ADB:Wülknitz, August von
[297] und wurde vier Jahre später Regierungsrath; er erhielt im J. 1736 die Führung des Protokolls im geheimen Rathscollegium, mit dem Charakter als Geheimer Regierungsrath. Unter dem 7. Mai 1739 wurde er zum Geheimen Rath und 1745 zum Regierungspräsidenten in Kassel ernannt. Die vom Jahre 1766 an vorhandenen hessischen Staatskalender führen ihn an der Spitze des Hof-Etats als Staatsminister mit dem Titel Excellenz. Lange Jahre weilte er ale hessen-kasselscher Reichstagsgesandter zu Regensburg und tritt in dieser Stellung mehrfach hervor.
Wülknitz: August Ludwig von W. (Wilcknitz, Wülckenitz, Wülkenitz. Wülcknitz) wurde geboren im J. 1695 als drittältester Sohn des fürstl. Köthenschen Geheimraths, Kammerdirectors und Hofmarschalls Karl Heinrich v. W. und der Johanna Sophie v. Hake, einer Tochter des anhaltischen Regierungskanzlers Heinrich v. Hake. Seine älteren Brüder waren: Lebrecht Heinrich (geb. 1690), Karl Friedrich (1693), seine jüngeren Brüder: Leopold Wilhelm (1697), Leopold Philipp Heinrich (1699), Kurt Ferdinand, welcher jung starb, und Eberhard Gustav (1706). Das Geschlecht, welches einen wagrechten Eschenzweig mit drei nach oben gerichteten grünen Blättern in silbernem Felde als Wappen führt, galt als eines der ältesten und angesehensten in Anhalt und soll sich nach einem ältesten Ansitz Wolgknitz genannt haben; ein Dorf Groß- und Klein- Wülcknitz liegt in Anhalt, P. Köthen. Nachdem der Vater August’s schon im J. 1693 alle seine Aemter niedergelegt hatte, zog er sich auf sein Gut Reinsdorf zurück, wo auch August geboren zu sein scheint. Die Familie besaß Beziehungen zu dem landgräflichen Hofe in Kassel; ein Oheim August’s, Ludwig Wilhelm war dort Kammerjunker gewesen († 1686) und der älteste Bruder bekleidete daselbst seit dem Jahre 1715 die Stelle eines Regierungsraths. Es lag deshalb nahe, auch August dort unterzubringen. Nachdem er einige Jahre in Kassel das Collegium Carolinum besucht hatte, erwarb er im J. 1723 die juristische Doctorwürde; die Dissertation, welche er am 8. April unter dem Vorsitz des Lic. med. Johann Karl Wagner vertheidigte, hat den Titel „De violenta defensione“, angehängt sind derselben Widmungen seiner Lehrer Cornelius Gössel und Karl Rudolph Tassius, sowie seines Freundes und Opponenten Victor August v. Einsidel. Im J. 1722 kam v. W. als Assessor zur Regierung nach MarburgIm September des Jahres 1754 hatte Landgraf Wilhelm VIII. von Hessen die Kunde erhalten, daß der Thronfolger und spätere Landgraf Friedrich II. schon 1749 insgeheim zum Katholicismus übergetreten sei; die „Assecurationsacte“ sollte den Folgen dieses Uebertrittes begegnen und zur Sicherheit unter den Schutz des evangelischen Körpers gestellt werden. Es wurde indeß laut, daß die Gesandten von Köln, Mainz, Baiern und der Pfalz diese Garantieübernahme zu hintertreiben suchten. Landgraf Wilhelm ließ deshalb durch W. diesem Complott nachspüren und der letztere konnte feststellen, daß die genannten Höfe jedenfalls eine Beschlußfassung des evangelischen Körpers zu verzögern trachteten, ein gefügiges Werkzeug für diesen Plan hätten sie an dem gothaischen Gesandten v. Montmartin gefunden, welcher durch verschiedene Mittel das Conclusum hinauszuschieben suchte. Die begonnenen Intriguen fanden jedoch bald ein Ende, da am 18. December 1754 von den evangelischen Reichsständen durch einstimmigen Beschluß die Gewähr der Acte übernommen wurde. Einwände gegen diese Acte sowie die Frage der Rechtsgültigkeit der von dem Erbprinzen ausgestellten Reversalien wurden sofort von katholischer Seite aus erhoben, so u. a. auch durch eine Reihe von Streitschriften; als Verfasser der ersten schon im Januar angekündigten und im März 1755 erschienenen ermittelte v. W. den Gesandten des schwäbischen Grafencollegs in Regensburg, v. Emmerich. Auch der Erbprinz selbst scheint von vornherein Schritte gegen den Versicherungsbrief unternommen zu haben, denn es kann nach den Darlegungen Brunner’s als sicher gelten, daß er