ADB:Veltheim, Hans Graf von
August Ferdinand v. V., hannoverscher Berghauptmann, der unterm 6. Juli 1798 in den Grafenstand erhoben wurde (s. o. S. 585). Sein Vater Graf Werner stand, als Hans v. V. geboren ward, als Forstmeister in braunschweigischen Diensten; nach der Vertreibung des Herzogs Karl wurde er 1830 an die Spitze des Staatsministeriums berufen, dessen Seele jedoch der Geheimrath Wilhelm Frhr. v. Schleinitz (s. A. D. B. XXXI, 459 ff.) wurde, während ihm selbst zumeist die Repräsentationspflichten zufielen. Seine humane und vornehme Geschäftsführung fand allgemeine Anerkennung; 1848 trat er vom Staatsleben zurück, da sein ehrlich aristokratischer Sinn sich in die neue Zeit und ihre Forderungen nicht finden konnte. Auch im Hofdienste bekleidete er als Oberjägermeister eine äußerst angesehene Stellung. Er war drei Mal verheirathet. Die erste Frau, Wilhelmine v. Adelebsen, die er am 24. September 1810 geheirathet hatte, starb schon im folgenden Jahre. Er vermählte sich darauf am 10. December 1812 mit deren Schwester Adelheid Melusine, die als vierten Sohn unsern Hans gebar. Von dessen Brüdern starben der älteste und der jüngste bald nach ihrer Geburt, nur der zweite, Bernhard (geb. 1. Nov. 1814), erreichte ein höheres Alter. Früh verlor Hans seine Mutter; sie verschied am [588] 24. Februar 1823, und der Vater reichte darauf (3. Aug. 1824) Emilie v. Briesen die Hand, die noch drei Töchtern das Leben gab. Hans wurde mit seinem Bruder Bernhard anfangs durch Hauslehrer unterrichtet, seit dem Ende der zwanziger Jahre bis 1835 durch Eduard Völker, der später Pastor in Harbke wurde. Ostern 1833 kam er in die dritte Classe des Obergymnasiums in Braunschweig, rückte nach zwei Jahren in die erste Classe ein, ging dann aber nach einem Halbjahre (Michaelis 1835) auf das Collegium Carolinum über, das er zwei Jahre lang besuchte. Hier kam ihm die vielseitige Ausbildung, die diese Anstalt, ein Mittelding zwischen Gymnasium und Universität, damals gewährte, trefflich zu statten. Er trieb bei Petri, Emperius, Griepenkerl u. a. sehr ausgedehnte Studien in der alten classischen Litteratur, in Archäologie und Aesthetik, im Französischen, Italienischen und Englischen, in Völker- und Staatenkunde u. dergl. Außerdem hörte er auch Mineralogie bei dem damals noch außerordentlichen Professor Joh. Heinr. Blasius, mit dem er später eine enge Freundschaft schloß. Er erhielt bei seinem Abgange unterm 16. October 1837 ein vorzügliches Zeugniß, in dem nur seine mathematischen Kenntnisse sehr ungünstig beurtheilt wurden. Aus dieser Collegianerzeit wird auch die Bekanntschaft mit Ludw. Lemcke, dem späteren Professor der romanischen Philologie in Marburg und Gießen, herrühren, der bis Michaelis 1836 in Braunschweig war und dann nach Berlin ging. Dorthin folgte ihm V. ein Jahr später und hier traten beide Männer in sehr vertrauten Verkehr. V. bezog die Universität, um sich der Rechtswissenschaft zu widmen. Die Wahl dieses Studiums war mehr durch äußere Verhältnisse als durch innere Neigung veranlaßt worden. In Berlin hörte er zwar bei Savigny, aber in Göttingen, wohin er im Wintersemester 1839 auf 40 übersiedelte, weist sein Vorlesungsverzeichniß keinen Namen der juristischen Größen auf; er hatte hier nur bei dem Dr. Rothamel belegt, der mehr ein ‚Einpauker‘ als ein wissenschaftlicher Lehrer war. Als er Ostern 1841 von der Universität nach Braunschweig zurückkehrte, war ihm das gemeine Recht, insbesondere das Privatrecht noch ganz fremd geblieben; er ließ sich daher auf diesem Gebiete in der folgenden Zeit von dem damaligen Notar Dr. E. Trieps, dem späteren Geheimrathe (s. A. D. B.