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ADB:Thurneisser zum Thurn, Leonhard

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Artikel „Thurneisser zum Thurn, Leonhard“ von Julius Heidemann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 38 (1894), S. 226–229, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Thurneisser_zum_Thurn,_Leonhard&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 06:59 Uhr UTC)
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Band 38 (1894), S. 226–229 (Quelle).
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Thurneisser: Leonhard Th. zum Thurn, ein Hauptvertreter der medicinischen Theorieen des Paracelsus im 16. Jahrhundert, war der Sohn eines Goldschmieds zu Basel und geboren 1530. Er erlernte früh die Kunst seines Vaters, übernahm aber bald die Stellung eines Famulus bei dem Arzte Dr. Johann Huber in Basel, welchem er Arzeneien bereiten und die Schriften des Paracelsus vorlesen mußte. Erst 17 Jahre alt verheirathete er sich mit einer Wittwe; mittellos jedoch und unerfahren, wie er war, gerieth er in Schulden und Wucherern in die Hände, welche ihn so bedrängten, daß er 1548 heimlich seine Frau und seine Vaterstadt verließ, um zehn Jahre hindurch ein abenteuerndes Wanderleben als Goldschmied, Wappenstecher und Soldat zu führen. 1558 erschien er in Konstanz, wo er sich nach Auflösung seiner ersten Ehe wiederum verheirathete. Er zog mit seiner Frau nach Tarenz bei Imst in Tirol, legte hier ein Bergwerk und eine Schmelz- und Schwefelhütte an und sah seine Unternehmungen von solchem Erfolge gekrönt, daß er die Aufmerksamkeit des Erzherzogs Ferdinand von Oesterreich auf sich lenkte. Auf Wunsch desselben unternahm er 1560 zum Zwecke seiner weiteren Ausbildung im Bergbau und Hüttenwesen eine Reise nach Schottland, Spanien und Portugal und schließlich nach dem Orient, von welcher er 1565 über Griechenland und Italien wieder heimkehrte. Seine bergmännischen Unternehmungen in Tirol waren inzwischen in Verfall gerathen. Er gab sie daher auf und wandte sich dem Studium der [227] Medicin, Alchymie und Astrologie im Sinne des Paracelsus zu. Ohne solide wissenschaftliche Vorbildung, vielmehr von Mystik und Aberglauben erfüllt, unternahm er es, jene Disciplinen in umfassenden Schriften zu bearbeiten. 1569 veröffentlichte er zu Münster in Westfalen seine Archidoxa, „in Summa alle verborgenen Mysteria der Alchemy und der 7 freien Künste“ und 1570 sein Quinta Essentia, „d. i. die Höchste Subtilität, Kraft und Wirkung – der Medicina und Alchemia“. Beide Schriften sind erfüllt von wirren Speculationen und seltsamen Absurditäten und dazu in einer schwer verständlichen Sprache geschrieben. Ihnen ließ er 1571 ein Werk mehr realistischen Inhaltes folgen, „Pison“ genannt, welches in Frankfurt a. O. gedruckt wurde. Es handelte von „kalten, warmen, mineralischen und metallischen Wassern“, im besonderen von den Flüssen und Mineralien in der Mark Brandenburg und war ganz dazu angethan, den Kurfürsten von Brandenburg Johann Georg, welcher es las, für den Verfasser einzunehmen, welcher von ungewöhnlichen mineralischen Schätzen in den Flüssen und dem Boden der Mark Kunde besaß. Dem Pison zufolge führte die Spree in ihrem Sande Gold, gab es in der Umgegend von Küstrin Alaun, Salpeter, Rubinen und Granaten, bei Bernau Saphire, bei Oderberg Schwefel und Blei und dergleichen mehr. Den Flüssen