ADB:Thrän, Ferdinand
1/2 Foliobogen, welche im folgenden wörtlich benutzt werden soll, weil sie für seinen Bildungsgang und für seinen Charakter von Werth ist. Er hat sie vier Jahre vor seinem Tode geschrieben und „Nekrolog“ betitelt. Wie seine noch lebende Tochter dem Schreiber dieses Artikels sagte, hatte Herr Rector Fr. Pressel in Heilbronn den Wunsch ausgesprochen, davon Einsicht nehmen zu dürfen, und dieser Wunsch wurde erfüllt. Im 5. Heft der Münsterblätter erschien dann „Thräns Lebensgang, von ihm selbst erzählt“, ein Abdruck dieses Nekrologs, aber mit bedeutenden Auslassungen, Abkürzungen von Stellen, welche die Herausgeber glaubten nicht veröffentlichen zu sollen. Und dieser Nekrolog wurde also von der Redaction zu ihrem Zwecke verwendet, wie die Tochter schreibt, ohne daß die Familie davon in Kenntniß gesetzt wurde. Mit Zustimmung derselben wird nun im folgenden ebenfalls diese Autobiographie wiedergegeben, mit den nöthigen Zusätzen.
Thrän: Georg Karl Ferdinand Th., Dombaumeister in Ulm, ward geboren am 4. December 1811 in Freudenstadt, der württembergischen Oberamtsstadt auf dem Schwarzwald. Seine Eltern waren Georg Friedrich Matthias Th., Diakonus an der Stadtkirche in Freudenstadt, und Friedrike geb. Haspel, Tochter eines berühmten Arztes in Schwäbisch Hall, welcher Leibarzt des Prinzen Paul von Württemberg gewesen war, so lange dieser ins Exil im Stift Comburg verbannt war. So schreibt Ferdinand Th. selbst in einer von ihm verfaßten Lebensbeschreibung auf 5Mein Vater (so fährt Th. fort) wurde 1811 Diakonus an der Stadtkirche in Freudenstadt. Im September 1819 wurde er als Pfarrer nach Gelbingen, Diöcese Schwäbisch Hall, versetzt, und zwar auf sein Ansuchen, weil meine Eltern den Wunsch hatten, ihrer Heimath und den Ihrigen näher zu sein. Den ersten Schulunterricht im Lesen, Schreiben, Rechnen erhielt ich von meinem Vater. Am 17. März 1821 starb er. Ich besuchte von nun an das Gymnasium in Schwäbisch Hall, aber nur kurze Zeit, weil ich noch in demselben Jahre von meinem Oheim, dem damaligen Straßenbauinspector Bühler in Weingarten, Oberamt Ravensburg, an Kindesstatt angenommen wurde. War ich früher nach dem Vorgang meines Vaters zur Theologie bestimmt, so änderte sich jetzt meine Laufbahn: ich trat zum Baufach über. In nicht ganz drei Jahren war ich ausgebildet, und zwar in dem Grade, daß ich als Dirigent der Bauschule für Architekten und Werkmeister, welche Bühler gegründet hatte, vorstehen [128] konnte. In diesem Inspectionsbezirk war reiche Gelegenheit zu Erlernung der Feldmeßkunst, des Tracirens von Straßen, der technischen Behandlung von Flußcorrectionen, des Nivellirens mit Instrument und Barometer. Mein Lehrer und Erzieher verwendete mich auch zu Privataufträgen, wie folgt. Zu Anfang der dreißiger Jahre bildete sich in Ulm eine Actiengesellschaft zur Erbohrung von artesischen Brunnen auf der rauhen Alb. Ich hatte die Pläne zu entwerfen zur Bohrhütte, zu den Arbeitswerkzeugen, deren es viele waren, in natürlicher Größe, hatte alle Bohrregister zu führen. In drei Orten wurde gebohrt, in Luizhausen, Nerenstetten, Niederstotzingen, alle