[WS 1] XXXVIII, 601 ff.), unterweisen. Im October d. J. meldete er sich zur juristischen Prüfung, die er am 19. März 1842 nur mit der Note „hinlänglich“ bestand. Unterm 20. April d. J. wurde er zum Auditor ernannt und zu weiterer Ausbildung dem Kreisgerichte zu Braunschweig überwiesen. Hier schloß er sich besonders an den damaligen Assessor Wilh. Bode an, dessen kräftiger, gemüthvoller Humor ihn ungemein ansprach. Während der Bureauzeit beschäftigte er sich meistens mit dem Entwerfen witziger Zeichnungen; seiner dienstlichen Thätigkeit selbst konnte er keinen Geschmack abgewinnen. Am 1. Mai 1843 ließ er sich auf ein Jahr Urlaub ertheilen und diesen darauf noch um ein Jahr verlängern. Dann wurde er auf seinen Wunsch im November 1845 zu den Sitzungen und Geschäften der herzoglichen Kammer zugelassen; aber auch hier scheint seine Thätigkeit keine regere geworden zu sein. Zu einer Anstellung hat er es im Staatsdienste niemals gebracht; ohne förmliche Entlassung scheint er stillschweigend aus ihm geschieden zu sein. Mitgewirkt wird bei dieser frühzeitigen Aufgabe der Beamtenlaufbahn auch der Umstand haben, daß er nach dem frühen Tode seines älteren Bruders Bernhard († Juni 1842) als sicherer Erbe des Majorats galt. Seine Beschäftigung auf herzoglicher Kammer sollte ihn dazu vorbereiten, ihn mit der Land- und Forstwirthschaft vertraut machen. Dem gleichen Zwecke diente ein längerer Aufenthalt in Süpplingenburg bei dem Amtmann Cleve und in Harzburg bei dem späteren Forstmeister Geitel, mit dem er bald sehr befreundet [589] wurde; der lebhafte Witz und die dichterische Begabung Geitel’s waren ihm äußerst sympathisch.
Veltheim: Hans Graf v. V., dramatischer Dichter, geboren zu Braunschweig am 19. Juli 1818, † 1854, stammte aus der Harbke’schen Linie des alten Adelsgeschlechtes der v. Veltheim. Sein Großvater war der bekannte MineralogeEbensowenig wie der Justiz- und Verwaltungsdienst sagte V. der Hofdienst zu, dem er sich als Sohn seines Vaters natürlich nicht entziehen konnte. Er wurde am 1. Januar 1843 zum Hofjunker, 1844 zum Kammerjunker, 1847 zum Kammerherrn ernannt. Veltheim’s Anlagen und Neigungen lagen auf ganz anderen Gebieten, wie auf denen, auf die ihn Geburt und äußere Umstände führten. Er konnte so zu einer befriedigenden Thätigkeit nirgends gelangen. Das brachte von vornherein einen Zwiespalt in sein Leben, der durch andere widrige Verhältnisse noch sehr erweitert werden sollte. V. hatte das Glück eines stillen, innigen Familienlebens von Jugend auf entbehrt; das mußte bei einer tiefen, innerlichen Natur, wie der seinen, eine schmerzlich empfundene Lücke zurücklassen. Das Verhältniß zu Vater und Stiefmutter war ein kühles. Letztere war eine mehr äußerlich gerichtete Frau, deren peinlichem Ordnungssinne schon die geniale Unordnung des Sohnes nicht gefiel, der aber das richtige Verständniß für sein tieferes Wesen und gehaltvolleres Treiben vollends abging. Das besaß auch der Vater nicht. Es ist gewiß erklärlich, wenn dieser es ungern sah, daß der reichbegabte Sohn im Staatsdienste nichts leistete, bei Hofe nur mit Widerstreben sich sehen ließ. Für alle die Neigungen, die ihn selbst erfüllten, besonders die Jagd, besaß der Sohn nicht das geringste Interesse; er machte sich auch nichts aus Pferden, aus Tanz, aus Glücksspiel u. s. w., kurz er hatte keine der sogenannten noblen Passionen, in denen junge Männer seiner Stellung sonst so leicht sich gefallen. Gern hätte der Vater ihm hier wol eine Ausschweifung nachgesehen, wenn sie ihn nur aus