wurden nicht nur medicinische, sondern auch moralische Wirkungen zugeschrieben. Das Havelwasser z. B. sollte schwer und ungesund sein und Frauen, die davon tränken, böse und klatschsüchtig machen. Neben solchen phantastischen Behauptungen enthielt der Pison andererseits verständige Angaben über die Pflanzen und Gesteine der Mark. – Nachdem Th. der leidenden Kurfürstin Sabina durch eine von ihm verordnete Cur Linderung verschafft hatte, wurde er von dem Kurfürsten als Leibarzt mit einem damals sehr hohen Gehalte von 1352 Thalern in Dienst genommen und ihm ein Theil des leer stehenden grauen Klosters in Berlin zur Wohnung eingeräumt. Nun begann für ihn eine Periode ungewöhnlicher Erfolge durch seine Thätigkeit als Heilkünstler, Alchymist, Astrologe, Naturforscher und vor allem als Geschäftsmann. Sein Hauptbestreben ging dahin, seinen Ruf als Arzt durch gelehrte Schriften zu begründen und zu verbreiten. Zur correcten Herstellung derselben gründete er in Berlin sogleich eine Buchdruckerei mit einem gut gewählten und gut besoldeten Personal. Es war die beste seiner Schöpfungen, welche auch fortbestand, nachdem er Berlin längst verlassen hatte. Seine medicinische Praxis dagegen beruhte auf unwissenschaftlichen Lehren und willkürlichen Voraussetzungen und war Quacksalberei im übelsten Sinne des Wortes. 1571 verkündete er der Welt in einer Schrift „Praeoccupatio“ die großen Erfolge seiner ärztlichen Diagnosen aus Harnproben. Die Schrift, welche jenen Titel mit dem Zusatze „das 59. Buch“ führte, erzählte von Kranken in Frankfurt und Berlin, welche durch seine neue Heilmethode ihre Gesundheit wieder erlangt hätten, und deutete an, daß die vorhergehenden 58 Bücher mit ähnlichen Krankenberichten im Drucke bald nachfolgen würden. Sie sind jedoch niemals erschienen. Die neue Heilmethode, welche auch entfernt wohnenden Kranken die Möglichkeit gewährte, medicinische Diagnosen von Th. zu erlangen, rief, wie er vorausgesehen und gewünscht hatte, einen umfangreichen Briefwechsel fürstlicher und adliger Personen mit ihm hervor, zu dessen Bewältigung er 10 bis 12 Secretäre beschäftigte. Die Rathschläge, welche er ertheilte, ließ er sich theuer bezahlen, und nicht minder die den Kranken mitgesandten Arzeneien, welche unter seiner Aufsicht in einem von ihm gegründeten Laboratorium angefertigt worden waren und die seltsamsten Namen trugen. Nimmt man dazu, daß er sich auch auf das Nativitätsstellen verlegte, Talismane und Amulette verfertigte und verkaufte, alljährlich einen Kalender mit Prophezeiungen in die Welt sandte und endlich in der Archidoxa sich die Kunst zuschrieb, unedle [228] Metalle in edle zu verwandeln und den Stein der Weisen herzustellen, so begreift es sich, daß er in wenigen Jahren nicht nur ein sehr berühmter, sondern auch ein sehr reicher Mann wurde. Nach dieser Seite seines Wirkens ist er den berüchtigten Wunderdoctoren und Wunderthätern beizuzählen, welche sich nicht scheuten, die Unwissenheit und Leichtgläubigkeit ihrer Zeitgenossen zum eigenen Vortheile auszubeuten. Indessen würde man ihm doch nicht gerecht werden, wenn man in ihm nichts weiter sähe als einen Thaumaturgen und ärztlichen Charlatan. Er war ohne Zweifel auch bemüht, sein Wissen auf dem Wege der Naturbeobachtung zu vermehren, denn er betrieb anatomische und botanische Studien und legte Sammlungen von Mineralien, Pflanzen und Sämereien an. Sogar geographische und Sprachstudien beschäftigten ihn zeitweise, wie er sich denn nach 1578 von dem Berliner Propste Jakob Coler in der lateinischen Syntax unterrichten ließ. Von seinen mannichfachen Studien zeugen mehrere für seine Zeit bemerkenswerthe Schriften, vor allem seine „Historia sive descriptio plantarum omnium tam domesticarum quam exoticarum“, ein mit vortrefflichen Pflanzenabbildungen ausgestattetes, leider unvollendet gebliebenes Werk, von welchem der erste Theil 1578 erschien. 