im Oberamt Ulm, aber ohne Erfolg. Das Jahr 1831 war für mich verhängnißvoll. Anfangs August war ich nach Berg, Oberamt Ehingen, beordert zur Aufnahme der dortigen Donaubrücke, Jochbrücke, an deren Stelle eine steinerne gebaut werden sollte. Während dieser Arbeit brach das Nervenfieber bei mir aus und zwar rigourös. Am 27. September, Abends 6 Uhr, erwartete man meinen Tod: aber es trat eine Krisis ein, ich genas. Die Jahre 1833 und 1834 treffen mich als Bauführer mit Ausführung von steinernen Dohlen, Durchlässen und hölzernen Brücken in den Straßenbauinspectionen Ulm und Biberach. Meine praktischen Kenntnisse erlernte ich bei dem Bau der Donaubrücke (Ludwig-Wilhelmsbrücke) in Ulm, wo ich drei Jahre beim Zimmerhandwerk stund, eingeschrieben auf den Zimmermeister Honold in Neuulm. Ebenso bei dem Bau der Brücke über die Donau bei Wiblingen. Bei solchen Bauwesen stehen die Betheiligten mehr oder weniger in Gefahr, das Leben einzubüßen. Mir drohte es mehrere Male. An der Ulmerbrücke stürzte ich beim Balkentragen mit meinem Kameraden in die Donau; wir mußten herausschwimmen und eilten in den goldnen Ochsen zum Abtrocknen. Ein andermal stürzte ich in die sehr tiefe Baugrube am bairischen Widerlager; ich wurde mit sogenannten Stichern herausgeholt. – Und an der Wiblinger Brücke war es ein wahres Wunder, daß ich nicht durch ein aus der Höhe von 40 Fuß herabstürzendes Hebeisen förmlich gespießt wurde. Im Jahre 1835 wurde ich von Herrn Oberbaurath v. Etzel senior aufgefordert, das Staatsexamen mitzumachen. Dieses dauerte vom 15. Juni an drei Wochen; ich erhielt das Zeugniß II. Classe, Prädicat gut. Wir waren zu vier: Cloß, jetzt Oberbaurath; Etzel, der verstorbene Oberbaurath; Düngen, Titulaturbaurath, und ich. Nach erstandenem Examen machte ich einen Besuch bei Oberbaurath Thouret (Examinator), um mich zu erkundigen, auf welches Resultat ich meine Hoffnungen bauen könne; der erwiderte mir, ich könne beruhigt nach Hause gehen. Ich hatte auch das Glück, die Hauptaufgabe, diesmal ein Zuchthaus für beide Geschlechter, von allen Candidaten am besten zu lösen, weil ich das Kreissystem anwendete. Mit mancherlei Arbeiten wurde die andere Hälfte des Jahres 1835 und der Winter und theilweise die Frühjahrszeit 1836 ausgefüllt. – Im J. 1836 begannen die Vorarbeiten zur Erbauung der Eisenbahnen. Dem Baurath Bühler wurde der Auftrag ertheilt, die Möglichkeit der Ausführung einer Eisenbahn zu untersuchen und nachzuweisen. Ich wurde dazu verwendet, ein Nivellement herzustellen von Friedrichshafen über Ulm bis Canstatt. Nach dessen Vollendung kamen die Detailvermessungen. Ich erhielt folgende Districte: 1) von Friedrichshafen bis Ravensburg, 2) von Waldsee bis Oberessendorf, 3) von Erbach bis Obersulmetingen, 4) von Erbach bis Ulm, 5) von Ulm bis Bollingen, 6) von der Thierhalde bis Geislingen, Ueberkingen um den Weigoldsberg herum nach Altenstadt, 7) von Großeislingen bis Faurndau, 8) von Plochingen bis Eßlingen. Ich kann sagen, daß ich derjenige bin, welcher den ersten Pfahl zur Eisenbahn in Württemberg, und zwar an der Ziegellände bei Ulm, geschlagen hat.
