ADB:Umbreit, Friedrich Wilhelm Karl
Eichhorn und durch die Lectüre der sprachgeschichtlichen Werke Herder’s zu einer vorurtheilsfreien Behandlung des alten Testamentes angeleitet, suchte er es doch gerade auch in seinem religiösen Gehalte auf sich wirken zu lassen. So bildete er zu Ullmann, mit welchem er in Heidelberg Schulter an Schulter arbeitete, eine harmonische Ergänzung. In inniger Freundschaft vereint, begründeten beide im J. 1828 das Hauptorgan der Vermittelungstheologie, die „Theologischen Studien und Kritiken“, leiteten es bis an ihren Tod und beeinflußten so nicht unwesentlich den gesammten Betrieb der theologischen Wissenschaften in Deutschland. – U. war ein Thüringer von Geburt; sein Vater wirkte als geschätzter Organist zu Sonneborn, einem größeren Dorfe bei Gotha (s. u. S. 277). Hier wurde unser U. am 11. April 1795 geboren. Seine wissenschaftliche Vorbildung erhielt er 1809 bis 1814 auf dem Gymnasium in Gotha und studirte von 1814 bis 1817 in Göttingen. Hier saß er mit Vorliebe zu den Füßen des alten gelehrten Orientalisten Eichhorn, dessen Einfluß es zuzuschreiben ist, daß er 1815 eine Preisarbeit der philosophischen Facultät, Geschichte der Emire al Omrah nach Abulfeda, in lateinischer Sprache lieferte, welche des Preises für würdig erachtet und nach Göttinger Sitte auf Kosten der Universität gedruckt wurde. Frühzeitig wurde so die Aufmerksamkeit orientalischer Fachgelehrten auf ihn gelenkt und ihm der Weg zur wissenschaftlichen Laufbahn gewiesen. Nachdem er zuvor 1818 in Gotha das theologische Candidatenexamen unter dem Generalsuperintendenten Bretschneider bestanden und mehreremale gepredigt hatte, kehrte er noch in demselben Jahre nach Göttingen zur Fortsetzung [274] gelehrter Arbeiten zurück und promovirte daselbst als Dr. phil. Den Sommer 1819 brachte er darauf in Wien zu, wohin ihn das Ansehen des berühmten Orientalisten v. Hammer gezogen hatte; unter dessen Anleitung beschäftigte er sich mit weiteren orientalistischen Studien und erwarb sich die Freundschaft dieses Meisters seines Faches in so hohem Grade, daß beide für immer in geistigem Austausche blieben, bis v. Hammer’s Tod (1856) dieses Verhältniß löste. Nach seiner Rückkehr aus Wien nach Göttingen verfaßte U. zunächst eine Commentatio philosophico-critica über das Buch Koheleth als Habilitationsschrift; aber kaum hatte er seine Vorlesungen über den Propheten Jesaia mit gutem Erfolg begonnen, als er eine Berufung als außerordentlicher Professor an die Universität Heidelberg erhielt. Dahin siedelte er im Herbste 1820 über, und schloß hier besonders mit dem theologischen Privatdocenten Ullmann einen Freundschaftsbund, welcher die Lebensschicksale beider aufs innigste aneinander kettete. Beide ergänzten sich auf das vortheilhafteste; während Ullmann der neutestamentlichen und historischen Theologie zugeneigt war, beschäftigte sich U. mehr als Exeget und Litteraturhistoriker mit dem alten Testamente und trieb auch später, als unter Ullmann’s Einfluß seine Interessen mehr theologische geworden waren, außer den alttestamentlichen und orientalistischen nur solche neutestamentliche Studien, welche in unmittelbarem Zusammenhange zum alten Testamente standen. Als Lehrer fand er bei der akademischen Jugend Heidelbergs schnell Eingang. Daher wurde er schon 1823 zum ordentlichen Professor in der dortigen philosophischen Facultät ernannt, und, als 1829 Ullmann nach Halle übersiedelte, trat U. in die Heidelberger theologische Facultät ein, die ihm bei dieser Gelegenheit den theologischen Doctorgrad verlieh. 1836 geschah es hauptsächlich durch sein Betreiben, daß Ullmann aus Halle nach Heidelberg zurückkehrte, und als 1838 auch Richard Rothe aus Wittenberg als Dogmatiker und Leiter des theologischen Seminars nach Heidelberg übersiedelte, waren die collegialen Verhältnisse.[WS 1] der dortigen theologischen Facultät auch für U. persönlich ausgezeichnet gestaltet. Im Vereine mit solchen Freunden, zu denen später noch Hundeshagen trat, wirkte U. als begeisterter Docent, bis ihn 1858 ein schleichender Marasmus ergriff, so daß er im Wintersemester 1859 seine Lehrthätigkeit aussetzen mußte, um sie nie wieder aufzunehmen. Nach langen schweren Leiden starb er am 26. April 1860 zu Heidelberg. Er war seit 1821 verheirathet; seine Ehe war mit drei Töchtern gesegnet. – Im J. 1832 hatte er den Titel Kirchenrath, 1854 den eines Geheimen Kirchenrathes erhalten.
