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ADB:Vacano, Emil

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Artikel „Vacano, Emil(e)“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 39 (1895), S. 451–454, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Vacano,_Emil&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 18:35 Uhr UTC)
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Vacano: Emil(e) Mario (eigentlich Emil Alois Ferdinand) V., in den letzten Jahren bisweilen Emil V.-Freiberg, Romanschriftsteller, geboren am 16. November 1840, während einer Reise seiner Eltern zu Schönberg an der mährisch-schlesischen Grenze, ist eine der seltsamsten Litteratengestalten des 19. Jahrhunderts. Sein Vater, ein schlichter und zunächst zurückhaltender Mann, war Catastraloberinspector für Galizien und die Bukowina, und hier hat V., dem die ganze Liebe der Eltern gehörte, wohl auch seine Kindheit verlebt. Ihnen verdankt er die Grundlage seiner reichen Gemüthsbildung, und auch für Wissen zeigten sie stets viel Sinn, so daß der Knabe, der übrigens auch das Gymnasium absolvirt haben soll, auch da im Hause allerlei Eindrücke gesammelt haben muß. Ob er den humanistischen Unterricht bei den Capuzinern genossen hat, steht dahin. Jedenfalls hat er bei ihnen Schulstunden besucht und dabei zuerst der, Zeit seines Lebens uneindämmbaren Sehnsucht nach der Atmosphäre des Klosters Genüge gethan. Sicher ist nur, daß er seine Jugend theils in Galizien, theils in St. Pölten bei Wien zugebracht hat. Im Kloster fesselten die lateinischen Kirchenväter seine leicht erregbare und sofort zu Meditation neigende Einbildungskraft, als ihn aus ernsten religiösen und patristischen Studien ein Zufall herausriß und plötzlich den frühreifen, jedoch kaum vollwüchsigen Burschen in die Moldau in ein lustiges Circusleben mitten hinein versetzte. Erst Seiltänzer bei verschiedenen Truppen durchzog er dann als Milo Vanozza, mit dem Circus Guasso Rumänien und Oberitalien und trat darauf, etwa 15–16 Jahre alt, als Schulreiterin Sangumetta im Venetianischen in eines gewissen Henri Gesellschaft auf, bis gar bald dieses „Miß Ella“-thum entdeckt ward und V. infolgedessen als Kostgeher ins Kloster zurückkehrte. Auf den Landsitzen wallachischer Bojaren vagirte er damals, betrat die Bretter auf verschiedenen kleineren Bühnen, soll auch im November 1859 Statist am Wiener Hofburgtheater gewesen, aber aus Anlaß eines Conflicts bei der Schillerfeier weggegangen sein. Auch eine schwere Krankheit hat er Ende der fünfziger Jahre durchgemacht, und danach, seine Mißerfolge auf den Gebieten der darstellenden Kunst erkennend, endgiltig zur Feder abgeschwenkt.

