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ADB:Walser, Gabriel

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Artikel „Walser, Gabriel“ von Johannes Dierauer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 41 (1896), S. 16–18, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Walser,_Gabriel&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 06:16 Uhr UTC)
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Walser: Gabriel W., schweizerischer reform. Geistlicher, Chronist und Geograph, geboren am 18. Mai 1695 (a. St.) in Wolfhalden, Kt. Appenzell, † am 10. Mai 1776 in Berneck, Kt. St. Gallen. Er gehörte einer appenzell-außerrodischen Pfarrfamilie an, die dem Lande während mehrerer Generationen Seelsorger lieferte. Schon sein Großvater, Konrad W. von Trogen, war Pfarrer in Teufen; sein Vater, Gabriel W., stand 52 Jahre lang theils ebendort, theils in Wolfhalden, im Amte und wurde 1699 Decan der appenzellischen Geistlichkeit. Den ersten Unterricht erhielt er von seinem Vater im Pfarrhause zu Wolfhalden. Mit 17 Jahren bezog er die Universität, studirte zwei Jahre in Basel, dann bei ziemlich unstätem, akademischem Wanderleben in Marburg, Tübingen, Jena und Halle, legte 1717 in Basel die theologische Prüfung ab und blieb hierauf einige Jahre als Candidat im väterlichen Hause, bis ihn die Gemeinde Speicher am 5. März 1721 zu ihrem Pfarrer wählte. Seine theologische Bildung ging nicht in die Tiefe, aber er entfaltete doch eine nachhaltige Wirksamkeit. Er huldigte einem einfach frommen Rationalismus, knüpfte mit Vorliebe religiöse Betrachtungen an die Werke der Natur und suchte das Volk durch das Beispiel einer toleranten Gesinnung und einer hingebenden praktischen Thätigkeit zu fördern. Mit Eifer nahm er sich des Schulwesens an, und ganz besondere Sorgfalt widmete er den Geisteskranken; es verdient hervorgehoben zu [17] werden, daß er ihnen gegenüber die Anwendung von Zwangsmaßregeln verwarf und als beste Heilmittel schonende Behandlung, Zerstreuung und leichte Arbeit empfahl. Nicht ohne Leidenschaft stürzte er sich in den „Landhandel“, der 1732 über Gegensätzen politischer und persönlicher Natur zwischen den von der Familie Wetter in Herisau geleiteten „harten“ und den an die Zellweger in Trogen sich anschließenden „linden“ Gemeinden ausbrach und beinahe zum Bürgerkriege führte. Er trat in Verbindung mit den intervenirenden Eidgenossen, berührte die Wirren auf der Kanzel, ließ sich zur Beschimpfung der Gegner hinreißen etc. und wurde von der überlegenen Partei der Harten für diese Vergehen zu einer scharfen Geldbuße verurtheilt, die ihn um so empfindlicher treffen mußte, als seine ökonomischen Verhältnisse infolge des geringen Einkommens und des Aufwandes seiner Frau, einer gebornen Zollikofer aus St. Gallen, ohnehin gedrückt waren. Diese Erfahrungen und die unerquickliche äußere Lage mögen ihn bestimmt haben, am 31. October 1745 die Pfarrstelle in Berneck zu übernehmen. Dort verblieb er in ruhiger amtlicher und litterarischer Thätigkeit bis an sein Ende. Sein einziger Sohn starb vor ihm in holländischen Diensten. Das Walser’sche Pastorengeschlecht wurde durch seinen älteren Bruder, Konrad († 1748 als Pfarrer in Herisau), fortgepflanzt.