auf Betreiben Frankreichs und Kurkölns im Sommer 1755 während seines Aufenthaltes zu Hamburg einen geheimen Protest gegen die Acte unterzeichnet hat. Von Wichtigkeit konnte derselbe erst werden, wenn Landgraf Wilhelm starb und für diesen Fall trafen die ebengenannten Höfe frühzeitig ihre Maßnahmen. So erhielt der französische Gesandte in Köln. Graf Kervasio, seine Instruction, welche die Ungesetzlichkeit der Assecurationsacte betont; sobald Friedrich II. die Regierung angetreten, müsse der Protest des neuen Landgrafen dem Minister Baron v. Wülkenitz in Regensburg übersandt und durch diesen in der im Reiche üblichen Weise zur Dictatur gebracht werden. Von hohem Werthe für die Beurtheilung des Charakters Wülknitz’ erscheint eine Stelle dieser Instruction, welche von vornherein die Möglichkeit in Rechnung zieht, daß W. sich weigern würde, den Protest zur Dictatur zu bringen. In diesem Falle solle er abberufen und ein anderer gefügiger hingeschickt, oder aber die hessische Stimme inzwischen dem württembergischen Gesandten v. Rothkirch übertragen werden. Zum Glück trat das von den Feinden des Protestantismus so sehr gewünschte Ereigniß, der Tod des Landgrafen Wilhelm VIII. noch nicht so bald ein und die Maßnahmen zum Sturz der Assecurationsacte kamen nicht zur Ausführung. Auch in der Folge vertrat W. die ptotestantisch-preußische Politik des hessischen Hofes auf das nachdrücklichste, wie sich das namentlich aus seiner Correspondenz mit dem Freiherrn Friedrich August v. Hardenberg ergibt. Hardenberg, welcher im Jahre 1756 als Minister in hessische Dienste getreten war, stand in freundschaftlichen Beziehungen zu W., beide suchten den Grund des drohenden Krieges in dem Kampf [298] von Katholicismus und Protestantismus um die Vorherrschaft in Deutschland. Durch Briefe Wülknitz’ und seines Schwagers v. Gemmingen hatte Hardenberg eine klare Einsicht darüber erlangt, mit welcher Emsigkeit und Schlauheit Graf Kaunitz ein förmliches Netz um die kleinen deutschen Fürsten am Reichstage gesponnen, ja selbst viele der evangelischen Prinzen dahin gebracht hatte, unbedingt der österreichischen Leitung zu folgen. Hessen, durch W. stets genau orientirt, meldete alle Symptome hiervon voller Besorgniß nach Berlin und Hannover. Am 10. Januar 1757 wurde am Reichstag abgestimmt: Ob fremden Truppen der Einmarsch in das Reich zu gestatten sei. Vornehmlich die geistlichen Fürsten verwarfen, wie W. nach Kassel am 24. Januar berichtet, alle friedfertigen Vorschläge und setzten am 17. Januar auf die bekannte tumultuarische Weise die Kriegserklärung gegen Preußen durch; Hessen-Kassel, Gotha, Weimar, Hannover und Württemberg hatten ihre Stimme gegen den Reichskrieg abgegeben. Außer dem hessischen hatte W. bisher auch das ansbachische Votum gehabt, doch war ihm letzteres am 9. Januar abgenommen und dem Baron Seyfried übertragen worden. Mittlerweile war auch die Meldung eingetroffen, daß die Franzosen in einer Stärke von 100 000 Mann sich in der Nähe von Coblenz zeigten. W. hatte zwar schon seit Jahren mit aufmerksamem Auge die gegen den Protestantismus und den Bestand Preußens gerichteten Ränke verfolgt, wie richtig er aber unter den jetzigen Umständen die antideutsche Politik Oesterreichs, die zwischen dem Kaiser, Frankreich und Rußland abgeschlossenen, zur Zeit ans Licht getretenen Verträge beurtheilte, beweist die vernichtende Kritik, die er in dieser Beziehung in einem Briefe an Hardenberg (4. Mai) ausspricht. „Gott steh uns bei, so schreibt er, und wolle alle die Anschläge zu nichte machen der vereinigten Belleisles, Kaunitz, Bestuscheff und des Beelzebubs!