seinen Lebensgewohnheiten herausgerissen hätte. Auffallend bevorzugte er daher den älteren Sohn Bernhard, der ein schönes Aeußere mit gewandtem leichtlebigen Wesen vereinigte. Hans lebte und webte in litterarischen und künstlerischen Interessen. Das fand nicht die Billigung des Vaters. War auch der Großvater wiederholt schriftstellerisch hervorgetreten, so konnte der Aristokrat vom alten Schlage sich doch nicht darin finden, daß der Sohn mit dramatischen Erzeugnissen und witzigen Zeichnungen vor die Oeffentlichkeit trat. Auch zu seinen Standesgenossen hatte dieser im allgemeinen wenig Beziehungen. Nicht daß er sich zu ihnen in Gegensatz gesetzt hätte. Er war und blieb Aristokrat im besten Sinne des Worts; dabei war er aber eine durchaus friedliche, fast scheue Natur, die Niemanden den Weg versperrte, alles Figuriren haßte und sich stets im Hintergrunde zu halten suchte, von hier aber die Personen und Vorgänge scharf beobachtete. Allgemein gerühmt wird die gewinnende Liebenswürdigkeit seines Wesens, die ihn, ohne daß er danach strebte, zu einer überall beliebten Persönlichkeit machte, der Niemand feind sein konnte. Ein inniges Verhältniß verband ihn mit seinen jüngeren Stiefschwestern, die begeistert zu ihm aufsahen, und bei denen er, während die Eltern meist ausgingen, gern die Abende mit Musik, harmlosem Spiel, Vorführung von Puppentheatern, zu denen er selbst die Texte dichtete, und dergl. verbrachte.
V. verlebte den Sommer meist in Harbke, den Winter in Braunschweig, wo er hauptsächlich in litterarisch angeregten Kreisen verkehrte. Eine Unterbrechung brachten in dieses Leben mitunter Reisen, obwol er auch davon, vielleicht bei dem Mangel an größeren Mitteln aus der Noth eine Tugend machend, kein übermäßiger Freund gewesen zu sein scheint. Im Sommer 1844 besuchte er mit seiner Familie Dresden und die sächsische Schweiz, wo er den Freiherrn Edmund v. Beaulieu-Marconnay kennen lernte. Im folgenden Jahre war er in Tirol und Triest. Dann machte er in Gemeinschaft mit Blasius von April bis September 1847 eine große Reise, die über Prag und Wien nach Dalmatien [590] ging, wo sie lange verweilten und insbesondere die Inseln besuchten. Dann durchzogen sie ganz Italien und Sicilien, wo eine Besteigung des Aetna zu den Glanzpunkten gehörte, fuhren zu Schiffe von Messina nach Genua und durchstreiften dann von Frankreich bis zum Salzkammergute die ganze Alpenkette. Eifrig nahm V. auf dieser Reise Antheil an den naturwissenschaftlichen Studien seines gelehrten Freundes; aber noch mehr als botanische und geologische Beobachtungen fesselten ihn künstlerische Interessen; er zeichnete nach der Natur Landschaftsbilder, Volkstypen u. s. w. In mannichfacher Weise scheint diese Reise eine anregende Wirkung auf ihn ausgeübt zu haben. Außer mit Blasius verband ihn auch ferner mit L. Lemcke eine innige Freundschaft, die sich dann auch auf dessen Frau übertrug. Als Freund war V. von bewährter Treue; er trug kein Bedenken, hier auch, wenn die Gelegenheit sich bot, Geldopfer zu bringen, obwol er finanziell keineswegs glänzend gestellt war. Gern veranstaltete er mit gleichgestimmten Männern Leseabende, an denen sich u. A. der damalige Husarenlieutenant Julius v. Unger, die Brüder Robert und Erich Griepenkerl – jener der bekannte Dichter des Robespierre –, sein Vetter Fritz v. Veltheim, jetzt Oberjägermeister auf Destedt, betheiligten. Bei solchen freundschaftlichen Zusammenkünften kam die Fülle seiner Talente, sein Humor, sein scharfer, aber nie boshafter Witz am schönsten zum Vorschein. Er war ein Meister auf dem