Umbreit: Friedrich Wilhelm Karl U., protestantischer Theologe, † 1860. Unter den Exegeten der Vermittelungstheologie nimmt U. als Vertreter der alttestamentlichen Wissenschaften einen hervorragenden Platz ein. Wissenschaftlich in der Schule des Göttinger OrientalistenEine Charakteristik Umbreit’s hat uns sein vertrautester Freund Ullmann hinterlassen. Als Schüler Eichhorn’s, als Geistesverwandter Hammer’s, als Gesinnungsgenosse Herder’s in dessen ästhetischer Werthschätzung der biblischen Schriften habe U., dem überhaupt nichts Menschliches fremd gewesen, jederzeit für alles Schöne, Tiefsinnige und Große im alten Testamente die feinste Auffassungsgabe entfaltet, und sein ausgesprochener Sinn für das Concrete und Lebensvolle, für die Bedeutung des Persönlichen in der Geschichte habe ihn vor rationalistischer Verflachung, aber auch vor mythisirender Umdeutung des Inhaltes des alten Testamentes bewahrt. Je mehr er sich unter dem Einflusse Ullmann’s in eine mehr religiöse als litterarische Auffassung desselben einlebte, desto mehr beurtheilte er es vom Standpunkte des Offenbarungsglaubens aus. So fand er in den alttestamentlichen Schriften die „Grundtöne“ aller echten Frömmigkeit, deren Vorbildlichkeit für jede Zeit ihm gerade auf seinem christlichen Standpunkte fest stand. Bei solcher Gesinnung gereichte es ihm auch zur Freude, die Erklärung des alten Testamentes in den Dienst der religiösen Erbauung der christlichen Gemeinde zu stellen, und seine Thätigkeit am theologischen Seminar zu Heidelberg war hauptsächlich darauf gerichtet, den religiösen und sittlichen Gehalt der alttestamentlichen [275] Schriften als einen unvergänglichen werthvollen in die Herzen der zukünftigen Prediger einzusenken. Unter solchen Umständen bewegte sich ein großer Theil seiner Schriftstellerei auch auf dem praktisch-theologischen Gebiete, um z. B. aus dem Psalter oder aus den Propheten Erbauungsstoff für die christliche Gemeinde zu bieten. Bei diesen seinen Berufsarbeiten pflegte sich U. regelmäßig durch das Schöne in Natur und Kunst zu erfrischen. Den Sinn für die Natur entwickelte schon die Lage seines Hauses, welches er sich 1835 am Fuße des Heidelberger Schloßberges erworben hatte, und für Dichtung und Musik war er stets empfänglich. Selbst eine dichterisch angelegte Persönlichkeit, war es ihm Bedürfniß, sich an großen Dichtungen aller Zeiten und Völker zu erquicken, und für Musik hatte er schon aus dem Vaterhause die lebendigsten Anregungen in das Leben mitgenommen. Die gewaltigen Orgeltöne seines Vaters haben ihm, wie er selbst gesagt hat, „zur Ueberwindung des Zweifels mehr genützt als gar manche theologische Bücher“. Der Eindruck seiner gesammten Persönlichkeit auf die Zeitgenossen und Mitarbeiter war ein durchaus wohlthuender und erhebender, was besonders aus einem pietätvollen Briefe von Franz Delitzsch an die Wittwe Umbreit’s vom 1. Mai 1860 ersichtlich ist: Sein ganzes Leben, sagt dort Delitzsch, sei wie „ein Lobgesang auf die Schönheit und Herrlichkeit des Wortes Gottes gewesen.“ (Stud. und Ktit. 1862, S. 471.)