Als ich in Waldsee stationirt wurde, erhielt ich ein Regierungsdecret vom [129] 16. December 1836, des Inhalts, daß ich von S. Majestät dem König als Straßenbau-Inspections-Verweser der Inspection Ulm ernannt sei, – fünf Jahre dauerte dieses Provisorium, – mit 600 fl. Gehalt *). – Laut Regierungsdecret vom 16. August 1841 wurde ich für die Inspection Ulm, bestehend aus den Oberämtern Ulm, Blaubeuren, Geislingen, Göppingen, Kirchheim definitiv mit 800 fl. Gehalt ernannt. War diese Inspection durch große Ausführungen von Straßencorrectionen bedacht, als: die Ulm-Blaubeurer Route, die Frauensteige bei Ulm, Flußcorrectionen (der Böfinger Donaudurchstich unterhalb Ulm), so wurden mir auch die Donaucorrectionen bei Wiblingen übertragen, weil der Beamte in Ulm näher war, als der in Ehingen. Die weitere Zugabe erhielt ich durch die Filialinspection Weißenstein von Groß-Süßen bis Böhmenkirch.
Am 7. April 1842 verehelichte ich mich mit Elisabeth geb. Pfeiffer, Tochter des Weinhändlers Pfeiffer in Neu-Ulm. Von dieser Ehe lebt eine Tochter, vier Kinder sind sehr bald gestorben.
Nicht allein die Strapazen des Dienstes (im Monat mindestens 12 Tage zu Pferd, wobei ich das Unglück hatte, in 8 Jahren 11 Mal mit dem Pferd zu stürzen, doch jedes Mal unverletzt davon kam: – die Pferdsration war zu gering, als daß man sich mit einem gut zugerittenen Thiere hätte versehen können –), sondern mehr noch die grobe Behandlung von Seiten meiner Vorgesetzten, Bauräthe und Oberbauräthe (namentlich Knoll …) veranlaßte mich eine andere Existenz zu suchen. Sie fand sich bald. Die Stadt Ulm hatte seit vielen Jahren keinen Stadtbaumeister. Unglücklich ausgeführte Bauten veranlaßten die Collegien, einen solchen anzustellen. – Diese Gelegenheit war mir günstig: nach Beseitigung einiger Intriguen, wie denn solche Wahlen nicht ohne diese ablaufen, wurde ich mit großer Stimmenmehrheit gewählt. Mein Gehalt war 1050 fl. – und Diäten auswärts pro Tag 6 fl. Am 30. Mai wurde ich laut Stiftungsrathsbeschluß § 146 als Stadtbaumeister angestellt, die Instruction in 17 §§ mir eingehändigt und die Beeidigung auf dem Rathhaus in der Sitzung vorgenommen.
Der Beginn der Restauration des Ulmer Münsters fiel gerade in diese Zeit; dies war auch ein Hauptmotiv für mich, meine Stellung zu wechseln.
Für diesen Bau war ein eigener Münsterbaumeister in der Person des † Professors Mauch (er starb in Stuttgart am 13. April 1856) an der polytechnischen Schule in Stuttgart bestellt, und ich hatte laut § 10 meiner Instruction die Verbindlichkeit, die Restauration unter seiner Leitung zu führen. War aber die Wahl dieses Mannes nur auf dem Wege der Intrigue zu Stande gekommen, so war sie auch nicht haltbar. Seine Unwissenheit mir gegenüber (in Baufragen) und seine Unverschämtheit in der Honorarforderung für seine geleisteten, oder vielmehr nicht geleisteten Dienste dem Stiftungsrath gegenüber veranlaßte schon nach einem Jahr seinen Rücktritt. Er forderte nicht weiter fürs erste Jahr, Besoldung und Diäten, als 986 fl., und erhielt sie auch. Ich war eigentlich ungeachtet der Anstellung des Professors Mauch schon vom Beginn der Restauration (den 21. August 1844 **) 1 Jahr, 2 Monate und 10 Tage selbständiger Baumeister am Münster.
[130] Im J. 1847 begann ich ein Werk herauszugeben unter dem Titel: „Denkmale altdeutscher Baukunst, Stein- und Holzsculptur aus Schwaben, herausgegeben von G. Karl Ferdinand Thrän, Stadtbaumeister in Ulm. 1847.“ Im September erschienen die ersten Hefte, deren ich es bis zu I. II. und III. brachte. Das Werk fand sehr guten Absatz, bis der Revolutions-Februar 1848 in Paris ausbrach, und von dort auch Deutschland in diesen Strom fortgerissen wurde. Mein ganzes Unternehmen gerieth ins Stocken; aber die Bezahlungen der Kosten für Lithographien, Papier, Druckschriften etc. wurden gefordert; ich wurde für alle diese Punkte eingeklagt, und kam in Besoldungs-Abzug jährlich mit 833 fl. 10 kr. Meine Besoldung betrug also noch 3 Jahre lang nur 666 fl. 40 kr. Dies war die Hauptursache, daß ich nie ein Vermögen erwerben konnte und nur eine Fahrniß im Werth von circa 7000 (6060) fl. besitze, zu welchem Anschlag dieselbe in der Aachen-Münchener Feuerversicherung ist *).