Alle ersten Veröffentlichungen Vacano’s wie auch etliche spätere entnehmen den Stoff jenen abenteuerlichen Erlebnissen des Jünglings und scheuen sich nicht, ohne jede Hülle Personen und Zustände widerzuspiegeln. Durch den Beifall [452] des sensationslüsternen Publicums und die entschiedene Aufforderung des Verlegers wurde V. bei dem halb unfreiwillig ergriffenen Berufe festgehalten. Selbständig als Buch traten zuerst die „Mysterien des Welt- und Bühnenlebens“ (2 Bände, 1861) hervor, dann sämmtlich 1863: „Quitte ou double. Ein historischer Miniaturroman“, nach drei Monaten confiscirt, da die Hauptperson eine kaiserliche Prinzessin sei (1868 in „Frivolitäten“ höchst romantisch aufgewärmt), „Die Töchter der Schminke. Abenteuerroman. I. Die Mondschein-Cavaliere“, ebenfalls beschlagnahmt und darob in Berlin, wo der Oesterreicher V. wohlweislich seine Schriften dazumal noch erscheinen ließ, viel besprochen, „Moderne Vagabunden. Humbug-Reise eines Abenteurers. Seitenstück zu C. v. Holtei’s ’Vagabunden‘“, bei dessen erstem Band der Autornamen von dem Verleger als ohne weiteres errathbar weggelassen wurde. Die „Blätter für litterarische Unterhaltung“, in denen R. Gottschall und auch andere seitdem die Arbeiten Vacano’s genau besprochen haben (treffend 1886 Marius Stein, d. i. Maria Janitschek, „König Phantasus“) hielten ihm vor, daß der letztgenannte Roman, an den seine Beurtheilung als eines litterarischen Originals anknüpfte, in maßgeblichen Abschnitten Edgar Allan Poe’s Novelle „The facts in the case of Mr. Valdemar“ ausschreibe. Anderntheils laufen viele Erzeugnisse seines Stils unberechtigterweise unter der beliebten Flagge E. M. Vacano. Dies war um so leichter möglich, als er leider seine schönen Gaben infolge des Drängens gewissenloser Bekannten durch übertriebenes Ausnützen seiner Erlebnisse und Einblicke verzettelte, ohne dabei, er, der nirgends dauernd Seßhafte und Wohnort wie Datum stets fast ängstlich Verbergende, sein Autorenrecht nach Gebühr zu wahren. Die ausgelassenen Schilderungen jener ersten Erzählproben, deren autobiographische Ingredienzien kaum auszusondern sind, fanden so in blendenderen, nun nicht mehr aus der Erfahrung geschöpften Skizzen Nachfolge, wo die Sinnlichkeit nicht das knabenhafte Antlitz von ehedem zeigte. Später huldigte V., von gelegentlichen Rückfällen und begleitenden kleinen Auswüchsen abgesehen, maßvollem Realismus, mit dem sich der zweite Grundzug seines Wesens, die Mystik, immer wieder kreuzte. Vgl. die abfälligen Urtheile Blätt. f. lit. Unt. 1862, S. 661 f.; 1863, S. 92.

In kaum glaublicher Mischung beobachtet man in ihm „Patriarch und Gigerl“ (so unterschrieb er sich einmal). Nachts schwärmte er fast wie ein Roué in frivolen Balllokalen umher und am Tage kniete er verzückt in heißer Andacht vor dem Altar der Kathedrale. Seine mystische Art war aber mehr mysteriös und ergänzte die sonstigen Bizarrerien seines Charakters, die ihn zugleich Weltkind und Weltmann sein ließen. Salonmenschen freilich verabscheute er und zog sich stets vollständig aus dem Getriebe der Gesellschaft zurück. Seine Leute, die wandernden Künstler, errichteten ihm 1893 in Karlsruhe ein Denkmal.