Die Schriften Umbreit’s sind von der sachkundigen Feder des alttestamentlichen Theologen Eduard Riehm in den „Theol. Studien und Krit.“ 1862, S. 479–511 im Zusammenhange der ganzen litterärischen Wirksamkeit desselben aufgeführt und beurtheilt. Wir folgen hier dessen Aufzählung, verweisen aber gleichzeitig auf die Kritik der gesammten wissenschaftlichen Arbeit Umbreit’s, welche Adolf Kamphausen in Herzog’s Realencyklopädie 2. Aufl. Bd. XVI, S. 163–165 gegeben hat. Nach Riehm’s Darstellung hat U. geschrieben:
I. Philologische, kritische und litteraturgeschichtliche Arbeiten der jüngeren Jahre: „Koheleth’s des weisen Königs Seelenkampf oder philosophische Betrachtungen über das höchste Gut; aus dem Hebr. übersetzt und als ein Ganzes dargestellt“ (Gotha 1818); „Coheleth scepticus de summo bono. Commentatio philosophico-critica“ (1819); „Lied der Liebe, das älteste und schönste aus dem Morgenlande. Uebersetzt und ästhetisch erklärt“ (Heidelb. 1820. 2 A. 1828. Dazu ist zu vgl. Goethe, Werke 1833, Bd. 46, S. 293 ff., derselbe sprach zu diesem Versuch die Dichtung, im Gegensatz gegen Herder als ein zusammenhängendes Ganzes zu erweisen, seinen Beifall aus); „Erinnerung an das Hohelied“ (Heidelb. 1839); „Das Buch Hiob. Uebersetzung und Auslegung nebst Einleitung über Geist, Form und Verfasser des Buchs“ (Heidelb. 1824; 2. A. 1832); „Philologisch-kritischer und philosophischer Commentar über die Sprüche Salomo’s nebst einer neuen Uebersetzung und einer Einleitung in die morgenländische Weisheit überhaupt und in die hebräisch-salomonische insbesondere“ (Heidelb. 1826).
II. Abhandlungen Umbreit’s in den „Theol. Studien und Kritiken“, als deren Mitbegründer und Mitredacteur er auch ihr fleißiger Mitarbeiter war, und zwar betrifft eine große Anzahl dieser wichtigen kleineren Arbeiten den alttestamentlichen Prophetismus und steht so in nächster Beziehung zu seinem großen Commentar über die alttestamentlichen Propheten überhaupt. Es sind folgende: „Ueber den Knecht Gottes im letzten Abschnitte der jesajanischen Sammlung Cap. 40–66“ in Stud. und Krit., Jahrgang 1828, S. 295–330, besonders gedruckt in verbesserter und vermehrter Ausgabe unter dem Titel „Der Knecht Gottes; Beitrag zur Christologie des alten Testamentes“ (Hamb. 1840). – Vorwort zu christologischen Beiträgen, mit besonderer Beziehung auf Schleiermacher, Hengstenberg, Sack und Steudel. Jahrgang 1830, S. 3–24. – Ueber [276] die Geburt des Immanuel durch eine Jungfrau, Jes. 7, 11–16. Ebendas. S. 538–548. – „De Veteris Testamenti prophetis, clarissimis antiquissimi temporis oratoribus“ (Prorectoratsrede 1832), in freier Ueberarbeitung deutsch unter dem Titel: „Die Propheten des alten Testamentes, die ältesten und würdigsten Volksredner.“ Stud. und Krit. Jahrgang 1833, S. 1043–1056. – Jesus Christus in den Weissagungen des Propheten Jesaja nach der Auslegung von Cap. 9, 1–6 und 11, 1–10 mit besonderer Berücksichtigung der Herren D. Gesenius, D. Hengstenberg und D. Hitzig. Jahrgang 1835, S. 551–569 und 869–881. – Kritische Bemerkung zum 8. Psalm. Jahrgang 1836, S. 1007–1018, und Ueber die typische Auslegung des 8. Psalms. Jahrgang 1838, S. 599–618. – Ist Jesus Christus in dem 22. Psalme? Jahrgang 1840, S. 697–708.