Am 10., 11. und 12. August 1848 wurden 2 Baumeister berufen: Bauinspector Rupp von Reutlingen und Oberbaurath v. Gaab von Stuttgart, um über die Stellung der neuen Orgel ein Gutachten abzugeben, auch sollten sie die bisherigen Restaurationsarbeiten begutachten. So entstand das herrliche Institut der Herren Beiräthe, welches nebenbei betrachtet, so unnöthig ist als ein Kropf am Halse einer schönen Frau. Dies war der Stand der Münsterrestauration in meinem Wirkungskreis.
In einer Stadt wie Ulm, die so lange keinen eigenen Baumeister hatte, steigerten sich die Bedürfnisse in der Technik, Canalbauten, Anlage von Trottoirs, Brunnenwerk, Hochbauten in 105 Gebäuden, welche die Stadt Ulm hat, namentlich auch auswärts in ihrem ehemaligen Gebiete auf württembergischem und bairischem Territorium, Schulhäuser, Pfarrhäuser. Es waren dies die Orte: a) in Württemberg: Scharenstetten, Kirche; Oppingen, Zehntscheuer; Mähringen, dito und Pfarrhaus; Jungingen, Pfarrhaus; Ettlenschieß, Zehntscheuer; Ulm, Gurrenhof; Ersingen, Kirche, Pfarrhaus, Pfarrscheuer und Schulhaus. b) in Baiern: Pfuhl, Pfarrhaus; Leipheim, Decanathaus; Bubesheim, Pfarrhaus; Steinheim, Kirche und Pfarrhaus. Im Anfang des Etatsjahres fand die regelmäßige Visitation dieser Gebäude in Gemeinschaft mit dem betreffenden Verwalter statt. Anno 1857 fand eine Aenderung meiner Stellung statt. Der verstorbene Stadtschultheiß Schuster beabsichtigte die Gasbeleuchtung in Ulm einzuführen. Ich war nicht gegen die Sache, wol aber gegen die Art und Weise ihrer Einführung. Dies gab Zwist. Ich verabscheute den Weg der Corruption: ich mußte also um jeden Preis von meiner Stelle als Stadtbaumeister entfernt werden. Die Procedur war aber für mich nur vortheilhaft. Ich erhielt eine abgesonderte höchst angenehme Stellung, einen Beruf, den nur wenige Baumeister aufzuweisen haben, und Gehaltszulage von 1050 fl. auf [131] 1550 fl. und 60 fl. Miethzinsentschädigung. Von Seiten der Stadt wurde mit mir am 25. November 1857 von beiden Collegien ein perfecter Dienstvertrag abgeschlossen, der alle Verhältnisse regelte, so daß ich jetzt nur noch das Münsterbauwesen allein zu besorgen hatte. Im J. 1860 erhielt ich einen weiteren Auftrag. Die St. Valentinscapelle, das sog. Schmalzhäuschen neben dem Münster (ein Privateigenthum), wurde von der Stadt angekauft um 3000 fl. Da ich als Dombaumeister keine Verbindlichkeit hatte auch dieses Bauwesen zu übernehmen, so wurde ich laut Stiftungsrathsbeschluß vom 24. Mai 1860, § 179, I befragt „ob ich geneigt seye, die Restauration dieser Capelle zu übernehmen“. Ich erklärte mich bereit dazu. Es wurden zwei Voranschläge gefertigt, ein größerer mit 1979 fl. 30 kr., und ein kleinerer mit 1240 fl. 22 kr. Polier Wagner am Münster hat sie gefertigt, nicht ich, ich unterschrieb nur vdt. Thrän, ohne mich über ihre Zuverlässigkeit auszusprechen. Am 17. September 1861 mußte ich sie dem Vorstand des Stiftungsraths Stadtpfarrer Ruß übergeben. Am Donnerstag, den 17. Juli 1860, wurde mit der Restauration begonnen, und im Januar 1863 laut Regierungsdecret vom 7. Januar 1863 wieder sistirt. – Dies war der Anfang der Chicanen. – Am 26. Juni 1863 durfte wieder begonnen werden. – Am 13. Juli 1865 waren verbaut 1464 fl. 34 kr.; bis dahin verwilligt 1621 fl. 50 kr., also gut 157 fl. 10 kr. Im J. 1863 wurde Oberjustizrath Heim zum Stadtschultheiß erwählt. Am 30. Juli 1864 