirkelten Ausdrucke machte den stattlichen Mann, der „noch im Alter höchst anschnlich mit seinem prachtvollen weißen Vollbart und der hochgewölbten flammenden Stirn“ war, zu einer wahrhaft individuellen Gestalt. Prüde war er nie und nimmer, er, der nie einem weiblichen Wesen näher getreten. Aber gerade seine Geradheit und Schlichtheit, gepaart mit einer seltenen Aufnahmefähigkeit für alle bewegenden Ideen der Zeit ließen ihn eine stets gern begrüßte Erscheinung in Gelehrten-, Künstler- u. a. Kreisen sein. Das freute ihn, der sich so gar nicht hervor- und herandrängte, innig, wie er aufrichtig befriedigt war, wenn einmal sein Eingreifen, unternommen auf Grund sachlicher Ueberzeugung, Positives gestiftet hatte. Beispielsweise als er 1855 Heinrich Laube mittelbar aufmerksam gemacht hatte, daß in Elbing „ein junges Mädchen Komödie spiele, so geistvoll und reizend, wie er es auf seiner Reise durch ganz Deutschland nicht wieder gefunden“, die daraufhin sofort nach Wien auf die erste Staffel ihrer Triumphe engagirte Friederike Goßmann. Immer wieder nach den bis in die Sechziger ausgedehnten Streifzügen in der Heimathsstadt landend, wo er bei Verwandten ausspannte, ordnete und ausarbeitete, ist er dort, schon auf der 1890er Reise durch schwere Erkrankung zu früher Rückkehr gezwungen, am 2. September 1891 gestorben.

Kurze äußerliche Lebensabrisse in Bornmüller’s Schriftsteller-Lex. S. 761 f. und Meyer’s Konversationslexikon4 XVII, 826 f. Sehr hübsches Gedenkblatt, [90] das der Originalität nach persönlicher Kenntniß gerecht wird, von P(aul) S(chlenther), 37. Sonntagsbeilage zur Vossischen Zeitung 1891 (13. Septbr.), mit einigen kleinen, unwesentlichen Irrthümern. Lehrreich die hinter den einzelnen Bänden der „Städtebilder“ abgedruckten Stimmen der Presse, deren lauteste die der „Schlesischen Zeitung“ 1878, Nr. 838 ist. Der Ursprung des Engagements der Goßmann bei H. Laube, Das Burgtheater. Ein Beitrag zur deutschen Theatergeschichte, S. 300 u. 303, angedeutet auch von Schlenther.