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ADB:Thomas, Adolf

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Artikel „Thomas, Adolf“ von Marie Sydow in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 38 (1894), S. 87–89, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Thomas,_Adolf&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 04:27 Uhr UTC)
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Thomas: Adolf Th., geboren am 9. Juni 1812 bei Freienwalde an der Oder, † am 15. März 1891 in Berlin. Sein Vater war Hüttenmeister an dem großen Alaunbergwerk bei Freienwalde, ein Mann von außerordentlichen Gaben, die er auf verschiedensten Gebieten in seinem Leben bethätigte, aber ein jähzorniger Charakter ohne jede Selbstzucht, Niemanden neben sich duldend, und deshalb auch nie lange in einer Stellung aushaltend. Seine Frau hatte er als ältestes von sieben Kindern aus dem Pfarrhause von Groß-Schönebeck sich geholt, verlor dieselbe aber nach 10jähriger Ehe, in der sie ihm sechs Kinder geboren hatte, Adolf Th. war der Aelteste, und sprach noch als Greis von dem Eindruck der Kindlichkeit, den ihm die Mutter hinterlassen, die selbst aus dem Kinderzimmer in die Ehe getreten, der beste Spielgefährte ihrer Kinder war. Der Schönebecker Großvater Pastor Walter hatte, obgleich er selbst noch sechs eigene Kinder hatte, seinen besonders begabten Enkel Adolf in seinem 6. Jahre zu sich genommen, um seiner Tochter die sich immer mehrenden Sorgen zu erleichtern. Sein Schwiegersohn hatte bald wieder die Hüttenmeisterstelle aufgegeben um in den Dienst des Fürsten Pückler-Muskau zu treten, an dessen gärtnerischen Anlagen er einen nicht unbedeutenden Antheil gehabt haben soll. Drei Jahre nur hatte der kleine Adolf im Hause des Großvaters sorglos zugebracht, als die Mutter starb und damit die Katastrophe über die Familie hereinbrach. Der Vater überwarf sich unmittelbar darauf mit dem Fürsten und brachte seine übrigen fünf Kinder unter dem Vorgeben, eine neue Stellung zu suchen, ebenfalls zu dem Großvater nach Schönebeck. Statt dessen verschwand er aber spurlos, ohne je etwas von sich hören zu lassen, und erst als sich seine sechs Kinder alle durch Noth und Entbehrungen zu tüchtigen Menschen emporgearbeitet hatten, fanden sie den Vater, der inzwischen ein hoher Siebziger geworden war, elend im Armenhause zu Halle wieder, nahmen ihn dort heraus und gaben ihn gemeinsam einer seiner Töchter, welche in Berlin dürftig existirte, in Pflege, wo derselbe im 84. Lebensjahre starb.

Als das Schönebecker Pfarrhaus nun plötzlich für zwölf Kinder zu sorgen hatte, mußten die Bissen täglich noch kleiner geschnitten werden. So wurde denn Adolf Th., als der Aelteste, in das Waisenhaus zu Halle gebracht, von wo aus er nach absolvirtem Abiturientenexamen mit sehr kargen Stipendien die Universität bezog. Seine schwankende Gesundheit, besonders die heftigen Kopfschmerzen, mit denen er bis über die Mitte seines Lebens behaftet blieb, schob er selbst auf die Entbehrungen seiner Kinderjahre, auf das Hungern auch im Waisenhause, und fröhliche Erinnerungen an seine Jugend fehlten ihm. Als er zuerst die Universität Greifswald bezog, erlaubten ihm seine Mittel auch nur [88] einen um den andern Tag Mittagbrod zu essen, auch mußte er sich aus demselben Grunde den Eintritt in die Burschenschaft versagen. Trotzdem aber wurde er in die Untersuchung wegen demagogischer Umtriebe verwickelt und zwar wurde er, da nichts Gravirendes gegen ihn aufzufinden war, nach dem eigenthümlichen Verfahren, das bei diesen Verfolgungen beobachtet wurde, vor die Alternative gestellt, entweder eine unabsehbar lange Untersuchungshaft