Claviere, wo er durch tief melancholische und dann wieder wilde Weisen die Stimmung seines Gemüths am treffendsten zum Ausdrucke brachte; mit der Harfenkünstlerin Rosalie Spohr, der späteren Gräfin Sauerma, hat er viel musicirt. Daneben war er ein hervorragender Zeichner; da er die Schwächen der Menschen, die Komik der Situationen schnell erkannte und richtig erfaßte, so war er besonders ein guter Caricaturenzeichner. Als solcher geißelte er in seinem „Héliogabale XIX ou biographie du dixneuvième siècle de la France: dediée à la grande nation en signe de sympathie par un Allemand“ (Braunschweig 1843) in witziger Weise die französischen Verhältnisse der Zeit. Der Vater soll mit dieser Thätigkeit des Sohnes aber so wenig einverstanden gewesen sein, daß man sagt, er habe dieses Werk, so viel er konnte, aufkaufen und vernichten lassen. Mit Vorliebe behandelte er auch Tagesereignisse und Persönlichkeiten seiner Vaterstadt in witzigen Zeichnungen, die er öffentlich ausstellte. Ganz besonders während des tollen Jahres 1848, wo er seinen Widerwillen gegen die demokratischen Bewegungen der Zeit und ihre Wortführer, der schon 1846 in seinem „Seekönig“ in der Gestalt des Rathsherrn Thomasius hervortrat, wiederholt deutlich zu erkennen gab. So erschien damals in Steindruck eine Caricatur mit der Unterschrift „moderne Industrien“, die drei demokratische Volksredner (Aronheim, Holland und Lucius) um ein Mordgeschichtenbild als Orgeldreher u. s. w. gruppirt so unverkennbar zeigte, daß der Unwille ihrer Anhänger es den Künstler einige Fensterscheiben kosten ließ. Doch auch abgesehen von diesen Caricaturen liefern zahlreiche Studien, die von ihm erhalten sind, den Beweis, daß er es sehr ernst mit seiner Kunst meinte.
Weit wichtiger aber als alles dieses ist die dramatische Thätigkeit Veltheim’s, die ihm allein eine bleibende Bedeutung sichert. Er hat nur vier Dramen herausgegeben, von denen zwei („Seekönig“ und „Splendiano“) 1846 als „dramatische Versuche“, die beiden anderen („Die Erben der Zeit“ und „End’ und Anfang“) 1850 als „dramatische Zeitgemälde“ erschienen. Fanden sie auch bei der Kritik, wie z. B. in den Blättern für literarische Unterhaltung (Jahrg. 1847 I, 673; 1851 II, 850) warme Anerkennung, so sind sie in weiteren Kreisen doch wenig bekannt geworden, vor allem wol weil sie sich zur Aufführung auf der Bühne nicht sonderlich zu eignen schienen. In Oldenburg suchte zwar 1847 ein Freund Veltheim’s, der genannte Frhr. v. Beaulieu-Marconnay, [591] dem die „Zeitgemälde“ gewidmet sind, den „Splendiano“ auf die Bühne zu bringen; er gewann auch den Intendanten für den Plan, der dann aber doch an den Bühnenschwierigkeiten, die der Regisseur geltend machte, gescheitert zu sein scheint. Noch viel weniger als dieses Stück war die zweite Sammlung der Dramen, in denen die epische Breite noch mehr vorherrscht – der Verfasser nennt sie deshalb bezeichnend dramatische Zeitgemälde – auf Bühnenwirkung berechnet; V. bestärkte in dieser Richtung, wie er v. Beaulieu schrieb, seine „täglich zunehmende Scheu vor der Coulissenwelt und den trivialen Mittelchen der Bühnenreussite“. Ohne Zweifel ist er hierdurch eines großen Theiles des Erfolges, den er verdiente, verlustig gegangen. Das ist gewiß sehr zu bedauern. Denn in der That sind seine Dramen eigenartige Schöpfungen, die eine hohe dichterische Begabung klar erkennen lassen. Der Stoff zeigt in allen eine gewisse Verwandtschaft: es wird uns ein im Untergange begriffenes Volk geschildert, zu dem der Held des Stücks in bewußten Gegensatz tritt; in dem Zusammenstoße des individuellen