waren Se. Majestät der König Karl von Württemberg Vormittags 11 Uhr im Münster; ich erhielt in seinem Beisein durch den Cabinetschef Staatsrath Freiherrn v. Egloffstein die große goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft. Die Veröffentlichung in den Regierungsblättern erfolgte aber erst am 8. November 1864, nachdem ich selbst die nöthigen Schritte dazu einleiten mußte, weil Intriguen vorgekommen sind. Vom 14./15. December 1864 erhielt ich ein Schreiben von etc. Heim mit der Drohung der Beschlagnahme meiner Besoldung brevi manu vorerst circa 600 fl. Sie war aber bereits vollzogen. Meine Mutter hat aber mit ihrem Vermögen für mich Garantie geleistet; sie hatte vor kurzem ein kleines Erbe erhalten. Ich wendete mich an das k. Oberamtsgericht Ulm – aber vergebens –, dieser bedauernswürdige Richterstand konnte mir keine Genugthuung verschaffen. Ein Schreiben von Heim, d. 19./20. December 1865 setzte mich in Kenntniß, daß die Collegien alle Kosten genehmigt haben, excl. der Wetterfahne. Der auf einem Misthaufen spazieren gegangene Verstand ist indessen wieder glücklich retournirt, und laut Beschluß vom 13. Juli 1865 § 139 weitere 300 fl. genehmigt. Von diesem Datum an ist nichts mehr an der Valentinscapelle geschehen. Ich habe in meinem Münsterkasten einen ziemlich starken Band mit dem Titel: Fascikel für empfangene Grobheiten. Der Actenband über diese Capelle übertrifft aber alles. Der Unverstand – bäurische Rohheit –, der Zorn mir diese Arbeit übertragen zu müssen, weil sie keinen andern haben, kannte keine Grenzen. So ist vielleicht seit Jahrhunderten kein Baumeister behandelt worden. Oberitalien weist ein Beispiel auf aus den zwanziger Jahren. Ein Baumeister, der Erfinder einer ausgezeichneten Brückenconstruction, wurde aus Neid von seinen Collegen für einen Narren erklärt und ins Tollhaus gesperrt. Mit dem Schluß vom Jahre 1866 baue ich 23 Jahre an diesem Dom. Die größten ausgeführten Werke sind Restaurationen und Neubauten: a) oberste Kranzgallerie, b) theilweise das oberste 40' hohe Stockwerk, c) der Unterbau der Orgel, d) die Riesenorgel mit 100 Registern (deren Gehäuse), e) Unterfangen des Hauptportals, f) die Brautthüre, g) Strebepfeiler je 70' hoch auf den Seitenschiffen, 18 Stück, h) Strebebogen, 15 Stück, i) Restauration der Sockelfelder zwischen den Strebepfeilern, südlich. Während meiner Laufbahn als k. Straßenbauinspector hatte ich eine Praxis von Privatgeschäften [132] bei Gemeinden: a) in Göppingen, das Oberamtsgefängniß, b) in Uhingen OA. Göppingen, eine steinerne Brücke, c) in Ober-Lenningen OA. Kirchheim, eine hölzerne Brücke mit steinernen Widerlagern, d) in Bartenbach, Correction des Kirchhofs, e) in Ulm als Stadtbaumeister, das Gasthaus zum goldnen Ochsen, das Wohnhaus des Majors v. Bach vor dem Gögglinger Thor, f) das Gasthaus zum Mohren, g) die neue Kirche in Urspring OA. Ulm, h) Restauration der Kirche in Suppingen OA. Blaubeuren, i) Kirchthurm in Radelstetten, k) Chorrestauration in Lonsee, – und sonstige Aufträge, als Kirchenrestaurationen in Luizhausen, Weidenstetten, welche aber wegen der Charakterlosigkeit des Bezirksvorstandes … ins Stocken geriethen. In Baiern wurde ich berufen nach Nördlingen, wegen Gurtenbrüchen in den Schiffen der Kirche im April 1866; nach Weißenhorn, wegen des Einsturzes der Kirche, im März 1866. Jetzt ist das Ulmer Münster meine einzige Aufgabe.