1574 gab er ein „Onomasticon polyglosson“ heraus, welches 1583 in einer umfassenderen Bearbeitung unter dem Titel „Melizah χαὶ Έρμηνεία“ veröffentlicht wurde. Sogar eine Chronik und eine Karte der Mark Brandenburg sind von ihm vorbereitet, aber nicht vollendet worden. Man ersieht daraus, wie seine Thätigkeit mit den Jahren eine mehr nüchterne Richtung einschlug und wissenschaftlich berechtigte Ziele verfolgte, aber zu einer vollen geistigen Gesundung brachte er es nicht mehr. Das Schwindelhafte seiner medicinischen Praxis war schließlich doch erkannt worden. Ein Mitglied der Frankfurter Universität Dr. Kaspar Hofmann griff 1576 sein Heilverfahren in einer später auch gedruckten Rede: De barbarie imminente mit überzeugender Kritik an und 1579 bezeichnete der Professor Franz Joel in Greifswald in einer Schrift: De morbis hyperphysicis et rebus magicis Th. geradezu als Betrüger und Zauberer. In einer heftigen schmähsüchtigen Gegenschrift suchte dieser sich zu vertheidigen, allein die öffentliche Meinung in Berlin war wider ihn. Er fühlte den Boden unter sich wanken und dachte an eine Uebersiedelung nach Basel. Im Herbste 1579 besuchte er seine Vaterstadt nach langer Abwesenheit wieder, erwarb hier das Bürgerrecht und durch Kauf eine umfangreiche Besitzung und verheirathete sich hier sogar zum dritten Male, da seine zweite Gattin inzwischen gestorben war. Diese dritte Frau indeß, die Tochter eines Baseler Patriciers Herbrott, führte seinen Ruin herbei. Nachdem er mit ihr nach Berlin zurückgekehrt war, um durch Auflösung seiner Geschäftsbetriebe seinen Abzug vorzubereiten, erwies sich, daß sie ebenso sittenlos wie ungebildet und ein Zusammenleben mit ihr für ihn unmöglich war. Er sandte sie daher ihrem Vater nach Basel zurück und sah sich bald in einen kostspieligen und langwierigen Eheproceß verwickelt, der mit seiner Verurtheilung und der Ueberweisung seines in Basel befindlichen Besitzes an seine frühere Gattin endete. Sein Wohlstand war dadurch zerrüttet, und nun konnte auch die unveränderte Zuneigung des Kurfürsten ihn nicht bewegen, noch länger in Berlin zu bleiben. Als er diesen im Sommer 1584 auf einer Reise nach Dresden begleiten sollte, benutzte er diese Gelegenheit zur Flucht nach Prag und dann nach Italien. Ueber ein Decennium hinaus führte er abermals ein unruhiges Wanderleben, dessen Verlauf sich jedoch der geschichtlichen Kunde entzieht, da fast jede sichere Nachricht darüber fehlt. Ein in Frankfurt am Main von ihm veröffentlichter Kalender auf das Jahr 1591 mit einer Vorrede über die Magie und „was davon zu halten sei“, ist das letzte von ihm bekannte Werk. In einem Kloster zu Köln soll er 1595 oder 1596 sein Leben beschlossen haben.

[229] Eine quellenmäßige Darstellung seines Lebens und ein Verzeichniß seiner Schriften lieferte J. C. W. Moehsen in seinen Beiträgen zur Geschichte der Wissenschaften in der Mark Brandenburg, S. 55–198.