oder eine sechswöchentliche Gefängnißstrafe in der Berliner Stadtvogtei durchzumachen. Durch die Erfahrungen, die er an mehreren seiner Freunde erlebt hatte gewitzigt, entschloß er sich, um möglichst bald wieder in den Besitz seiner Freiheit zu kommen, zu letzterer und ging nach Berlin. Ursprünglich hatte er sich der Philologie zugeneigt; als ihm aber beim Beginn der Studien die Schriften Schleiermacher’s in die Hand fielen, war sein Entschluß unwiderruflich gefaßt, Theologe zu werden. Mit Begeisterung begann er das Studium und ersehnte den Augenblick herbei, Schleiermacher von Angesicht zu sehen und sein Schüler zu werden. Nun trieb ihn die Abbüßung der Strafhaft früher als er gedacht hatte nach Berlin, und die erste Nachricht die er erfuhr als er in die Hauptstadt einfuhr, war die Trauerkunde, daß Schleiermacher gestorben, die Stadt ihres ersten Kanzelredners und die Theologie eines ihrer Führer beraubt sei. Um so enger schloß er sich bei fortgesetztem Studium dem Kreise der Freunde und Schüler des Verewigten an und gehörte mit zu denen, die sein Andenken lebendig hielten und in seinem Geiste fortwirkten. Nach beendetem Studium hatte er kurze Zeit eine Hauslehrerstelle in Liebenwalde inne, von der er aber bald wegen der Erkrankung seines Großvaters nach Schönebeck geholt wurde, dem er als Hülfsprediger zur Seite stand, bis er 1841 als Pfarrer nach Herzsprung in der Uckermark berufen wurde. Eine sehr viel einträglichere Stelle, die ihm gleichzeitig von der Behörde angeboten wurde, lehnte er ab, da die Gemeinde einen streng lutherischen Geistlichen wünschte, und er derselben nicht aufgedrungen werden wollte. Dieser Verzicht gewann ihm aber die Achtung und Freundschaft des späteren Consistorialpräsidenten Grafen Voß, welcher sehr bald darauf die Berufung von Th. nach Fürstenfelde bei Küstrin, eine der bestdotirten Landpfarren veranlaßte, wo derselbe bis zu seiner Berufung nach Berlin 1859 blieb.

Unterdessen hatte unter Führung von Stahl und Hengstenberg die Orthodoxie in der Kirche ihr Haupt erhoben und die Schüler Schleiermacher’s hatten derselben in ihrer berühmt gewordenen Erklärung vom 15. August 1845 den Fehdehandschuh hingeworfen, und eine eigene Zeitschrift zur Vertheidigung der bedrohten Union begründet, die von Eltester, Jonas, Pischon und Sydow herausgegeben wurde. Th. erwarb sich bald durch seine gründliche theologische Bildung, sein bei aller Entschiedenheit stets maßvolles Auftreten als Mitarbeiter derselben, sowie als Glied der damals alljährlich in Eberswalde tagenden Pastoralconferenz eine hervorragende Stelle. Auch als die Zeitschrift in die „Protestantische Kirchenzeitung“ umgewandelt wurde, betheiligte er sich rege an derselben und wurde ein warmes Mitglied des Unionsvereins, denn die evangelische Union war ihm Herzens- und Gewissenssache; dem Liebeswerke des Gustav Adolf-Vereins widmete er einen großen Theil seiner Kraft, ebenso wie er dem „Evangelischen Bunde“, diesem Bunde wider Rom und den Romanismus beitrat. Als Stahl in seinem Buche über „Die lutherische Kirche und die Union“ von neuem zwischen den Anhängern dieser und seiner Partei das Tischtuch zerschnitt, indem er dem königlichen Friedenswerke, der Vereinigung von Lutheranern und Reformirten „zu einer neubelebten evangelisch-christlichen Kirche im Geiste ihres Stifters“, die Alleinberechtigung des Confessionslutherthums schroff gegenüberstellte, trat Th. mit einer geharnischten Streitschrift auf den Plan, die [89] er selbst als ein Bekenntniß bezeichnet, und die er „Union, lutherische Kirche und Friedrich Julius Stahl“ (Berlin, Georg Reimer, 1860) benannt hat; dieselbe ist wegen ihrer begeisterungsvollen