Während meiner Dienstzeit als Stadtbaumeister wurde ich auf städtische Kosten mehrmals auf Reisen geschickt. I. Im August 1847 nach Mainz zur deutschen Architektenversammlung. Von da aus besuchte ich Köln, im Rückweg Straßburg und Freiburg. II. Im Sept. 1853, 11.–17. nach Nürnberg, Verein für Geschichte und Alterthum. III. Vom 27. Oct. bis 4. Nov. 1853 eine zweite Reise nach Köln, Speier, Würzburg in Brunnenwerksangelegenheiten. IV. Eine Reise nach Augsburg zum Architektenverein, 10. Sept. 1857. V. Im Nov. 1857 reiste ich nach Mainz, um die Zerstörungen der Pulverexplosion zu besichtigen; auch nach Frankfurt, um die Goldverzierungen für das Theater in Ulm auszusuchen. VI. 2. Dezb. 1857 eine Reise nach Basel, um die dortige Gasbeleuchtungsanstalt einzusehen; der Rückweg ging über Straßburg und Pforzheim nach Ulm. VII. 25.–25. Sept. 1858 nach Stuttgart. Versammlung der Architekten und Ingenieure.
So schrieb Th. selbst, die Urschrift bewahrt seine Tochter; eine später von ihm selbst gefertigte Reinschrift wurde ausgeliehen, aber nicht zurückgegeben, und ist verloren. Man sieht aus diesem Nekrolog, wie es das höchste Ziel seines Lebens war und blieb, am Ausbau des Ulmermünsters mitwirken zu dürfen. Schon im J. 1827, als er mit seinem Oheim Bühler nach Ulm kam, hingen seine Blicke oft am Münster, was Bühler stets durch Ohrfeigen zu unterdrücken suchte, „denn“, sagte er, „das Münsterhocken tauge zu nichts: Thrän habe jetzt seinen Hochbau zu studiren“. So sagte Bühler, nicht aus Mangel an Kunstverständniß, sondern weil Th. als ältester Sohn einer vermögenslosen Pfarrerswittwe keine Mittel besaß, sich Lieblingsstudien hinzugeben, sondern möglichst früh eine Stelle im Staatsdienst zu erringen suchen mußte; und wahrlich, ein Bühler hat einst die Wahrheit gesprochen (so schreibt Elise Thrän in ihren Bemerkungen zum Nekrolog), denn das Münsterhocken hat zu gar nichts getaugt, als zu einer armseligen Existenz: nicht einmal zu einem ehrenden Grab, wie es anfangs ihm bestimmt zu sein schien!