Schon in Speicher fühlte W. das Bedürfniß, sich litterarisch zu beschäftigen. Für die Jahre 1738–1745 schrieb er einen Kalender („Alter und neuer Appenzeller Schreib-Calender“), in dem er durch verständige Besprechung der Naturerscheinungen, durch Vorführung geschichtlicher Gegenstände und durch moralisirende Erzählungen auf das Volk zu wirken suchte. Inzwischen sammelte er in Archiven und Bibliotheken, in gedruckten und ungedruckten Werken die Materialien zu einer umfangreicheren historischen Arbeit, die 1740 in seinem eigenen Verlage unter dem Titel: „Neue Appenzeller-Chronick oder Beschreibung des Cantons Appenzell der Innern- und Außern-Rooden“ erschien. Das den reformirten Orten der Eidgenossenschaft gewidmete Werk zerfiel in einen geographischen und einen historischen Theil. In jenem entwarf der durch zahlreiche Wanderungen wohlberufene Autor ein Bild von der „natürlichen Beschaffenheit und Regimentsverfassung“ des Landes, sowie der einzelnen Gemeinden; in diesem stellte er die Landesgeschichte in chronologischer Anordnung von der römischen Zeit bis auf seine Tage dar. Dem stattlichen Bande war ein Anhang mit Urkunden aus den Jahren 1378 bis 1667 und mit Beamtenverzeichnissen beigefügt. W. wurde zu seinem Unternehmen durch die bis 1682 reichende, nicht eben zuverlässige „Appenzeller Chronik“ des Pfarrers Bartholomäus Bischoffberger in Trogen angeregt und beabsichtigte, „eine ganz neue, grundlich und unpartheyische, kurz gefaßte vaterländische Historie“ zu schreiben. Doch war seine Arbeit mehr nur eine Erweiterung und Fortsetzung, als eine wirkliche Verbesserung jenes älteren Werkes. Ohne den Zusammenhang der Dinge zu erfassen und ohne die ursprünglichen Quellen von spätern Ausschmückungen zu unterscheiden, reihte er die verschiedenartigsten Berichte kritiklos aneinander, sodaß z. B. seine Darstellung der appenzellischen Befreiungskriege völlig verfehlt ist und fast nur sagengeschichtlichen Werth besitzt. Dagegen bietet das Werk besonders für das 17. und das beginnende 18. Jahrhundert eine Fülle willkommener, mit großem Fleiß zusammengetragener Notizen, die ihm eine bleibende localgeschichtliche Bedeutung sichern. Mit dem Frühjahr 1732 mußte W. seine Chronik (von der ein Sprachlehrer Jos. Lukas Dub in Ebnat, Kt. St. Gallen, 1825 und 1828 eine neue, werthlose Bearbeitung in 2 Bänden herausgegeben hat) abbrechen, um nicht durch die Beschreibung des unheilvollen Landhandels neuerdings die Leidenschaften zu erregen. Erst lange nach seinem Tode wurde [18] in Trogen (1829) die über die Jahre 1732–1772 sich verbreitende Fortsetzung als dritter Theil der Appenzeller Chronik publicirt, dem dann der um die appenzellische Landeskunde höchst verdiente Dr. Gabriel Rüsch noch einen vierten, die Jahre 1772–1798 umfassenden Theil (Trogen 1831) folgen ließ. – Früh widmete sich W. auch geographischen Arbeiten. Für seine Chronik zeichnete er eine kleine Karte des Landes Appenzell, die zwar in primitiver Form nach Art eines Panoramas angelegt war, ihm aber doch einen gewissen Ruf verschaffte, sodaß ihm auswärtige Institute, wie das Seutter’sche in Augsburg und das Homann’sche in Nürnberg kartographische Arbeiten übertrugen. Für Seutter lieferte er die Kantone Luzern, Uri, Schwyz, Glarus, Appenzell und Graubünden. Nach zahlreichen Reisen, die sich über die östliche und mittlere Schweiz und über Rätien erstreckten, resumirte er seine Beobachtungen in dem „Atlas novus Reipublicae Helveticae XX mappis compositus, Homannianis heredibus. Norimbergae 1769“, fol. Unter Benutzung älterer Karten von Joh. Jak. Scheuchzer, Hans Konrad Gyger, Daniel Bruckner etc. zeichnete er in den Jahren 1763 bis 1768 15 Blätter für diesen Atlas, nämlich die 13 Kantone mit Ausnahme Schaffhausens, die fürstlich St. Gallischen Lande, Graubünden und Wallis. Sie beruhten nicht auf eigentlichen Vermessungen, sondern größtentheils auf bloßen Schätzungen und touristischen Wahrnehmungen, lassen aber immerhin sowol in der Richtigkeit der Anlage als in der Darstellung einen kleinen Fortschritt gegenüber den Scheuchzer’schen Karten aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts erkennen, und das ganze Werk erfreute sich einer großen Verbreitung. „Zur Erläuterung der Homannischen Charten“, schrieb W. eine „Schweitzer-Geographie samt den Merkwürdigkeiten in den Alpen und hohen Bergen“, die 1770 in Zürich, gleichzeitig in Octavform und, als Beigabe für den Atlas, in einer Folioausgabe erschien. W. bezeichnet dieses Werk als ein Compendium der großen Staats- und Erdbeschreibung der Eidgenossenschaft von Joh. Konrad Fäsi (s. A. D. B. VI, 578). Doch hat das 5. Capitel: „Von den Merkwürdigkeiten in den Schweitzer-Alpen und hohen Bergen“, soweit es auf seinen persönlichen Erfahrungen beruht, einen selbständigen Werth; im übrigen schließt er sich an Scheuchzer und besonders an Gottlieb Siegmund Gruner (s. A. D. B. X, 40) an. Für den zweiten Band des 1760 erschienenen Gruner’schen Werkes über die Eisgebirge des Schweizerlandes hatte er die Prospecte des „Gletschers auf Bernina“ und des „Gletschers auf dem hohen Säntis“ gezeichnet.

Die wichtigsten Lebensdaten geben die Aufzeichnungen in einem Archivband (Familienbuch) der evangelischen Gemeinde Berneck. – Biographisches über Walser findet sich im Appenzellischen Monatsblatt, 2. Jahrgang 1826, Nr. 8 u. 9 (von Pfarrer Bänziger in Trogen); bei B. Tanner, Speicher im Kanton Appenzell (Trogen 1853), und in den Appenzellischen Jahrbüchern 1854. Im 7. Heft der 3. Folge dieser Jahrbücher (Trogen 1895) sind einige seiner Briefe an Abt Joseph von St. Gallen und an den Stiftsbibliothekar Zeller durch K. Ritter mitgetheilt. – Ueber seine historischen und geographischen Arbeiten vgl. G. v. Wyß. Geschichte der Historiographie in der Schweiz (Zürich 1895). – B. Studer, Geschichte der physischen Geographie der Schweiz (Bern und Zürich 1863). – Rud. Wolf, Geschichte der Vermessungen in der Schweiz (Zürich 1879).