So nimmt es nicht wunder, daß für sein ferneres Leben die Nachrichten sehr lückenhaft fließen und von eingreifenden Begebenheiten gar nicht die Rede ist. Seit dem Beginn regelmäßiger Schriftstellerei, Anfang der Sechziger, wohnte er gewöhnlich mit seinen Eltern zusammen, so im Sommer und Herbst 1865 in Brünn mit seiner Mutter, mit der er nach dem 1866 erfolgten Tode des Vaters in St. Pölten sich niederließ, wohin er bis Ende der Achtziger, auch nach ihrem Ableben, immer wieder zurückkehrte. Vorübergehend ging er in den beiden Jahrzehnten seit 1866 auch nach Wien hinein, oder er verschwand plötzlich ganz und gar, um auf Streifereien in dem „Halb-Asien“ zwischen Pruth und Elbe irgendwo aufzutauchen oder, wie 1861, 1866, 1870 (als die „Historischen Studien“, „Die Heiligen“, „Die Gottesmörder“, „Die Töchter Babels“ herauskamen), 1874, die Menschen glauben zu machen, er habe die Mönchskutte (in der er sich gern abbilden ließ, um dies Porträt einer – Angebeteten zu schenken) endgiltig gewählt. 1872 begab er sich einmal nach Berlin, [453] um auf Einladung von Freunden im Woltersdorff-Theater Vorlesungen zu halten: Heiserkeit und Ohnmacht unterbrachen diesen neuen und letzten Versuch in die Oeffentlichkeit zu treten. Seitdem wohnte er am liebsten ganz in St. Pölten. Denn mit seiner, sicher erst nach 1865 geheiratheten Gattin, der italienischen Sängerin Speranza, unter deren Namen einige Schriften Vacano’s gehen, war er 1872 zweifellos schon auseinandergegangen, und das dann uneingelöst gebliebene Verlöbniß mit der bekannten Miß Adah Isaacs Menken kam wohl noch nicht in Betracht. 1883 ist er noch in St. Pölten als ständig wohnhaft nachzuweisen. Aber in intimen Briefen – wir kennen solche an Rosegger – macht sich schon damals seine Klage über Anlässe zum Lebensüberdruß Luft: ein Herzfehler und nimmer weichende Müdigkeit nagen an dem natürlichen Humor dieses großen Kindes, und in der von Sentimentalität zu Hypochondrie überspringenden Stimmung entringt sich der Brust unter Todesgedanken die quälende Einsicht: „man kann nicht mehr schreiben“. „Die G’schicht von einer traurigen Seel’“, in der er dem „lieben theuren Lex“ (eben Rosegger) demnächst seinen Zustand schildern will, fußte wohl auch auf greifbarer materieller Drangsal. Der wie mühelos seine farbigen Lebensbilder und flüssigen Plaudereien aus dem Aermel schüttelte und den unablässig anfeuernden Verlegern schöne Reingewinne abwarf, er, der vielgelesene Verfasser zahlreicher einschlagender Histörchen, hat in den letzten Jahren beinahe darben müssen und noch kurz vor dem Tode gute Freunde gebeten, ihm einen leidlichen Lohnschreiberposten, bei einer Zeitung, in einem Bureau zuzuschanzen. Dann folgte er dem Rufe des treuen Karl Plock nach Karlsruhe und in der Familie dieses liebenswürdigen Künstlers fand er, noch einmal journalistisch thätig, eine zweite Heimath. Am 9. Juni 1892 ist er daselbst gestorben.

Daß er durch den Geschmack seines Leserkreises, sowie der Buchhändler tendenziöses Schieben in die Sucht nach dem Sensationellen, in prickelndes Ausmalen heikler Situationen in Liebe und Ehe, im Verbrechen hineingetrieben wurde, daß sein bewegliches Talent in den beiden letzten Jahrzehnten verflachte, soll nicht bemäntelt werden. Immerhin bewährte er bis zum Schlusse seine nie verlegene Erfindungsgabe und wurde so, ohne sich auffällig zu wiederholen, in seinen vielen Skizzen aus dem Theaterleben aller Schattirungen, namentlich des vielgestaltigen Artistenvölkchens, aus der mannichfaltigen Fäulnis des internationalen High-life, die Beute einer Schaar von Nachahmern, die das Flimmernde und Graciöse seines, freilich öfters manierirten und sprachlich unsauberen Stils doch niemals erreicht haben. Dazu kommt nun noch der Vacano’s (der denn doch viel ernster zu nehmen ist als ein sogenannter wunderlicher Kauz) Leben wie sein Dichten wieder und wieder überdeckende Schleier des Ueberspannten und Geheimnißvollen, das bei der Stoffwahl gern an spiritualistische Probleme rührt; wie in dem „Zukunftsromane ’Vom Baume der Erkenntniß‘“ (1865), wo ähnlich dem chinsischen Märchen die Seele wandernd in die Körper untertaucht, oder politische Räthsel mit blendenden Abenteuern umspinnt, wie im „Geheimniß der Frau von Nizza“ (1869), einer Giftmordgeschichte aus Ludwig’s XIV. Tagen, und der Apotheose „König Phantasus. Roman eines Unglücklichen“, die 1886 des Baiernfürsten Ludwig II. Ausgang sofort mit der Gloriole der untergegangenen Genialität krönte. Die mit Graf Emerich Stadion (geb. 1838)[WS 1] veröffentlichten drei scharf gewürzten Romane aus der österreichischen Aristokratie „Dornen. Erinnerungen und Ahnungen“ (1869) athmen denselben Geruch, wenn schon mehr im Rahmen eines objectiveren Culturbildes.