III. Auf diese Abhandlungen, welche mehr oder minder Vorläufer waren, folgte das große praktisch-exegetische Hauptwerk Umbreit’s „Praktischer Commentar über die Propheten des alten Bundes mit exegetischen und kritischen Anmerkungen“, I. Band: Jesaja, I. Theil: Auslegung von Cap. 1–33. Hamburg 1841. – II. Theil: Auslegung von Cap. 34–66. Hamburg 1842. – II. Band: Jeremia. Hamburg 1842. – III. Band: Hesekiel. Hamburg 1843. – IV Band: Die kleinen Propheten. I. Theil: Hosea, Joel, Amos, Obadja, Micha, Nahum, Habakuk, Zephanja. Hamburg 1845. – II. Theil: Haggai, Sacharja, Maleachi. Hamburg 1846. Riehm urtheilt über dieses Werk, daß es „nie veralten und in seinem eigenthümlichen Werthe von allen, die in den prophetischen Schriften keine bloße Denkmale des Alterthums, sondern zugleich ein für alle Zeiten gültiges und nie zu erschöpfendes Gotteswort erkennen, immer hochgeschätzt werden wird.“ Dazu kamen
IV. Praktische, im weitesten Sinne des Wortes erbauliche Schriften und Abhandlungen: „Christliche Erbauung aus dem Psalm oder Uebersetzung und Erklärung auserlesener Psalmen“ (Hamburg 1834); „David und Jonathan. Lied der Freundschaft, das älteste und schönste aus dem Morgenlande“ (Heidelb. 1844); „Neue Poesien aus dem alten Testamente“ (Hamburg und Gotha 1847); „Grundtöne des alten Testamentes“ (Heidelb. 1843); „Gott hat den Menschen die Welt in ihr Herz gelegt.“ Bemerkung zu Pred. 3, 11 in den Studien und Kritiken 1846, S. 147–158; „Was bleib? Zeitgemäße Betrachtungen des Königs und Predigers Salomo’s über die Eitelkeit aller Dinge“ (Hamburg und Gotha 1849). Dazu als wissenschaftliche Begründung die Abhandlung: „Die Einheit des Buches Koheleth“ in den Studien und Kritiken 1857, S. 7–56. Ferner mögen noch genannt sein
V. Zerstreut vorkommende einzelne Abhandlungen vom alten Testament: „Ueber Geist und Zweck des Buches Ruth. Eine kritische Andeutung.“ Studien und Kritiken 1834, S. 305 ff.; „Probe einer Auslegung der Schöpfungsgeschichte der Genesis, Cap. 1–2, 4“. Ebendas. 1839, S. 189–209; „Sieben Blicke in das erste Capitel der Genesis.“ Ebendas. 1847, S. 701–717; „Der Bußkampf Jakob’s.“ Ebendas. 1848, S. 113 ff. Endlich
VI. Die durch neutestamentliche Gesichtspunkte bestimmten Arbeiten Umbreit’s aus seiner letzten Lebenszeit: „Das Evangelium im alten Testament. Bemerkung zu Röm. 1, 2“ in Studien und Kritiken 1849, S. 93 ff.; „Des Apostels Paulus Selbstbekenntniß im siebenten Capitel des Briefes an die Römer.“ Ebendas. 1851, S. 633–645; „Die Veränderung des Namens Saulus in Paulus.“ Ebendas. 1852, S. 377 ff. Auch die Schrift „Die Sünde. Beitrag zur Theologie des alten Testamentes“ Hamburg und Gotha 1853 ist durch das Bedürfnis, Röm. 5, 12 zu erklären, veranlaßt. „Der Brief an die Römer auf dem Grunde des alten Testamentes ausgelegt“, Gotha 1856. Die von U. beabsichtigte [277] ähnliche Bearbeitung des Hebräerbriefes ist nicht mehr zu Stande geommen.
- Zu vgl. C. Ullmann, Friedr. Wilh. Karl Umbreit. Blätter der Erinnerung in Theol. Studien und Kritiken 1862, S. 435 ff. – Adolf Kamphausen’s Artikel in Herzogs Realencyklopädie 2. A., Bd. 16, S. 162 ff. – Außerdem Nekrologe von Schenkel in der Allg. kirchl. Zeitschrift 1860, Heft 6, S. 11 ff., von Mühlhäußer in der Neuen Evangelischen Kirchenzeitung 1860, Nr. 23, von Zittel in der Allg. Kirchenzeitung 1860, Nr. 54.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Verhälthältnisse