Charakters mit dem allgemeinen Volkscharakter findet der Held ein tragisches Ende. Die unbefriedigte Stimmung des Dichters, der in den gährenden Unruhen und Wirren seiner Tage keinen frischen Frühlingshauch, sondern nur einen absterbenden Herbst verspürte, findet in ihnen einen deutlichen Ausdruck. So haben auch seine beiden letzten Dramen eine unverkennbare Beziehung auf seine Zeit; sie zeigen klar, wie er selbst sie auffaßte. Er war der Ansicht, daß seinem Vaterlande nur eine Herrschaft auf dem Gebiete des Geistes, die Pflege von Kunst und Wissenschaft übrig bleiben würde, wenn ihm eine politische Machtstellung versagt sei, daß jene aber nur errungen werden könne, wenn ein neuer Glaube die alte Welt durchdringe und innerlich umgestalte. Er spricht sich selbst darüber aus: „Das erste Stück (‚Erben der Zeit‘) führt die Schönheitsidee vor, die einzige, welche dem todten Italien geblieben ist, das zweite (‚End’ und Anfang‘) die Glaubensidee, welche eine verfallende Welt in ihren Schoß aufnimmt … Die sittliche Idee muß entweder in der Schönheit oder im Glauben aufgehen; sie wird schönes befriedigtes Leben in den Zeiten des versöhnten Schicksals und Drang zum Jenseits, wenn dieses Schicksal seine Wetter über uns ausschickt … Diese beiden Stücke sind denn auch, woraus ich kein Hehl mache, als eine Art ‚entweder, oder‘ intendirt – wenigstens für meine Zeit und mein Volk“. V. forderte für seine geschichtlichen Dramen einen doppelten Standpunkt, einen historisch-philosophischen und einen ästhetischen, legte aber das Hauptgewicht auf den letzteren. „Denn“, sagte er, „wenn Kunst nichts anders mehr sein sollte, als handwerksmäßiger Umsatz von Gelehrsamkeit in Allegorie, so würde ich dann freilich lieber der philosophische grand seigneur sein wollen, als sein künstlerisch galonnirter Lakai. Ich lege deshalb noch immer entschieden das Hauptgewicht auf den ästhetischen Theil solcher Schöpfungen“. Seine Dramen sind denn auch im vollen Sinne des Worts Kunstwerke und gerade wegen ihrer gewiß beklagenswerthen Abwendung von aller Bühnentechnik Kunstwerke eigener Art. Besitzen daher besonders die beiden letzten auch nicht die Einheitlichkeit, die man von einem wirklichen Bühnenstücke fordern muß, so sind doch alle die weitläufigen Schilderungen, die Figuren und Episoden, die den scenischen Auseinanderfall verursachen, aber für die Schilderung der Zeitverhältnisse im höchsten Grade charakteristisch sind, in der Idee des Ganzen begründet und künstlerisch ausgestaltet. Der Gedanke, daß man es hier mehr mit gelehrter Verstandesarbeit als poetischer Schaffenskraft zu thun habe, bleibt dem Leser vollständig fern. So aus einem Guß, so aus dem Vollen heraus sind alle Gestalten seiner Werke geschöpft und gebildet. Eine tiefe Geschichtsauffassung ist es, die der Dichter uns offenbart. Das gilt in ganz besonderem Grade von der zweifellos bedeutendsten seiner Schöpfungen, [592] dem Drama „End’ und Anfang“, wo der Verfall des weströmischen Reichs und der Aufgang des Germanenthums und der christlichen Kirche in wahrhaft großartiger Weise uns vor Augen geführt werden. Scharf und klar sind die Individualitäten der verschiedenen Völkerstämme und Lebenskreise umrissen, meisterhaft die Volksscenen. Dazu ein Reichthum origineller Gedanken, ein gesunder, schlagender Witz, eine anschauliche packende Sprache! Nirgends bewegt sich der Verfasser in ausgetretenen Geleisen. Ein frischer Jugendmuth führt ihn die eigene Bahn. Gewiß berechtigte ein Werk wie dieses letzte noch zu großen Hoffnungen, die sich leider nicht mehr erfüllen sollten.