Hingabe an die Wahrheit und wegen ihrer tiefen idealen Auffassung der evangelischen Union von bleibenderem Werth als ein Flugblatt, das nur für den Tag seines Erscheinens Interesse hat. Noch mit der Abfassung dieser Schrift beschäftigt, erging vom Berliner Magistrat der Ruf an ihn, seine ländliche Pfarre mit der Kanzel der Nicolaikirche in Berlin zu vertauschen, welche einige Monate vorher durch den Tod von Jonas verwaist war, der Kanzel, auf der ehedem Spener und Paul Gerhardt gestanden hatten. Th. folgte dem Ruf und vertauschte seine ländliche Abgeschiedenheit mit dem Treiben der Hauptstadt, in der er von da ab noch 30 Jahre in Segen gewirkt hat. Er bezog eine schöne Dienstwohnung, das Parterregeschoß des großen Schindler’schen Waisenhauses, da mit dem Archidiakonat zugleich die Stelle eines Curators an dieser Anstalt verbunden war, und wahrlich einen liebevolleren Waisenvater konnte die Anstalt kaum haben. Um seine Kanzel scharte sich bald eine große Personalgemeinde aus den gebildeten Ständen, denen er die Schleiermacher’schen Anschauungen, aber ohne die bei vielen Anhängern Schleiermacher’s damals übliche Polemik gegen die Orthodoxie mit warmer religiöser Begeisterung verkündete. Von seinen Predigten ließ er zwei größere Sammlungen im Druck erscheinen, 1864 und 1869 unter dem Titel „Glaube an Christus“ und „Leben in und mit Christo“, welchen letzten Band er in der Vorrede mit der Versicherung einleitet, daß er die Kanzel stets mit dem Bestreben betrete, daß, was draußen als Streit der Parteien die Gemüther erhitze, so viel wie möglich fern zu halten, ohne jedoch seine Ueberzeugung zu verhehlen und über das schweigen zu können, was sein Auge auf dem Boden der kirchlichen Gemeinschaft als schädlich erkannt. So trat er aus dem Drange seiner Ueberzeugung 1868 noch einmal zu einem geistigen Ringkampf auf den Plan, wie ein Jahrzehnt früher gegen Stahl, so jetzt gegen die damals ausschließlich lutherische Genossenschaft der Berliner Pastoralconferenz, welche den ihr so verhaßten Protestantenverein in feierlicher Erklärung excommunicirt hatte; er folgte in dieser Schrift, der „Erklärung aus der Berliner Pastoralconferenz gegen den Protestantenverein“ (Berlin 1868) Satz für Satz in scharfer Abwehr wie in freudiger Darlegung des eigenen Standpunktes, der Angriffschrift der Gegner. Bis in sein Greisenalter wich er nicht von seinem Posten. Noch im J. 1888 wies er auf der Berliner Stadtsynode den Angriff des Consistorialpräsidenten Hegel gegen die Männer der freien Theologie im Pfarramt mit Schärfe und Klarheit zurück. Durch das Vertrauen der Stadt war er als Bürgerdeputirter in die Armencommission berufen, stand viele Jahre an der Spitze des großen Legatenfonds von Berlin und unterzog sich länger als zehn Jahre der unsäglichen Arbeitslast, die dieses Amt bringt neben seinen andern Thätigkeiten. Am 30. December 1869 hat ihn die theologische Facultät Heidelberg zum Ehrendoctor ernannt.

Schweres Leid hat ihn in seinem Hause besonders in seinem Alter getroffen. Nachdem seine erste Ehe durch den Tod getrennt und er mit sechs Kindern zurückgeblieben war, schloß er einen neuen Ehebund, der ihn 19 Jahre voll beglückte; nach dem Tode der Gattin aber brach schweres Leid und Kummer über ihn herein. Tod und geistige Umnachtung raubten ihm mehrere seiner erwachsenen Kinder; aber auch in der herbsten Trübsal bewahrte sich Th. die friedvolle Heiterkeit eines kindlichen wahrhaft christlichen Gemüths, das dankbar jede kleinste Lebensfreude erfaßt, und nachdem er noch in frischer Kraft 1889 sein 50jähriges Jubiläum hatte feiern können, erlöste ihn Gott am 15. März 1891 von allem Erdenleid und rief ihn heim.