Th., nachdem er Stadtbaumeister, und vorher Straßen(Landstraßen)bauinspector gewesen, begann den Bau am Münster, allerdings ohne eine förmliche Vorschule für das Studium der Gothik genossen zu haben. Er hat sie aber doch studirt, war ein Autodidact, ein selfmade man. Wer ihn würdigen will, wird hierauf ebenso das Bedeutende, das ihm eignet, als auch mögliche Fehlgriffe, und „den Eigensinn und den Trotz im Beharren“ zurückzuführen haben. Er war überzeugt, daß er Recht habe. Daß er selber auch grob und derb sein konnte, zeigt sein Nekrolog unverhüllt. Der Streit Thrän’s gegen Mauch, Haßler, Egle geht dahin: er war der Ueberzeugung, daß das Münster als spätgothischer Bau zu betrachten sei und nur die ersten Anfänge noch in die Frühgothik gehören; [133] daher vertheidigte er die von ihm an Stelle des früher vorhandenen Daches hergestellte Plattform über dem Hauptportal, überhaupt das unbedeckte Galleriesystem, und wies auf die vielen Vorbilder hin, die vom Elsaß bis Antwerpen zu sehen seien, und die bestimmten Merkmale, die am Münster selbst zu finden waren: die Portale mit Plattform und Gallerie. Diese Ansicht wurde von Egle mit aller Energie bekämpft. Man wußte endlich nichts besseres mehr zu entgegnen, als wir seien nicht in Italien. Antwerpen ist auch nicht in Italien, erwiderte Th. und ließ sich nicht eines Besseren belehren, er blieb bis an seinen Tod seiner Ueberzeugung treu, die auf das Studium seines ganzen Lebens gegründet war, und die seine Gegner als Trotz und Eigensinn bezeichnen. Die Bibel, die Legende, die Symbolik, die Grundzüge, auf denen die Gesetze der christlichen Baukunst beruhen, und auf welche die alten Meister ihre herrlichen Münster gebaut haben, sie hielt mein Vater (so schreibt Fräulein Thrän) gleich seinen alten Vorgängern hoch, seine Nachfolger, und überhaupt viele Baumeister der Neuzeit lachen über solche Einseitigkeiten. Nicht klüger zu sein, nichts Besseres leisten zu wollen, als die alten Meister, sondern einzudringen in ihr Fühlen und Denken, die Steine wieder da und so einzufügen, wie sie die Merkmale für denjenigen, der sie versteht, klar und deutlich hinterlassen haben, – das waren die Grundsätze, nach welchen Ferd. Th. vom 21. August 1844 bis 13. Februar 1870 am Ulmer Münster gebaut hat.
Die Gallerie und Plattform über dem Hauptportal wurde von Scheu wieder abgenommen. Das nunmehr wieder hergestellte schräge Dach findet sich schon in der Abbildung in Sebastian Fischer’s Chronik. Weitere Veränderungen machte Dr. v. Beyer, der jetzige Münsterbaumeister. Die unterfangenen Pfeiler sind unverändert: an diese konnten die Gegner keine Hand anlegen. Die Orgel sammt Unterbau wurde 1882 hinweggeschafft und gänzlich erneuert. An den Strebebogen wurden theilweise ebenfalls Veränderungen vorgenommen, ob mit Recht oder Unrecht bleibe dahingestellt. Die durchbrochene Ornamentik am unteren Theil derselben wurde ausgefüllt, um sie zu verstärken. In den Münsterblättern schrieb Egle, die Strebebögen seien von Th. zu leicht construirt. – Der erste Strebebogen wurde von Th. schon im J. 1857 gebaut, und damals hatte der schon im J. 1855 zum technischen Beirath gewählte Hofbaumeister Egle nichts dagegen eingewendet. Ueber die Streitfrage wegen des unbedeckten Chorumgangs mit den symbolischen Wasserspeiern wurde ebenfalls noch vor Thrän’s Tode debattirt. Der bedeckte Chorumgang wurde ausgeführt von Scheu.