Als Harald im „Seekönig“ sich in das Meer stürzen will, sagt er: „Was ist das Glück eines Mannes, als das Bewußtsein seines ungeminderten Ich, als der Stolz, einem unverrückten Ziele seine edelsten Kräfte zu opfern“. Diese Worte hat der Verfasser aus seiner eigenen Seele gesprochen und ebenso hätte er auch fortfahren können: „Dies Glück habt ihr nie gekannt; dies Glück ist mein, ich nehme es mit mir hinab!“ Offenbar verzweifelte V., daß er sein Ziel erreichen würde; lieber als das wollte er sein Leben aufgeben. Außer der inneren Unbefriedigung, die wir im vorigen zu erklären versuchten, wird körperliches Leiden ihn in diesem Kleinmuthe wesentlich bestärkt haben. Er war schlank und schmächtig gebaut, von zartem, schwächlichem Körper; dem Eindrucke seines fein geschnittenen Gesichts that ein Hasenschart Eintrag; vor allem aber litt er sehr stark an der Hautflechte, einem Erbübel, das auch den Vater sehr quälte. Etwa im J. 1852 hatte er in Cannstatt mit sichtlichem Erfolge eine Cur durchgemacht. Als er sie aber im folgenden Jahre wiederholte, fiel sie sehr übel aus. Er kam schlechter nach Braunschweig zurück, als er fortgegangen war; die Cur schien auf Gehirn und Nervensystem sehr schädlich gewirkt zu haben, und das alte Leiden brach mit neuer Stärke wieder hervor. Mußte schon das schwer auf seinem Gemüthe lasten, so nicht minder die Entsagung, die das Leiden ihm, dem edelgesinnten auferlegte. Der Vater wünschte lebhaft die Verheirathung des Sohnes, auf dessen beiden Augen der ganze Mannesstamm der gräflichen Linie des Geschlechts stand. Aber er konnte sich nicht zu einem solchen Schritte entschließen, da er es für unverantwortlich hielt, ein Uebel, wie er es besaß, noch zu vererben. Es konnte nicht ausbleiben, daß mancherlei Erlebnisse in der Familie seine Gemüthsstimmung noch verdüsterten. Sein Bruder Bernhard hatte 1842 durch Selbstmord geendet; Hans war dadurch die sichere Aussicht auf das reiche Majorat eröffnet, eine Aussicht, die aber eine Natur wie die seine bei den Lasten und Pflichten, die solche Stellung mit sich brachte, eher niederdrückte als aufrichtete. Dann hatte infolge politischer Verstimmung am 27. März 1848 der damalige Majoratsherr, der ältere Bruder seines Vaters, Graf Rötger (s. u.), sich erschossen und am 12. November 1850 hatte Veltheim’s jüngste Schwester am Hochzeitstage der zweiten in unaufgeklärter Weise im Parkteiche zu Harbke den Tod gefunden. Durch dies alles mußte sein Gemüth in eine krankhafte Erregung gerathen. Nur so ist es erklärlich, daß thörichte Gerüchte, die über ihn in Umlauf gebracht waren, ihn so gewaltig aufregten, daß sie ihm die Pistole in die Hand drückten. Der feste Halt eines überzeugungstreuen Christenglaubens fehlte ihm; seine mehr philosophische Weltanschauung war Schicksalsschlägen, wie sie ihn trafen, nicht gewachsen. Am Abend des 5. April 1854 machte er im Schloßparke zu Harbke seinem Leben ein Ende. Auf seinem Schreibtische fand man das Lied aufgeschlagen, das er in seinem „Seekönig“ S. 106 Machiado in den Mund legt, und als letzte Züge seiner Hand ein Gedicht, in dem er in ergreifender Weise Abschied vom Leben nimmt. So fand ein reichbegabtes, groß und edel angelegtes Menschenleben seinen Abschluß, das unter günstigeren Verhältnissen unstreitig noch weit [593] Bedeutenderes hätte leisten können. – Sein Vater überlebte ihn bis zum 5. Juni 1860; mit ihm starb die gräfliche Linie der v. Veltheim im Mannesstamme aus. Das Gedächtnis Veltheim’s hat später Hans Herrig in einem Aufsatze: „Ein unentdeckter Dramatiker“ erneuert, der in der „Station“, dem feuilletonistischen Beiblatte des Berliner Börsencouriers, erschien und in dem Braunschweiger Tageblatte, Nr. 3–6 vom 4.–8. Januar 1873, wiederholt wurde. Bald darauf wurde von dem damaligen Intendanten des Hoftheaters zu Gera (jetzt braunschweigischem Gesandten in Berlin) Burghard Frhr. v. Cramm der „Splendiano“ für die Bühne eingerichtet und mit entschiedenem Erfolge zur Aufführung gebracht. In den deutschen Litteraturgeschichten sucht man Veltheim’s Namen so gut wie vergebens. Eine rühmliche Ausnahme macht hier Eduard Grisebach, der in neuerer Zeit wiederholt auf die Bedeutung Veltheim’s aufmerksam gemacht hat. Hoffentlich erhalten wir bald einmal von berufener Feder eine volle Würdigung des Dichters, der gewiß auch noch manches aus seinem dichterischen Nachlasse anzuschließen wäre.
- Nach Acten verschiedener Behörden, brieflichen und mündlichen Mittheilungen zahlreicher Verwandter und Bekannter Veltheim’s, bezw. deren Nachkommen, insbesondere von dem Prof. Dr. Wilh. Blasius in Braunschweig.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: D. D. B.