Die lange, bei alledem unvollständige Reihe von Erzeugnissen, die Wurzbach, Biogr. Lex. des Kaiserth. Oesterreich, Bd. 49 (1884)[WS 2], S. 164–171 aufzählt, bis 1892 fortzusetzen, kann hier nicht beabsichtigt werden; übrigens verlieh [454] die seitdem meist erzwungene Schnellfabrikation der Mehrzahl den Charakter der „Leichten Waare“, wie ein Bändchen von 1887 heißt. Das beweisen auch Vacano’s letzte beiden Arbeiten (1892): der aus dem Czechischen (dessen er wol seit früher Jugend mächtig war) übersetzte Roman M. A. Simacek’s „Die Sünden der Väter“ und „Im Banne der Chambrière. Hinterlassene Künstler-Novelletten. Herausgegeben von Signor Saltarino“ [d. i. H. W. Otto]. Eine zehnbändige Ausgabe seiner „Schriften“ unternahm 1894 der Verlag Alfred H. Fried und Co. in Berlin-Schöneberg. Wurzbach a. a. O. liefert auch den gründlichsten, mit der nöthigen Kritik verfaßten Lebensabriß. Zu seinen Quellen (S. 170) sind hinzugekommen: Brümmer’s revidirter Artikel im Lex. dtsch. Dicht. u. Pros. d. 19. Jhs. II, 420 f. u. 604; Meyer’s Conversations-Lex.4 XVI, 31; Pierer’s Conversations-Lex.7 XII, 647 (äußerlich); „Eine Erinnerung an Vacano. Mitgetheilt von Paul Andow“ (spiritualistische Beichten einer 1865 von V. absichtslos visionärisch gefesselten Verwandten), in „Sphinx. Monatschrift f. Seelen- und Geistesleben. Hg. von Hübbe-Schleiden“ XV, 165–176; „Emil V.“ in „Gute Kameraden. Von P. K. Rosegger“ (vorher in dessen „Heimgarten“), S. 154 bis 173 (mit bezeichnenden, die äußere Biographie wenig fördernden Briefen); L. Salomon, E. M. V.: Illustr. Ztg. 98, 699; Wilh. Schlang, Auch Einer vom Parnaß: „Nicht rasten und nicht rosten! [4.] Jahrbuch des Scheffelbundes für 1894“, S. 108–110. In den üblichen litterargeschichtlichen Handbüchern erhielt V. kein Bürgerrecht; die Behandlung in Gottschall’s Dtsch. Nationallit. des 19. Jhs. (6. Aufl. IV, 544; vgl. 564) übersah Wurzbach. Später erschien: „Das schöne Limonadenmädchen. Erzählung. Aus dem Nachlasse von E. M. Vacano“, „Gartenlaube“ 1893 Nr. 36–38. Vacano’s Miß-Ella-thum hat sein Freund Leop. v. Sacher-Masoch frei behandelt in „Falscher Hermelin. Harmlose Geschichten aus der Bühnenwelt“, F. W. Hackländer in der Circusgeschichte „Bella Orsaniga“. Uebrigens ließ sich V. gern in entsprechendem Kostüm photographiren, z. B. als Signora Sangumetta, und schenkte solche Bilder Bekannten. Ueber V. als Artisten bietet Signor Saltarino (H. W. Otto), Pauvres Saltimbanques (1891) manches, auch Otto’s Zeitschrift „Der Artist“ (1892, 1893, 1895; bes. Nr. 536 vom 19. Mai 1895).


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Emerich Simon Damian Joseph Graf von Stadion-Thannhausen (1838–1901); österreichischer Schriftsteller
  2. Vorlage: Bd. 48 (1883); Seitenzahlen sind korrekt