Schon zu Anfang der zweiten Hälfte der sechziger Jahre stellte Th. den Antrag, daß Ulm auch gleich Köln durch eine Lotterie die Mittel zum Weiterbau sich verschaffen solle. Der erste Antrag wurde abgelehnt, man fand eine Lotterie für eine Kirche unpassend, doch ließ er sich nicht so leicht aus dem Felde schlagen: er schrieb darüber in die Ulmer Schnellpost, um das Interesse der Bürgerschaft für die Sache zu wecken, und seine wiederholten Anträge fanden endlich die Genehmigung (erste Münsterlotterie 1867). Daß, nachdem die Kölner Thürme vollendet waren, auch schließlich das protestantische Preußen noch die Erlaubniß zum Verkauf der Loose ertheilte, und unsere Lotterie im Maßstab der Kölner Lotterie betrieben wurde, das ist ein Verdienst des Herrn Oberbürgermeisters v. Heim, aber daß wir überhaupt eine Ulmermünster-Lotterie bekamen, das ist Th. zu verdanken, obgleich es auch in den Münsterblättern, Heft 5, S. 22 heißt: die von Heim „geschaffene“ Münsterlotterie. Auch Haßler hatte vorher durch seine Schriften für das Münstercomité, und durch seine Rundreisen das allgemeine Interesse für die Restauration erweckt. Th. selbst hat nie geltend gemacht, daß man es nicht anerkannte, daß er es war, welcher die erste Anregung zu der bedeutenden Vermehrung der Geldmittel gegeben hatte. Man hatte ihm gegenüber auch so [134] vieles andere vergessen. Zum Beispiel bei der Beglückwünschung des neugewählten Stadtschultheiß Heim hatte ihm dieser eine Gehaltserhöhung verheißen, aber das Versprechen war nicht gehalten worden. – Sein Bild ist in einem Holzschnitte dem oben angeführten Abdruck seines Lebensgangs in den Münsterblättern, Heft 5 beigegeben: es macht aber einen unerfreulichen, ganz andern Eindruck, als die Photographie, welche noch im Besitz seiner Familie ist. Am 13. Februar 1870 starb er nach kurzer Krankheit an Lungenentzündung. Die Beerdigung fand am 16. Februar statt: Diakonus List hielt die schöne Leichenrede, welche dann auch von Gebrüder Nübling gedruckt wurde; die städtischen Behörden legten einen Lorbeerkrauz am Grabe nieder. Die allgemeine Theilnahme, die Kundgebungen der Presse in Prosa und Poesie zeugten von der Volksthümlichkeit, die der Meister besessen hatte. Die Arbeiter der Bauhütte bewahrten ihm ein dankbares Andenken, denn er war stets wohlwollend gegen sie gesinnt und in mannichfacher Hinsicht für sie besorgt. Sie erhielten auf ihren Wunsch von seiner Wittwe ebenfalls seine Photographie – Unter seiner langjährigen Leitung des Münsterbaus ist nicht ein einziger erheblicher Unglücksfall vorgekommen. – Der hervorragendste Zögling der Münsterschule, der talentvolle, liebenswürdige Maler Friedr. Dirr, geb. in Erbach OA. Ehingen, welcher leider früh im Kampfe mit der Noth des Lebens erlag, hing zeitlebens an seinem Lehrer wie an einem Vater, denn Th. wußte eine Künstlernatur voll Feinfühligkeit und Echtheit wol zu schätzen: er liebte ihn wie einen Sohn.
[129] *) Die Restauration des Fischkastens (des berühmten Marktbrunnens beim Rathhaus in Ulm), ausgeführt 1840, fällt ebenfalls in die Zeit der Straßenbauinspection. (In der Beilage zum Nekrolog, welche Fräulein Elisabeth Thrän eigenhändig geschrieben hat.)
[129] **) „Ferdin. Thrän’s Bauthätigkeit am Münster beginnt nicht 1845 nach dem Rücktritt Mauch’s, sondern 1844 auf Grund der Wahl zum Stadtbaumeister, 30. Mai 1844. Entlassung aus dem Staatsdienst 4. Juli 1844. Der Bitte um frühere Enthebung vom Dienst [130] als in solchen Fällen gesetzlich vorgeschrieben, wurde nicht entsprochen, weshalb der Beginn der Münsterrestauration noch in die Zeit fällt, in welcher Thrän noch die Geschäfte der Straßenbauinspection zu besorgen hatte. Antritt des Stadtbaumeisteramts October 1844. – Aelteste Notizen im Schreibkalender: 1844, Juni 26–29 Mauch in Ulm. Untersuchung, Kostenanschläge, Kranzbelegung am Thurm. – 27. Juli Fortgangsbericht. – 21. August zum erstenmal Hand werkthätig am Thurm selbst angelegt, weshalb dieser Tag als der Beginn der Münsterrestauration zählt. – 24. Aug. Fortgangsbericht“. – „Am 17. Juli 1845 Erklärung an Mauch, daß er (Thrän) keine Fortgangsberichte mehr an ihn schicken werde. Und damit hatte seine Leitung ein Ende.“ So schreibt seine Tochter Elise nach Auszügen aus seinem Tagebuche.
[130] *) Die Taxation der Feuerversicherung war wol zu hoch: sie wurde so gemacht, weil mein Vater sehr viele Werke, alte Bilder etc. besaß, die unersetzlich gewesen wären. Anmerkung von Elise Thrän.