“ Und dieses Urtheil war zu wohl begründet. „Alle irgend billig denkenden Stände werden die Sache richtig würdigen lernen, wenn in dem Actenstück, welches vom hessischen Hofe beim Reichstage das Verfahren des kaiserlichen Hofes gegen die Alliirten darlegen soll, dem Publicum bekannt gemacht wird, daß bei dem Operationsplan zwischen der Kaiserin und Frankreich schon im März vorigen Jahres die feindliche Ueberziehung von Hessen mit Einwilligung des kaiserlichen Hofes beschlossen worden ist“ (Brief an Hardenberg d. 11. Juli 1758). Als Landgraf Friedrich II. im Februar 1760 zur Regierung kam, war derselbe klug genug, seinem Gesandten in Regensburg das frühere pflichtmäßige Verhalten im Dienste seines Vaters, die Theilnahme an der Bekämpfung der katholischen Bestrebungen nicht entgelten zu lassen, und beließ W. in seiner Stellung, zumal er sich auch in einem wichtigen Punkte, der ihn jetzt lebhaft beschäftigte, eines Sinnes mit seinem Gesandten wußte. In der mehrfach erwähnten Assecurationsacte war u. a. auch die Cession der Grafschaft Hanau an die Landgräfin und ihre Söhne zu gesondertem Besitz vorgesehen und W. gehörte mit manchen andern Berathern der Krone zu denen, welche die Aufnahme dieser auch staatsrechtlich nicht unanfechtbaren Verfügung in das Assecurationswerk bedauerten und bereit waren, auf eine Abänderung dieser Disposition hinzuarbeiten. W. bezeichnet in einem Schreiben an den Oberappellationspräsidenten v. Canngießer (17. März 1762) die Cession als ein unschickliches und exorbitantes Expediens; „die Folgen werden es noch mehr zeigen, daß Hanau das hessische Schottland werden wird, wohin sich alle Mißvergnügten flüchten“. Nach seinem Regierungsantritt hatte nun der Landgraf sich bestrebt, eine Abänderung jener Disposition durch Vermittlung Preußens und Englands zu erlangen, die Angelegenheit wurde jedoch von beiden Mächten, welche die 20 000 Hessen nicht entbehren konnten, in unglaublicher Weise zwei Jahre lang verschleppt, indem z. B. Knyphausen die directe Weisung hatte, den Landgrafen hinzuhalten (amuser seulement Mgr. [299] le Landgrave à fin de gagner tems), und Friedrich befahl deshalb (26. März 1762) W., die Beschwerdeschrift wegen rechtswidriger Entziehung der Grafschaft Hanau dem Reichstag zu übergeben, zugleich aber suchte er auch in Wien und Paris sich Bundesgenossen zu werben. Mit großer Sorge sprach sich W. über die Hessen aus dem Vorgehen seines Fürsten erwachsenden Gefahren aus. „Ich zittere“, schrieb er in dem schon angeführten Brief vom 17. März an Canngießer, „wenn die Sache an den Reichstag kommt, der kaiserliche Hof wird mit beiden Händen zugreifen, entweder die Sache als eine Lockspeise betrachten, um den Landgrafen in andere Pläne hineinzuziehen, oder er wird auf den Vortheil für die katholische Religion oder die kaiserliche Autorität sehen, die ganze Assecurationsacte zu annulliren suchen“ u. s. w. Zum Glück für Hessen entsprach der Verlauf, welchen der Proceß nahm, nicht ganz den Befürchtungen Wülknitz’, obgleich es der eifrig katholischen Partei nicht an dem guten Willen fehlte, ihn völlig in dies Gleis zu lenken.
W. blieb unvermählt und starb in seinem Gesandtenposten am 17. September 1768 plötzlich an einem Schlaganfall zu Ried unweit Neuburg in der Oberpfalz, wo er sich zur Jagd aufhielt und eben mit verschiedenen Gästen zu Mittag gespeist hatte. Seine Leiche wurde nach Regensburg gebracht und dort beigesetzt, eine Leichenpredigt findet sich in der v. Meusebach’schen Sammlung im Hardenbergischen Besitz zu Ober-Wiederstedt, wo vermuthlich auch die mehrfach angezogene Correspondenz Wülknitz’ mit Friedrich August v. Hardenberg aufbewahrt wird. Ein Neffe Wülknitz’, Konrad Friedrich Ludwig wurde sein Nachfolger in Regensburg.
- Strieder, Grundlage zu einer Hess. Gelehrtengeschichte, Bd. 7, S. 277 (daselbst Geschlechtstafel) Cassel 1787. – Zedler, Großes Universallexikon, Bd. 59. Leipzig u. Halle 1749. – Hartwig, Der Uebertritt des Erbprinzen Friedrich etc. Cassel 1870. – Ein kleinstaatlicher Minister des 18. Jahrhunderts. Leben und Wirken Friedrich August’s, Freiherrn von Hardenberg. Leipzig 1877. – Brunner, Die Umtriebe Frankreichs und anderer Mächte zum Umsturze der Religionsverschreibung des Erbprinzen Friedrich etc. (in Zeitschr. f. hess. Gesch. N. F. Bd. 12). – Aug. Ludov. de Wülcknitz (Joh. Conr. Wagner), Diss. jurid. De violenta defensione. Cassel o. J. (1723).